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16. Dezember 2014 Uli Cremer: Die NATO im Ukraine-Konflikt

Alles ganz nicht-militärisch?

Tag für Tag erklären Regierungen und PolitikerInnen der NATO- und EU-Länder, der Ukraine-Konflikt sei nicht militärisch zu lösen. Andererseits befasst sich die NATO als Militärpakt sehr intensiv mit den Vorgängen, obwohl die westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland weder von der NATO beschlossen noch umgesetzt werden.

Allein deswegen verstößt die Türkei übrigens auch gegen keinen NATO-Beschluss, wenn sie türkisches Obst an Stelle der polnischen Äpfel nach Russland liefert, die dort nicht mehr ins Land gelassen werden. Oder wenn die Türkei den Bau neuer Gaspipelines mit Russland vereinbart.

Grundsätzlich ist die NATO mit der Ukraine verbündet und hat dieser 2008 sogar den Beitritt in Aussicht gestellt, freilich ohne einen Zeitpunkt zu nennen. Allerdings gibt die NATO in der aktuellen Krise nicht nur politische Erklärungen ab, sondern entfaltet durchaus Aktivitäten. Als Militärpakt selbstverständlich militärische: Die Manöver nahe des russischen Territoriums haben zugenommen, die Kiewer Regierung erhält Militärhilfe und –ausbildung aus NATO-Ländern[1] und früher als ursprünglich geplant wird die NATO-Eingreiftruppe Ost (»Speerspitze«) einsatzfähig sein, nämlich bereits Anfang 2015.

Begonnen hat auch der Aufbau der LitPolUkrBrig, einer Brigade, die gemeinsam von den NATO-Mitgliedern Polen und Litauen mit der Ukraine gebildet wird. Aufhorchen lässt eine Äußerung der GRÜNEN-MdB Marieluise Beck, die am 7.10.2014 von der EU forderte, »sich stärker einzumischen«, und befand, »auch die NATO müsse der russischen Expansionspolitik mehr entgegensetzen.« Da die NATO nun einmal ein Militärpakt ist, wird sie bei dem »mehr« an militärische Maßnahmen gedacht haben, an welche auch immer. Insofern sollte man sich auf westliche Aussagen »Der Ukraine-Konflikt ist nicht militärisch zu lösen« oder »Niemand im Westen will Krieg« besser nicht verlassen und misstrauisch bleiben.

Auf der anderen Seite ist Russland ebenfalls militärisch unterwegs und hat seine militärischen Aktivitäten global ausgedehnt. Demonstrativ fliegen russische Bomber über Nordsee, Atlantik und Ostsee (wenn auch über internationalen Gewässern, alles ist legal) oder die russische Marine kreuzt vor Sydney. Dabei wird zwar gegen keinerlei internationale Vereinbarung verstoßen, aber vertrauensbildend ist das nicht gerade.

Gegen internationale Vereinbarungen verstoßen hat Russland allerdings mit der völkerrechtswidrigen Eingliederung der Krim. Noch 1994 hatte auch Russland im Budapester Memorandum die Grenzen der Ukraine anerkannt. Nicht zuletzt erhalten die Separatisten in der Ostukraine militärische Unterstützung aus Russland. Seit etwa August 2014 sind neben Söldnern und Freiwilligen auch russische Armeeangehörige dort im Einsatz.[2] Hunderte sind bereits gefallen, wie die russischen Soldatenmütter aufgedeckt haben.[3]

Doch als Ankläger taugt die NATO nur bedingt. Denn sie selbst hat es auch mit der Respektierung staatlicher Grenzen in der Vergangenheit nicht so genau genommen: Der Kosovo wurde durch den NATO-Krieg gewaltsam vom jugoslawischen bzw. heute serbischen Staatsverband abgetrennt. Die NATO-Luftwaffe kooperierte dabei mit den UCK-Verbänden auf dem Boden. Heute ist der Kosovo ein eigener Staat, auch wenn ihm noch viele andere Staaten die Anerkennung versagen. Gerade erst ist der Kosovo jedoch vom IOC als Vollmitglied anerkannt worden, so dass kosovarische AthletInnen an den Olympischen Spielen 2016 teilnehmen können.


