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20. April 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Die Parlamentswahlen in Finnland

Bewegung nach rechts

Bei der Parlamentswahl in Finnland ist die bisherige Vier-Parteien-Koalition unter dem Konservativen Alexander Stubb abgewählt worden. Zur Koalition gehörten die Nationale Sammlungspartei, die Sozialdemokratische Partei, die Schwedische Volkspartei und die Christdemokraten. Das Linksbündnis und der Grüne Bund waren anfangs auch Teil der Regierungskoalition, haben diese aber 2014 verlassen.

Die 200 Mitglieder des Finnischen Parlaments werden auf vier Jahre gewählt. Wahlberechtigt waren 4,46 Millionen Finnen im In- und Ausland. Die Wahlbeteiligung war mit 70,1% etwas niedriger als 2011 (70,5%), liegt damit aber immer noch höher als in vielen anderen europäischen Ländern.

Sieger der Parlamentswahl ist die Zentrumspartei, die in den letzten Jahren stärkste Oppositionskraft war. Diese Partei des Multimillionärs und früheren Unternehmers Juha Sipilä erreichte einen Wähleranteil von 21,1% und wird 49 Sitze einnehmen. Aus einer Bauernpartei hervorgegangen, ist die Zentrumspartei eine etablierte Größe in der finnischen Politik und war bereits an vielen Regierungen beteiligt, musste vor vier Jahren aber herbe Verluste hinnehmen.

Mit ihrem neuen Chef hat sie ein Comeback geschafft. Sipilä, früherer IT-Unternehmensboss, plant das Land im Stil eines Managers zu führen und dafür seine Erfahrungen mit der Sanierung wirtschaftlich angeschlagener Unternehmen zu nutzen.

Die konservativen Nationale Sammlungspartei von Ministerpräsident Stubbs kam nur mehr auf 18,2% (-2,2%). Die rechtspopulistischen »Basisfinnen«, die bis vor kurzem noch »Wahre Finnen« hießen, erreichten 17,6% (-1,4%), lagen aber bei der Zahl der Sitze (38) noch vor den Konservativen (37), sind also im Parlament zweitstärkste Kraft geblieben.

Auf die Sozialdemokraten entfielen 16,5%, was einem Verlust 2,6% gegenüber der Wahl 2011 entspricht. Auch das Linksbündnis büßte 1% der Stimmen ein und ist jetzt mit 7,1% bzw. 12 Sitzen im Parlament vertreten. Die Grünen (8,5%, +1,3%), die Partei der Schweden (4,9%; +0,6%) und die Christlichdemokraten (3,5%; -0,5%) ergänzen das Feld der parlamentarischen Parteien. Sie waren auch schon in der vorhergehenden Legislaturperiode in der Kammer vertreten.

Insgesamt muss von einer deutlichen Verschiebung des Koordinatenkreuzes nach rechts gesprochen werden. So haben Sozialdemokraten und Linkspartei bei der Wahl gemeinsam nur 46 Sitze im neuen Parlament errungen – weniger als jemals zuvor in der Geschichte des Reichstags. Die Sozialdemokratie erreichte ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1945, das Linksbündnis die geringste Zustimmung seit 1991, als es zum ersten Mal für das finnische Parlament kandidierte.

Gleichzeitig haben sich die »Basisfinnen«, 2011 mit knapp 20% ins Parlament eingezogen, fest im politischen System etabliert und den Außenseiterstatus hinter sich gelassen – mit einer dezidiert rechtspopulistischen Programmatik. »Der rechtsgerichtete Populist Soini setzt auf das Standardpaket an ausländerfeindlichen, nationalistischen und anti-islamischen Positionen. Doch sein Erfolg beruhte vor allem auf seinem euroskeptischen Kurs, wie er auch in anderen nordischen Staaten populär ist. In der Folgezeit sorgte Soini mit seiner Forderung für Schlagzeilen, den verpflichtenden Schwedisch-Unterricht an öffentlichen Schulen abzuschaffen.« (Noora Löfström in Süddeutsche Zeitung vom 17.4.2015)

Vor den Wahlen verschärften die »Basisfinnen« ihren Ton gegenüber Minderheiten noch einmal und forderten – auch das ist typisch für den Rechtspopulismus – die ohnehin schon niedrige Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern noch weiter zu verringern. Mit dieser Politik gelang es ihnen schon in der vorangegangenen Legislaturperiode erfolgreich entsprechenden politischen Druck aufzubauen. »Er (Sioni) hat den Diskurs und die politischen Inhalte der anderen Parteien gegenüber Minderheiten sowie die öffentliche Debatte beeinflusst.«

