Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Stephan Krüger
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

18. Mai 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

CDU: Weiterungen eines politischen Erdbebens

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren »Kronprinzen«, Norbert Röttgen, vom Kabinettstisch entfernt. Röttgen hatte nach der krachenden Wahlniederlage in NRW schon sein Amt als Vorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU zur Verfügung gestellt. Auf die vermittelnde Form, dass ein angeschlagener Politiker selbst um Entlassung ersucht, wurde verzichtet. Jetzt hat die CDU und offenkundig die Bundeskanzlerin ein unübersehbares politisches Brandmal.

Die CDU hat mit einem Stimmenanteil von 26,4% und dem Verlust von 630.000 Stimmen gegenüber 2010 bei den Landtagswahlen in NRW das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Gegenüber den Wahlen in 2005 summiert sich der Verlust sogar auf 1,6 Mio. WählerInnenstimmen – ein Debakel von historischem Ausmaß. Die Wählerwanderung zeigt, dass die Union dabei in alle Richtungen verloren hat: 190.000 Stimmen an die SPD, 150.000 Stimmen an die FDP und 130.000 Stimmen an das Lager der NichtwählerInnen. Addiert man die Stimmen für das bürgerliche Lager aus CDU und FPD sind gegenüber der Wahl von vor zwei Jahren 500.000 WählerInnen abgewandert.

Die drastischen Verluste in NRW reihen sich ein in eine Kette von Niederlagen seit der Bundestagswahl 2009. In etlichen Bundesländern wurden für die Unionsparteien historische Tiefstände registriert. Gleichzeitig hat auch die personelle Auszehrung des Führungspersonals (Abgänge von Rüttgers, Koch, von Beust etc.) historische Ausmaße erreicht. Dazu gehört der Verschleiß bei den Bundespräsidenten (Köhler demissioniert freiwillig und fluchtartig, Wulf tritt »in Schande« ab).

In einer ersten Reaktion suchte die Bundeskanzlerin eine Mitverantwortung an dem NRW-Debakel mit dem Hinweis, nicht sie habe zur Wahl gestanden, strikt von sich zu weisen. Der CDU Spitzenkandidat Röttgen, zugleich Minister für Umwelt und Energie, hatte allerdings am Ende des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen in einer Verzweiflungstat versucht, den Absturz der CDU abzuwenden, indem er die Wahl zu einer Abstimmung über die Europa-Politik der Bundeskanzlerin erklärte. Das Kalkül: Auf Bundesebene stellen sich die Unionsparteien – trotz fortgesetzter, teilweise schwerer Niederlagen auf Landesebene – als nach wie vor relativ stabiler Block dar, während es der Sozialdemokratie bislang nicht gelingt, aus dem 30%-Turm auszubrechen.

Röttgens Kalkül ist nicht aufgegangen, weil neben der Bildung – folgt man den Wahlforschern – die Sanierung der öffentlichen Finanzen (Schuldenbremse, Entlastung der Kommunen) zu den wahlentscheidenden Themen gehörte. Davon profitierte – neben der SPD – auch die FDP, die für das eindeutige Bekenntnis zu einer landesspezifischen Sparpolitik und den Verzicht auf ihre Steuersenkungsrhetorik einen Teil der WählerInnen des bürgerlichen Lagers gewinnen konnte. Die Union zeigte sich nicht in der Lage, zwischen dem neuen Outfit der neoliberalen Freidemokraten und dem Werben der Sozialdemokratie für einen Mix aus Sparen und Zukunftsorientierung eine regierungsfähige Lücke zu organisieren.

Der Grundkonflikt, wie eine Sanierung der öffentlichen Finanzen in Übereinstimmung mit den grundlegenden Aufgaben eines leidlich akzeptabel gestalteten Gemeinwesens zu kombinieren ist, wurde in NRW zugunsten von Rot-Grün entschieden. Die Koalitionsregierung hatte schon in den zurückliegenden Jahren die Nettokreditaufnahme zurückgefahren, gleichwohl Investitionen in dem Bildungsbereich und ein Entlastungsprogramm zugunsten der Kommunen durchgekämpft.

