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4. Dezember 2012 Bernhard Sander: Streit in Frankreichs UMP

Chaostage bei den Konservativen

François Fillon (l.) und Jean-François Copé

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um den Erhalt des Stahlstandorts Florange pokerte der französische Industrieminister Arnaud Montebourg mit der Forderung nach Nationalisierung des Werkes, das der indische Milliardär Lakshmi Mittal, Chef und Großaktionär von Arcelor-Mittal, schließen will. Von Seiten der bürgerlichen Opposition, die UMP eingeschlossen, war nur die zweite Reihe zu hören. Auch die Herabstufung Frankreichs in den Ratings blieb ohne Kommentar.

Die UMP ist seit der verlorenen Präsidentschafts- und Parlamentswahl mit sich selbst beschäftigt und zerlegt sich selbst. Hinter dem Streit zwischen den beiden Aspiranten um den Parteivorsitz, François Fillon und Jean-François Copé, verbirgt sich nicht allein die Thronfolge als Präsidentschaftskandidat, sondern vor allem um das aussichtreichste Konzept zur Einbindung von Teilen der Wählerschaft des rechtspopulistischen Front National. Deren Abgeordnete Marion Marechal Le Pen (eine Enkelin von Jean-Marie Le Pen) meldet frohgemut 600 Neueintritte täglich.

Traditionell ist das französische Parteileben volatiler und auch die UMP – die »Partei für die Mehrheit des Volkes«, ursprünglich »Partei für die Mehrheit des Präsidenten« – stammt aus einer Fusion von gaullistischer RPR und liberaler UDF. Als gut geölter Profi-Apparat überwand sie die paternalistische Honoratioren-Gestalt und wurde die Wahlkampfmaschine, mit der Sarkozy Mitbewerber aus dem Weg boxte und zum Staatspräsidenten wurde.

Doch die Vision Sarkozys einer Koalition der Leistungswilligen und vermeintlichen Leistungsträger, zu denen per se gehörte, wer es in Sport, Showbizz, Dotcom- und Finanzindustrie nach ganz oben geschafft hatte, ließ sich 2012 nicht erneuern. Auch nicht um den Preis einer radikalisierten Ausgrenzung von ethnischen Minderheiten, Obdachlosen und anderen »asozialen« Sozialstaatsschnorrern. Vielmehr wurde die Abgrenzung zum modernen Rechtspopulismus immer poröser, der die französische Lebensart, die Zivilisation, durch die europäischen Freizügigkeitsnormen gefährdet sieht, die den islamischen Moralvorstellungen und ausländischer Konkurrenzproduktion vorgeblich Tür und Tor öffnen.

Je stärker die Weltfinanzkrise nach 2008 die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie und die Vermögensansprüche kapitalbasierter Lebensführung (Studienkredite, Immobilienbesitz, Altersvorsorge) untergräbt, desto mehr radikalisieren sich die Gemüter des modernen Mittelstandes. Allerdings wird nicht die Privilegierung der obersten 10% der Eigentümergesellschaft in Frage gestellt, sondern die Ansprüche derer, die sich wie »Bleigewichte« am Boot festklammern, in dem man vorgeblich doch gemeinsam sitzt.

Die UMP hat keine Idee, wie sie auf diese Herausforderung reagieren soll. Es fehlt an einem tragfähigen, flügelübergreifenden Konzept, sodass die persönlichen Interessen und Ambitionen sich verselbständigen. Schon unmittelbar nach den verlorenen Präsidentschaftswahlen hatte sich eine neue Liberale Partei um den ehemaligen Minister Jean-Louis Borloo und einige andere Kabinettsmitglieder gebildet.

