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Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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29. Juli 2016 Joachim Bischoff: Hillary Clinton als Kandidatin der Demokraten nominiert

Clinton gegen Trump – Establishment gegen Rechtspopulismus

»Wir sehen mit klarem Blick, was auf unser Land zukommt ... Aber wir haben keine Angst. Wir werden mit der Herausforderung wachsen, so wie wir es stets getan haben.« Hillary Clinton hat die historische Nominierung als erste Präsidentschaftskandidatin einer großen amerikanischen Partei akzeptiert und in der abschließenden Rede des Wahlkonvents ihre zentralen Themen des Wahlkampfes gegen den Republikaner Trump sowie für die angestrebte Regierungsperiode dargestellt.

Im Mittelpunkt soll die Zielsetzung stehen, jenen US-Bürgern wieder zu Arbeit und Zukunftsperspektiven zu verhelfen, die von den strukturellen Umwälzungen der Wirtschaft besonders benachteiligt  worden seien. Die Demokraten – so ihre These – seien schließlich die Partei der Werktätigen. Damit wird die Frage nach der Verbesserung der Lebensverhältnisse der unteren und mittleren sozialen Schichten zum Kern der politischen Auseinandersetzung.

Die Selbstinszenierung als Kandidatin der unteren Mittelschicht folgt einem klaren Kalkül. Die wirtschaftliche Lage hat sich seit der Krise von 2008 dauerhaft an der Spitze der Themen festgesetzt, die das Land bewegt. Der Wahlkampf von 2016 wird von dem gewonnen werden, der es schafft, die Existenzängste der WählerInnenmehrheit aufzugreifen und positive Veränderungen für sie als machbar darzustellen.

Hillary Clinton sehen allerdings viele WählerInnen als Mitglied jenes politischen Establishment, das für die Zuspitzung der sozialen Ungleichheit und damit den Niedergang der Vereinigten Staaten verantwortlich ist. Kann die Kandidatin der Demokraten dieses Handicap überbrücken?

Mit Franklin D. Roosevelts Satz, dass man nichts so sehr zu fürchten habe wie die Furcht selbst, stellt Clinton sich gegen den Geist von Trumps politischem Credo. »Trump möchte uns spalten und uns vom Rest der Welt trennen. Aber wir werden keine Mauer aufbauen. Wir werden eine Wirtschaft aufbauen, die es jedem ermöglicht, einen guten Job zu bekommen. Wir werden das zusammen hinbekommen.«

Die Attacken auf Trumps unseriöses Agieren, seine Egozentrik und seine harte Abgrenzung gegenüber dem politischen Establishment können eines nicht übertönen: Trump hat sich im Vorwahlkampf politisch durchgesetzt und er bestimmt Inhalt und Ton der Wahlkampagne. Er zwingt die Republikaner, sich verstärkt jener wütenden weißen Mittelschicht zuzuwenden, die mit dem Aufstieg spanischsprechender Einwanderer die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg verbindet.

Sein Idealbild Amerikas ist das der 1950er Jahre, als mangels globaler Konkurrenz die Wirtschaft florierte. Er will Amerika wieder stark machen. Trump ist kein Tea-Party-Anhänger, er ist ein rechtspopulistischer  Demagoge. Der Wahlkampf wird hart und schmutzig werden. Und es wird keinen Erdrutschsieg zugunsten der Kandidatin des Main-Street-America und seiner politischen Elite geben. Warum?

Die Mittelschicht ist in den USA in fast allen großen Städten und Metropolregionen im sozialen Status gebeutelt, was den Präsidentschaftswahlkampf beherrschen wird. Bekanntlich werden die Wahlen in der Mitte der Gesellschaft entschieden. In einer Erhebung vor einigen Monaten hatte das Washingtoner Pew-Institut festgestellt, dass die Mittelschicht in den USA erstmals seit 1971 nicht mehr die Mehrheit der Gesellschaft bildet. Sie lag 2014 bei 49,9%. Als Gründe gelten stagnierende Löhne, steigende Kosten und eine gravierende Zunahme reicher Haushalte.

