1. Januar 2008 Joachim Bischoff und Hans Modrow

Zukunft: Mitte-Links-Bündnis?

Die gesellschaftspolitische Konstellation ist in Deutschland seit 2005 in Bewegung gekommen und verändert sich weiter. Zum ersten Mal sind fünf Parteien mit Fraktionen im Deutschen Bundestag vertreten und die neue Partei DIE LINKE ist dabei, mit Druck von links ihrem Namen Ehre zu machen.

Der Streit um Mindestlöhne und eine Begrenzung von Gehältern oder Abfindungen von Managern beherrscht die politische Debatte. Der überraschend kräftige Konjunkturaufschwung im Jahr 2006 hat bei so manchen gesellschaftlichen Problemen zu einer spürbaren Entspannung geführt. Die Ausweitung der lohnabhängigen Beschäftigung hat die Einnahmesituation der Sozialversicherungen und der öffentlichen Haushalte verbessert. Trotz dieser tendenziellen Entspannung zeichnet sich keine Lösung der in den letzten Jahrzehnten hervorgetretenen Kernfragen ab:

  Die Verteilung der Einkommen und Vermögen ist extrem ungleich; die Arbeits- und Sozialeinkommen sind im letzten Jahrzehnt gegenüber den Kapital- und Vermögenseinkommen deutlich zurückgefallen.

  Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft ist noch verstärkt worden und somit abhängig von der globalen Konjunkturentwicklung; folglich bleibt der Rückgang der Arbeitslosigkeit fragil. Die Nachfrage auf dem Binnenmarkt zieht nicht an.

  Die chronische Krise der internationalen Finanzmärkte verdeutlicht eine strukturelle Veränderung im Kapitalismus.

Eine wichtige Schlussfolgerung aus dieser Entwicklung: Dieser Aufschwung ist ganz eindeutig nicht bei den Menschen angekommen – auch wenn das in Politikerreden anders behauptet wird. Meinungsumfragen zeigen: Über 80% der Deutschen haben das Gefühl, dass sie nicht vom Wirtschaftswachstum profitieren. Das Erstaunliche: Je länger die Aufwärtsbewegung dauert, desto stärker wird dieser Eindruck. Im Juli 2007 haben sich 30% der Bevölkerung auf der wirtschaftlichen Gewinnerseite eingeordnet. Anfang Dezember 2007 waren es nur noch 18%. Zu diesem Meinungsbild gehört weiter: Eine Mehrheit der BundesbürgerInnen will den Mindestlohn und lehnt die Rente mit 67 ab.

Zur Topographie des Alltagsbewusstseins gehört ferner die breit verankerte Kritik an zu hohen Manager-Bezügen und Millionen-Abfindungen. Manager hätten ein Recht auf anständige Bezahlung, aber das dürfe nicht ausarten. Rund zwei Drittel der Deutschen sind dafür, dass der Staat Obergrenzen für Managergehälter festsetzt. Zugleich machen sich die BürgerInnen keine Illusionen über Politik und staatliches Handeln. Vier Fünftel der Wahlbevölkerung sind davon überzeugt, dass es in dieser Gesellschaft ungerecht zugeht und dass die Politik nichts gegen diese Verhältnisse unternimmt.

Die in den letzten Jahren gewachsene Distanz zu den politischen Institutionen, die sich in Parteienverdrossenheit und einem beträchtlichen Anteil von Stimmenthaltungen bei Wahlen und Volksentscheiden niederschlägt, bedeutet keine Versteinerung des demokratischen Systems. Die massiven Einschnitte auf der Leistungsseite der Sozialversicherungen in den Jahren 2002-2004 (die so genannte Gesundheitsreform, Hartz I-IV, Rentennachhaltigkeitsgesetz) haben eine breite Protestbewegung losgetreten, die zu vorgezogenen Neuwahlen und zu einer Fortführung der unsozialen Konsolidierungspolitik (Rente mit 67) führte.

