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7. Oktober 2016 Joachim Bischoff / Björn Radke

Athen: Silberstreif am Krisenhorizont?

Finanzminister Efklidis Tsakalotos

Ein Jahr nachdem die Griechen bei vorgezogenen Wahlen vom September 2015 Alexis Tsipras (Syriza) mehrheitlich als Ministerpräsidenten bestätigt haben, hat sich die politische Stimmung unter der Wahlbevölkerung massiv gedreht. Seit Januar liegt die konservative Nea Dimokratia (ND) in den meisten Umfragen vorn.

Eine aktuelle demoskopische Erhebung zeigt eine Umkehrung der Kräfteverhältnisse: Die konservative ND könnte mit 28,5% der Stimmen rechnen, während Syriza nur auf 16% käme. Allerdings sagte jede fünfte WählerIn, er/sie sei noch unentschieden. Es folgen die faschistische Chryssi Avgi (7,5%), die kommunistische KKE (5,5%) und die Demokratische Allianz (bestehend aus der früheren sozialistischen Volkspartei PASOK und der DIMAR = Demokratische Linke), die auf 4,5% der Wählerstimmen kommt. Dieser Erhebung zufolge würde keine andere Partei den Sprung ins Parlament schaffen.

90% der griechischen WählerInnen sind von der Arbeit der Regierung enttäuscht. Selbst unter den Wählern des Linksbündnisses Syriza bekommt die Regierung von 73,5% der Befragten schlechte Noten. Auf die Frage, ob die von Tsipras geführte Koalition aus Links- und Rechtspopulisten »dem Land noch etwas zu bieten« habe, antworteten sieben von zehn Befragten mit Nein. Nur noch 17% der GriechInnen sehen in Tsipras einen geeigneten Regierungschef, gut 30% halten den konservativen Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis für den besseren Premierminister.

51% setzen sich für die Durchführung einer vorgezogenen Neuwahl ein, und 85% empfinden, dass sich das Land »in die falsche Richtung« bewegt, 73% der Befragten erklärten, dass sie mit Blick auf ihre Einkommensverhältnisse Schwierigkeiten haben. Lediglich 23% »leben gut« oder »kommen über die Runden«. Gleichzeitig sind jedoch auch acht von zehn (80%) der Befragten unzufrieden mit der Arbeit der Opposition.

Die Enttäuschung über die wirtschaftlich-soziale Entwicklung ist im siebten Jahr eines brutalen Sparprozesses offenkundig. Vor allem die massiven Steuererhöhungen, mit denen die linke Regierungskoalition unter dem Druck der internationalen Kreditgeber die öffentlichen Finanzen zu sanieren versuchen muss, sowie die Rentenkürzungen, die Rezession und hohe Arbeitslosigkeit liegen der politischen Enttäuschung zugrunde.

Neben den Privatisierungen von öffentlichem Eigentum (siehe hierzu auch den Beitrag von Axel Troost Linke Realpolitik unter Austeritäts-Zwängen auf dieser Website) haben vor allem die Rentenkürzungen der letzten Monate die Lebensverhältnisse und die ökonomische Entwicklung geprägt. Die Renten sind im Verlauf der Sanierungspolitik durch mehr als ein Dutzend Kürzungen und zusätzliche Belastungen real um 20-50% gesunken.

In Griechenland müssen heute sechs von zehn Ruheständlern mit weniger als 700 Euro im Monat auskommen, und fast 45% leben unter der statistischen Armutsgrenze von monatlich 665 Euro. In absoluten Zahlen sind das 1,2 Millionen RentnerInnen. Die gesellschaftliche Bedeutung der gekürzten Alterseinkommen wird erst voll erfasst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass gut die Hälfte der ärmeren griechischen Haushalte auch auf das Einkommen der älteren Familienmitglieder angewiesen ist.