NATO-Eingreiftruppe Ost

Um die Brisanz der Lage angemessen einschätzen zu können, müssen zunächst ganz unaufgeregt die kurzfristig geplanten militärischen Maßnahmen der NATO beurteilt werden. In Cardiff beschloss die NATO im September 2014 die Aufstellung einer neuen »Sehr Schnellen Eingreiftruppe«, die innerhalb von 2-5 Tagen an die NATO-Ostgrenze verlegbar sein soll.

Eine schnelle Eingreiftruppe hat die NATO allerdings schon, nämlich die seit 2002 aufgebaute NATO Response (NRF), deren »Speerspitze« (also Teil) die neue Truppe wird. Die NRF umfasst nach NATO-Angaben 28.000 SoldatInnen, darunter 13.000 »high readiness troops«. Das war die bisherige »Speerspitze«. Die anderen 15.000 sind »follow-on forces«, deren Verlegung länger in Anspruch nehmen würde.

Der Name der neuen Truppe lautet: »Very High Readiness Joint Task Force« (VJTF). Die Größe dieser Brigade liegt bei ca. 5.000-7.000 SoldatInnen. Die Frage war und ist: Handelt es sich beim Aufbau der Ost-Truppe um einen zusätzlichen Truppenverband oder werden einfach Teile der bereits bestehenden NRF neu gelabelt? Im ersten Fall handelte es sich um eine Aufrüstungsmaßnahme. Im zweiten Fall büßte die bestehende NRF offensive Kampfkraft ein, da Kräfte an der Ostgrenze des Bündnisses gebunden würden. Es handelte sich also um eine Umgruppierung vorhandener Kräfte.

Sollte die Truppe ursprünglich erst 2016 einsatzbereit sein, so ist neuerdings bereits von Anfang 2015 die Rede. Möglich wird diese »Interimslösung« dadurch, dass das deutsch-niederländisches Korps in Münster, 2015 ohnehin für die NRF gemeldet, ab sofort das Rückgrat der VJTR bildet. Das Projekt funktioniert nach dem Rahmennationen-Konzept, einem von Deutschland initiierten neuen NATO-Organisationsmodells.

Dabei schließen sich Mitgliedsstaaten zu einem Cluster zusammen, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen (in diesem Fall die Formierung der VJTR). Eine große Nation übernimmt die Führung und wird von kleineren NATO-Ländern mit einzelnen »Spezialfähigkeiten« unterstützt. Die große Nation ist in diesem Fall natürlich Deutschland, das mit der Führung dieser Truppe auch den eigenen Einfluss im Bündnis mehrt.

Zwar sollen die VJTR-Verbände weder 2015 noch später permanent an der Ostgrenze stationiert werden, aber es wird dort »Material« (= schwere Waffen, Militärfahrzeuge usw.) in Depots eingelagert. Unklar ist, ob es sich um zusätzliches Material handelt oder ob es 2015 von Münster an die Ostgrenze verbracht wird. Dann hätte die NATO nämlich ab sofort weniger Fähigkeiten zum Intervenieren anderswo.

Wie ist die militärische Bedeutung der VJTR einzuschätzen? Hier müssen wir die Kirche wieder einmal ins Dorf stellen: In Wirklichkeit geht die Formierung der VJTR über Symbolpolitik nicht hinaus, da sie die Invasion russischer Truppen wo auch immer nicht verhindern könnte. Das ist auch in den NATO-Stäben bekannt. Insofern geht es hauptsächlich um die politische Botschaft: Das Baltikum, Polen, Rumänien und Bulgarien sind Teil der westlichen Einflusssphäre. Außerdem wird der besonders im Baltikum und Polen populären Angst vor Russland Rechnung getragen.