Auf der anderen Seite hat dieser gesellschaftliche Konflikt zu einer Umgruppierung der oppositionellen Kräfte und einer Neuerfindung der politischen Linken geführt. André Brie unterstreicht zu Recht: "Im Protest gegen die Agenda 2010 hat sich die Linke in Deutschland neu formiert und das Parteiensystem erschüttert. Dabei ist die Linkspartei kein Fossil aus vergangenen Zeiten, sondern eine Neugründung, die während einer Hegemoniekrise des Neoliberalismus zustande kam... Auch andere Gegenkräfte sind – teilweise dank neuer Freiräume, die durch den Aufstieg der Linkspartei entstanden – stärker geworden."[1] So sehr wir die Neugründung unterstreichen, so deutlich wollen wir ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung und deren sozialen Kämpfen im 19. und 20. Jahrhundert betonen. Ohne eine Besinnung auf diese Tradition, auf die gemachten Erfahrungen, wird es für die LINKE schwer sein, in den sozialen Kämpfen des 21. Jahrhunderts zu bestehen.

Unter Führung der Sozialdemokratie waren die sozialen Sicherungssysteme nach dem Platzen der "New Economy"-Vermögensblase an verengte Verteilungsspielräume angepasst worden. Jetzt triumphiert die herrschende politische Klasse: Die gestärkte Wettbewerbsposition der bundesdeutschen Unternehmen und damit die konjunkturelle Aufwärtsbewegung resultiert
1. aus den dauerhaften Leistungskürzungen bei den Sozialversicherungen,
2. der parallel erfolgten Steuersenkungen für Unternehmen und große Vermögen,
3. und der zyklischen Konjunktur der Globalökonomie.

Trotz heftiger Proteste aus der Zivilgesellschaft (Gewerkschaften, Sozialverbände, globalisierungskritische Bewegungen etc.) und innerhalb der Partei hielt die Sozialdemokratie auch nach dem enttäuschenden Wahlergebnis 2005 an der Agenda 2010 und deren Fortführung in einer großen Koalition fest. Die zeitweilige Erschütterung der neoliberalen Hegemonie – auch durch die Neuformierung der LINKEN – setzte sich nicht in eine nachhaltige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse um.

Unter dem Dach der großen Koalition kam es gleichwohl zu Positionsveränderungen. Zunächst wurden die früheren Koalitionsparteien Grüne und Sozialdemokratie zu einer, wenn auch eingeschränkten, Rückbesinnung auf die Erwartungen der großen Mehrheit der Bevölkerung (der so genannten kleinen Leute) gezwungen. Die kleineren "Korrekturen" an der Agenda 2010 wären ohne den Druck der Gegenkräfte – vor allem der Gewerkschaften und der Partei DIE LINKE – nicht realisiert worden. Aber auch die Mehrheitspartei des bürgerlichen Lagers – die CDU/CSU – ist von einer konfrontativen Systemveränderung abgerückt und betont mit Bezug auf christliche Werte in ihrer Politik neuerdings die Notwendigkeit eines gewissen sozialen Ausgleichs.

Unbestreitbar hat die politische Linke dazu beigetragen, den Handlungsspielraum der oppositionellen Kräfte in Deutschland zu erweitern. Ein wesentlicher Aspekte für die Erklärung der veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ist aber auch darin zu sehen, dass die anhaltende Krise im internationalen Kredit- und Bankensystem veränderte Bedingungen für eine Stabilisierung der neoliberalen Hegemonie setzt. Die Gefährdung der Existenz von öffentlichen Banken (IKB, Landesbank Sachsen oder West LB) ist ein aktueller Indikator für die fragile ökonomische Konstellation.

Finanzinvestoren und Unternehmen investierten im ersten Halbjahr 2007 rund 2,4 Billionen US-Dollar in die Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Die Finanzinvestoren spielen mittlerweile in allen entwickelten kapitalistischen Gesellschaften eine beherrschende Rolle. Und: Die Shareholder Value-Orientierung, also der Vorrang des Rendite- und Kapitalmarktdenkens, stößt auch innerhalb des bürgerlichen Lagers mehr und mehr auf Kritik. Die Macht des großen Geldes im entfesselten Kapitalismus wird mit der Zerstörung von Produktions- und Lebensverhältnissen identifiziert und die gigantisch hohen Einkommen der Manager sowie die Ausschüttungen ihrer Fonds verschärfen das Bewusstsein über die real existierende Ungleichheit und soziale Spaltung. Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) hat für diese Transformation die Bezeichnung "Raubtierkapitalismus" eingeführt: "Die Globalisierung der Finanzmärkte begann erst in den 1970er Jahren – und zwar zunächst zögerlich... In den 1970er Jahren war von Hedgefonds und von Financial Derivatives keine Rede... (Es) hat sich ein Hang zu finanzieller Spekulation über viele Felder ausgebreitet... Kreditfinanzierte Übernahmen gut gehender Unternehmen – zunehmend durch Private-Equity-Fonds – sind an der Tagesordnung. Dazu kommt vielfach eine grandiose Selbstbereicherung... Man darf von Raubtierkapitalismus sprechen."[2]

