26. Februar 2013 Michael Schlecht: Für einen selbstbewussten Umgang der LINKEN mit der SPD

Zwischen Papierlage und Realpolitik

Mit dem Desaster bei der Bundestagswahl 2009 wurde die SPD in die Opposition geschickt. Es war die Quittung für eine arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Politik insbesondere seit 2000. Nicht nur viele Wählerinnen und Wähler wandten sich ab, auch viele Mitglieder verließen die Partei.

Gerade aus Kreisen von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die zum Teil zuvor in der SPD waren, wurde 2004 zunächst die WASG gegründet und ab 2007 DIE LINKE formiert. Gründungskonsens von WASG und DIE LINKE war der Kampf gegen die Agenda 2010 und die weiteren Verschlechterungen, die SPD/Grüne in der Regel in Tateinheit mit Union und FDP durchsetzten. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte DIE LINKE 11,9% der Wählerstimmen. Das Ziel war, die Politik in Deutschland zu verändern, vor allem durch Druck von links: »Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land.«

In der SPD spielte in der Verarbeitung der Wahlniederlage 2009 das Erstarken der Partei DIE LINKE eine zentrale Rolle. Auch wenn Steinbrück bis heute meint, die SPD habe die Wahl »in der Mitte« verloren, bestand und besteht ein erheblicher Druck, die SPD-Programmatik nach links zu korrigieren. Voraussetzung dafür war, dass die SPD ohne Regierungsverantwortung eine andere Rolle einnehmen konnte. Dies führte zu einer Stärkung und neuen Handlungsmöglichkeiten des kleinen Kreises von Sozialdemokraten, die in der SPD verblieben sind.[1] In der Bundestagsfraktion sind das, wenn es hoch kommt, zehn Abgeordnete. Zahlenmäßig entspricht das in etwa auch der Stärke derjenigen, die vor zehn Jahren gegen das Projekt der Agenda 2010 von Gerhard Schröder innerparteilich Widerstand geleistet haben. Zu diesem Kreis gehört Klaus Barthel, der mittlerweile zum Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) aufgestiegen ist. Zu Zeiten der rot-grünen Koalition waren er und andere weitgehend marginalisiert.

Die programmatischen Korrekturen der SPD in ihrer neuen Rolle als Oppositionspartei erfolgen jedoch nur in homöopathischen Dosierungen und zudem in einem widersprüchlichen Prozess. Nach wie vor wird die Politik der Agenda 2010 als großer Erfolg gefeiert. Auch die Hartz-Gesetze, insbesondere das Sanktionsregime des Arbeitslosengeldes II, werden als angeblich notwendige sozialpolitische Reform verteidigt. Nicht umsonst wünscht sich Agenda-Kritiker Klaus Barthel, dass »Mandatsträger der Partei sich zu ihren politischen Fehlern bekennen.«[2]

Mit dem Druck DER LINKEN im Rücken konnten sich die in der SPD verbliebenen tatsächlich sozialdemokratischen Kräfte aus ihrer innerparteilichen Marginalisierung wieder befreien, um das gewollte linkere Image der SPD zu befördern. Der ehemalige AfA-Vorsitzende Otmar Schreiner durfte seit der Wahl 2009 wieder zu sozial­politischen Themen im Bundestag reden. Und die SPD bemühte sich, ihre Programmatik zumindest in Teilen wieder etwas links aufzupolieren. Klaus Barthel beschreibt dies euphemistisch mit »programmatisch ist die SPD wieder da«. Ohne Druck von links würden die neuen zaghaften linken Tendenzen, wie sie von den Sozialdemokraten gefordert werden, sicherlich noch geringer ausfallen.

