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30. März 2012 Bernhard Müller: Über Prekarisierung und Einkommensungleichheit

Arbeitslosigkeit & Armut in Europa

Anders als in Deutschland ist die Situation auf den Arbeitsmärkten in vielen europäischen Nachbarstaaten bedrückend. Eurostat schätzt, dass im Januar 2012 in der EU 27 insgesamt 24,325 Mio. Männer und Frauen arbeitslos waren, davon 16,925 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2011 nahm die Zahl der Arbeitslosen in der EU27 um 1,488 Mio. und im Euroraum um 1,221 Mio. zu.

Damit belief sich die saisonbereinigte Erwerbslosenquote in der Eurozone (EZ 17) auf 10,7% und in der Europäischen Union (EU 27) auf 10,1%. Von den Mitgliedstaaten der EU verzeichneten Österreich (4,0%) die niedrigste und Spanien (23,3%) die höchste Quote. Deutschland hat mit 5,7% eine unterdurchschnittliche Quote.

Besonders hart trifft die ökonomische Unsicherheit vor allem die junge Generation: So waren im Januar 2012 in der EU 27 5,5 Mio. Personen im Alter unter 25 Jahren arbeitslos, davon 3,3 Mio. im Euroraum. Gegenüber Januar 2011 stieg deren Zahl in der EU 27 um 269.000 und im Euroraum um 141.000. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Januar 2012 in der EU 27 bei 22,4% und im Euroraum bei 21,6%. Im Januar 2011 hatte sie 21,1% bzw. 20,6% betragen. Die niedrigsten Quoten verzeichneten Deutschland (7,8%), Österreich (8,9%) und die Niederlande (9,0%) und die höchsten Quoten Spanien (49,9%), Griechenland (48,1% im November 2011) und die Slowakei (36,0%). In Frankreich waren 23,3% und in Italien 31,3% der jungen Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit.

Wie die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zeigt, haben sich die nationalen Ökonomien und damit die Lebensverhältnisse innerhalb der EU unter den Bedingungen der Großen Krise und ihrer Transformation in die europäischen Schuldenkrise noch einmal beschleunigt auseinanderentwickelt. Eine verstärkte soziale Polarisierung und Zunahme von Armut charakterisiert zwar die Entwicklung in allen europäischen Ländern, sie war aber in den südeuropäischen Krisenländern auch schon vor Ausbruch der Krise stärker ausgeprägt.[1]


Ein Indikator für den Grad der Einkommensungleichheit ist die so genannte S80/S20-Rate, die die Relation misst zwischen dem Gesamteinkommen der 20% Einkommenstärksten der Bevölkerung (oberstes Fünftel) und dem der 20% Einkommensschwächsten (unterstes Fünftel). Die Armutsgefährdungsquote gibt den Anteil der Bevölkerung an, der nach Abzug von Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Wohngeld, Kindergeld) über weniger als 60% des Nationaläquivalenzeinkommens verfügt.

Nach den EU-SILC-Ergebnissen am stärksten ausgeprägt war die Einkommensungleichheit 2009 in Litauen (7,3), gefolgt von Lettland und Spanien (jeweils 6,9). Zu den Ländern, in denen das am wenigsten der Fall war, gehörten dagegen Slowenien und Ungarn (jeweils 3,4), aber auch Schweden und die Tschechische Republik (jeweils 3,5). Deutschland nimmt mit einem Quintilsverhältnis von 4,5 einen Rang im europäischen Mittelfeld ein (siehe Schaubild 5).

In sechs EU-Staaten betrug der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung im Jahr 2009 mehr als 20 %, und zwar in Lettland (21,3 %), Rumänien (21,1 %), Bulgarien (20,7 %), Spanien (20,7 %), Litauen (20,2 %) und Griechenland (20,1 %). Dies bedeutet, dass einer von fünf Einwohnern dieser Länder über weniger als 60 % des landesweiten Medians des Nettoäquivalenzeinkommens verfügte. Am anderen Ende der Skala standen Länder wie die Tschechische Republik (9,0%) und die Niederlande (10,3%), in denen nur etwa jede/r Zehnte armutsgefährdet war.

Richtet man den Fokus auf die aktuellen südeuropäischen Krisenländer Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und auch Großbritannien zeigt sich, dass sie schon bei einsetzender Krise deutlich über dem europäischen Durchschnitt (EU gesamt: Armutsgefährdungsquote 16,4%; S80/S20-Rate: 5,0) lagen. So waren in Spanien bereits 2009 20% der Bevölkerung von Armut betroffen. Gleichzeitig verfügte das oberste Einkommensdezil in Spanien über das Siebenfache des Einkommens der untersten 20% der Bevölkerung. Ähnlich die Situation in Griechenland. Auffällig ist bei beiden Ländern zudem, dass auch für Erwerbstätige mit 13,8% in Griechenland und 12,7% in Spanien das Risiko arm zu sein, besonders hoch ist – was einerseits mit einem enorm prekarisierten Arbeitsmarkt, andererseits mit unzureichender sozialer Sicherheit zusammenhängt. Auch in Italien, Portugal und Großbritannien sind Ungleichheit und Armut schon zu Beginn des Krisenprozesses besonders stark ausgeprägt.