Hinzukommt, dass sich die Partei vom Alltagsbewusstsein abgesondert hat. Die Parlamentswahlen hatten eigentlich gezeigt, dass die Anhängerschaft eher den Kandidaten mit zivilgesellschaftlichen Idealen den Vorzug gab, während die »harte Rechte« auch in den Stichwahlen gegenüber der Linken durch das Fernbleiben der eigenen Leute den kürzeren zogen. Im Apparat hat freilich die harte Rechte eine Mehrheit. Umfragen über die Sympathien zeigten bei den potenziellen Anhängern sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den ehemaligen Ministerpräsidenten Fillon. So geriet die Mitgliederbefragung zu einem Desaster, das das Bild einer gespaltenen Partei offenbart.

In der Urwahl verpflichtete der Generalsekretär Copé offensichtlich die Hauptamtlichen, ihre Energie, die Kasse und die Mailinglisten der Organisation zu seinen Gunsten einzusetzen. Nach mehrmaligem Zählen, Beleidigungen aller Art und vergeblichen Vermittlungsversuchen historischer Führer der Partei erklärt sich mal der eine, mal der andere zum Sieger. Das ganze Theater erschüttert die Glaubwürdigkeit nicht nur der UMP, sondern der traditionellen Parteienlandschaft.

Die Strategie Marine Le Pens scheint damit aufzugehen. Im Wettstreit um Unterscheidungsgewinne haben sich Copé und Fillon letztlich eine Redeschlacht um die Topoi der Rechtspopulisten (das Recht von Homosexuellen auf Heirat und Kinderadoption, das kommunale Wahlrecht von Ausländern, schädliche Wirkung der 35-Std.-Woche) geliefert, an deren Ende das Original glaubwürdiger erscheint als die Kopien. Copé, der ebenso wie Sarkozy einen Migrationshintergrund hat, trat in der Pose des Retters der Witwen und Waisen dafür ein, dass alle Kinder auch im Ramadan das Recht auf ein Schokocroissant hätten. Denn er sei ein »Rechter ohne Komplexe«.

Das Ganze gipfelte in einer tagelangen Pressepolemik über Copés Behauptung, es gäbe in bestimmten Vorortvierteln »eine alltägliche „Diskriminierung von Franzosen weißer Hautfarbe«. Fillon hingegen inszenierte sich als integrativ, besonnen und ehrlich: »Ich habe keine gespaltene Zunge, eine für die Mitglieder und eine für die Franzosen.«

Dahinter lauert die Problematik, dass die UMP in den Kommunalwahlen des nächsten Jahres nur mit Stimmen und eventuell durch offizielle Bündnisse mit der Nationalen Front ihre Serie von Niederlagen auf dieser Ebene wird brechen können, denn die beiden Wahlgänge werden nach dem Mehrheitswahlrecht entschieden. »Die Franzosen werden sich dieser Tage klar, dass wir die einzige Opposition sind«, trumpfte die Abgeordnete Le Pen angesichts der »ideologischen Spaltung« auf.

Der Streit sucht die Partei auch in finanzieller Hinsicht existenziell heim, da mit der Abspaltung eines Teils der Fraktion wesentliche Gelder fehlen. Jedem der 69 Abgeordneten der Gruppe um Fillon – die Fraktion zählt 194 Mandate – stehen 41.000 Euro zu und jeder Abgeordnete muss erklären, welcher Formation diese Summe zusteht. Eine Gruppe von etwa 50 Abgeordneten um ehemalige Kabinettsmitglieder, die sich bereits vor der Urwahl für neutral erklärt hatten, rief zur Einheit und zur Auflösung der Spalter-Fraktion auf.

Die Situation ist völlig verfahren, neue irre Wendungen jederzeit möglich – und daher verstärken sich die Bemühungen, den gescheiterten Staatspräsidenten zurück ins Spiel zu holen – als Vermittler, als neuen Player? Der Rückzug des Charismatikers wird als schmerzhaft empfunden, doch kann er noch einmal die Möglichkeiten einer sozial-ökonomischen Situation mit den Hoffnungen und Ängsten vertikal durch alle Klassen und Schichten bündeln? Copés Rechtsauslegertum war dazu ebenso wenig imstande wie das »Weiter so« des ehemaligen Sachwalters an der Regierung, Fillon.

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