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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

6. August 2015 Otto König / Richard Detje: »Landesverrat«-Ermittlungen gegen netzpolitik.org

Aufklärung soll verhindert werden

Mit der Entlassung des Generalbundesanwalts will die Bundesregierung – Justizministerium, Innenministerium und Bundeskanzleramt – Entschlossenheit demonstrieren. Plötzlich – nachdem die deutschen Exekutive und Judikative seit zwei Jahren in der NSA-Affäre – nachdem Edward Snowden die weltweiten Überwachungspraktiken der National Security Agency aufdeckte – abgetaucht ist und auch ein seit März letzten Jahres damit befasster Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages das Schattenreich verflochtener, befreundeter »Dienste« nicht auszuleuchten vermag.

Plötzlich geriert man sich als Hüter der Pressefreiheit. Dabei sind weder das weisungsgebundene Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) noch der Generalbundesanwalt willens, gegen eine Aufklärung und Öffentlichkeit scheuende Spionagepraxis vorzugehen. Dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND monatlich 500 Millionen Verbindungsdaten an die US-Geheimdienste weitergegeben hat und dies, so ist zu vermuten, bis heute tut, ist der zuständigen Strafverfolgungsbehörde keine Ermittlungen wert. Wer jedoch »Dokumente veröffentlicht, also zur Aufklärung beiträgt, der soll wegen ›Landesverrats‹ bestraft werden«. (Heribert Prantl)

So erhielten Markus Beckedahl und André Meister von netzpolitik.org Post von Generalbundesanwalt Harald Range mit der Botschaft, dass gegen sie »wegen Verdachts des Landesverrats« ermittelt werde. Landesverrat begeht, wer ein Staatsgeheimnis veröffentlicht oder an eine fremde Macht mitteilt und damit »die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland« herbeiführt.[1] 50 Jahre nach der »Spiegel-Affäre« wird Journalisten erstmals wieder »Verbrechen gegen den Staat« vorgeworfen.

Der neuerliche Angriff auf die Pressefreiheit richtet sich gegen ein Informationsportal, das sich nicht zuletzt durch seine Berichterstattung im Überwachungs- und Geheimdienstskandal und Live-Berichte aus dem NSA-Untersuchungsausschuss einen guten Ruf erworben hat. Für den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum »eine klare Einschüchterungskampagne« (WDR 2, 31.7.2015).

Was war geschehen? Die Journalisten veröffentlichten im Frühjahr dieses Jahres auf ihrem Portal Auszüge aus zwei Papieren des BfV, die als »Verschlusssache – vertraulich« eingestuft waren, u.a. über die Planung zum Aufbau einer Referatsgruppe »Erweiterte Fachunterstützung Internet«, die das Internet überwachen und soziale Netzwerke auf die »Aktivitäten von Radikalen und Extremisten« analysieren soll.

Staatsgefährdend soll sein, wenn die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, dass der Inlandsgeheimdienst dabei ist, die Internetkommunikation massenhaft zu überwachen? Die Information der Öffentlichkeit ist vornehmste Aufgabe der Medien, deshalb steht die Pressefreiheit im Grundgesetz.

Die Anzeige gegen die beiden Journalisten hat BfV-Chef Hans-Georg Maaßen erstattet. Den »Scharfmacher« – so das Etikett – stört, »dass geheime und geheimste Unterlagen aus dem Bereich der Nachrichtendienste in die Medien gelangen, sobald sie den politisch-parlamentarischen Bereich erreichen«. Maaßen, der mutmaßt, dass interessierte Kreise versuchen, »die deutschen Nachrichtendienste sturmreif zu schießen«, stützte sich auf ein fragwürdiges Gutachten aus dem eignen Haus, in dem u.a. formuliert ist, durch die Veröffentlichungen würden »erst jüngst gewonnene, hochkonspirative operative Methodiken des BfV, was Gegenmaßnahmen« angehe, genannt. (SZ, 5.8.2015)

