Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

8. April 2016 Otto König / Richard Detje: Historischer Besuch in Havanna?

»Con todos y para el bien de todos«

Im Gran Teatro de La Habana richtete Barack Obama an das kubanische Volk die Aufforderung, »die Vergangenheit zu vergessen« und in die Zukunft zu blicken. Es ist der gleiche Ort, an dem Calvin Coolidge, der bis dahin letzte US-Präsident, der Kuba besuchte, 1928 formulierte: »Heute ist Kuba souverän, sein Volk ist unabhängig, frei, glücklich, friedlich und erfreut sich einer eigenen Regierung«. Diese Souveränität sollte jedoch erst vier Jahrzehnte später eintreten.

Nachdem die kubanischen Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien 1898 von den USA ihres Sieges beraubt worden waren, stand die Insel unter US-Militärbesatzung, bis sie wenige Jahre später 1902 formell unabhängig wurde. Durch einen Zusatzartikel in der Verfassung sicherte sich Washington jedoch das Recht, jederzeit auf der Insel intervenieren zu dürfen – was in den folgenden sechs Jahrzehnten mehrfach geschah.

Am 1. Januar 1959 stürzten die kubanischen Revolutionäre den Diktator und US-Verbündeten Fulgencio Batista. Dass Fidel Castro in seiner ersten Rede sagte, er werde »das Werk der Mambises[1] erfüllen«, brachte zum Ausdruck, dass sich die Revolutionäre als Erben der Führer der Unabhängigkeit wie José Martí sahen, der den Aufstand gegen die Kolonialisten mit dem Anspruch führte: »Con todos y para el bien de todos« – »Mit allen für das Wohl aller«.

»Historisch« nannte Obama seine Visite in das sozialistische Kuba, eine wichtige Etappe auf dem dornenreichen Weg hin zu einer »Normalisierung« der Beziehungen zwischen zwei Regierungen mit antagonistischen Sichtweisen in grundlegenden Aspekten der Politik, Wirtschaft, Kultur und internationalen Beziehungen. Der US-Präsident streckt seine Hand im letzten Jahr seiner Amtszeit jedoch nicht ohne Eigennutz aus. Es war auch eine Reise für die Geschichtsbücher.

Es ist gerade einmal 15 Monate her, dass das politische Packeis zwischen den USA und Kuba zu schmelzen begann: Zeitgleich kündigten der kubanische Präsident Raúl Castro und Barack Obama die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen an. Die bisherige Politik Washingtons gegenüber Havanna habe nicht funktioniert – einschließlich der Mordpläne gegen Fidel Castro und der Invasion in der Schweinebuch – und müsse daher verändert werden, lautete die Begründung aus dem White House. Selbst das Wirtschaftsembargo mit dem Ziel, die kubanische Wirtschaft abzuwürgen, war gescheitert.

Obama präsentierte sich in Havanna als Vertreter des Amerika der Einwanderer, der Sklaven und ihrer Nachkommen. Er betonte mehrfach, dass er 1961 als Sohn eines Migranten aus Afrika vier Monate nach der gescheiterten Invasion der CIA-Söldner in der kubanischen Schweinebucht geboren wurde und wies darauf hin, dass Kuba wie die USA sich auf »ein Erbe von Sklaven und Sklavenhaltern« gründe. Fidel Castro merkte später in Granma (27.3.2016) kritisch an, dass »die ursprünglichen Einwohner« in seinem Denken nicht existieren und er kein Wort darüber verloren habe, dass »die rassische Diskriminierung von der Revolution beseitigt wurde«.

Es steht außer Zweifel: Der begonnene Dialog und der künftige Abschluss von Vereinbarungen ist trotz politischer Risiken für die sozialistische Regierung ein Fortschritt gegenüber dem Zustand eines nicht erklärten Krieges. Der »Wandel durch Annäherung statt durch Härte« ist eindeutig eine Kurskorrektur der US-Außenpolitik. Zu Recht wird dies auf Kuba als Sieg des widerständigen Volkes interpretiert. Doch der Kurswechsel ist noch lange keine Abkehr von der Politik des »Regime-Change« durch Förderung einer internen Opposition[2] und ökonomische Transformation.

In der vom kubanischen Staatsfernsehen aus dem Gran Teatro übertragenen Rede Obamas kam das Wort Wandel mindestens ein Dutzend Mal vor. Die Botschaft an die elf Millionen Kubaner lautete: »Kuba hat ein Einparteiensystem, die Vereinigten Staaten haben eine Mehrparteiendemokratie; Kuba hat ein sozialistisches Wirtschaftsmodell, die Vereinigten Staaten einen freien Markt; Kuba betont die Rolle und die Rechte des Staates, die Vereinigten Staaten gründen sich auf den Rechten des Individuum« (Amerika 21, 24.3.2016). Ganz im Sinne der herrschenden Eliten wurde der »real existierende« Kapitalismus als alternativlos dargestellt, dessen Überwindung nur in Sackgassen münden könne.

Gezeichnet wird ein Zerrbild, das die Veränderungsprozesse auf der Insel ignoriert. Denn spätestens seit dem Ende der Systemkonfrontation 1989/90 und der tiefen Krise, die dadurch in Kuba losgetreten wurde, wird mit Wirtschaftsreformen experimentiert. Und seit 2006, als Raúl Castro die Präsidentschaft übernahm, sind verschiedene Reformansätze ausgebaut worden.

So hat sich der Staat vor allem aus Teilbereichen des Dienstleistungssektors wie der kleinbetrieblichen Gastronomie zurückgezogen. Verstärkt durch eine entsprechende Gesetzgebung seit 2010 gibt es mittlerweile rd. 480.000 Selbständige (sogenannte Arbeit auf eigene Rechnung), ein Zehntel der Erwerbsbevölkerung. Private Betriebe dürfen bis zur Hälfte ihrer Gewinne behalten und haben das Recht, in Grenzen eigene Lohnstrukturen auszuhandeln.

