Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Weniger Arbeiten, mehr Leben!
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Stephan Krüger
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

7. Dezember 2015 Bernhard Sander: Die Regionalwahlen in Frankreich

Der Schock war absehbar!

Der Front National (FN) ist aktuell die stärkste politische Kraft Frankreichs. Er erzielte bei den Regionalwahlen 28% der Stimmen. Hinzuzählen muss man die 3,85% für die rechtskatholische Bewegung »Debout la France«, die Kräfte sammelt, die den Modernisierungskurs des FN nicht mitmachen. In sechs der 13 Regionen des Festlands liegt die Bewegung Marine Le Pens vorn.

Die Sozialdemokraten vom PS, die bisher die Mehrheit in allen Parlamenten bildeten, wurden mit 23,3% abgefertigt, die Grünen wurden (allein oder in Verbindung mit anderen) mit etwa 6,8% halbiert. Die Linke der Linken bekam die Quittung für Zwietracht und Sektierertum: Kommunisten 1,56%, Front de Gauche 2,52%, Listenverbindungen mit Grünen 2,82% und Linksextreme 1,54%.

Die Agitation gegen die deutsche Dominanz in Europa nützt schlussendlich nur dem FN, der mit der Forderung nach Rückkehr zur nationalen Währung das historische Vorkaufsrecht hat, und mit der Forderung nach Wiederaufrichtung der Grenzen einfache Antworten gibt, die die Linke weder in der nationalen Dimension noch für eine europäische Wachstumsstrategie hat.

Abschottung erscheint damit als einziger politisch praktikabler Weg zur Verteidigung sozialer Standards und Privilegien. Da die Linke keine organische Verbindung mit den PS-Aufständischen anstrebt und den Grünen weiterer Zerfall droht, werden die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 möglicherweise ein Dreiparteiensystem etablieren.

Bereits vor den Attentaten vom 13. November herrschte ein geradezu paranoides politisches Klima in Frankreich, in dem so absurde Thesen wie der »große Bevölkerungsaustausch« aus kleinen rechtsextremen Esoteriker-Zirkeln in die Prime-Time-TV-Talkshows gelangen konnten. Die Attentate haben 7% der befragten Wahlberechtigten veranlasst, ihre Meinung zu ändern, also entweder doch wählen zu gehen (2%) oder für eine andere Liste zu votieren.

Das Gefühl außerhalb der Systemlogik gedrängt zu werden, hatte sich in den ärmeren Schichten immer mehr in einem Rückzug aus dem politischen System Geltung verschafft, von dem man seine Interessen nicht mehr repräsentiert fühlt. Auch der Terror hat nur Wenige dazu bringen können, die hartnäckige Verweigerung aufzugeben. Die Wahlbeteiligung beim ersten Wahlgang lag mit 49,8% geringfügig höher als 2010 mit 47,4%.

30 Jahre Verteuflung des FN als Faschisten und Nazis haben letztlich den Aufstieg zur stärksten politischen Formation Frankreichs nicht verhindert. Sein Erfolgsgeheimnis ist nicht die Errichtung eines »neuen Reiches« oder die Züchtung einer »neuen Herrenrasse«, sondern die Mittelschichten in allem »Stehenden und Ständischen«, in ihren Ressentiments und Lebensweisen vor den Zumutungen der kapitalistischen Dynamik und dem Bereicherungsfuror ihresgleichen zu bewahren.

Da der Neoliberalismus seine Geschäftsgrundlage verloren hat, der erreichte Wohlstand als bedroht erlebt wird und die Sehnsucht nach dem sozialen Ausgleich der Wirtschaftswunderjahre in der Wählerschaft des FN immer noch wirkt (höchste Zustimmung für FN in den Lebensjahren von 45 bis 59), mobilisiert die Aussicht, aus eigener Kraft eine Region erobern zu können, die Wählerschaft für den FN eher als für die Demonteure von PS und Republikanern. Diejenigen, die die Kämpfe um den Sozialstaat miterlebt haben, sind heute über 65 Jahre und ganz besonders immun gegenüber Le Pen.

Die Formeln der Linken (Profitstreben des Großkapitals usw.) erklären die Globalisierungsdynamik nur unzureichend und die soziale Spaltung nur ökonomistisch. Der sozialdemokratische PS emanzipiert sich von der überkommenen Begrifflichkeit der Linken und ordnet die Notwendigkeiten von Globalisierung und Arbeitsplatzabbau in nationale Standortlogik und allgemeine Modernisierungserfordernisse ein, in der sich deren Opfer weder als »unterdrückte Klasse«, noch als Träger eines Projekts, noch als zukünftige Nutznießer wiederfinden. Die Zusammenlegung von Regionen als Teil des PS-Modernisierungsprogramms kann als weiterer Schritt zur Zerstörung des Vertrauten aufgenommen werden und die Sehnsucht nach Harmonie findet in der FN-Vision ihren Ort.

Diese Entfremdung schafft neue Identitäten für die sich potenziell deklassiert Wähnenden als Opfer von Überfremdung, Entkulturalisierung, Zerstörung der Lebensart, je stärker der Front National seine Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mit neuen sozialen Konkurrenz-Phänomenen auflädt: Griechen, deren säumiges Schuldnerverhalten den staatlichen Verteilungsspielraum einschränkt, Zuwanderer in unsere Sozialsysteme, bombenbastelnde Schulversager im Auftrag der islamistischen Weltverschwörung.