Vollkommen erfolglos verlaufen sind bislang die Bemühungen, die aggressive Blockade gegenüber der Partei DIE LINKE aufzubrechen. Den Sozialdemokraten in der SPD ist klar, das es »wichtig ist .., jetzt die gesellschaftlichen Bündnisse für die anstehenden Auseinandersetzungen ... mit den ökonomischen Eliten ... zu schmieden«.[3] Von der DL-21-Vorsitzenden Hilde Mattheis wird immer wieder für Offenheit im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit DIE LINKE geworben. Auch deshalb, um sich mögliche Perspektiven für einen Politikwechsel mit Hilfe der LINKEN zu erhalten. Aber die mehrheitliche Agenda-Fraktion lehnt dies ab, weil sie weiß, dass ein Bündnis nur zu haben wäre mit weitgehender Rückabwicklung der Agenda 2010.

Deshalb versuchen Steinreich, Steinmeier, Gabriel und andere, DIE LINKE zu marginalisieren und lieber ein Bündnis mit der CDU ins Auge zu fassen, notfalls selbst mit der FDP. Dies zeigt im Übrigen auch, dass die Agenda-Fraktion selbst zu den mageren sozialen Korrekturen ihrer eigenen Politik lediglich ein taktisches Verhältnis hat. Der gesetzliche Mindestlohn ließe sich mit der FDP kaum durchsetzen. Und mit der CDU würde nur eine unverbindliche »Lohnuntergrenze« he­rauskommen, ohne dass im Parlament ein verbindlicher Mindesteurobetrag beschlossen wird. Nur nebenbei: Die grüne Bundestagsfraktion verficht hier die gleiche Position wie die CDU.

Dass die SPD wieder links versucht zu blinken, wird von manchen in der Partei DIE LINKE als Bedrohung empfunden. Als ein Stehlen von Alleinstellungsmerkmalen, als ein Verletzten des politischen Copyrights. Das zeugt von mangelndem Selbstbewusstsein, denn die beschränkte programmatische Links-Entwicklung in der SPD muss als Erfolg des linken Parteiprojekts verstanden werden. Den wenigen Sozialdemokraten ist dies durchaus bewusst. In den Zeiten vor dem Göttinger Parteitag, vor dem Sommer 2012, als DIE LINKE mit internen Streitigkeiten zu kämpfen hatte, machten sie sich um den Zustand der linken Partei so viele Sorgen wie DIE LINKE selbst. »Was ist bloß los bei euch, sollte es euch nicht mehr geben, dann kommen die Steinmeiers alle wieder und drücken uns in die Ecke«, so die sorgenvollen Bekundungen.

Die »Papierlage« – wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer es ausdrückt – ist zwar in bestimmten Punkten besser geworden. Aber damit ist noch lange nicht klar, wie es nach der Bundestagswahl 2013 weitergeht. Sollte es zu einer, aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlichen neuen SPD/Grünen-Regierung kommen, wird die Stärke der linken Opposition maßgeblich darüber entscheiden, ob bzw. in welchem Ausmaß die Sozialdemokraten in der SPD verhindern können, dass wieder rechts abgebogen wird.

Auch wenn Wählerinnen und Wähler oft zu Vergesslichkeit neigen, so erinnern sich doch noch viele sehr genau an den Bruch diverser Wahlversprechen der SPD. So wurde zum Beispiel 1998 die Regulierung befristeter Arbeitsverhältnisse versprochen, doch das Gegenteil, die noch weitergehende Deregulierung wurde vollzogen. Oder: Vor der Wahl 2005 wurde eine Anhebung der Mehrwertsteuer als »Merkelsteuer« bekämpft, nur um dann schnurstracks in der Großen Koalition als Kompromiss zwischen 16 und 18% in kompletter Missachtung mathematischer Grundregeln 19% zu beschließen. Übrigens hieß der Finanzminister bei diesem Wahlbetrug Peer Steinbrück. Müntefering kommentierte dies damals mit der zynischen Bemerkung: »Ich bleibe dabei: Dass wir oft an Wahlkampfaussagen gemessen werden, ist nicht gerecht.«[4]

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte: Im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg 2011 verkündeten SPD und Grüne weitreichende Reformen des Bildungswesens und prangerten an, dass die Mappus-CDU 4.500 Lehrerstellen streichen wollte. Nach der Regierungsübernahme durch Grün/Rot folgte ein grandioser Wahlbetrug: 6.000 Lehrerstellen sollen in der laufenden Legislaturperiode wegfallen. Damit ist in der Bewertung der GEW die von Grünen und SPD versprochene Bildungsreform erledigt, denn zu ihrer Durchsetzung wären als Minimum diese 6.000 Lehrerstellen notwendig.