In den Jahren 2000 bis 2014 zeigt sich nach einer Erhebung des Instituts für neun von zehn untersuchten Regionen dieser Niedergang der »Mitte«. Die Studie definiert »Mittelschicht« als Haushalte, die bei der Hälfte bis zwei Dritteln über dem mittleren landesweiten Einkommen liegen. Das umfasst die weite Spanne von 42.000 bis 125.000 US-Dollar pro Jahr (37.000 bis 110.000 Euro).

In einer Reihe von Regionen (das Pew untersuchte insgesamt 229) nahm die Mittelschicht ab, während gleichzeitig Ober- und Unterschicht wuchsen. In anderen Gegenden nahm nur die Oberschicht zu, in anderen nur die untere. Die Langzeiterhebung gilt als ein Beleg dafür, dass sich das Auseinanderdriften der amerikanischen Gesellschaft erheblich verschärft hat.

»Die weitreichende Erosion der Mittelschicht geschieht vor dem Hintergrund einer Abnahme der Haushaltseinkommen in den meisten Metropolregionen der USA«. Landesweit seien die mittleren Einkommen (Median) 8% unter dem Wert von 1999 gelegen – laut Pew-Studie »eine Erinnerung daran, dass die Wirtschaft sich nach wie vor von den Auswirkungen der großen Rezession 2007–2009 erholen muss.« Kritiker der Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Barack Obama  argumentieren, dass trotz Wachstums und nach außen stabiler Arbeitsmarktzahlen insgesamt bei zu vielen Bürgern zu wenig positive Effekte ankämen.

»Mittelschicht«, so Rakesh Kochhar (Mitarbeiter bei Pew), »ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit mittlerem Einkommen.« Vielmehr habe der Begriff etwas mit dem Selbstverständnis der Bevölkerungsmehrheit zu tun. Es beinhaltet einen bestimmten Zugang zu Konsumgütern, Krankenversicherung, Zugang zu Bildung, vor allem aber ein gewisses Maß an Absicherung. Ohne Absicherung »gibt es keine Mittelschicht«.

Diese Absicherung und somit die Identität der amerikanischen Mittelschicht ist bedroht. Die Einkommensunsicherheit ist in den vergangenen 40 Jahren massiv gestiegen. Der Glaube an den amerikanischen Traum ist dementsprechend angeschlagen.

Amerikas Bevölkerungsmehrheit hat Angst und daran hat auch der Aufschwung der vergangenen zwei bis drei Jahre nichts geändert. Nicht umsonst hat es Barack Obama bei seiner Rede zur Lage der Nation als die große Aufgabe der Zeit bezeichnet, die Teilhabe von ganz Amerika an der wirtschaftlichen Erholung zu sichern.

Hillary Clinton hat mit ihrem Wahlkampfmotto lediglich diesen Stab von ihrem ehemaligen Chef aufgenommen. Die Antwort, wie diese strukturelle Benachteiligung überwunden werden soll, bleibt vage. Trumps Botschaft dagegen lautet: Übergang zu einer protektionistischen Politik und Ausgrenzung der MigrantInnen.

Fakt ist: Vor allem die »Party of the People« hat seit Jahrzehnten ihre liberalen Ideale verraten. Sie vertritt nicht mehr den »little man«, sie ist eben nicht mehr – wie Hillary Clinton behauptet – die Partei der großen Mehrheit der Arbeitnehmer. Jimmy Carter, Bill Clinton, Barack Obama und nicht zuletzt Hillary Clinton haben alles getan, um die Demokraten zur Partei der neuen Managerklasse und der Technologie-Eliten zu machen. Kein Wunder, dass vor allem die vernachlässigten weißen Unter- und Mittelschichten abwandern.