Nach der Enttäuschung über die nun abgewählte Regierungskoalition, die sich durch interne Streitereien bei wichtigen Reformen blockierte, haben die finnischen WählerInnen mit Sipilä zwar keine unbekannte, aber eine in der Regierungspolitik bisher nicht präsente Figur auf den Schild gehoben. Von ihm erhoffen sie sich offenbar, dass er als erfolgreicher Unternehmensführer mit einem moderaten neoliberalen Kurs nun auch die »Finnland GmbH« wieder auf Kurs zu bringen vermag. Und weil die Zentrumspartei die letzten vier Jahre in Opposition verbracht hat, wird sie von der Bevölkerung auch nicht direkt für die unerfreuliche Wirtschaftslage verantwortlich gemacht.

Es ist unbestritten, dass Finnland einen »Turnaround« braucht. Denn anders als in Deutschland und anders auch als im Nachbarland Schweden hat es in Finnland seit der internationalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 keine vergleichbare wirtschaftliche Erholung gegeben. In den vergangenen drei Jahren ist die Wirtschaftsleistung vielmehr jeweils geschrumpft, die Arbeitslosenquote gestiegen, die Investitionsbereitschaft gesunken.

 

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) in konstanten Preisen (Basis 2005) liegt nach wie vor rund 5% unter dem Niveau von 2007, kurz vor der globalen Krise. Die staatliche Neuverschuldung überschritt 2014 die in der Euro-Zone verbindliche Grenze von 3% des BIP, dürfte laut dem Finanzministerium 2015 auf 3,4% ansteigen und erst 2018 wieder unter 3% zu liegen kommen. Und die Wachstumsprognose, die das finnische Finanzministerium unlängst veröffentlicht hat, ist wenig erbaulich. Für das laufende Jahr wurde sie gerade von 1% auf 0,5% korrigiert, und auch mittelfristig sieht sie mit jährlich 1% bis 2019 sowie 1,5% danach nicht berauschend aus.

Ein wichtiger Faktor für den Krebsgang der finnischen Ökonomie ist der deutliche Einbruch bei den Exporten. Für den Januar vermeldeten die Statistiker einen Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahr. Finnlands Problem mit dem Export liegt vor allem auch darin, dass zwei seiner früher tragenden Säulen, der Netzwerkausrüster und einst dominante Mobiltelefonhersteller Nokia sowie die Forstindustrie, einen großen Strukturwandel durchmachen. Als komplizierendes Element kamen die Wirtschaftssanktionen der EU gegenüber Russland und die Retorsionsmaßnahmen Moskaus hinzu. Letztere trafen die finnische Milchwirtschaft empfindlich, deren Ausfuhren zuvor zu einem substanziellen Teil nach Russland gegangen waren.

Vor diesen Hintergrund ist die Debatte um die Nato-Mitgliedschaft zu sehen. Im Wahlkampf war ein möglicher Nato-Betritt des Landes ein wichtiges Thema. Der abgewählte Premier Stubb befürwortet diesen, allerdings hat die (anfängliche) Sechs-Parteien-Koalition seiner Regierung eine solche Mitgliedschaft bei Amtsantritt ausgeschlossen. Ein Fehler, sagt Stubb heute und nennt drei Schritte zum finnischen Beitritt: Erstens dürfe ihn die kommende Regierung nicht mehr ausschließen, zweitens sollen Für und Wider gründlich analysiert werden, drittens müsse sich die Bevölkerung dahinter stellen.

Ein Problem für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Finnlands resultiert auch aus dem relativ hohen Lohniveau und gleichzeitig sinkender Produktivität. Auf dem Höhepunkt des »Nokia-Booms« handelten die Gewerkschaften der Hightech-Industrie 2007 substanzielle Lohnerhöhungen aus; andere Sektoren der Privatwirtschaft sowie die öffentlichen Dienste zogen nach. Just als die globale Krise einsetzte, machten Finnlands Lohnstückkosten innerhalb von zwei Jahren einen Sprung um 15% nach oben. Seither haben sie weiter zugelegt und sich sowohl von den Vergleichswerten des Durchschnitts der Euro-Zone wie auch Großbritanniens und der USA weiter entfernt.