Arbeit und Löhne

Seit 2000 sind in Deutschland die Reallöhne um fünf Prozent gesunken. Dies ist Resultat der von SPD und Grünen betriebenen Ausweitung des Niedrig- und Hungerlohnsektors. Außerdem ist die Tarifbindung systematisch geschwächt worden, sodass heute nur noch 50% der Beschäftigen unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages stehen. Generell sind die Handlungsmöglichkeiten der gewerkschaftlichen Lohnpolitik gerade in den letzten zehn Jahren deutlich schwieriger geworden.

Der entscheidende Hebel war die Deregulierung am Arbeitsmarkt, insbesondere durch Hartz IV. Es geht ja hierbei nicht »nur« um vier bis fünf Millionen unmittelbar betroffene Erwerbslose. Es geht um 20 bis 30 Millionen Erwerbstätige. Sie alle wissen, dass sie bei Verlust des Arbeitsplatzes nach einem Jahr in ein tiefes Loch fallen. Nicht nur, dass »Armut per Gesetz« droht. Durch Strafen des Jobcenters wurden 2012 eine Million Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger unter das Existenzminimum gedrückt.

Die meisten wissen, dass man zu jedem miesen und schlecht bezahlten Job gezwungen werden kann. Für 2,50 Euro das Klo putzen, für 3,50 Euro den Hof kehren, das ist die Ansage. Ohne Rücksicht auf die bisherige berufliche Biografie, ohne Rücksicht auf bisherige Tätigkeiten und Qualifikationen droht die Entwürdigung. Dies alles, weil SPD/Grüne, die Steinmeiers, Künasts und Trittins den Zumutbarkeitsschutz durch Hartz IV abgeschafft haben.

Disziplinierend wirkt schon immer die Angst vor Arbeitslosigkeit. Mit der Einführung von Hartz IV ist sie massiv verschärft worden. Wer in Hartz IV rutscht und in einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung lebt, bekommt nur Arbeitslosengeld II, wenn der Wohnraum nicht zu groß ist. Ansonsten muss die Immobilie in der Regel verkauft werden. Gleiches droht, wenn man noch über Jahre hinaus Haus oder Wohnung abbezahlen muss. Mit dem Arbeitslosengeld II Schulden zu tilgen, ist nicht zu schaffen. Schon manchem 50-Jährigen ist der Traum vom eigenen und abbezahlten Haus im Alter vorzeitig geplatzt.

Hartz IV ist eine brutale disziplinarische Peitsche. Das wirkt sich auch auf die Kampfbereitschaft in Tarifrunden aus. Wer Angst um den Job oder vor Hartz IV hat, überlegt sich dreimal, ob er für den Erhalt von Tarifverträgen eintritt oder für höhere Löhne streikt. »Bloß nicht Hartzer werden«, ist dann die Devise. Hinzu kommen Leiharbeit, Befristungen und Werkverträge. Sie haben sich – nachdem Rot-Grün die Schutzzäune vor gut zehn Jahren niederriss – immer mehr in die betriebliche Realität hineingefressen. Der Stammbelegschaft wird verdeutlicht, dass auch andere, billigere Arbeitskräfte ihre Arbeit übernehmen können. Dies führt auch zur Disziplinierung und zur Entsolidarisierung. Rückwirkend wird so die Wahrnehmung von gewerkschaftlichen Interessen erschwert.