Der Autor Thomas Frank hat diese Abwanderung zum konservativen Amerika untersucht. In  seinem Buch »What's the matter with Kansas« beleuchtet er, wieso die weiße Unterschicht die Republikaner wählt, obwohl diese den Staat zusammenkürzen.[1] Seine These:[2] Für die Demokraten ist Bildung die Lösung aller Probleme. Umverteilung ist unnötig, weil theoretisch jeder studieren kann. Die Ideologie ist so wunderbar, weil sie diesen Eliten alles erklärt: Sie sind so wohlhabend, weil sie die besten Hochschulen besucht haben. Wenn die Arbeitnehmer etwas vom Reichtum abhaben wollen, dann sagen sie: Wärt ihr mal aufs College gegangen. Wenn sie das getan haben, heißt es: Ihr habt das falsche Fach studiert.

Die in ihrem sozialen Status bedrohten Bürger haben gute Gründe, wütend zu sein. Die große Mehrheit hat sich von der Wirtschaftskrise nicht erholt, das Einkommen der Durchschnittsfamilie liegt unter dem Niveau von 2007. Die Bürger spüren, dass der Wohlstand nicht zurückkommt, weil sich etwas Strukturelles ändert: Die Mittelklasse schrumpft. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich ist das größte Problem der USA, und sie wird durch moderne Technologien noch schlimmer. Das erschüttert die Identität als Amerikaner. Sie wissen, dass Großkonzerne Milliardengewinne einfahren, aber ihnen hilft niemand.

Auch Hillary Clinton – so die Vermutung und Befürchtung vieler WählerInnen – wird nichts Grundlegendes ändern. Also wird die soziale Ungleichheit noch mehr zunehmen, alles wird ein bisschen schlimmer, und in vier Jahren sind die Leute noch wütender. Clinton ist fraglos qualifiziert und vielleicht wird sie eine großartige Präsidentin. Aber sie glaubt eben, dass alles durch Bildung zu lösen ist und eine Umverteilung nicht nötig ist.

Nicht nur Europa wird seit einiger Zeit rechtspopulistisch aufgemischt. Auch in den USA will der Rechtspopulist Trump die Verhältnisse umstürzen. Die Republikaner haben einen exzentrischen Milliardär als Präsidentschaftskandidaten aktzeptiert, dem noch letztes Jahr wenige auch nur die geringste Chance gegeben hätten. Seine Nomination ist faktisch eine Kapitulation des traditionellen republikanischen Partei-Establishments. Auch wenn er knapp von Hillary Clinton geschlagen werden sollte: Der rechtspopulistische Angriff wird tiefe Strukturveränderungen nicht nur in der republikanischen Partei hinterlassen.

Hillary Clinton ist gegen eine linke Protestbewegung unter Bernie Sanders nominiert worden. Nicht nur bei den Anhängern von Sanders sind kaum überzeugende Argumente für eine Präsidentin Clinton festzustellen. Es sind allein die Alpträume einer möglichen Trump-Präsidentschaft, die die Demokraten zur Verständigung auf das Mitglied des politischen Establishments, die frühere First Lady und Außenministerin, bewegt haben. Die Überzeugungen vieler Parteiaktivisten stehen deutlich weiter links. Hillary Clinton mag knapp den anstehenden Wahlmarathon für sich entscheiden, die unterliegenden Probleme wären damit nicht gelöst.

[1] »In seinem Buch ... beobachtet Thomas Frank, wie die Mittellosen [in Kansas], diesem Staat im Herzen der USA mit Bedrohungen wie Arbeitslosigkeit, mangelnder Krankenversicherung und wachsender privater Verschuldung umgehen. Abtreibungen oder Homo-Ehen zu verhindern, scheint irgendeine Art von Lösung darzustellen; wirtschaftliche Fragen werden in kulturelle übersetzt. Wie die pensionierten Gewerkschaftsfunktionäre im Fanelli's, die sich nach der New Yorker Arbeiterklassenpolitik im Gefolge der Weltwirtschaftskrise sehnen, greift Frank zur Kategorie des ›falschen Bewusstseins‹, um die aktuellen Entwicklungen zu erklären.« Richard Sennet: Wie den Amerikanern das eigene Land unheimlich wird. Droht den USA ein sanfter Faschismus? in: Tagesspiegel vom 2.11.2004.
[2] Siehe auch Thomas Frank: Listen, Liberal – Or, What Happened to the Party of the People? Henry Holt/Metropolitan Books, New York 2016.

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