Angesichts schrumpfender Wertschöpfung und den drastischen Sparprogramme (nicht nur) in den genannten Ländern muss davon ausgegangen werden, dass soziale Polarisierung und Armut nochmals drastisch angestiegen sind bzw. noch werden.

Auch bei der »europäischen Zuglokomotive« Deutschland haben Einkommenspolarisierung und Armut trotz relativ guter ökonomischer Rahmenbedingungen weiter zugenommen. So erzielte dass das oberste Quintil der Bevölkerung in Deutschland in 2009 37,9% des gesamten Nettoäquivalenzeinkommens, das unterste dagegen nur 8,4 %. Das Verhältnis dieser beiden Anteile zueinander, das die Polarisierung der Einkommensverteilung widerspiegelt, betrug somit in Deutschland 4,5. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass sich die soziale Polarisierung in Deutschland in den letzten 20 Jahren massiv beschleunigt hat und in der Entwicklungstendenz deutlich über dem OECD-Durchschnitt lag. Die logische Konsequenz: Auch bei der Verbreitung von Armut gehört die Berliner Republik keineswegs mehr zu den Schlusslichtern bei den entwickelten kapitalistischen Ländern.


Der Schwellenwert für Armutsgefährdung betrug 2009 in Deutschland 11.278 Euro. Die daraus resultierende Armutsgefährdungsquote lag im Jahr 2009 bei 15,6%. Im europäischen Vergleich war sie damit unterdurchschnittlich, und zwar sowohl bezogen auf den Durchschnitt aller EU-Staaten (16,4 %) als auch bezogen auf die siebzehn Länder der Eurozone18 (16,1 %). Verglichen mit seinen EU-Nachbarstaaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen und Tschechische Republik hatte Deutschland jedoch einen hohen Wert: So war die Armutsgefährdungsquote in fast allen diesen Staaten geringer als hierzulande (zwischen 9% in der Tschechischen Republik und 14,6% in Belgien). Lediglich in Polen war der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung mit 17,6% höher als in Deutschland.

Charakteristisch für Deutschland – Folge der Hartz IV Gesetzgebung, der desolaten Familienpolitik und der von den diversen Bundesregierungen auf den Weg gebrachten Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik – ist die enorm hohe Armutsgefährdung von Arbeitslosen und Alleinerziehenden: 70,3% der Arbeitslosen und 43% der Alleinerziehenden sind in Deutschland arm oder unmittelbar von Armut bedroht. Im EU-Durchschnitt sind es dagegen »nur« 45,3% bei den Arbeitslosen und 36,9% bei den Alleinerziehenden.

Unter 18-Jährige waren 2009 in Deutschland mit 17,5% stärker armutsgefährdet als der Durchschnitt der Bevölkerung (15,6%). Dasselbe galt auch für die Altersklasse der 18- bis 24-Jährigen (18,9%). In den Altersklassen »25 bis 49 Jahre« und »65 Jahre und älter« (Armutsgefährdungsquote jeweils 14,1%) lag das Armutsrisiko unter dem Durchschnitt, in der Altersklasse »50 bis 64 Jahre« mit 17,0 % dagegen über dem Durchschnitt für die Bevölkerung insgesamt.


Bisher liegt die Altersarmut in Deutschland bei RuheständlerInnen mit 13,4% noch unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Das wird nicht so bleiben, denn die massive Ausdehnung von Niedriglohn und prekärer Beschäftigung programmiert eine enorme Zunahme der Altersarmut in der Zukunft.

So haben gegenwärtig 7,4 Mio. Menschen in Deutschland eine Stelle auf 400-Euro-Basis, für die sie keine Steuern und Sozialabgaben zahlen. Davon waren Mitte 2011 knapp 4,65 Mio. Frauen. Gut zwei Drittel von ihnen haben ausschließlich diesen Minijob. Für die Altersabsicherung dieser Menschen hat das enorme Konsequenzen, da nur geringe Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung anfallen. Diese Beiträge, die seit 1999 fällig sind, zahlt meist nur der Arbeitgeber. Das Bundesarbeitsministerium hat nun ausgerechnet, was dies an Rente bringt. Danach erwirbt ein Minijobber, der ein Jahr lang tätig ist, eine monatliche Rente von 3,11 Euro. Nach 45 Versicherungsjahren beträgt der Anspruch auf Altersgeld auf Grundlage der heutigen Werte nur 139,95 Euro.

Mini-Jobs und die diversen Rentenkürzungen der letzten 20 Jahre (inkl. Rente mit 67) werden dafür sorgen, dass auch Armut im Alter zu einem sich massiv ausbreitenden Fleck auf der Sozialkarte der Berliner Republik werden wird.

[1] Zu den im Folgenden verwendeten Daten siehe: Silvia Deckl/Luca Rebeggiani. LEBEN IN EUROPA/EU-SILC 2010. Bundesergebnisse für Sozialindikatoren über Einkommen, Armut und Lebensbedingungen – Deutschland im Vergleich zur Europäischen Union, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Februar 2012, S. 152ff.

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