Und man kann diese Betrachtung noch ergänzen. Es wird eine Steuerpolitik betrieben, die diese Tendenz noch bestärkt. Geht es um soziale Herausforderungen, um Bildung und Kultur, um Familien und Freizeitangebote für die Jugend, reichen die finanziellen Mittel nicht. Geht es um Fehlspekulationen mit ungeheuren Verlusten wie bei der SLB oder um die Förderung von Großunternehmen, d.h. die Sicherung von deren Profiten, springt der Staat mit Mitteln der Steuerzahler ein. Der Staat bändigt das "Raubtier" nicht, sondern schafft neue Freiräume für sein Gedeihen.

Nach einer längeren Schönwetterperiode ist auf den internationalen Finanzmärkten eine ernste Krise sichtbar geworden. Die Stabilität des Systems konnte nur durch außergewöhnliche Interventionen der wichtigsten zentralen Notenbanken gesichert werden. Selbst eindeutig neoliberal ausgerichtete Institutionen – wie z.B. der Sachverständigenrat – fordern entgegen ihrer bisherigen Philosophie eine neue gesellschaftliche Anstrengung zu einer politischen Regulierung, d.h. der Errichtung eines neuen Ordnungsrahmens für die internationalen Finanz- und Kreditmärkte.

Mit der offenkundigen Krise des "entfesselten, neoliberalen Kapitalismus" steht auch die politische Linke in Deutschland vor weitergehenden Herausforderungen. Nur mehr eine kleine Minderheit der Bevölkerung (15%) beurteilt die Verteilungsverhältnisse als gerecht. Die Delegitimierung des bundesdeutschen Kapitalismus hat vor einer erneuten Eintrübung der konjunkturellen Bewegung ein beträchtliches Ausmaß erreicht. Zwei Drittel der BürgerInnen fordern verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung der Kinderarmut, Mindesteinkommen für die Lohnabhängigen und einen Kurswechsel bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Vermögen. Kann die neue Formation DIE LINKE in dieser Situation die Chance zu einer nachhaltigen Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse nutzen?

Horst Kahrs wirft die Frage auf: Wie soll sich "die Linke zu ihrem ersten Erfolg –nämlich einer sich in Bewegung befindenden und um neue Glaubwürdigkeit ringenden SPD – verhalten"?[3] Seine Antwort: "Entschieden linkssozialdemokratisch Kurs halten". Die LINKE könne durch Propagierung von traditionellen sozialdemokratischen, sozialstaatlichen Anliegen eine weitere Verschiebung der politischen Achse nach links befördern und werde doch wegen ihrer Orientierung an öffentlichen Unternehmen und Eigentum ihr eigenständiges Profil bewahren.

André Brie plädiert gleichfalls für ein aktives Engagement zugunsten eines Mitte-Links-Bündnisses. Über Kahrs hinausgehend setzt er sich für einen politischen Richtungswechsel, nicht nur für einzelne Korrekturen, ein: "Um es klar zu sagen, die Verantwortung der neuen politischen Linken erschöpft sich nicht darin, eine gewisse sozialdemokratische Korrektur der Politik zu bewirken – sie steht für das strategische Projekt eines grundlegenden Wandels in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa."[4]