»Das Profil der festgenommenen Person markiert das völlige Scheitern der ganzen Politik der Eingliederung und des ›Zusammenlebens‹, die man in den letzten Jahrzehnten ins Werk gesetzt hat«, lautete die Argumentation beispielweise des FN-Bürgermeisters von Fréjus. Oder die Chefin selbst: »Der islamistische Fundamentalismus muss vernichtet werden… Frankreich muss … die Fremden, die Hass verbreiten, und die Illegalen ausweisen.«

Auch die Linke teilt diese Ausgrenzungslogik. 57% (66% der PS-AnhängerInnen, landesdurchschnittlich 73%) befürworten es, »wenn Frankreich automatisch die Migranten, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, verpflichten würde, das französische Territorium zu verlassen«, und ähnliche Statements der Ausgrenzung. Dennoch wird man den Wahlsieg des FN nicht mit einem Schwenk der linken Wählerschaft erklären können.

Die Stiftung Jean Jaurès, die dem PS nahesteht, hat festgestellt, dass bei den Departementswahlen zu Beginn des Jahres die Linke (PCF und Front de Gauche) besonders bei WählerInnen punkten konnte, die die Globalisierung ablehnen, aber nicht fremdenfeindlich sind (24,1%), doch nur unterdurchschnittlich bei WählerInnen, die fremdenfeindlich und globalisierungskritisch eingestellt sind (5,7%). Es ist eher zu vermuten, dass die Wahlbeteiligung bei potenziell linker Wählerschaft gering war.

Der aktive Kader der Rechtspopulisten ist den Mittelklassen zuzurechnen. Es heißt zwar oft, dass der FN die neue Arbeiterpartei sei, doch sind nur 2% seiner Kandidierenden bei den Regionalwahlen aus dieser Gruppe. Ein Viertel der FN-KandidatInnen sind Angestellte ohne Führungsaufgaben, ein weiteres Viertel RentnerInnen (beides die höchsten Anteile auf allen Listen), ein Fünftel gehören freien Berufen an. Und mit 6% haben beim FN die UnternehmerInnen und Selbständigen den höchsten Anteil aller Parteien.

Der Kern der Anhängerschaft des FN konzentriert sich in den unteren Mittelschichten. Eine (eher) gute Meinung von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des Front National, hatten im November 2015 rd. 31% der FranzösInnen. Besonders viele Bewunderer hat sie bei Menschen mit einem Haushaltsvorstand aus der Gruppe der Selbständigen und Unternehmer (39%), der Angestellten (38%), der Nicht-Erwerbstätigen (41%) und Leuten mit abgeschlossener Berufsausbildung (41%) und einem Monatsnetto-Haushaltseinkommen von 1.200 bis 2.000 Euro (40%).

Auf den Listen der Linken (also Kommunisten, Grüne, Front de Gauche und ihre Kombinationen) dominieren Menschen mit abgeleitetem Einkommen: die Humandienstleister (ein Viertel aller Kandidierenden) und RentnerInnen. Auf Grünen-Listen bilden Freiberufler und Führungskräfte mit einem Drittel einen großen Teil der Kandidierenden, die Kommunisten haben den größten Arbeiteranteil (6%) und mit 27% den höchsten Angestellten-Anteil, während der Front de Gauche mit 28% einen ebenfalls sehr hohen Anteil von Führungskräften und Freiberuflern aufweist.

Die bürgerlichen Republikaner (vormals UMP) sind mit nahezu der Hälfte ihrer Kandidierenden die Repräsentanten der Freiberufler und Führungskräfte, haben deshalb auch große Not mit den ideologischen Schnittmengen zum Front National. Sarkozy reitet daher extrem auf der Welle der inneren Sicherheit. Die »Sozialisten haben vorher nicht genug getan, um die Attentate zu verhindern«. Das Gutmenschentum habe seine Opfer gekostet.

Aber auch der FN habe im Europa-Parlament nicht für die Fluggastdatenspeicherung gestimmt, also sei jede Stimme für die Rechtsextremen eine Stimme für die Linke. Es gelte die »nationale Identität« zu bewahren, die Grenzen zu verteidigen und zu verhindern, dass Frankreich eine multikulturelle Gesellschaft werde. »Wir wollen Frankreich dem französischen Volk zurückgeben.« Solche Agitation erbrachte 26,5% für die Republikaner und ihre Verbündeten von UDI und MoDem.

Der sozial grundierte Ton des FN mobilisiert zwar viele, die sich vom sozialen Abstieg bedroht fühlen. Doch er erschwert auch die Übertragung dieser Stimmen auf die Republikaner im zweiten Wahlgang. Der Versuch Sarkozys, seine ideologischen Restbestände von der Leistungsgesellschaft und den neoliberalen Gesetzmäßigkeiten durch ethnische Ausgrenzung und nationalem Pathos aufzuladen, wird die soziale Barriere nur zum Teil überwinden können. Obwohl der PS noch in der Wahlnacht in Nord-Pas-de Calais-Picardie und in Provence-Alpes-Cote d´Azur die eigenen Listen zurückzog, weigert sich Sarkozy, gemeinsame Sache zu machen mit der Begründung, der Vorsprung des FN sei uneinholbar (jeweils 40,5%).

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