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29. Februar 2012 Joachim Bischoff / Björn Radke: Beate Klarsfeld kandidiert für DIE LINKE

Alternativkandidatur

Die Führung der deutschen Linkspartei hat Beate Klarsfeld als ihre Kandidatin für die Wahl des Bundespräsidenten am 18. März nominiert. Die Auswahl einer personellen Alternative zu dem Vorschlag Joachim Gauck seitens der Allparteienkoalition von CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP nahm etliche Tage in Anspruch.

Mit der Nominierung von Klarsfeld durch die Linken wird erneut die politische Präferenz für eine Frau im Bundespräsidenten-Amt ausgedrückt. So unterschiedlich die bisherigen Bewerberinnen waren, sie haben eine Gemeinsamkeit: Frauen waren bei der Präsidentenwahl stets chancenlos – egal, für welche Partei sie kandidierten.

DIE LINKE hat auch bei früheren Präsidentenwahlen darauf bestanden, eine_n eigene_n Bewerber_in für Bellevue ins Rennen zu schicken. Doch für die Partei war dies keineswegs mit einem Terraingewinn oder gar mit höherer politischer Akzeptanz verknüpft. Der Vorschlag, dieses Mal ohne konkreten Personalvorschlag in die Bundesversammlung zu ziehen, fand wenig Unterstützer.

Bedenkenswert die Position der früheren Kandidatin Luc Jochimsen: »Das ist jetzt der historische Moment, der das auf überdeutliche Weise zeigt: Man hat uns parteiübergreifend klargemacht, dass man uns nicht will und auch nicht braucht. Ich bin daher der Ansicht, wir sollten an der Bundesversammlung gar nicht teilnehmen. Wir sind von der ersten Minute an vom Auswahlprozess des nächsten Bundespräsidenten systematisch und undemokratisch ausgeschlossen worden. Wieso sollen wir dann am Schluss mitspielen?«

Nach einer kurzen Hängepartie haben die anderen für die Auswahl Erwogenen – Luc Jochimsen (Journalistin) und Christoph Butterwegge (Sozialwissenschaftler) – abgesagt. Die Entscheidung für Beate Klarsfeld ist in der Linkspartei nicht unumstritten. Die Deutsch-Französin selbst hofft auch auf Stimmen aus den anderen Parteien, was aber eher die Ausnahme bleiben dürfte. »Alle Demokratinnen und Demokraten, die nicht Herrn Gauck wählen wollen, haben damit eine echte Alternative«, sagte Linken-Chef Klaus Ernst. Inzwischen herrsche »ganz große Einmütigkeit« in der LINKEN über die Nominierung Klarsfelds herrsche. Sie stehe für Antifaschismus, Gerechtigkeit, soziale Verantwortung und Aufbegehren gegen herrschende Verhältnisse.

Beate Klarsfeld steht in der Tat für Aktionen zur Aufklärung über die Verbrechen des deutschen Faschismus. Mit ihrer »Ohrfeige« für den damaligen Bundeskanzler kurt Georg Kiesinger (1968) hat sie dazu beigetragen, den Vorhang des Schweigens in der frühen Bundesrepublik herunterzureißen. Auch andere mutige Initiativen haben dazu geführt, dass Nazi-Verbrecher wie Klaus Barbie u.a. gefangen und abgeurteilt werden konnten. Sie war auch maßgeblich beteiligt an der Ausstellung »11.000 jüdische Kinder – Mit der Reichsbahn in den Tod«, bei der die Mitverantwortung der deutschen Bahn am Holocaust im Focus stand (2007) (mehr zu den Initiativen Beate Klarsfelds unter http://de.wikipedia.org/wiki/Beate_Klarsfeld).

Klaus Ernst begründete den einstimmigen Beschluss des Parteivorstandes der LINKEN mit deren Vita: »Beate Klarsfeld steht für eine Staatsräson, die aus Verantwortung vor der deutschen Geschichte handelt. Sie hat im Gegensatz zu anderen niemals einen Zweifel an der Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der deutschen Verbrechen gelassen. Sie hat ohne zu zögern daran erinnert, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für Israel und die Verteidigung des Existenzrechts des jüdischen Staates hat – übrigens genau so, wie es im Parteiprogramm der Linken formuliert ist, um da jedem Zweifel sofort zu begegnen.«

Positiv ist sicherlich, dass die Parteiführung bewusst nicht auf eine Person aus dem engen Parteiumfeld zurückgegriffen hat: »Wir stellen Beate Klarsfeld nicht als eine Kandidatin der Linkspartei, der LINKEN auf. Wir stellen Beate Klarsfeld als eine Kandidatin auf, die von uns vorgeschlagen wird, die nicht in jedem Punkt mit uns übereinstimmt, aber die mit ihrer Persönlichkeit eine echte Alternative zu Herrn Gauck darstellt«, so Klaus Ernst.

Unbestritten ist weiter, dass Beate Klarsfeld bei der Bundesversammlung am 18. März in Berlin lediglich eine »Zählkandidatin« sein wird und gegen den Kandidaten der Allparteienkoalition keine Chance hat, gewählt zu werden. Inmitten der Krise des Finanzmarktkapitalismus in Europa und der Verfestigung sozialer Spaltung und fortgeschrittener Prekarität wurde mit Joachim Gauck ein Akteur nominiert, dessen Wertekanon eine Sarrazinsche »politische Korrektheit« gegenüber Migranten betont, die Einforderung sozialer Sicherung als »Fürsorgestaat« verächtlich macht oder die Diffamierung der kapitalismuskritischen Seiten der Occupy-Bewegung als »unsäglich albern« abtut. Hinzu kommt die Befürwortung des Afghanistan-Einsatzes.