Nur warum sollte Russland in irgendeinen NATO-Staat einmarschieren? Um einen Atomkrieg heraufzubeschwören? Selbst ein Kalter Krieger 2.0 wie Klaus Naumann, ehemals Vorsitzender NATO-Militärausschusses (1999 in dieser Funktion sogar heißer Krieger im Kosovokrieg) schätzt ein: »Russland ist zu schwach, Krieg gegen das mit Nordamerika verbündete Europa zu führen... Auch Putin dürfte keinen Krieg wollen, denn dazu müsste er Atomwaffen nutzen. Deren Einsatz würde zur Vernichtung Russlands wie Europas führen.«[4]

In der Eigenwahrnehmung sieht sich Russland keineswegs als offensiv, als Angreifer, sondern reagiert auf die »Einkreisung« durch den Westen, das ständige »Vorrücken der NATO an die russische Grenze«. Wir sehen: Umgekehrt sind in Russland die Angstfantasien vor der NATO sehr populär.

Aber auch hier ist die Frage: Warum sollte die NATO Russland angreifen? Um einen Atomkrieg heraufzubeschwören? Ergebnis siehe oben. Und vor allem wie sollte die NATO es tun? Denn die NATO hat bei ihren Osterweiterungen bewusst auf die Errichtung relevanter Militärstützpunkte und die Stationierung von Atomwaffen verzichtet. Und mit der VTJR lässt sich weder die Krim oder Rostow erobern. Und zum Einmarschieren in Moskau taugt sie schon gar nicht. Im Jahre 2014 ist Russland weiterhin die zweitstärkste Atommacht der Welt.

Weder die NATO noch Russland haben aktuell ausreichende konventionelle Militärpotenziale an den jeweiligen Grenzen aufgebaut, die zum Einmarsch in das jeweils andere Territorium genutzt werden könnten. Damit es dazu auch nicht kommt und im weiteren Verlauf womöglich zum Atomkrieg, wäre es eine gute Idee, den von den NATO-Staaten nicht ratifizierten AKSE-Vertrag zur konventionellen Rüstungskontrolle in Europa (von 1999) neu zu beleben und in Kraft zu setzen. Hier sind die NATO-Staaten in der Bringschuld.


»Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!«

Der Ukraine-Konflikt ist so brisant, weil beide Bürgerkriegsparteien militärische Unterstützung aus anderen Ländern erhalten, außerdem sowohl Russland als auch die NATO faktisch auf die Anwendung militärischer Mittel setzen und atomare Mittel zur gegenseitigen Vernichtung in ihrem Arsenal haben. Zum Glück bewegt sich der Einsatz militärischer Mittel bisher noch auf geringem Niveau.

Dennoch hält der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, es für »blanken Unsinn«, dass Krieg in Europa drohe. Schön wäre es. Aber auch wenn die militärischen Fähigkeiten an den Grenzen limitiert sind und militärisches Demonstrationsgehabe kein Krieg ist, trägt all das zur Eskalation und damit Kriegsgefahr bei.

Ein nüchternes Studium der Fakten zeigt, dass die Frage des am 5.12.2014 veröffentlichten Aufrufs der 64 AltpolitikerInnen, TheologInnen, Unternehmer und Kulturschaffenden »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen« absolut berechtigt ist.

Der Aufruf kleidet die jeweiligen Angstfantasien in freundliche Worte: »Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.« Denn es hilft nicht weiter, einseitig die »Irrationalität« der Bedrohungswahrnehmung der anderen Seite anzuprangern. Um mit Außenminister Steinmeier zu sprechen: »Wenn es nur die eine Ratio gebe, wäre Außenpolitik einfach. Aber es ist ja in verhärteten Konflikten geradezu typisch, dass sich die Konfliktparteien in geschlossenen Wahrnehmungssystemen befinden, in die nicht ganz leicht einzudringen ist.«[5]