Was die Positionierung der SPD in Bezug auf Leiharbeit und Werkverträge betrifft, so findet man in ihren programmatischen Bekenntnissen den Hinweis, dass man die eigenen »Reformen« korrigieren müsse. Wie glaubwürdig ist das jedoch, wenn gleichzeitig der Kanzlerkandidat im Hinblick auf die Agenda 2010 fordert: »Etwas mehr Stolz, etwas mehr Selbstbewusstsein ... über das, was uns gelungen ist«? Schließlich hat die SPD in ihrer Regierungszeit genau diese Arbeitsmarkt»reformen« durchgesetzt.

Gerne wird in der SPD verharmlosend vom »Nachjustieren« gesprochen. Dies drückt sich dann darin aus, dass bei Leiharbeit »equal pay« verwirklicht werden soll, während von umfassenden Regulierungen oder gar dem Verbot der Leiharbeit – wie es DIE LINKE fordert – Abstand genommen wird.

Eine völlige Fehlstelle in der ansatzweisen programmatischen Linkswendung der SPD ist Hartz IV: Nirgendwo findet sich ein Hinweis, dass sie das Sanktionsregime von Hartz IV abschaffen will. Im Gegenteil: Hartz IV wird vom Parteivorsitzenden Gabriel nach wie vor als Errungenschaft verteidigt.

Hier bleibt auch ein Klaus Barthel in Halbheiten stecken: »Zumutbar ist nur geregelte Arbeit«.[5] Die unbefristete Arbeit des Hofkehrens mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn die SPD fordert, wäre aus dieser Sicht dann »zumutbar« für einen Erwerbslosen, der zuvor 30 Jahre als Ingenieur oder in einer anderen hoch qualifizierten Tätigkeit gearbeitet hat. Nein, das ist nicht die Korrektur, die der Menschenwürde entspricht und vor allem den Disziplinierungsdruck verringert. Eine wirkliche Verbesserung würde die sanktionsfreie Mindestsicherung von 500 Euro plus den Kosten der Unterkunft bringen, wie sie DIE LINKE fordert. Dann kann niemand mehr gezwungen werden, einen beruflichen Absturz hinzunehmen.


Rente

Die SPD hat im November 2012 einen Beschluss zur Rentenpolitik gefasst und darin ihre bisherige Rentenpolitik gelobt. »Deshalb stellt die SPD diese Rentenreformen nicht in Frage.«[6] Na prima. Weshalb dann überhaupt einen neuen Beschluss? Es geht darum, den Anschein zu erwecken, der Renteneintritt erst mit 67 und die Rentenabsenkung würden ausgesetzt. Das ist schlichtweg falsch!

Die SPD lobt sich selbst, weil mit der Rente mit 67 angeblich »die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest für den demografischen Wandel gemacht« wurde. Sigmar Gabriel hat auf einer
ver.di-Funktionärskonferenz im September 2012 die Lebensarbeitszeitverlängerung als alternativlos verteidigt. Eine Krankenpflegerin hielt ihm vor: »Lieber Sigmar, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich mit 63 oder 64 Jahren noch im Krankenbett umdrehe, ich habe ja heute schon Probleme mit gewichtigen Patienten.« Als auch weitere Kolleginnen und Kollegen die Sinnhaftigkeit der Rente mit 67 nicht einsehen wollten, verließ Gabriel die Veranstaltung vorzeitig.

Mit dem Beschluss vom November 2012 soll »der für das Jahr 2012 vorgesehene Einstieg in die Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre« ausgesetzt werden, bis »die 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens zu 50% sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind«. Doch auch wenn dieses Ziel je erreicht würde, wäre die Rente mit 67 nicht minder verwerflich. Denn in der Konsequenz würde dies bedeuten, dass die Hälfte der älteren Beschäftigten bis 67 ackern müsste, obwohl viele von ihnen gesundheitlich belastet sind. Die andere Hälfte würde nach wie vor vorzeitig ausscheiden und dann gleichwohl massive Rentenkürzungen hinnehmen müssen.