In der Tat ist hier das programmatisch-strategische Schlüsselproblem der LINKEN in der Bundesrepublik und der Linken in Europa benannt. Auf der einen Seite sind große Teile der Bevölkerung existenziell nach wie vor an "einzelnen Korrekturen" der zusammengestrichenen Leistungsgesetze des Sozialstaates und der Verteilungsverhältnisse interessiert: Es geht um mehr Kaufkraft durch Mindestlöhne und die Erhöhung der Arbeitseinkommen sowie der Sozialtransfers für die Ausgegrenzten und die AltersrentnerInnen. Es geht um einen Ausbau der sozialen Sicherheit in den Bereichen Bildung und Kultur. Und es geht um einen Übergang zu einer sozial-ökologisch verträglichen Arbeits- und Lebensweise. Auf der anderen Seite wächst durch die Probleme im Bereich Klima, Energie und Umwelt sowie den Anforderungen der wissensbasierten Ökonomien mit ihrer Produktivität das Bewusstsein darum, dass es mit einzelnen Korrekturen nicht getan ist. Angesichts dieser Widerspruchskonstellation besteht die Gefahr, entweder im alltäglichen Verbesserungsimpetus stecken zu bleiben oder auf unkritisch auf überholte Sozialismusvorstellungen des 20. Jahrhunderts zurück zu greifen.

Nach Brie kann sich die LINKE gegen solche Verkürzungen wappnen, "indem sie einer politischen Kultur des Pluralismus ebenso wie einer libertären Orientierung und einem konsequent emanzipatorischen Politikverständnis folgt".[5] Wir bezweifeln die Zuverlässigkeit dieses Orientierungskompasses. Sehen wir uns ein Beispiel an: Im Sinne einer libertären Haltung muss die LINKE für eine grundlegende Änderung der Sozialtransfers für vom kapitalistischen Arbeitsmarkt ausgegrenzte BürgerInnen eintreten. Brie fordert längerfristig den Übergang zu einer bedarfsunabhängigen Grundsicherung für alle, weil die LINKE nicht in obsoleten Mustern etatistischer Sozialpolitik stecken bleiben dürfe.

Wir schätzen an der Argumentation von André Brie sein Beharren auf neuen Lösungen für die gesellschaftspolitischen Grundprobleme. Aber wir können zugleich seine Geschichtsvergessenheit nicht teilen. Gleich wie man zu den verschiedenen aktuellen Konflikten der realexistierenden Lohnabhängigen steht – Mindestlohn für die BriefzustellerInnen, Existenzsicherung für die Beschäftigten im Einzelhandel oder die schwierige Konstellation von LokführerInnen oder den anderen Beschäftigten der Bahn AG –, wir sehen eine Kontinuität in den Kämpfen: Wie soll in dieser Republik produziert werden, um welche öffentlichen oder privaten Bedürfnisse geht es und haben alle Gesellschaftsmitglieder an der Entwicklung der Fähigkeiten zu besseren Erzeugung des gesellschaftlichen Reichtums teil? Wir betonen daher die keineswegs widerspruchsfreie Entwicklung der historischen Kämpfe der Lohnabhängigen und der subalternen Klassen um Emanzipation. Wer der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation eine breite, wählbare Alternative entgegenstellen will, kommt um eine Auseinandersetzung mit den bisherigen Anläufen zur politischen und sozialen Emanzipation nicht herum.

Auch wir plädieren dafür, ein Bündnis zur tiefgreifenden Gesellschaftsveränderung mit der realexistierenden Sozialdemokratie und anderen politisch-sozialen Kräften zu entwickeln. Wir stimmen darin überein, dass es eine wichtige Aufgabe der Partei DIE LINKE ist, die von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Kirchen etc. benannten konkreten Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsverhältnisse im politischen Raum durchzusetzen. Allerdings reicht politischer Druck von Links als Programm und strategische Option nicht aus. Wir können nicht nur auf die durch die wirklichen Probleme beförderten Lernprozesse setzen. Wir sehen die Partei DIE LINKE auch in der Verantwortung, die Systemfrage aufzuwerfen und – im selbstkritischen Bezug auf unsere historischen Erfahrungen – die Frage eines demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts mit Leben zu erfüllen.

Kein Zweifel: Die Bedürftigkeitsprüfung für die vom gesellschaftlichen Reproduktionsprozess ausgegrenzten Bevölkerungsschichten verletzt massiv die Würde und das Bürgerbewusstsein der Betroffenen. Die Höhe der Sozialtransfers liegt großteils unter dem sozial-kulturellen Existenzminimum. Es ist eine Schlüsselfrage politischer Glaubwürdigkeit, dass die LINKE dauerhaft für ein gesellschaftliches Bündnis von Lohnabhängigen und sozial ausgegrenzten Bevölkerungsschichten wirken muss. Die Betonung von Brie auf die Bedarfsunabhängigkeit legt den Schluss nahe, dass ihm eine Version eines allgemeinen Grundeinkommens vorschwebt.