Generell ist der Aufruf ein erfreulicher Versuch, nicht für Kiew oder für Moskau Partei zu beziehen, sondern Distanz zu beiden Seiten zu wahren – bei gleichzeitiger Dialogbereitschaft. Wie es in Kalten Kriegen eben so ist, lassen die Klaus Naumanns, die »OsteuropaexpertInnen« von Andreas Umland, über GRÜNEN-Abgeordnete wie Rebecca Harms, Manuel Sarrazin und Marieluise Beck bis Klaus-Helge Donath von der taz solche Differenzierung nicht durchgehen und finden, die 64 hätten sich im Adressaten geirrt. Ihr Gegenaufruf analysiert nämlich messerscharf: »... es gibt in diesem Krieg einen eindeutigen Aggressor, und es gibt ein klar identifizierbares Opfer.« Schwarz oder Weiß!

Sicher finden sich auch in Deutschland genug Personen, die sich auf die Seite Moskaus schlagen. So wie dies umgekehrt die besagten »OsteuropaexpertInnen« tun und als PressesprecherInnen Kiews agieren – inklusive eines erheblichen Teils des GRÜNEN Führungspersonals in vorderster Front. Marielusie Beck übernimmt dabei die Wortwahl Kiews: Sie spricht davon, dass »Poroschenko ... einen Teil des Landes in die Hände von Banditen und von Russland entsandten Söldnern geben« musste. Aus ukrainischen Quellen übernimmt sie die Terminologie, dass Kiew in der Ostukraine gegen »Terroristen« kämpfe.

Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sieht die 64 Persönlichkeiten auf dem »Sonderweg zu Putin« und schreibt: »Denn Krieg ist nichts, worauf wir ›zutreiben‹. Krieg ist das, was in der Ukraine mit Wissen und Wollen der Verantwortlichen in Russland tagtäglich geschieht. Dieser Krieg wurde begonnen und wird weitergehen, solange er für Putins Machterhalt dienlich ist. Wer diese Verantwortlichkeit und die dahinterstehende Ratio im Dunst angeblicher Schläfrigkeit und Fahrlässigkeit beider Seiten auflöst, leistet einem gefährlichen Relativismus Vorschub.«

Auch der Parteivorsitzende Cem Özdemir befindet, dass sich der Aufruf an die Falschen richte: »Es ist Russlands autoritärer Herrscher Putin, der ein neues Wettrüsten auslöst, seine Nachbarn bedroht und besetzt...« Der Westen sei an der Eskalation des Ukraine-Konflikt also vollkommen unschuldig. Russland isoliere sich selbst, heißt es gerne.

Insofern kann eigentlich nur Russland etwas für die Lösung des Konflikts tun, indem es seine bisherige Politik aufgibt und die westliche Sicht der Dinge übernimmt. Damit es so kommt, sind inzwischen diverse Sanktionsbeschlüsse gefasst worden. Geändert haben diese an der Moskauer Politik freilich nichts. Für ökonomische und gesellschaftliche Verwerfungen in Russland könnte allerdings der fallende Ölpreis sorgen. Denn Russland muss bei sinkenden Einnahmen neben der Krim nun auch die stark zerstörte Ostukraine alimentieren. Aber ob eine Rezession die russische Regierung tatsächlich zu einem Kurswechsel bringt?

Ganz offensichtlich sind Klaus Naumann, Marieluise Beck & Co. das politische Differenzierungsvermögen verloren gegangen. Wer nicht auf ihrer Seite steht (=gut), wird auf Putins Seite verortet (=böse). Das ist in heißen und kalten Kriegen stets so: In der 1980er Jahren wurde die westliche Friedensbewegung mit der Sowjetunion in einen Topf geworfen, 1999 lautete der Vorwurf, die Gegner des Kosovokriegs besorgten das Geschäft Milosevics – da konnten diese noch so viel Distanz zum Regime in Belgrad wahren. 2003 wurden die Gegner des Irakkriegs von der Bush-Regierung an die Seite Saddam Husseins gestellt. Und wer 2011 gegen den Libyenkrieg auftrat, unterstützte in dieser Lesart Ghaddafi.