Der Effekt der ökonomischen Dauerkrise: Die Arbeitslosigkeit hält sich hartnäckig im Bereich von 7,5% bis 9% und weist seit 2012 wieder eine steigende Tendenz auf. Sie liegt derzeit bei 9,2% – die höchste Rate seit 2003.

Die Wirtschaft lahmt, die Anpassungslasten werden auf die Lohnabhängigen abgewälzt. Eine Konsequenz ist, dass in Finnland die soziale Ungleichheit deutlich zugenommen hat. So liegt der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit misst, für Finnland im europäischen Vergleich zwar immer noch immer unteren Bereich, hat aber in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen – verstärkt auch durch den Abbau sozialstaatlicher Leistungen.

 

Die verschärfte soziale Polarisierung zeigt sich auch in einer deutlichen Zunahme der Armut. So lebten in Finnland 2013 690.000 BürgerInnen unter der Armutsgrenze (60% des Medianeinkommens). Das waren immerhin 12,9% der Bevölkerung. 300.000 mussten sogar mit weniger als 50% des Medianeinkommens auskommen.

Für die nun anstehenden Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition hat der designierte Ministerpräsident Sipilä schon einmal die Rahmenbedingungen vorgegeben. Einen Spielraum für Steuersenkungen, staatliche Konjunkturprogramme oder höhere Sozialleistungen sieht er nicht – auch wenn die Finanzen das grundsätzlich zuließen. Denn Finnlands Haushaltsführung achtete auch in den guten Jahren vor 2008 weniger auf zukunftsorientierte Strukturpolitik, sondern auf einen möglichst ausgeglichenen Haushalt, die Schuldenquote liegt nur bei rund 60% des BIP. Allerdings lag das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr mit 3,4% erstmals seit dem Beitritt zur EU 1996 jenseits der Stabilitätskriterien von Maastricht.

Auf diesem Weg, hat Sipilä angekündigt, werde Finnland unter seiner Ägide nicht weitergehen. Es werde zehn Jahre dauern, um die Wirtschaft des Landes nach drei Jahren Rezession und Stagnation mit einer Mixtur aus »Kürzungen, Reformen und Wachstum« wieder in Schwung zu bringen. Sipilä will u.a. hunderttausende Stellen im öffentlichen Dienst streichen, vor allem indem er frei werdende Stellen nicht neu besetzt werden. Im Gegenzug sollen 200.000 Jobs in der Privatwirtschaft entstehen, u.a. durch steuerliche Förderung. Auch eine Reform der Arbeitslosenunterstützung steht auf Sipiläs Agenda.

Immerhin sehen wir hier auch eine Ausrichtung auf Wachstum und nicht nur auf Kürzungen bei den öffentlichen Finanzen. Das finnische Wirtschaftswachstum hat sich nach dem Niedergang von Nokia nie richtig erholt, die Arbeitslosigkeit ist für skandinavische hoch. Weitere Kürzungen kosten weitere Jobs. Eine zukunftsorientierte Strukturpolitik ist nicht angedacht. Es besteht die Gefahr, dass die Finnen das Sparen bald ebenso satt haben wie die Krisenländer an der südlichen Peripherie.

Für dieses Programm braucht Sipilä Bündnispartner. Dabei schließt er prinzipiell nicht aus, auch die »Basisfinnen« zu beteiligen. Deshalb wird es, wie bei der Vorgängerregierung, sehr schwierig, die unterschiedlichen ökonomisch-sozialen Interessen in einem Regierungsprogramm unter einen Hut zu bringen. Mit einem moderaten neoliberalen Programm wird der Sanierungskurs nicht beinhart ausfallen, aber von einer Logik der sozialen Gerechtigkeit ist wenig zu sehen.

Misstrauen ist deshalb gegenüber dem künftigen Regierungskurs angesagt. Sipilä hat den früheren EU-Wirtschaftskommissar Oli Rehn, der sich in Brüssel den bezeichnenden Spitznamen »Mr. Austerity« erworben hat, mit in das Regierungsteam genommen, was darauf hindeutet, dass die »Unternehmerpartei« auch von einer längeren Wegstecke ausgeht. Der Druck der nationalistischen, rechtspopulistischen Partei wird dazu führen, dass Finnland weiterhin als europäische Reformkraft ausfällt und auch in Zukunft als Hardliner bei entsprechenden Verhandlungen auftritt.

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