Gerade weil Gabriel die Rente mit 67 will, sucht er nach Wegen, ältere Menschen vermehrt in die Arbeit zu bringen: »Die Arbeitgeber, die sich um altersgerechte Arbeitsplätze kümmern, ... müssen bei ihren Rentenversicherungsbeiträgen einen Bonus bekommen. Die Arbeitgeber, bei denen das nicht der Fall ist, die müssen höhere Beiträge bezahlen.« Kein Zweifel: Es ist richtig, gegen Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt anzutreten. Jedoch ist dies kein Argument für die Rente mit 67.

Die niedrige Erwerbsquote älterer Beschäftigter ist auch Ausdruck davon, dass viele nicht mehr können, dass sie verschlissen sind von immer belastenderen Arbeitsplätzen. Für sie sind Gabriels Vorschläge blanker Zynismus. Auch ist es in vielen Wirtschaftsbereichen schlicht nicht möglich, »altersgerechte Arbeitsplätze« zu schaffen. Beispielsweise in Schichtbetrieben. Oder bei ständiger Nachtarbeit, wie in Zeitungsdruckereien. Da sind viele Beschäftigte schon mit 50 Jahren angeschlagen, mit 55 wird es immer schwerer und mit 60 ist die Arbeit nicht mehr zu schaffen. Unbenommen davon sollen sich nach Vorstellung der SPD diese Menschen bis zum Alter von 67 durchquälen. Wie das menschenwürdig möglich sein soll, lässt Sigmar Gabriel offen. Die SPD geht auf dieses Problem nur insofern ein, als sie die Möglichkeit eines vorzeitigen Rentenbeginns benennt – allerdings immer bei Inkaufnahme finanzieller Verluste. Dass dies für viele Menschen schlicht nicht möglich ist und das Problem der Armut im Alter massiv ausweiten würde, bleibt außen vor. Keine Rede von der Möglichkeit eines abschlagsfreien vorzeitigen Rentenbeginns, ganz zu schweigen von der Rückkehr zum Renteneintrittsalter 65, wie es DIE LINKE fordert.

Die SPD behauptet, dass sie wegen des »demografischen Wandels« auch das Rentenniveau absenken musste. Gerade Steinbrück erklärt dies immer wieder. 2000 lag das Rentenniveau noch bei 53%, heute bei rund 50%. Bewirkt wurde und wird dies zum einen durch den »Riesterfaktor«, der die Renten bereits um vier Prozent abgesenkt hat. Zynisch wird dies damit begründet, dass durch die staatlich geförderte Riesterrente die gesetzliche Rente vermindert werden könne. Zum anderen ist ein »Nachhaltigkeitsfaktor« in die Rentenformel eingebaut worden, der mit der absehbaren Verschiebung von aktiv Beschäftigten zu Rentnern eine Senkung des Rentenniveaus auf 43% bis 2030 bewirken wird.

Jetzt behauptet die SPD, sie wolle die weitere Absenkung bis 2020 aussetzen – jedoch ohne die Rentenformel zu verändern! Mit dieser Rentenformel wird es aber zwangsläufig zu einer weiteren Absenkung kommen. Erklären lässt sich die angebliche Neupositionierung der SPD so: Die verschiedenen Kräfte in der SPD haben sich einfach darauf »geeinigt«, in ihr Rentenpapier die Ansicht der Agenda-Fraktion und der Sozialdemokraten nebeneinander hineinzuschreiben. Wie die Auseinandersetzung nach einer möglicherweise erfolgreichen Wahl ausgeht, ist klar: Ohne massiven Gegendruck von links werden die Vorstellungen der Sozialdemokraten in der SPD kommentarlos gestrichen werden.

Die »Sicherung der Rentenversicherung vor dem demografischen Wandel« ist nicht das wahre Motiv der SPD. Vielmehr geht es ihr darum, »die Arbeitskosten vor allem für kleine und mittlere Unternehmen nicht drastisch erhöhen zu müssen«, so in aller Offenheit im November-Beschluss der SPD. Im Klartext heißt das: Es geht um die Sicherung der Profite! Deshalb wurde unter Kanzler Schröder das Dogma eingeführt, dass die Rentenversicherungsbeiträge bis 2030 höchstens auf 22%, also für die Unternehmer auf elf Prozent ansteigen dürfen.

