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AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

13. September 2012 Bernhard Sander: Die Wahlergebnisse in den Niederlanden

Der Neoliberalismus verteidigt die Polder

12,7 Millionen niederländische Wahlberechtigte zwischen Venlo und der Karibik konnten am 12. September 2012 ein neues Parlament mit 150 Sitzen bestimmen (Überhangmandate oder eine prozentuale Hürde gibt es nicht).

Dramatisch ist die wirtschaftliche Lage der Niederlande vor allem für die eigentumslosen Schichten und gemessen am erreichten Niveau der Lebensqualität. Wenn die wirtschaftliche Gesamtlage rezessive Tendenzen zeigt, der Staatshaushalt also nicht mehr durch Steueraufkommen gedeckt werden kann und bei den Sozialausgaben gekürzt wird, dann sind politische Alternativen gefragt.

Die Sozialistische Partei der Niederlande wurde bis wenige Wochen vor der Wahl als die einzige Alternative zum herrschenden neoliberalen Diskurs gehandelt. Doch dann sackten die Sympathiewerte in den Umfragen um ein Drittel ab. Statt stärkster Partei ist sie nun mit den 15 Sitzen im Parlament vertreten, die sie auch schon vorher hatte. Das entspricht einem Stimmenanteil von knapp 10%.

Die sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PvdA) konnte mit einem ehemaligen Aktivisten von Greenpeace an der Spitze das »neue Vertrauen« zurückgewinnen, für das die Sozialistische Partei geworben hatte, und stieg entgegen den Prognosen von 30 auf 40 Sitze an.

Ähnlich wie in Frankreich gab es den Effekt der nützlichen Wahl: Da die SP eine Beteiligung an einer Minderheitsregierung ausgeschlossen hatte und zu befürchten stand, dass die möglichen Koalitionspartner (D 66, Grünlinks, PvdA) für eine Beteiligung unter einem Ministerpräsidenten aus den Reihen der »Post-Maoisten« von der SP nicht zur Verfügung stehen, haben viele Wählerinnen im Sinne ihrer Alltagsinteressen praktisch gedacht.

Die Sozialistische Partei war bis wenige Wochen vor der Wahl als stärkste Kraft in den Umfragen ausgewiesen worden. Die Frage der Regierungsbeteiligung und der Kompromissfähigkeit ist vermutlich nicht ausschlaggebend, obwohl die SP hier klar formulierte: »Sollten wir nach den Wahlen regieren, sind wir auch bereit Kompromisse zu schließen. Wir wollen kleine Schritte zu weniger Markt und zu mehr Demokratie. Wenn man den Kurs des Tankers nur um ein paar Grad ändert, kommt das Schiff in einem anderen Hafen an.« (van Raak, in: Frankfurter Rundschau vom 17.8.12)

Der Ansatz der SP hat sich gegen sie gekehrt. Während man bei den Sozialdemokraten um das »große Ganze« weiß, um das neoliberale Paradigma des Vorrangs der Finanzmärkte, der EU-Haushaltsdisziplin und die Unterordnung aller sozialen Belange unter die internationale Standortkonkurrenz, ist ein solcher Rahmen bei den Sozialisten eher nicht bekannt. Sie kämpfen für die konkreten dringlichsten Verbesserungen im Alltag bzw. um den Erhalt des Status quo: Der Spitzenkandidat »genießt großes Vertrauen, weil er die Probleme so löst, wie die Menschen das wollen«. (SP-Funktionär van Raak in FR 17.8.12)

Doch in welchem größeren Rahmen stehen die Forderungen bspw. nach einem Spitzensatz von 60% in der Einkommenssteuer, einem Infrastruktur-Investitionsprogramm und anderem? Die Sozialisten positionieren sich zwar nicht gegen die Europäische Union aber: »Wir lehnen den Fiskalpakt, den dauerhaften Rettungsschirm und die Bankenrettungen ab.« Diese auch in der deutschen LINKEN medial dominierenden Forderungen bieten den Teilen der niederländischen WählerInnen kaum eine Perspektive, die aufgrund ihrer (finanz-) wirtschaftlichen Bindungen diese ungeliebten Banken und institutionellen Anleger für durchaus systemrelevant halten.

Der Kampf um den Sozialstaat

Das noch von der Minderheitsregierung unter dem VVD-Ministerpräsidenten Rutte nach ihrem Sturz durchs Parlament gebrachte Kürzungskonzept von 12 Mrd. Euro sieht u.a. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21% vor, eine Umwandlung von Studienförderung in Kreditprogramme, die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge von 200 auf 360 Euro. Aber dieses haushaltspolitische Facelifting ist nichts im Vergleich zu den fundamentalen Strukturveränderungen, die das Land in den letzten 20 Jahren durchlaufen hat.

