1. Juni 2007 Joachim Bischoff

Zwischenetappe oder historischer Sieg für DIE LINKE.?

Der Einzug einer Fraktion von "DIE LINKE." in die Bremische Bürgerschaft ist ein klares Indiz dafür, dass die politischen Kräfteverhältnisse und die Parteienlandschaft in Deutschland in Bewegung geraten sind. Bei weiter leicht gesunkener Wahlbeteiligung (57,6%) hat die neue Formation der Linken mit gut 23.000 Stimmen (8,4%) ein zu Recht weithin beachtetes Ergebnis erzielt.

Bei der Frage, ob die Bremer Wahlergebnisse verallgemeinerbar sind und ob die Linke einen historischen Durchbruch erreicht hat, können die ökonomisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ausgeblendet werden.

In Stichworten: Bremen ist ein kleines Bundesland, dessen ökonomische Basis durch den rasanten Strukturwandel erheblich demoliert worden ist. Seine widersprüchlichen Zukunftsperspektiven werden auch durch die gegenwärtige Wirtschaftskonjunktur nicht überdeckt. Der Stadtstaat ist durch eine breite Kluft von Armen und Reichen geprägt, hat einen heruntergesparten öffentlichen Bereich und ist gleichwohl hoch verschuldet. Ohne Zuwendungen vom Bund und den anderen Bundesländern ist eine Beseitigung dieser Lasten nicht vorstellbar.

Dennoch: Bremen bleibt trotz erheblicher Wahlverluste eine Hochburg der Sozialdemokratie.

Links: strukturell mehrheitsfähig

Bundesweit ist die SPD weit von einer Mehrheitsfähigkeit entfernt. Sie wird mit einem Anteil von unter 30% gehandelt. CDU/CSU haben einen Stimmenanteil zwischen 36 und 38%. Die FDP bewegt sich zwischen 10 und 12%, und die Grünen liegen bei 8 bis 10%, ebenso DIE LINKE. Unter der Annahme, dass die politisch-kulturellen Differenzen zwischen den Grünen und den anderen Parteien des bürgerlichen Lagers so stark sind, dass sie keine dauerhafte Kooperation ermöglichen, klagen die Vordenker einer bürgerlicher Vorherrschaft zu Recht über eine strukturelle Hegemonieschwäche des eigenen Lagers. Die große Koalition von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene ist angesichts dieser Schwäche der bürgerlichen Parteien, eine deutliche Mehrheit zu organisieren, keine Besonderheit. CDU und CSU sind zwar augenblicklich der stärkste politische Faktor, d.h. aus der Regierungsarbeit ziehen die christdemokratischen Parteien deutlich mehr Vorteile in Sachen Popularität als die SPD. Allerdings sind die Kräfteverhältnisse fragil, weil auch die CDU in einigen Bundesländern – wie z.B. in Bremen – deutlich an politischer Akzeptanz eingebüßt hat. Eine belastbare Mehrheit (als Koalition von CDU/CSU und FDP) im Bundestag oder in der Wahlbevölkerung ist nicht vorhanden. Umgekehrt gilt auch: Die knappe arithmetische Mehrheit von Sozialdemokratie, Grünen und der Linken kann wegen gravierender inhaltlicher Differenzen nicht in eine politische Koalition transformiert werden.

Die Wahlergebnisse in Bremen verdeutlichen zudem: Das linke Spektrum könnte weitaus stärker auftreten, wenn es nicht die Tendenz zu einer wachsenden Abkoppelung der unteren sozialen Schichten von der öffentlichen Willensbildung und ihrer Verabschiedung vom politischen Karneval gäbe. Die sozialen Schichten beteiligen sich recht unterschiedlich an der politischen Willensbildung. Das statistische Landesamt Bremen stellt fest: "In traditionellen Arbeiterstadtteilen in der Stadt Bremen, wie z.B. Gröpelingen (47,1%), wurden nicht einmal 50% Wahlbeteiligung erreicht, im gutbürgerlichen Schwachhausen hingegen durchweg mehr als 70%." Ähnliches lässt sich für die unterschiedlich strukturierten Wohnviertel Bremerhavens aussagen. So kontrastierte hier erneut eine sehr hohe Ziffer im bürgerlichen Speckenbüttel (73,5%) mit jener des Ortsteils Goethestraße (38,0%), in dem die Einwohner mit erheblichen Integrations- und sonstigen Soziallasten zu ringen haben.