Solche Herangehensweise ist für Konfliktlösung ungeeignet. Vielmehr braucht es Distanz zu beiden Seiten, die Fähigkeit, sich in alle Konfliktparteien hineinzuversetzen. Deswegen gibt der Aufruf der 64 eine gute Handlungsanleitung: »Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.«


Kein Recht auf Autismus

Ein zentrales Argument westlicher Geopolitik und der »Osteuropa-ExpertInnen« ist das »Recht auf eigene Bündniswahl«. Jeder Staat kann demnach nach Gusto in die EU oder in die NATO eintreten bzw. um den Beitritt ersuchen. Aber was ist mit einer Bündniswahl z.B. zur »Eurasischen Union«? Zu alledem geben Mitglieder der Expertengruppe »Östliche Partnerschaft« der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Anfang 2012 wie folgt Auskunft:

»Der außenpolitische Diskurs in Deutschland meidet die Thematisierung geostrategischer Überlegungen. Doch sollten die Realitäten anerkannt werden: Wenn Russland von Stabilität redet, wird dort in Kräfteverhältnissen und Einflusssphären gedacht. Genauso legitim ist es, die Östliche Partnerschaft auch unter geostrategischen Überlegungen zu betrachten. Die Europäische Union zielt mit diesem Konzept auf die Verbreitung ihrer politischen, rechtlichen sowie ökonomischen ›Spielregeln‹ und damit auf eine schrittweise Anbindung der Region. Dabei versucht die EU mit Kooperationsangeboten zu vermeiden, dass die wirtschaftliche Zwangslage der östlichen Partner diese zur Annahme anderer Integrationsmodelle führt, die den europäischen Interessen widersprechen.«[6]

Demnach wäre das Recht auf eigene Bündniswahl eine Einbahnstraße nach Brüssel. Im Übrigen funktioniert die Welt nicht so, dass eine Staat bzw. eine Regierung quasi autistisch eine Entscheidung treffen kann, sondern eine Entscheidung, welchem Militärbündnis man beitreten will, sollte schon besser mit der Nachbarschaft abgestimmt werden.

Es gibt kein Recht auf Autismus! So wurden auch die deutsche Wiedervereinigung und die Einbeziehung der beigetretenen DDR in die NATO international abgestimmt und begleitet. Das war ein vergleichsweise verantwortungsvolles Vorgehen, das Ängste abgebaut und nicht zu internationaler Eskalation geführt hat. Hätte man Anfang der 1990er mit dem Warschauer Pakt auch gleich das Pendant, die NATO, aufgelöst und aus der damaligen KSZE (heute: OSZE) eine starke europäische Sicherheitsorganisation gebaut, wäre Europa vielleicht die heutige Krise erspart geblieben.

Uli Cremer ist einer der Initiatoren der »Grünen Friedensinitiative« und Autor des Buches Neue NATO – die ersten Kriege (VSA: Verlag Hamburg 2009).

[1] Die Militärausbildungspräsenz wird seitens der NATO ganz offiziell zugegeben: »NATO’s enhanced advisory presence in Kyiv is already in place and will continue to grow.«
[2] Der ukrainische Präsident Poroschenko gibt den August für den Einsatz regulärer russischer Truppenverbände an: »In den letzten Augusttagen hat die russische Armee die ukrainische Grenze überquert und einen realen Krieg auf unserem Territorium angefangen.« (ARD-Interview 30.11.14)
[3] Vgl. z.B. Ein offenes Staatsgeheimnis, FAZ vom 22.11.2014.
[4] Klaus Naumann: Wir brauchen Sicherheit vor Russland, in: FAZ 13.12.2014.
[5] Interview mit Außenminister Steinmeier, in der taz vom 13.12.2014.
[6] Markus Meckel/Georg Milbradt/Friedbert Pflüger/Christian Schwarz-Schilling/Rainder Steenblock/Rita Süssmuth/Günter Verheugen/Karsten D. Voigt, Deutsche Außenpolitik und Östliche Partnerschaft, DGAP Standpunkt, Februar 2012, S. 2.

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