Die politische Schnittmenge eines Mitte-Links-Bündnisses könnte im Fall eines bedingungslosen, allgemeinen Grundeinkommens möglicherweise ausgeweitet werden: Die Grünen haben auf ihrem letzten Bundesparteitag eine Debatte darüber geführt und die Anhänger einer solchen Konzeption sind keine kleine Minderheit. Auch bei der Sozialdemokratie und selbst der CDU gibt es einflussreiche Fürsprecher einer solchen Entwicklungsrichtung. Auf der anderen Seite stellt ein be­darfs­unabhängiges Grundeinkommen eine radikale Fassung einer etatistischen Sozialpolitik dar: Es handelt sich nicht um eine Systemkorrektur, sondern um einen radikalen Wechsel zu einem etatistischen Umverteilungssystem, bei dem alle Probleme der gesellschaftlichen und betrieblichen Wertschöpfung und Kapitalverwertung ausgeklammert bleiben. Gerade die gegenwärtige Finanzkrise unterstreicht, dass wir uns nicht mit einer Lösung von sicherlich gravierenden Verteilungsproblemen zufrieden geben können, sondern dass wir auch aufgefordert sind, einen veränderten gesellschaftlichen Ordnungsrahmen für die Produktions- und Arbeitsprozesse durchzusetzen. Nicht nur die ökologischen Probleme, aber auch sie, zwingen uns, die Systemfrage zu stellen. "Wir sind die politische Kraft, die die Systemfrage stellt. Die Frage: Ist der herrschende Finanzkapitalismus, der auf die kurzfristige Rendite zielt und auf größeren Umsatz sowie größeren Gewinn orientiert – ist ein solches Wirtschaftssystem geeignet, die Umwelt zu schützen und unsere Erde zu bewahren?"[6]

Die gegenwärtigen Korrekturforderungen – Mindestlohn, armutsfeste Altersrenten, Abschaffung des jetzigen Systems der Sozialunterstützung (Hartz IV) und Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr – müssen in eine umfassende politische Strategie zu einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung eingebunden werden. Die LINKE entgeht der Verengung auf tagespolitisches Klein-Klein, wenn sie ihre Politik auf einen grundlegenden Richtungswechsel ausrichtet. Der politische Horizont ist mithin eine umfassende gesellschaftliche Regulierung und Umgestaltung des gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungs- und Verwertungsprozesses. Die dazu erforderliche Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse wird von einer breiten zivilgesellschaftliche Widerstandsbewegung gegen den Neoliberalismus angeschoben werden müssen.

Wir setzen uns dafür ein, dass innerhalb der LINKEN in den nächsten Monaten eine intensivierte Debatte über die Fragen entwickelt wird. Die Neugründung der LINKEN in der Bundesrepublik Deutschland ist ein vielversprechender Auftakt zur Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse. Wir sind aber auch in der Pflicht, die Programmatik weiter zu entwickeln und auf den nächsten Parteitagen der Öffentlichkeit deutlich zu machen, woher wir kommen und für welche Zukunft wir uns einsetzen.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus, Hans Modrow ist Vorsitzender des Ältestenrates der LINKEN.

[1] Brie, A. (2007): Links von allen oder fähig zum strategischen Projekt? in: Freitag 49, 7.12.2007
[2] Schmidt, H. (2007): Beaufsichtigt die Großspekulanten, in: Zeit Nr. 6 vom 1.2.2007, S. 21-23
[3] Kahrs, H. (2007): Richtungswechel ohne Richtung, in: ND vom 30.11. 2007. Horst Kahrs ist Bereichsleiter Strategie/Politik beim Parteivorstand DIE LINKE.
[4] Brie, A., a.a.O.
[5] ebd.
[6] Lafontaine, O. (2007): Es ist unerlässlich, die Systemfrage zu stellen, in: Freitag 48, 30.11.2007

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