Wahlalternative gegen Wahlentfremdung

Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass die Linke mit ihrer Schwerpunktsetzung, die soziale Spaltung und Ausgrenzung bekämpfen zu wollen, eine gute WählerInnenmobilisierung erreicht hat. Der Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge punktete die Linke in Bremen vor allem bei Arbeitslosen (21%), Arbeitern (12%) und gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen. Bemerkenswert ist auch, dass die Linke in Bremen Protestwähler davon abgehalten hat, für die rechtsextreme DVU zu stimmen. Das gesamte rechtspopulistische bis rechtsextreme Lager (DVU, Liste Deutschland, Liste Konservative, BIW, Reps, die 2003 angetretene Schill-Partei) hat an Stimmen eingebüßt: von 19.518 auf 16.080 WählerInnen.

Die vereinigte Linke hat in Bremen in einer Konstellation wachsender politischer Entfremdung und Parteienverdrossenheit eine Wahlalternative entwickelt. Sie konnte zwar die Erosion der Wahlbeteiligung nicht aufhalten, hat aber gerade in den Bereichen mit niedrigem Einkommen und verfestigter Armut ein ausbaufähiges Ergebnis erzielt. Neben dem Bereich der verfestigten Armut und dem Milieu der gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen hat die Linke einen weiteren Schwerpunkt: im Bereich der urbanen BürgerInnen mit hoher Bildung und entsprechendem kulturellen Kapital entschließen sich überdurchschnittlich viele WählerInnen zu einer Stimmabgabe für "DIE LINKE". Schlussfolgerung: Die Linke kann ihr Gewicht ausbauen, wenn sie
1. die soziale Spaltung zum Thema macht und mit konkreten Alternativen der politischen Apathie und rechtspopulistischen Proteststimmen entgegenwirkt;
2. die kapitalismuskritischen BürgerInnen mit gesellschaftspolitischen Alternativen anspricht und
3. die traditionellen Lohnabhängigen mit ihrem Engagement für soziale Gerechtigkeit und Sicherheit überzeugt.[1]

Die SPD hat nach ihrer Wahlniederlage die Weichen auf eine Koalition mit den Grünen gestellt. Das zentrale Argument für den Ausstieg aus der großen Koalition: Allein mit den Grünen könne die Sozialdemokratie eine Politik gegen die soziale Spaltung und für Armutsbekämpfung entwickeln. Mit dieser Entscheidung zeigt sich nachträglich die Tragfähigkeit der Strategie der Linken: ein Politikwechsel gegenüber dem Neoliberalismus unterstellt eine konsequente Interessenvertretung der von der gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelten Bevölkerungsschichten.

SPD: Auszehrung der Hochburg

Dem Wahlerfolg der Linken korrespondiert der anhaltende Niedergang der Sozialdemokratie. Die SPD, ihrer Selbstdarstellung zufolge in Bremen der eigentliche Wahlgewinner, hat gut 22.000 Stimmen verloren und ist auf knapp 37% abgesackt. Ihre größten Verluste hat sie in den innerstädtischen Bezirken zu verzeichnen. Hier sank ihr Stimmenanteil von über 38% im Jahr 2003 auf gut 27%. Auch in den bürgerlichen Wohnvierteln verlor die SPD überdurchschnittlich. In ihren Hochburgen, den älteren Arbeitervierteln, erreichte sie rund 45% und in den Großsiedlungen immerhin 42% der abgegebenen gültigen Stimmen. Die Verluste fielen hier unterdurchschnittlich aus. Im Prinzip gilt also: Die SPD kommt weiterhin durch Mitgliederverluste und rückläufige Stimmenanteile unter Druck, wenn ihre Rolle als politische Repräsentantin der unteren sozialen Schichten durch die Linke erfolgreich in Frage gestellt werden kann.