2014 kam das Investitionsgesetz mit der Erleichterung – gleichwohl regulierter – ausländischer Investitionen hinzu. Staatsunternehmen garantieren nicht mehr alle Jobs und unrentable Betriebe, sofern nicht unverzichtbar, werden z.T. geschlossen. Auch in der staatlichen Administration entfallen Jobs im Kampf gegen »bürokratische Barrieren«. Die Verpachtung von Staatsland an Kleinbauern wurde sukzessive ausgeweitet; 2011 kam eine Teilliberalisierung des Immobilienmarktes an die auf der Insel lebende Bevölkerung hinzu.

Gleichwohl sind die Probleme der Wirtschaftsreform massiv. So das der hochgradig subventionierten Grundnahrungsmittel, eine – so Raúl Castro – »inakzeptable Belastung der Wirtschaft, die die Menschen vom Arbeiten abhält.« Hier Änderungen herbeizuführen, ohne die Inflation auf dem gesamten Markt anzuheizen, ist ein umkämpftes Programm. Auch Bemühungen der Regierung zur Steigerung von Exporten laufen nur schleppend; der Überschuss in der Zahlungsbilanz geht vor allem auf den Tourismus und den Export medizinischer Dienstleistungen (nicht nur nach Venezuela, auch nach Brasilien) zurück, neben den Geldüberweisungen von Familienangehörigen aus dem Ausland.

Hingegen: Über die Hälfte der Zuckerfabriken wurde stillgelegt. Auch eines der größten Probleme bleibt bestehen: die monetäre Zweiteilung zwischen kubanischem Peso und dem an den US-$ gekoppelten konvertiblen Peso – auch dies ein Terrain für massive Inflationsgefahren und Verteilungskämpfe. Probleme sozialistischer Wirtschaftspolitik also zuhauf.[3]

Die Regierung der USA kritisiere »die zivilen und politischen Rechte« in Kuba, während sie den »höheren Standard der Kubaner in der allgemeinen Wohnsituation, Gesundheitswesen, Bildung, garantiertem Mutterschutz und gleichen Lohnsätzen« ignoriere, schreibt Marjorie Cohn, Professorin an der Thomas Jefferson-Juridischen Fakultät, auf ihrer Facebook-Seite (18.3.2016). Deshalb weigern sich die USA, dem »International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights« (ICESCR) beizutreten. Denn wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte werden als gleichbedeutend mit Wohlfahrtsstaat oder Sozialismus abgelehnt.

»Kuba hat Obama mit Respekt empfangen und zugehört… Freundlichkeit sollte jedoch nicht mit Naivität verwechselt werden«, kommentierte der kubanische Autor Iroel Sánchez den Staatsbesuch. Denn nach wie vor sind die US-Blockadegesetze gegen Kuba – Trading with the Enemy Act (1963), Torricelli Act (1992) und Helms Burton Act (1996) – in Kraft. Die bisher von Washington ergriffenen Maßnahmen wie Lockerung von Reise- und Handelssanktionen sind nur darauf ausgerichtet, den Privatsektor zu stärken und nicht auf einen Austausch mit der kubanischen Wirtschaft insgesamt. Was den kubanischen Präsidenten Raúl Castro erneut veranlasste, die vollständige Aufhebung der wirtschafts- und handelspolitischen Blockade der USA einzufordern. Die jüngsten Schritte Washingtons seien »positiv, aber nicht ausreichend«.

Die Beendigung der US-Blockade werde weder »Ergebnis von Verhandlungen noch die Antwort auf Zugeständnisse« der kubanischen Regierung sein. »Die seit mehr als fünf Jahrzehnten verhängten Wirtschafts-, Finanz- und Handelssanktionen könnten nur einseitig, ohne Vorbedingungen von den USA aufgehoben werden«, erklärte der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez Rodríguez nach dem Besuch von Obama (Amerika 21, 31.3.2016).

Der Kampf für die Gestaltung der Zukunft Kubas wird künftig in den Händen der jungen Generation liegen, die anderen Herausforderungen gegenüber stehen wird als denen des 20. Jahrhunderts. Doch niemand sollte sich der Illusion hingeben, formulierte Fidel Castro in seinen Granma-Reflektionen, »dass das Volk dieses noblen und opferbereiten Landes auf den Ruhm und die Rechte und auf den geistigen Reichtum, den es mit der Entwicklung von Bildung, Wissenschaft und Kultur gewonnen hat, verzichten wird.«

[1] Die kubanischen Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg gegen die spanischen Kolonialherren nannten sich nach einem Schimpfwort der Spanier für Afrokubaner »Mambises«.
[2] Ende 2015 wurde das Budget für die Förderung eines Systemwechsels in Kuba im US-Haushalt von 20 auf 30 Mio. Dollar (26,9 Mio. Euro) erhöht. Für das jüngste Projekt zur Destabilisierung der Regierung in Havanna stellte Washington Anfang 2016 insgesamt 753.989 Dollar (knapp 675.000 Euro) bereit. Ziel des Programms: Aufbau und Ausbildung künftiger »Anführer der kubanischen Zivilgesellschaft«. Dazu sollen kubanische Staatsbürger im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, vorzugsweise Hochschulabsolventen oder mit abgeschlossener Berufsausbildung, rekrutiert werden (JW, 29.3.2015).
[3] Siehe hierzu auch Stephan Krüger: Wirtschaftspolitik und Sozialismus. Kritik der Politischen Ökonomie und Kapitalismusanalyse Bd. 3. Hamburg 2016.

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