Das eigentliche Problem der »Landesverrats-Affäre« verortet Heribert Prantl deshalb beim Verfassungsschutz selbst. Unter »Verfassung« verstehe die Kölner Behörde nicht die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger bzw. den Schutz des Verfassungsstaates. »Der Verfassungsschutz versteht unter Verfassung offenbar den eigenen Zustand, also die Verfassung seines eigenen Apparates – die er, wenn er sich etwa durch Publikationen gestört sieht, mit den Mitteln des Strafrechts schützen will.« (SZ, 3.8.2015)

In Generalbundesanwalt Harald Range fand Maaßen einen Verbündeten mit dem gleichen seltsamen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Während Range sich weigerte, dem Tatbestand der massenhaften Überwachung der Bundesbürger sowie Wirtschaftsspionage gegenüber bundesdeutschen Unternehmen nachzugehen,[2] war er sofort bereit, Journalisten ins Visier zu nehmen.

Der oberste Ankläger hätte entscheiden können: Akte zu, Sache erledigt – wie er das in der NSA-Affäre immer wieder getan hat. In diesem Fall sogar mit der Begründung, dass der Verdacht des Landesverrats mit Blick auf das hohe Gut der Pressefreiheit zu verneinen sei. Da er dies nicht tat, ist es richtig, von Einschüchterungsversuchen und einem Angriff auf die Pressefreiheit sprechen.

Unbelehrbar wehrte sich Range bis zuletzt gegen den Vorwurf, zu Unrecht ermittelt zu haben. Stattdessen geißelte er die Kritik der Öffentlichkeit und der Medien als Eingriff in die »Freiheit der Justiz«. Mit seiner bissigen Kommentierung in Richtung Berlin, das Bundesjustizministerium habe Einfluss auf die Ermittlungen genommen, weil deren Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, sei »ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz«, provozierte er seinen politischen Rauswurf.

Doch hinter Range stand der »Verfassungsschützer« Maaßen. Was geschieht mit ihm, wie agiert das Bundesinnenministerium? Vermutlich gar nicht. Dort hat man keinerlei Interesse, eine Debatte darüber zu führen, welche Aufgaben der Inlandsgeheimdienst hat und welche Kompetenzen ihm zugebilligt werden. Nicht nur dort.

Erst nachdem der öffentliche Protest nicht mehr zu übersehen war, gerierten sich Justizminister Maas und die Bundeskanzlerin als »Schutzmacht« der Pressefreiheit. Die Verselbständigung und Selbstimmunisierung von Staatsapparaten hat Ausmaße erreicht, die nur grob zu erahnen sind und dringend der Aufklärung bedürften.

Die »Netzpolitik-Affäre« zeigt erneut, dass es ist längst überfällig ist, den anachronistischen Landesverrats-Paragrafen im Strafgesetzbuch zu streichen. Ebenso muss der völlig schwammige Begriff des »Staatsgeheimnisses« eliminiert werden, denn ob und wann die im Gesetz aufgeführten Kriterien erfüllt sind, ist stets interpretierungsbedürftig und damit ein Einfallstor für Willkür und Einschüchterungen. Es wäre wünschenswert, wenn sich bei Journalisten und Bloggern eine »Jetzt-erst-recht-Stimmung« breitmachen würde.

[1] § 94 Strafgesetzbuch lautet: »Wer ein Staatsgeheimnis […] an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.«
[2] Generalbundesanwalt Range stellte im Fall der Ausspähung des Handys von Kanzlerin Angela Merkel im Mai 2014 die Ermittlungen ein. Im Zusammenhang mit der NSA-Spähaktionen gegen weitere Regierungsmitglieder gab er Mitte Juli auf Grund fehlender »gerichtsfester Beweise« sein Nichtstun bekannt, obwohl bei Wikileaks die Ausspähziele – u.a. Telefonnummern, Namen – einsehbar sind. Zahlreiche Snowden-Dokumente wurden zwischenzeitlich veröffentlicht, doch die Bundesanwaltschaft hat sich nie bemüht, den Whistleblower Edward Snowden als Zeugen zu hören.

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