Die Schlussfolgerung der SPD für ihre programmatisch-strategische Ausrichtung liegt auf der Hand: Die bisherige Grundüberlegung für die hochentwickelten kapitalistischen Länder unter den Bedingungen des Finanzmarktkapitalismus, dass die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich bekämpft werden kann und auch für die unteren sozialen Schichten die Chance eines sozialen Aufstiegs realisierbar bleiben muss, trägt für die Bildung eines historischen Blocks von Reformkräften nicht. Die Wahlergebnisse in Bremen haben erneut verdeutlicht, dass die SPD von zwei Seiten in die Zange genommen wird: Die besser verdienenden sozialen Schichten mit hohem Bildungskapital kündigen ihr die Gefolgschaft und sehen ihre politischen Intentionen besser bei den Grünen und den bürgerlichen Parteien aufgehoben. Aber auch die unteren sozialen Schichten sehen in der SPD immer weniger ihre Interessen vertreten.

Bestätigt wird dies durch eine empirische Befragung[2] der Parteimitglieder: So finden 58% der Befragten, dass die SPD in der Zusammenarbeit mit der Union sozialdemokratische Prinzipien verraten habe. 52% sagen, die Arbeit in der großen Koalition schade der Partei. Fast zwei Drittel meinen, dass der SPD eine Zeit in der Opposition gut tun würde. Vor allem die Rente mit 67 und die geplante Unternehmenssteuerreform werden von einer deutlichen Mehrheit der SPD-Mitglieder – jeweils 62% – kategorisch abgelehnt. Die Bundestagswahl 2009 gibt das sozialdemokratische Parteivolk mehrheitlich bereits verloren: Nur 22% glauben, dass die Partei die Wahl gewinnen kann. Fast jede/r dritte Sozialdemokrat/in denkt an Austritt und jede/r zehnte kann sich vorstellen, zur Linkspartei zu wechseln. Weit verbreitet ist auch die Skepsis, ob Kurt Beck der geeignete Kanzlerkandidat ist. Nur 23% halten ihren Vorsitzenden für den Bewerber mit den größten Erfolgsaussichten.

Wegbereiter des Finanzmarktkapitalismus

Kurt Beck hat eingeräumt, dass die Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem gegenüber den mittleren und unteren sozialen Schichten hat. Allerdings arbeite die Partei daran, dieses Defizit abzustellen und werde die an die Linke verloren gegangenen WählerInnen zurückgewinnen. In Bremen wie in der Berliner Republik seien die großen und drängenden sozio-ökonomischen Strukturprobleme dank der Agenda 2010 überwunden. Die Wirtschaft sei auf einem beeindruckenden Expansionskurs und der Aufschwung werde sich in der nächsten Zeit auch in den Bereichen verfestigter Armut bemerkbar machen und damit der populistischen Rhetorik der Linken das Wasser abgraben.

Dieser Optimismus wird von der in den letzten Jahren stark dezimierten SPD-Linken nicht geteilt. Exemplarisch ist die Einschätzung des langjährigen Sozialexperten Dressler: "Das Ergebnis der Bremer Wahl ist das Resultat einer kontinuierlichen Entwicklung, die seit Jahren zu beobachten ist. Eine Wahrnehmungsunwilligkeit und daraus resultierende Wahrnehmungsunfähigkeit bei der SPD, vor allem in den vorderen Reihen... Die Partei bringt sich selbst um die Ecke. Die handelnden Personen haben grenzenlose Angst vor einer Analyse des eigenen Tuns. Das würde nämlich einen Zielkonflikt offenbaren: einerseits, dass die SPD Wahlversprechen, für die sie 1998 und 2002 gewählt wurde, gebrochen hat. Andererseits die daraus erwachsenen Konsequenzen."[3]