Gerade, wenn aus diesen Gründen zu Recht der Mehrheitskandidat abgelehnt wird, bleiben einige Fragen: So geradlinig Beate Klarsfeld in ihrer Positionierung zu alten und neuen Nazis auch ist, so undeutlich sind ihre Positionierungen zu aktuellen Themen. Sie wolle sich erst mit der LINKEN in Berlin abstimmen und sich auch nicht zu Themen wie der Euro-Krise äußern, denn sie sei keine Wirtschaftsfachfrau. Sie verstehe sich als Brückenbauerin, setze auch auf Stimmen der CDU und würde sich über Glückwünsche von Frankreichs konservativem Präsidenten freuen.

So ist es denn wohl eher Wunschdenken, wenn Ulrich Maurer, Vizechef der Linksfraktion im Bundestag, erklärt: »Für uns war es auch eine logische Folge, eine eigene Kandidatin zu nominieren, die gegen die neoliberale Allianz für eine soziale Politik steht.«

Eindeutig hingegen ist Beate Klarsfelds Haltung zum Nahostkonflikt: »Das Problem ist nach wie vor, dass Israel von arabischen Staaten umgeben ist, die es von der Landkarte tilgen wollen. Dagegen muss Israel sich selbstverständlich verteidigen.« Seit Wochen verschärfen sich die Spannungen zwischen Iran und Israel. Die Position des Iran, als souveräner Staat die Atomtechnologie entwickeln zu wollen, stößt in Israel auf massive Kritik. Die Regierung Netanjahu sieht diese Entwicklung als Bedrohung der Existenz Israels und spielt Angriffsszenarien auf die iranischen Atomanlagen durch. Welche Position Beate Klarsfeld in einer sich in dieser Region verschärfenden Situation einnehmen wird, ist offen.

DIE LINKE muss sich der geschichtspolitischen Bedeutung des Vorschlags bewusst sein, die die Kandidatur von Beate Klarsfeld bedeutet. Es darf nicht allein übrig bleiben, dass NS- und SED-Vergangenheit gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb geht es weniger um die Frage, wie viele Stimmen der Bundesversammlung Beate Klarsfeld aus dem »Gauck«-Lager gewinnen kann, sondern darum, ob die 125 Wahlfrauen und -männer der LINKEN geschlossen für sie votieren.

Das Prozedere um die Nominierung einer Alternativkandidatur verdeutlichte erneut die aktuelle Schwäche der Partei. Mit schlechter Stimmung quält sie sich wegen dürftiger Umfragewerte und mehreren Wahlniederlagen schon länger, aber selten war die Atmosphäre so belastet wie in diesen Tagen. Anders noch als bei der von Schwarz-Gelb in drei Wahlgängen durchgefochtenen Wahl Christian Wulffs gegen einen auch in den Medien gehypten »Kandidaten der Herzen« Joachim Gauck, waren die Reaktionen in der Öffentlichkeit dieses Mal differenzierter.

Deutlicher als zuvor wurde der Kandidat der Allparteienformation ob seiner zum Teil umstrittenen Äußerungen bewertet. Die auch von Rot-Grün tolerierte Ausgrenzung der LINKEN – ein Rückfall in Zeiten neoliberaler Einheitssaucen von Rot-Grün und Schwarz-Rot –, ist leider mehr bejammert, denn politisch aufgegriffen worden. Viel Zeit ließ die Führung der LINKEN mit der bloßen Klage verstreichen, dass es zu keinem »parteiübergreifenden« Kandidaten käme. Nicht zuletzt deswegen verschafften sich einmal mehr unterschiedliche Optionen Gehör: Die einen votierten für Boykott zugunsten einer zeitgleichen Kundgebung vor dem Reichstag, die anderen für die Aufstellung eigener Kandidat_innen, ohne dass die politische Substanz der verschiedenen Optionen deutlich wurde.

Dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sich diese Schwäche zu Nutze macht und die Linkspartei wegen ihrer Ablehnung von Gauck scharf angreift, war nicht anders zu erwarten. Sie würde den wahren Grund verschleiern, weshalb sie gegen ihn sei: »Er ist derjenige, der nach der Wende die Stasi-Aufklärung betrieben hat.« Es gebe in der Linkspartei immer noch viel versteckte Sympathie für die untergegangene DDR. »Da sind viele Betonköpfe, die Stasi-Aufklärung unanständig finden.«

Über die Bundespräsidenten-Personalie ist die Haltung der LINKEN zum neuen Finanzpaket für Griechenland in der medialen Aufmerksamkeit zu kurz gekommen. Fraktionschef Gregor Gysi verglich das »Reformpaket« für Griechenland mit dem Versailler Vertrag aus dem Jahr 1919. »Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall«. Den Marshall-Plan (European Recovery Programm, ERP) hatte die USA nach dem Zweiten Weltkrieg für das vom Krieg zerstörte Europa auf den Weg gebracht. Nach dem Auslaufen des Programms war die Wirtschaftskraft aller Teilnehmerländer (außer Deutschland) höher als vor dem Krieg.

Und Gysi kritisierte die »verheerende Kürzungspolitik« in Griechenland. Gerade die Kürzungen bei Mindestlöhnen und Einkommen werde das Land weiter in die Katastrophe führen. Der Fiskalpakt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mache die Politik letztendlich handlungsunfähig.

DIE LINKE hat sich mit den Modalitäten der Alternativkandidatur ein wenig selbst blockiert. Aber das sollte heilbar sein. Denn die Entwicklung in Griechenland und insgesamt in der südlichen Peripherie der Eurozone wird schon in kurzer Frist die politischen Gemüter weitaus stärker beschäftigen als ein verunglücktes Agieren in der Frage einer Alternativkandidatur zu Joachim Gauck. Darauf sollte sich die Partei rechtzeitig einstellen.

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