Trotz dieser Schrumpfkur sind die Rentenkassen noch keineswegs saniert: rund vier Milliarden Euro Gesamtdefizit signalisieren weiteren Handlungsbedarf. Die Gründe für die desolate Lage des griechischen Rentensystems sind unter anderem die Überalterung der Bevölkerung, die hohe Arbeitslosigkeit und die grassierende Schwarzarbeit.

In Griechenland stehen rund 3,5 Millionen Beschäftigten 2,6 Millionen RentnerInnen gegenüber. Hinzu kommt vielfach Missmanagement bei den Versicherungsträgern. Im Rahmen des laufenden Sparprogramms sollen die Rentenkassen ab Januar 2017  zu einer Einheitskasse zusammengelegt werden.

Die Steuerschraube ist unter dem Druck der internationalen Auflagen auch immer stärker angezogen worden. Syriza hatte für einen längeren Anpassungsprozess bei der Sanierung der öffentlichen und sozialen Finanzkassen votiert und wollte mehr Spielraum für eine Belebung des gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozesses. Denn die Beschneidung der Sozialtransfers und die Erhöhung der Steuerlast werden selbst zum Hindernis der gesellschaftlichen Reproduktion.

Beispiel: Im August 2016 hatten 50% der Griechen (etwa vier Millionen) Schulden gegenüber der öffentlichen Hand. Das ist im Vergleich zum Juli ein leichter Rückgang; damals waren es 4,1 Millionen Bürger, die mit Zahlungen im Rückstand waren. Aber selbst Zwangsmaßnahmen bewirken wenig, weil die wirtschaftliche Basis immer noch ausgemergelt ist. Die griechische Notenbank erwartet, dass die Wirtschaft des Landes auch in diesem Jahr schrumpfen wird. Die Bank of Greece geht von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,3% aus.

Die immer neuen Sparmaßnahmen haben in Griechenland zu einer Rekordarbeitslosigkeit von mehr als 24% geführt. Jeder zweite junge Mensch ist immer noch ohne Job. In vielen gesellschaftlichen Bereichen zeigen sich die Folgen: Mit einer Demonstration für höhere Investitionen in den Gesundheitssektor haben mehrere tausend Spitalmitarbeiter die Athener Innenstadt lahmgelegt. Der Verband der Mitarbeiter staatlicher Krankenhäuser (Poedin), der zu dem Protest aufgerufen hatte, fordert unter anderem die Rücknahme bisheriger Lohnkürzungen sowie eine angemessene Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssektors in allen medizinischen Bereichen.

»Menschen sterben umsonst, weil die Regierung unser Gesundheitssystem zerstört«, sagte der Vorsitzende des Verbands, Michalis Giannakos, dem griechischen Fernsehsender Skai. »Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, die Lage zu verbessern. Unsere Kollegen arbeiten Tag und Nacht für 500 Euro im Monat. Und die 4.000 zusätzlichen Stellen, die man uns versprochen hat, wurden immer noch nicht geschaffen.«

Die Talfahrt des Landes erklärt sich vor allem durch stagnierende Exporte und schwächelnden Konsum. Einziger positiver Wachstumsfaktor ist der Tourismus, aber auch hier sind mit der dramatisch hohen Belastung durch Flüchtlinge und Asylsuchende Einschränkungen unübersehbar. Auf den griechischen Inseln bleibt die Lage weiterhin angespannt. Insgesamt 14.600 Flüchtlinge halten sich auf Lesbos, Chios, Kos, Leros und Samos auf – fast doppelt so viele, wie die Flüchtlingslager der Inseln Aufnahmeplätze haben.

Sowohl die Migranten als auch die Inselbewohner protestieren gegen die Zustände vor Ort, immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen und Zusammenstößen zwischen den Menschen. Die vor einem Jahr beschlossene Umsiedlung von 66.400 Flüchtlingen aus Griechenland kommt laut Amnesty International kaum voran.