In Dresslers Argumentation bleibt offen, weshalb die Sozialdemokratie unter Bruch ihrer Wahlaussagen auf einen Kurs der Aufhebung der ökonomisch-sozialen Regulierungen des sozialstaatlich strukturierten Kapitalismus übergegangen ist. Dem sanften Druck der Liberalisierung der internationalen Kredit- und Finanzmärkte und den offen zutage getretenen Widersprüchen des Systems sozialer Sicherheit glaubte sich die europäische Sozialdemokratie insgesamt nicht entziehen zu können. Modernisierung der Politik bedeute – so Tony Blair und Gerhard Schröder in ihrem Manifest von 1999 –, sich an objektiv veränderte Bedingungen anzupassen. Die Herausforderungen der Globalökonomie zwängen die europäische Sozialdemokratie, der Marktsteuerung einen größeren Handlungsspielraum zu eröffnen, was aber keinesfalls auf eine Marktgesellschaft hinauslaufen dürfe. Die Öffnung der Kapitalmärkte und der Übergang zur Shareholder Value-Orientierung bewirkten eine nachhaltige Schwächung der Lohnarbeit – oder wie Eppler in seiner Bearbeitung des Entwurfs des SPD-Grundsatzprogramms zusammenfassend formuliert: "Globalisierung unter marktradikalen Vorzeichen hat den Kapitalismus radikalisiert. Er lässt alte Ungerechtigkeiten bestehen, schafft neue und droht, die Gesellschaft zu spalten... Die Kluft zwischen arm und reich vertieft sich wieder, auch in Deutschland. Nicht jeder und jede kann durch eigene Arbeit den eignen Lebensunterhalt bestreiten."[4]

Nach wenigen Jahren ist weithin erkennbar, dass die Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte das durch die Produktivitätsentwicklung angeschlagene Ordnungsmodell des sozial regulierten Kapitalismus (Rheinischer Kapitalismus) nicht erneuert, sondern eine neue Variante eines entfesselten Kapitalismus geschaffen hat. Jetzt klagt auch die Sozialdemokratie: Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen. Schrankenlos alle gesellschaftlichen Bereiche der Kapitalverwertung zu öffnen, bringt mehr soziale Ungerechtigkeit und eine Vertiefung der sozialen Spaltung. Die sozialen Bürgerrechte, die große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, sind massiv bedroht. Immer weniger Lohnabhängige können vom Verkauf ihrer Arbeitskraft existieren und sind daher auf politische Regelungen (Mindestlohn, staatliche Zuschüsse zum Arbeitseinkommen etc.) angewiesen.

Die von der europäischen Sozialdemokratie mit freigesetzten Kräfte des (Finanz-)Kapitals sollen jetzt wieder eingebunden werden. Aber an diesem Punkt verstricken sich die Sozialdemokraten in einen faustischen Konflikt: Eine moderne Wirtschaft braucht einen Finanz- und Vermögensmarkt. Andererseits soll die Tendenz zur Entkopplung der Verteilungsverhältnisse gestoppt, die Kapitalrenditen gedeckelt und die Expansion der Fonds und Kapitalgesellschaften gebremst werden.[5] Die SPD will auf das Beschäftigungspotenzial der modernen Finanzdienstleistungen nicht verzichten, zugleich sollen aber Hedge- und andere Fonds sich bitte zivilisiert und nicht wie Heuschrecken verhalten.[6]