Das Rentensystem der Niederlande besteht heute aus einer staatlichen Grundrente und einem privaten Versicherungssystem, in das in den letzten Jahren enorme Beträge geflossen sind. Das Volumen der Finanzinvestitionen hat sich in den Jahren 1996 bis 2010 verdreifacht auf rd. 1,5 Bio. Euro angelegtes Kapital. Die Hälfte davon steckt in Pensionsfonds, deren Volumen im genannten Zeitraum von 295 Mrd. Euro auf 757 Mrd. Euro stieg, mit dem bemerkenswerten Einbruch 2008 (von 720 auf 622 Mrd. Euro) Ein wachsender Teil dieser Pensionsfonds steckte bis vor kurzem in Staatsanleihen (2008 rd. 40%, 2010 rd. 26%).

»Fast alle Niederländer werden dieser Tage mit der Globalisierung à la Goldman Sachs konfrontiert, denn ihre in Fonds angelegten Renten haben bereits massiv an Wert verloren. Bei 15 Prozent weniger Altersgeld und bis zu 30 Prozent höheren Beiträgen macht es die Sache nicht einfacher, auf dem Stimmzettel zahlreiche Alternativen zu haben.« (FAZ 10.9.12) Die beschlossene Verlängerung der Lebensarbeitszeit hatte zu den Neuwahlen geführt, weil der Rechtspopulist Wilders deswegen seine Tolerierung entzog.

Die Kosten für Gesundheitsdienstleistungen in laufenden Preisen haben sich zwischen 1998 und 2010 mehr als verdoppelt. Auch in konstanten Preisen war der Sprung nach 2008 besonders dramatisch.

Der Umbau des Sozialstaates in eine Eigentümergesellschaft war also fundamental. Doch wer diesen Weg mitgehen konnte, kommt heute aus diesem System nicht so ohne weiteres heraus.

Der Kampf um die Mittelklassen

Der Besitz selbst genutzten Wohneigentums ist in den Niederlanden weit verbreitet; 3,8 Mio. der 16,8 Mio. NiederländerInnen haben Wohneigentum, meist ein Eigenheim und fast 3,3 Mio. eine Hypothek. Die vermeintliche Selbstzufriedenheit und Sehnsucht nach der Idylle, die manche Kommentatoren den Niederländern unterstellen (die FAZ prüft die mentalen Parallelen zu Schlumpfhausen), ist die Eigentümerillusion, mit kapitalbasierter Rente und Wohneigentum sei man von den Verwerfungen der Ökonomie emanzipiert. Doch der Zusammenhang stellt sich mehr oder weniger gewaltsam wieder her.

Das Volumen der Hypothekenschulden verdreifachte sich zwischen 1996 und 2006 dank staatlicher Förderung (Freigabe aller Erwerbseinkommen im Haushalt). Die Preise für Neubauten vervierfachten sich zwischen 1996 und 2006 vor allem in den Ballungsgebieten. Der Index des staatlichen Statistikbüros zeigt einen Anstieg der Neubaupreise in den letzten fünf Jahren des 20. Jahrhunderts um 20 Punkte und in den Jahren bis 2008 nochmals auf zuletzt 139 Punkte. »Das Kreditvolumen der niederländischen Geschäftsbanken an den heimischen Privatsektor (Unternehmen und private Haushalte) betrug im April 2012 satte 956,8 Mrd. Euro; dies entsprach 158,9% des nominalen BIP, darunter waren 371,5 Mrd. Euro an Hypothekendarlehn der privaten Haushalte.« (www.querschuesse.de 14.6.12)

Ein großer Teil der Käufe (40%) wird durch Weiterverkäufe des bisherigen Hausbesitzes finanziert; sinkt nun der Preisindex infolge der Weltfinanzkrise ab 2008 (auf zur Zeit 122 Punkte), so wird der Weiterverkauf erschwert, weil die Bereitschaft zur Schuldenaufnahme sinkt. Das Absacken der Immobilienpreise um nur 12,5% seit 2008 hat dafür gesorgt, dass 500.000 Hypothekendarlehen unter Wasser gerieten. Werden die Hypothekenzinsen nicht mehr steuerabzugsfähig, geraten Teile der Mittelschicht in Bedrängnis, weil sich viele dann das Häuschen nicht mehr leisten können, der Absatz also weiter stottert.

Die beschlossenen staatliche Etatkürzungen von 12 Mrd. Euro reißen unter solchen Belastungen weitere Löcher in der Kassen der Privathaushalte. Die Angst geht um, falsierende Banken könnten ihrerseits zum Beitreiben von Schulden beim Häuslebauer neigen, um die eigenen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Die Verteidigung der Abzugsfähigkeit von Zinsbelastungen statt der Herbeiziehung zur Etatfinanzierung wird damit zu einer sehr praktischen Frage des Lebensstandards und ruft emotionale Empörung und Distanzierung von denen hervor, deren Versprechungen man sich beim Gang ins Risiko anvertraut hat.

