29. Juni 2014 Bernhard Sander
Besinnungspause auf der französischen Linken
Der Aktionstag gegen die Agenda-Politik die französischen Regierung zeigt die Spaltung der französischen Arbeiterbewegung mit aller Deutlichkeit. Auch wenn die CFDT Kritik an den Sparplänen und an den Zusagen für Unternehmen ohne verbindliche Gegenleistungen hat, weigerte sie sich wie der christliche und der Angestellten-Gewerkschaftsbund dem Aufruf von CGT und Force Ouvrière zu einem nationalen Streik- und Aktionstag zu folgen. Nach den 140 Aktionen, Kundgebungen und Versammlungen, die es landesweit noch im März gab, waren nun nur 114 zu zählen.
Schon unmittelbar nach der Europawahl hatte Gauche Unitaire, eine Gründungsorganisation des Front de Gauche, auf die enorme Kluft zwischen den objektiven Handlungserfordernissen (Abwehr der Regierungspläne, Hegemonieanspruch des Rechtspopulismus usw.) und der fehlenden Unterstützung für die Linke hingewiesen. Überall sonst in Europa habe sich die politische Linke halten können oder sogar hinzugewonnen, außer in Frankreich.
»Wir sollten nicht erwarten, dass die sozialen Bewegungen die Karte auf der Linken neu mischen: Die aktuellen Mobilisierungsschwierigkeiten kommen hauptsächlich aus der fehlenden glaubwürdigen politischen Perspektive.« Man solle aufhören mit der »halluzinierenden Selbst-Beglückwünschung«, dem »Morgen ist unser Tag« und der unsäglichen Beschimpfung von Partnern innerhalb der Front, die den Pluralismus zerstöre.
Gleichzeitig wird mit komfortabler Mehrheit die Eisenbahnreform (Öffnung der Infrastruktur für Dritte) durchs Parlament abgesegnet, gegen die seit zehn Tagen massiv gestreikt wurde. Dabei stimmten nicht nur die Grünen, sondern Teile der zerstrittenen UMP und auch die 100 »Aufständischen« der PS-Fraktion zu.
Offenbar ist die sozialdemokratische Grundlinie (neoliberale »Strukturreformen« durchzusetzen, um im Gegenzug eine Lockerung der EU-Kredit-Garotte zu erreichen) dort allgemeine Geschäftsgrundlage. Das volkswirtschaftliche Problem Frankreichs liegt allerdings weder in einem verkrusteten Arbeitsmarkt noch im staatlichen Dirigismus (jüngstes Beispiel die Minderheitsbeteiligung des Staates am Technologie-Konzern Alstom neben dem neuen Investor GE), sondern in der strukturellen Unattraktivität von produktiven Neuinvestments gegenüber der Anlage auf den Finanzmärkten.
Der akademische Teil der französischen Linken empört sich derweil über die Neuberechnung (Basis 2010 statt 2005) der ausgezahlten Dividenden (Ausschüttungen an Nicht-Finanzunternehmen) durch die Statistikbehörde INSEE, die 27 Mrd. Euro verschwinden lässt. Auch die alte Zahl lag noch deutlich unter den Angaben der Zentralbank Banque de France (siehe z.B. unter hussonet.free.fr/divregar.pdf). Der Verdacht liegt nahe, hier werde an der (gesellschaftlichen) Mehrwertrate manipuliert, um die Steuergeschenke zu rechtfertigen und die negative Lohnentwicklung zu kaschieren.
Die Debatte geht aber am Kern des Problems vorbei: der Verwendung der erwirtschafteten Unternehmergewinne. Mangels ausreichender Gewinnaussichten wird schon seit Jahren in das produzierende Gewerbe nicht mehr ausreichend investiert und es werden damit Arbeitsplätze vernichtet. Die Deindustrialisierung Frankreichs zieht eine Verschärfung des Außenhandelsdefizits nach sich, das noch entschieden dramatischer ausfallen würde, wäre Frankreich nicht das Land mit den meisten Touristen in Europa.
Eine Debatte, an der sich der Front National aus guten Gründen nicht beteiligt. Die Regierung Valls hat den Tourismus jedenfalls erst einmal als Einnahmequelle aktiviert und den Kurtaxen-Aufschlag in Drei-Sterne-Hotels auf fünf Euro und in 4-Sterne Hotels auf acht Euro pro Übernachtung erhöht. Da steht der FN auf Seiten der Hoteliers.
Die Sozialdemokratische Regierung stünde viel mehr im Feuer, wenn die UMP im Sog der illegalen Parteienfinanzierung nicht so stark mit sich selbst beschäftigt wäre. Die rechtskonservativen Ex-Minister Rachid Dati und Laurent Wauquiez haben zusammen mit den ehemaligen Präsidentenberatern Henri Guiano und Guillaume Peltier zum ideologischen »Bruch mit der Mitte-Rechts-Orientierung« der UMP aufgerufen, was immer das heißen mag. Der ex-FN-Kader Peltier sieht jedenfalls in Bündnissen mit MoDem oder UDI »eine Flucht in den Radikal-Sozialismus, die für uns in der Vernichtung endet«.
Gauche Unitaire wiederum plädiert nach dem Regierungsaustritt der Grünen, dem offenen Widerstand der 100 PS-Abgeordneten und der seit den Kommunalwahlen im Front de Gauche offen ausgebrochenen Diskussionen für eine Neuorientierung entlang »einiger Achsen eines Anti-Austeritätspaktes«. Der Front de Gauche müsse eine Orientierung für die ganze Linke entwickeln mit »einigen einfachen Vorschlägen, von denen aus sich eine breite Mehrheit« ansprechen lässt.
Im Unterschied zu einigen deutschen Reformern zielt dieses rot-rot-grün-Projekt auf die Entfaltung einer gesellschaftlichen Dynamik. Basis sei dabei die Abkehr von einer Angebotspolitik der Regierung, die die Welt der Arbeit spalte und demoralisiere. »Diese Spaltung hindert das fortschrittliche Lager daran, Dämme gegen die Rechte zu errichten, die der Todfeind der Arbeiterbewegung ist.«
Die Abkehr von der Unterstützung des derzeitigen Regierungshandelns ist erst die Voraussetzung für eine neue Mobilisierung. »Die Zukunft der Linksfront hängt nach unserer Ansicht direkt von der Fähigkeit ab, ihre Beziehung zum Land zu überdenken und eine Politik für die ganze Linke zu entwerfen.« So dramatisch die Lage auch sein mag und so dramatisch der Aufruf zu Recht formuliert ist, so wenig konkrete Vorschläge sind bisher zu erkennen, wie diese Achsen der Orientierung inhaltlich aussehen könnten.