Umverteilung in einer Klasse

Die Mehrheit der SPD operiert nach dem Prinzip Hoffnung: Irgendwann wird auf europäischer Ebene oder international eine Bändigung der Kapitalbewegungen gelingen. Ansonsten ist die Mehrheit davon überzeugt, dass auch unter dem Regime des entfesselten Kapitalismus die Rückkehr zu einer expansiven Kapitalakkumulation möglich ist. Die Arbeitslosigkeit werde unter dieser Bedingung weiter zurückgeführt werden können und über die Mindestlohnpolitik sowie Armutsbekämpfung werde man für eine allgemeine Partizipation am Wirtschaftsaufschwung sorgen. Fakt ist allerdings: In Deutschland existiert ein Mindestlohn als Auffangposition gegen die wachsende Abkoppelung der Bezieher von Arbeitseinkommen nicht. Fakt ist weiter, dass in Großbritannien die Strategie von New Labour, auf der Grundlage eines Mindestlohns eine Eindämmung der sozialen Kluft zu erreichen, nur zu begrenzten Effekten geführt hat. "New Labour hat sich seit 1997 beständig auf die Armen konzentriert. Dahinter steckt der Gedanke, sich vorrangig auf die am stärksten Benachteiligten zu konzentrieren, statt über Gesamtniveaus der Einkommensungleichheit nachzudenken. Die Reichen sollten weitgehend in Ruhe gelassen werden. Es war viel wichtiger, sich darauf zu konzentrieren, das untere Niveau anzuheben."[7]

Ohne Zweifel: Die Logik des Finanzmarktkapitalismus verlangt Haltelinien gegen Lohndrückerei und die Ausbreitung von Armut. Das Fundament einer linken Politik muss die Verbesserung der prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse sein. Allerdings ist heute auch klar, dass die 1987 von Fritz Scharpf[8] ausgesprochene Empfehlung, die Unternehmen und Reichen in Ruhe zu lassen, in eine gesellschaftspolitische Sackgasse geführt hat. "Für die absehbare Zukunft", so das Mitglied der SPD-Programmkommission Scharpf, "hat die SPD nur dann eine Chance der wirtschaftspolitischen Gestaltung, wenn sie die ganze Härte der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit die Grenzen ihrer binnenwirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten akzeptiert".[9] "Sozialismus in einer Klasse" war seither der Basissatz der europäischen Sozialdemokratie. Eine entwickelte kapitalistische Gesellschaft komme dann voran, wenn sie die Kapital- und Vermögensbesitzer weitgehend von steuerlichen und sozialen Lasten befreit und soziale Sicherheit, öffentliche Angelegenheiten und die unverzichtbare Armutsbekämpfung den Empfängern von Arbeitseinkommen auferlegt – Sozialismus oder realistische Ausgleichungsprozesse seien nur innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen möglich. Diese Politik hat zu einem stetigen Anstieg von sozialen Ungleichheiten in der Wohlstandsverteilung geführt. Die sich ausbreitende Prekarisierung hat faktisch die soziale Sicherheit und die sozialen Bürgerrechte weitgehend unterminiert. Mindestlohnpolitik, Arbeitszeitverkürzung und Armutsbekämpfung sind unverzichtbar, müssen aber in eine Politik der Neujustierung der Verteilungsverhältnisse eingebunden werden. Lohnarbeit ist auch für die weitere Zukunft von zentraler Bedeutung. Die wirtschaftspolitische Gestaltung eines hohen Beschäftigungsniveaus unterstellt die Durchsetzung eines dynamisierten Mindestlohns, eine Politik der Arbeitszeitverkürzung und eine Strategie des Ausbaus der öffentlichen Sektoren. Finanziert werden kann ein solches gesellschaftspolitisches Programm nur, wenn die Asymmetrie in den Verteilungsverhältnissen zwischen Arbeitseinkommen einerseits und Unternehmens- und Vermögenseinkommen andererseits geändert wird.