Die Agitation der SP bietet für diese Probleme jedoch keinen Interpretationsrahmen an: »Warum führt die Euro-Krise Europa an den Abgrund, weil der Markt versagt hat. Warum steigen die Gesundheitskosten, weil durch Privatisierungen, etwa von Kliniken, die Kosten steigen und der Markt versagt hat. Die Unterwerfung unter die reine Logik des Marktes hat die Niederlande rauher werden lassen… wir haben nun zwei Jahrzehnte hinter uns mit der Maxime mehr Markt, weniger Staat. Das Ergebnis können wir nun sehn. Wir wollen ein sozialeres Land, ein sozialeres Europa.« (van Raak FR 17.8.12)

Mit dieser in Teilen richtigen Argumentation gewinnt man die von Sozialdemontage Betroffenen zwar für sich, nicht aber die bedrohten Mittelschichten. Ob man dieser Entwicklung mit einem Appell an die Tugendhaftigkeit der sozialen Marktwirtschaft und die Eigentümerillusion des »Wohlstand für alle« beikommen kann? So konnte die EU-Frage zur ideologisierten Ersatzdiskussion für die Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte werden, in der die inneren Klassenverhältnisse allenfalls als Frage der Einkommensspanne moralisch thematisiert wurden.

Der Kampf um die Regierungsposten

Zum fünften Mal in 10 Jahren wurde gewählt. Die Wahlbeteiligung sank leicht auf 73%. Die zersplitterte Parteilandschaft bleibt als Zeichen für die Unfähigkeit, hegemoniale Konstellationen politisch zu repräsentieren, auch wenn es gesellschaftlich ein großes neoliberales Zentrum gibt, um dessen Vertretung sich D 66 (11%), VVD (27%), teilweise die PVV (4%) und zum Teil die PvdA (25%) streiten. Die Breite dieses liberalen Spektrums wundert angesichts des desolaten Zustandes, in dem sich die deutsche FDP befindet, erklärt sich jedoch in der sozialen Basis der Eigentümergesellschaft.

Sieger der Wahl ist die neoliberale VVD, die von 31 auf 41 Sitze ansteigt. Die Liberalen von der VVD kommen geschlossen durch die Wahlschlacht. Ihr Profil in den zurückliegenden Euro-Rettungsaktionen war das des Minenhundes der deutschen Kanzlerin. Ein weiteres »Rettungspaket« für Griechenland wird abgelehnt. Das Profil der Partei erinnert an Sarkozys Erfolgsrezept: Der Appell an die »hart arbeitende Niederlande« soll ein Bündnis der Leistungswilligen zusammenhalten.

Die Skandalisierung der Schere in den Erwerbseinkommen, die zum Repertoire der SP gehört, spielt diesem Ansatz in die Hände. Haushaltsdisziplin gilt als oberstes Prinzip der Staatsraison, solange es zulasten der Leistungsverweigerer geht. Die Zahl der Polizisten soll erhöht werden und die Strafen für Wiederholungstäter schwerer ausfallen. Hinsichtlich der Integrationsproblematik will die VVD die Beherrschung der niederländischen Sprache zur Bedingung machen und aussichtslose Immigration weiter zurückdrängen.

Der Aspekt des internen Marktes und der offenen Grenzen ist für die VVD der wichtigste Vorteil der Europäischen Union. Gleichzeitig plädiert sie für geringere Zahlungen der Niederlande an die EU und dafür, die Vorschriften von europäischer Seite zu verringern. In ihrem Aufwind mitgezogen, legen auch die Linksliberalen der D 66 von 10 auf 12 Mandate zu.

Der Rechtspopulist Wilders hatte seinen Wahlkampf voll auf eine Anti-EU-Kampagne ausgerichtet, war damit aber dem Kernthema konkreter innenpolitischer Verteilungsfragen eher ausgewichen, nahm also seine eigene Position in der Haushalts- und Rentenproblematik nicht recht Ernst. Die Verluste der rechtspopulistischen Partei der Freiheit kann man mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, sie sind jedoch kein Zeichen für die Auflösung dieser Mentalitäten.

Der wirtschaftliche Druck setzte sich vielmehr soweit durch, dass über den Kern (Gesundheitsversorgung, Rente, Steuerabzugsfähigkeiten von Immobilien-Hypothekenzinsen usw.) im Wahlkampf gestritten wurde und nicht über die vermeintliche Eroberung der Niederlande durch Kopftuch- und Bartträger. Die PVV, die schon in der letzten Legislaturperiode Mandatsträger wegen interner Querelen und Skandale verlor, musste eine deutlichen Rückgang ihrer Sitze von 24 auf 15 hinnehmen und verlor damit stärker als in den Umfragen vermutet.