Sicherlich kann das Votum in NRW nicht als Verdikt über die schwarz-gelbe Finanz- und Europapolitik gedeutet werden. Es bringt aber gleichwohl auch eine sich verändernde gesellschaftliche Stimmungslage zum Ausdruck. Denn mit der Entwicklung in Griechenland und dem Wahlsieg der Sozialisten in Frankreich ist die Frage, wie die öffentlichen Finanzen saniert werden können ohne das Wachstum abzuwürgen, wieder stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt. Und das Votum in NRW zeigt, dass die harte Haltung der schwarz-gelben Bundesregierung in Sachen Sanierung der öffentliche Haushalte (»Es gibt keine Alternative«) im Volk durchaus strittig ist und andere Antworten gewünscht werden. Nicht umsonst spricht neuerdings auch die Bundeskanzlerin von notwendigen Wachstumsimpulsen.

Mit dem harschen Rauswurf von Röttgen, hat die Kanzlerin auf diese Situation reagiert. Offensichtlich fürchtete sie auch, dass der politisch angeschlagene Umweltminister nicht mehr über ausreichend Autorität verfügt, um die komplizierten Fragen der »Energiewende« mit dem Dauerstreit mit Unternehmerverbänden und Energiekonzernen zu bewältigen. Zudem hatte Röttgen mit seiner Initiative zur Kürzung der Solarförderung auch etliche CDU-Geführte Bundesländer vergräzt.

Nachdem Merkel zunächst noch offen gelassen hatte, ob der NRW-Spitzenkandidat Bundesumweltminister bleiben kann, hat sie sich dann doch entschieden, ein Zeichen zu setzen. Da Röttgen das nicht verstehen wollte, ist er gegangen worden. Allerdings handelte sich die Bundeskanzlerin mit diesem ruppigen Verfahren ein neues Problem ein, weil ihr damit sowohl innerparteilich wie auch in der Öffentlichkeit das Image der kalten Politikmacherin anheftet.

Die Entscheidung Merkels hat sicherlich auch mit dem Bemühen zu tun, die innerkoalitionären Streitigkeiten klein zu halten. Der öffentliche und wohl kalkulierte Wutausbruch der CSU-Vorsitzenden Seehofer in Sachen Röttgen hatte ja wohl den Doppelsinn, einerseits Röttgen zum Hauptverantwortlichen für die Niederlage zu machen, andererseits die Lösung von strittigen Themen zu fordern (»Wir können nicht so weitermachen als wäre nichts passiert.«). Dazu gehören u.a. das auch unionsintern seit Monaten sehr strittige Elterngeld oder die von der CDU geforderte sog. Lohnuntergrenze für Bereiche, in denen es keine Tarifverträge gibt. Hier wird eine durch das relativ gute Abschneiden in Schleswig Holstein und NRW reanimierte neoliberale FDP wohl kaum klein beigeben.

Für den Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestags, Bosbach (CDU), waren die Fehler Röttgens »nicht allein ausschlaggebend« für die Wahlniederlage der CDU. Er kritisiert, Röttgen sei »binnen weniger Stunden vom strahlenden Hoffnungsträger der Union zum Alleinverantwortlichen für die verheerende Niederlage in Nordrhein-Westfalen erklärt worden.« Er fordert deshalb, dass »nüchtern und gründlich« über alle Ursachen des Wahldebakels an Rhein und Ruhr gesprochen werden müsse. Schließlich habe die CDU »allein in NRW 100.000 Wähler an die Nichtwähler verloren«. Diesem Anliegen Bosbachs wird vermutlich nicht Rechnung getragen werden, weil es seit Jahren schon keine offene Debatte über die strategische Ausrichtung der Unionsparteien mehr gibt. Stattdessen sollen nun in einem »Krisengipfel« der Koalitionsparteien Kompromisslinien über anhängige Streitthemen ausgelotet werden.

Noch profitieren die Kanzlerin und CDU/CSU von den relativ günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen (Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarkt). Die weitere Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise und eine Abschwächung der Konjunktur werden allerdings die Zweifel an der Krisenbewältigungskomptenz auch der Kanzlerin wachsen lassen. Dann wird auch deutlicher zutage treten, dass die Unionsparteien über kein auf soziale Inklusion gerichtetes Zukunftsprojekt für Deutschland und Europa verfügen.

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