Pro Asyl stellt fest: »Insgesamt wurden von September 2015 bis zum 21. September 2016 lediglich 5.920 Menschen EU-intern umverteilt (4.134 aus Griechenland und 1.156 aus Italien). Diese Bilanz ist nach einem Jahr unterirdisch. Von den am 22. September 2015 zugesagten 160.000 Relocation-Plätzen konnten gerade einmal 3,3% tatsächlich in Anspruch genommen werden. So werden die Flüchtlinge in Griechenland und auch die Einwohner*innen der griechischen Inseln mit der eskalierenden Situation im Stich gelassen.«


Vor einer Trendwende?

Die griechische Wirtschaft war im ersten Quartal 2016 um 0,5% im Vergleich zum Vorquartal gesunken. Fachleute sprechen von einer Rezession, wenn das BIP zwei Quartale in Folge sinkt. »Die Rückkehr zu Wachstum im dritten und vierten Quartal sollte das negative Ergebnis des ersten Halbjahres zumindest teilweise ausgleichen«, teilte die Zentralbank mit. Auch die EU-Kommission erwartete ein Minus von 0,3%.

Die Syriza-Regierung bewertet die wirtschaftliche Konstellation deutlich positiver. Es sei gelungen, die negativen  Rückwirkungen durch die Kapitalverkehrskontrollen, eine Einschränkung der Kreditpolitik und die weiteren Kürzungen in Grenzen zu halten. Die Regierung erhält überraschend Unterstützung von Seiten des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Der IWF teilt angesichts der Finanzlage Griechenlands für das laufende sowie für das kommende Jahr den Optimismus der Regierung. Er prognostiziert ein Wirtschaftswachstum von 2,8% für das Bruttoinlandprodukt im Jahr 2017. Die griechische Regierung und die Europäische Kommission taxierten für den gleichen Zeitraum bisher eine Wachstumsrate in Höhe von 2,7%.

Zudem geht  der IWF davon aus, dass das laufende Jahr mit einem geringfügigen Wirtschaftswachstum von 0,1 % schließen werde. Das ist deutlich optimistischer als in den offiziellen Zahlen des Dritten Spar- und Reformprogramms (Memorandum) unterstellt. Auch was die Senkung der Arbeitslosigkeit betrifft, geben sich die IWF-Prognosen optimistisch. Ende 2016 werde die Arbeitslosigkeit bei 23,3% liegen, im kommenden Jahr soll sie auf 21,5% sinken. Das wäre zwar immer noch unerträglich hoch; allerdings deutet auch diese Prognose auf eine leichte Trendwende hin.

Damit sich eine solche Wachstumsrate erzielen lasse, müsse das Ziel eines Primärüberschusses im Haushalt – Saldo ohne Schuldendienst – von 3,5% bis zum Jahr 2018 auf 2% korrigiert werden. Zugleich müsse der Schuldendienst reduziert oder eine teilweise Schuldenstreichung realisiert werden. Als eine mögliche Lösung für den Schuldenabbau sieht die Bank of Greece eine Streckung der Zahlungsfristen um 20 Jahre. Das Wachstum durch die Senkung des Überschussziels würde günstige Bedingungen schaffen, um die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Steuern senken zu können.


Krise beim 3. Memorandum?

In Übereinstimmung mit dem im August 2015 von der Syriza-Anel-Koalition verabschiedeten dritten »Memorandum of Understanding« zwischen Griechenland und den Gläubiger-Institutionen musste die Regierung im Mai Sparauflagen im Umfang von 5,4 Mrd. Euro beschließen, um die nächste Tranche von 10,3 Milliarden Euro zu erhalten und die Zahlungsfähigkeit des Landes für die nächsten Monate sicherzustellen.