Auch die Beschäftigten werden dann höchstens elf Prozent Beiträge zahlen müssen. Jedoch: Will man die gekürzten und gefesselten Renten durch Privatvorsorge ausgleichen, müssen sechs Prozent zusätzlich aufgebracht werden. Die Gesamtbelastung für Beschäftigte wächst damit auf 17%. Diese muss man alleine tragen. Absehbare Folge ist, dass eine angemessene Alterssicherung für weite Teile der Bevölkerung völlig illusorisch ist. Und das mit Billigung und Förderung der angeblichen Arbeitnehmervertreterin SPD.

17% plus 11% Arbeitgeberbeitrag macht 28%. Dieser Beitrag wird bis 2030 für die gesetzliche Rentenversicherung notwendig sein. Jedoch ist der zu leistende Beitrag von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sehr ungleich verteilt. Die Parität wurde aufgebrochen – die Last tragen die Arbeitnehmer. Dies will DIE LINKE ändern! Wir wollen eine Rückkehr zur paritätischen Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Bei hälftiger Finanzierung sparen die Beschäftigten. Sie zahlen dann 14% Beiträge in die Rentenversicherung – also drei Prozentpunkte weniger, die Unternehmer drei Prozentpunkte mehr.

Hinzu kommt, dass die Beiträge für die kapitalgedeckte private Vorsorge sofort in voller Höhe von sechs Prozent zu leisten sind, höhere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erfordern nur einen jährlichen Anstieg um 0,3 Prozentpunkte. Wenn es gelingt, die Ordnung am Arbeitsmarkt wieder herzustellen, prekäre Beschäftigung zurückzudrängen und reguläre Arbeitsverhältnisse wieder zur Normalität werden zu lassen, die Kampfkraft der Gewerkschaften zu stärken, endlich wieder Lohnerhöhungen mindestens in Höhe des verteilungsneutralen Spielraumes durchzusetzen, dann lassen sich derartige minimale Steigerungen des Rentenversicherungsbeitrages gut verkraften.

Und DIE LINKE will die Rentenformel reparieren! Wir wollen wieder ein Sicherungsniveau von 53%! Mit 28% Beitrag können alle Kürzungsfaktoren wieder rückgängig gemacht werden. Und die Rente mit 67 ist überflüssig.

Von einer grundlegenden Änderung der programmatischen Positionen, die die SPD mit ihrer Agenda-Politik zulasten der Beschäftigten durchgesetzt hat, ist nach wie vor nichts zu merken. Die SPD versucht im Wahlkampfjahr mit verbalem Getöse davon abzulenken, dass sie von linken Positionen weiterhin meilenweit entfernt ist. Ihr geht es darum, die Stimmen derjenigen Wählerinnen und Wähler zu fangen, die auf eine neue linke Politik in der Sozialdemokratie hoffen. Doch wenn die SPD überhaupt programmatisch nach links rücken könnte, dann nur, wenn es eine starke Kraft links von ihr gibt. Die Hoffnungen allein auf die SPD zu setzen, geht an den Realitäten der Politik in diesem Land vorbei.

Michael Schlecht ist Chefvolkswirt der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand.

[1] Neben den wenigen verbliebenen fortschrittlichen Kräften ist die Bezeichnung »Sozialdemokrat« für das Agendapersonal eigentlich unangebracht, da sozialdemokratische Grundsätze in den letzten zehn Jahren mit Füßen getreten wurden. Damals hat sich ja in bezeichnender Weise auch eine Arbeitsgemeinschaft gegründet mit dem Namen »Sozialdemokraten in der SPD«.
[2] Sozialismus 2/2013, S. 21.
[3] Ebd., S. 18
[4] FAZ vom 5.9.2006.
[5] Sozialismus 2/2013, S. 18.
[6] Alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate entstammen dem Beschluss des 2. Parteikonvents der SPD vom 24.11.2012.

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