Die Ideen Wilders zur Redimensionierung des Staates werden Einfluss behalten, auch wenn seine Partei der Freiheit in unmittelbarer Zukunft nicht an der Regierung beteiligt sein wird. Die Berufung auf die niederländische Identität lässt zwar z.B. keine Homophobie und andere Vorurteile gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu, doch gilt der immer subventionsabhängige Kultursektor als unverständliche Nährlösung linken Spinnertums und Verhöhnung anständiger Bürger.

Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen sind schon jetzt von Kürzungen betroffen. Die Sprachkurse für Ausländer müssen schon mit dem jetzigen Sparprogramm von den Teilnehmenden selbst bezahlt werden. Die Bekämpfung des Islam, »unkontrollierte« Zuwanderung und andere rechtspopulistische Denkfiguren sind heute Teil des Diskurses, also Dinge, über die auch etablierte Politiker »mal reden dürfen«. Wilders hat von allen Spitzenkandidaten immer noch die meisten follower auf twitter; Borniertheit und Vorurteile der Ungleichheit lassen sich eben am leichtesten auf ein paar Zeichen reduzieren.

Die Sozialdemokraten hatten mit der Zustimmung zu einem rot-roten Bündnis Wähler zurückgewinnen können, in einer Situation, wo sich bis quasi zum Wahltag über 40% der Befragten noch nicht entschieden hatten. Es hat ihnen nicht geschadet, den Sparhaushalt der gescheiterten Rutte-Regierung abzulehnen, die für den ESM notwendigen Beschlüsse aber durch das Parlament gebracht zu haben. (vgl. www.sozialismus.de 18.7.2012)

Eine Linkswende mit stärkeren Belastungen für die besserverdienenden erschien vielen Wählenden als glaubwürdige Erneuerung. Darunter hatte die zerstrittene, Grünlinks genannte Gruppe zu leiden, deren Wählerschaft sich halbiert hat (von 10 auf 3 Mandate). Das Programm der Sozialdemokraten bleibt dem Schröder/Blair-Konzept verhaftet: Durch Wachstum in Form neuer Arbeitsplätze, durch eine faire Sozialpolitik, Investitionen in Innovation und Bildung sowie in nachhaltige Energien und Infrastruktur, will die PvdA ihre Zukunftsvision einer offenen Gesellschaft verwirklichen, in der jeder die Chance bekommt, das Beste aus sich herauszuholen. Die Komponente, die auch NRW-Ministerpräsidentin Kraft formuliert, »Wir lassen keinen zurück«, wird stärker betont. Den Sozialdemokraten ist über den Prozess mehrerer schneller Führungswechsel gelungen, ein Image der Erneuerung aufbauen, das zur Polarisierung gegenüber Rutte und der VVD ausreichte.

Die Christdemokraten konnten sich von ihrer Regierungsbeteiligungen nicht wieder erholen und erreichten nur noch 13 Mandate (vorher 21). Sie haben in großen Teilen die fundamentalen Strukturreformen zugunsten eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus mit auf den Weg gebracht. Als Teil einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten hatten sie an Haushaltsdisziplin und Afghanistan-Einsatz festgehalten, als dafür schon keine Mehrheit im Volke mehr vorhanden war. Als Juniorpartner der Neoliberalen VVD in der anschließenden Minderheitsregierung, gerieten sie an den Rand einer Zerreißprobe über die Frage, ob man sich vom Rechtspopulisten Wilders tolerieren lassen dürfe, dessen anti-islamischer Kurs dem christlichen Toleranzverständnis einerseits zuwiderläuft, andererseits aber auf ein kommunitaristisches Abgrenzungsbedürfnis trifft.

In der Folge entstanden zwei evangelikal geprägte Splitterparteien, von denen sich die SGP mit drei Mandaten etablieren konnte, während die eher linkere Christenunion ein Mandat einbüßte (jetzt 4). Neu sind die zwei Mandate der 50plus Partei, die als Ausdruck des Protests gegen die Rentenkürzungen entstand. Die lange als aussichtsreich gehandelten Piraten konnten nicht ein Mandat erzielen. Die Tierschutzpartei hielt sich bei zwei Abgeordneten.

Für Kanzlerin Merkel werden die Niederlande ein fester Unterstützer Kerneuropas bleiben. Eine linke Koalition unter Führung der Sozialdemokraten fände in keiner Spielart eine belastbare parlamentarische Mehrheit. Aber auch die Neoliberalen können keine parlamentarische Mehrheit zusammenschieben, wenn man Wilders außen vor lassen will. Es läuft also auf eine Koalition von Sozialdemokarten und VVD hinaus; die vermeintliche Polarisierung, die der Wählerschaft vorgegaukelt wurde, muss also wieder zurückgeschraubt werden. Inhaltliche Enttäuschungen sind programmiert.

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