Die Eurofinanzminister hatten Kredithilfen von 10,3 Milliarden Euro freigegeben, von denen im Juni 7,5 Milliarden Euro ausbezahlt wurden. Der Restbetrag von 2,8 Milliarden Euro ist an die Verwirklichung weiterer Reformen geknüpft. Zugleich hatten die Minister eine vorläufige Einigung mit dem IWF auf kleinere Maßnahmen erreicht. Diese genügen dem IWF aber nicht. Die Eurogruppe hatte dem Fonds im Mai zugesichert, von 2018 an auch mittel- und langfristige Schuldenerleichterungen zu beschließen. Dann dürften die europäischen Gläubiger kaum noch um einen partiellen Schuldenschnitt herumkommen.

Für den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte die Vereinbarung den Vorteil, dass Entscheidungen darüber erst nach der Bundestagswahl 2017 fallen müssten. Der IWF dringt jedoch darauf, dass die Eurostaaten schon jetzt entscheiden, welche Erleichterungen sie von 2018 an gewähren. Ohne Zusagen sei eine weitere Beteiligung des IWF schwer vorstellbar, heißt es in den Gläubiger-Institutionen.

Schäuble steckt in dieser Frage in einem Dilemma. Der Bundestag hat seine Zustimmung zu weiteren Griechenland-Hilfen aus ESM-Mitteln davon abhängig gemacht, dass der IWF am Kreditprogramm beteiligt bleibt. Andererseits bleibt ein Schuldenschnitt ein Tabu, weil er den Bundeshaushalt erheblich belasten würde.

Bundestagsabgeordnete der Unionsfraktion haben  sich kürzlich erneut gegen einen Schuldenschnitt ausgesprochen. Solange die deutsche Haltung fortbestehe, werde der IWF kaum über seine weitere Beteiligung entscheiden – so die Gläubiger-Institutionen. Schlimmstenfalls bleibe die Entscheidung bis nach der Bundestagswahl offen. Dann wäre auch das Ende des aktuellen Programms 2018 nicht mehr fern.

Die vereinbarte Analyse der griechischen Schuldentragfähigkeit soll erstellt werden, sobald die Gläubiger-Institutionen ihre erste Prüfung im Rahmen des dritten Griechenland-Hilfsprogramms abgeschlossen haben. Dies setzt voraus, dass Athen vereinbarte weitere Reformschritte (»milestones«) verwirklicht hat. Danach könnte die Eurogruppe die Auszahlung des Restbetrags von 2,8 Milliarden Euro aus der ersten Tranche in Kraft setzen.

Die Schuldenquote soll im kommenden Jahr laut dem Entwurf auf 174,8% des Bruttoinlandsproduktes sinken. Laut dem Haushaltsentwurf, den der griechische Finanzminister Efklidis Tsakalotos dem Parlament vorlegte, soll 2017 ein hoher Primärüberschuss von 1,8% des BIP erzielt werden. Das Ziel liegt gar um 0,05 Prozentpunkte höher als die vom Rettungsprogramm gesetzten Vorgaben. Der Finanzminister hofft zudem, dass auch im laufenden Jahr der geforderte Überschuss von 0,5% des BIP leicht übertroffen werde.

Die guten Zahlen von Tsakalotos beruhen darauf, dass Griechenland im kommenden Jahr kräftig wachsen soll. Der Entwurf geht von einem Anstieg des BIP um fast 3% aus. Ein vergleichsweise starkes zweites Quartal 2016 lässt ihn hoffen, dass es auch im zweiten Halbjahr so weitergeht. Er rechnet damit, dass die Wirtschaft dieses Jahr nur noch leicht schrumpft.

Zum Wachstum sollen laut dem Entwurf hauptsächlich der Privatkonsum und die Investitionen beitragen. Zugleich versucht die griechische Regierung die Quadratur des Kreises. Nicht nur der Konsum, sondern auch die Steuern sollen wachsen. Tsakalotos will 2,6 Mrd. € mehr an Steuern einnehmen (dies entspricht 1,46% des BIP). Das letzte Wort zum Haushaltentwurf werden die Inspekteure der vier Institutionen (EU-Kommission, IMF, EZB und ESM) haben, die etwa Mitte Oktober in Athen erwartet werden.

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