Die SPD will sich von ihrer "linken Angebotspolitik" der Entlastung von Kapital und Vermögen nicht verabschieden. Wegen dieser Festlegung wird sie von den Erfolgen der Linken unter Druck gesetzt. Die bürgerlichen Parteien verlangen von der SPD sogar noch den Verzicht auf ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Sie wollen stattdessen eine Aufbesserung der Haushaltseinkommen durchsetzen. Wenn das Haushaltseinkommen das Existenzminimum gewährleistet, können weiterhin größere Teile der Lohnabhängigen zu Niedrig- und Armutslöhnen arbeiten und damit die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Unternehmen ausbauen.

Auftrag: Unruhe

Die Linke hält die Rückkehr zu einer Prosperitätskonstellation für eine Illusion. Die vorherrschende Ausrichtung auf den Export und die durch die unzureichende Massenkaufkraft beschädigte Binnenkonjunktur führen nicht nur zu einer zunehmenden Spaltung zwischen Gewinn- resp. Vermögenseinkommen auf der einen, Löhnen und Gehältern auf der anderen Seite, sondern zugleich zu einer insgesamt widersprüchlichen und zunehmend prekären Einkommensentwicklung zwischen den Lohnabhängigen. Die Linke kann und muss daher ausgehend von einer Politik der Übergangsforderungen die soziale Spaltung zu einem allgemeinen Thema machen und in der Ökonomie und den sozialen Sicherungssystemen einen Politikwechsel gegen harte und sanfte Formen des Neoliberalismus durchsetzen.

Der Wahlerfolg in Bremen eröffnet keinen "Linksruck" in weiteren Bundesländern; er ist ein wichtiges Etappenziel. Gregor Gysi sieht durch die Bremen-Wahl bewiesen, dass in den alten Bundesländern erstmalig seit 1945 das Bedürfnis entstanden ist, eine Partei links von der Sozialdemokratie zu wählen. "Das normalisiert uns, macht aber auch das Leben spannender." Etwas zurückhaltender interpretiert der aus der WASG kommende Spitzenkandidat der Linkspartei, Peter Erlanson, den "historischen Sieg für die Linke": "Wir haben einen Auftrag bekommen, und der heißt Unruhe." Produktive politische Unruhe kann bedeuten: Die Öffentlichkeit sollte sich darauf einstellen, dass das bisherige Ritual der Antworten durchbrochen wird. Die Linke hat die Chance, Alternativen zur Lösung der drängenden sozioökonomischen und politisch-kulturellen Fragen zu präsentieren, also ihr Angebot zu präzisieren und auf diese Weise zu einer höheren Aufmerksamkeit und Beteiligung an der politischen Willensbildung beizutragen. Erst wenn das gelingt, sollte sie von einem Durchbruch im Sinne einer nachhaltigen Veränderung der politischen Kultur sprechen.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.
[1] Vgl dazu: G. Neugebauer: Politische Milieus in Deutschland, Bonn 2007.
[2] Stern vom 17.5.2007.
[3] Interview mit Dressler in: Hamburger Abendblatt vom 16.5.2007.
[4] E. Eppler: SPD-Grundsatzprogramm, März 2007.
[5] Vgl dazu auch D. Albers/A. Nahles (Hrsg.): Linke Programmbausteine, Bonn 2007. Dort wird einzig in dem Beitrag von Hierschel und Stuber die Transformation der Deutschland AG zum Finanzmarktkapitalismus dargestellt und Schritte zu einer Re-Regulierung entwickelt.
[6] Vgl. dazu H. Schmidt, Beaufsichtigt die neuen Großspekulanten!, in: Die Zeit, vom 1.2.2007; zur ausführlichen Kritik siehe J. Bischoff, Zukunft des Finanzmarkt-Kapitalismus, Hamburg 2006.
[7] P. Diamond/A. Giddens: Der neue Egalitarismus, in: G. Nollmann (Hrsg.), Sozialstruktur und gesellschaftsanalyse, Wiesbaden 2007, S. 365ff.
[8] F. Scharpf: Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa, Frankfurt a.M. 1987.
[9] ebd. S. 336.

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