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10. Juli 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: Die Vorschläge der griechischen Regierung

Die Alternative zum Grexit

Die griechische Linksregierung will mit Steuererhöhungen, einer Rentenreform und einem Umbau des öffentlichen Sektors die Bedingungen der internationalen Gläubiger erfüllen, um ein drittes Hilfsprogramm mit zusätzlichen Krediten in Milliardenhöhe zu erhalten. Ihre zentralen Ziele sind eine Staatspleite abzuwenden, aus der sozial-ökonomischen Abwärtsspirale auszubrechen und die politische Souveränität und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.

Vor Ablauf eines erneuten Ultimatums legte die Linksregierung ihren Handlungsrahmen (eine englische Fassung gibt es hier) mit konkreten Projekten zu gesellschaftlichen Strukturreformen den Institutionen (IWF, EU und EZB) vor.


Die vorgeschlagene Prioritäten-Liste

Vorgesehen sind Maßnahmen zur Einnahmeverbesserung des öffentlichen Sektors und zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -vermeidung, darunter eine Amnestie. Weiter sollen Treibstoff-Subventionen für Bauern abgeschafft und auf die zunächst geplante einmalige Sondersteuer für Unternehmen verzichtet werden. Gleichwohl sollen die Unternehmenssteuern noch in diesem Jahr erhöht werden. Die Körperschaftssteuer wird von 26 auf 28% erhöht.

Für Gaststätten und Hotels soll der Mehrwertsteuersatz steigen. Bei den Mehrwertsteuersätzen, darunter ein Normalsatz von 23%, wird an die Position der Institutionen angeknüpft: So ist die Regierung bereit, die Rabatte auf die Steuersätze für die Inseln schrittweise zu eliminieren, allerdings mit Ausnahme der abgelegensten Inseln.

Die wichtige Schiffsindustrie des Landes muss sich auf Steuererhöhungen für ihre Tonnage einstellen, die Steuervorteile für die Industrie an sich werden phasenweise zurückgefahren. Eine Luxussteuer wird auf Freizeitfahrzeuge mit einer Länge von mehr als fünf Metern ausgeweitet, die Rate steigt von 10 auf 13%.

Vorangetrieben wird ein Umbau des defizitären Rentensystems. Die Zahl der FrührentnerInnen soll gesenkt und das Renteneintrittsalter im Jahr 2022 auf 67 Jahre vereinheitlicht werden. Eine Ausnahme soll für besonders harte körperliche Arbeiten sowie Mütter, die Kinder mit Behinderungen großziehen, gelten. Gesetzliche Renten werden zielgerichteter, während Zusatzversorgungskassen durch Arbeitnehmeranteile finanziert werden sollen. Sozialleistungen wie ein Solidaritätszuschlag laufen phasenweise aus.

Krankenbeiträge für RentnerInnen steigen im Durchschnitt von 4 auf 6%. Weitere Reformen sollen anlaufen, um das Rentensystem nachhaltiger zu machen. Dazu soll eine Überarbeitung der Rentenbeiträge für Selbstständige stattfinden. Sonderzahlungen für RentnerInnen mit niedrigem Einkommen werden den Planungen zufolge bis 2019 schrittweise abgeschafft.

Diese Reformen (Steuern und Renten) sollen den Saldo des Staatshaushaltes um je 1% des BIP auf jährlicher Basis verbessern.

Bei der Kürzung der Militärausgaben bleiben die Vorschläge mit 100 Mio. Euro in diesem und 200 Mio. Euro im nächsten Jahr hinter den letzten Forderungen der Geber (400 Mio. Euro). Der Verteidigungshaushalt soll bis Ende 2016 um 300 Mio. Euro abgeschmolzen werden.

Neben dem Militärbereich geht es um weiterreichende Reformen des öffentlichen Sektors. Die Behörden werden die Arbeitseinkommen von Staatsbediensteten umgestalten, mit dem Ziel bis 2019 eine Vergütungsstruktur zu erreichen, die den Fähigkeiten, Leistungen und Verantwortlichkeiten des Personals entspricht. Leistungen wie bezahlter Urlaub etc. werden an die EU-Normen angepasst.

Die Regierung sagt außerdem einen verbindlichen Zeitplan zu für die Privatisierung von Staatsunternehmen wie den Hafen von Piräus oder Regionalflughäfen. Die verbliebenen Staatsanteile am Mobilfunkunternehmen OTE, an dem die Deutsche Telekom beteiligt ist, sollen an die Privatisierungsbehörde gehen.


Finanzhilfen im Gegenzug

53,5 Mrd. Euro erwartet die Regierung laut einem entsprechenden Gesetzentwurf bis ins Jahr 2018. Der IWF hatte in einer Analyse von Ende Juni einen Finanzbedarf von 52 Mrd. Euro bis 2018 ermittelt. Da sich die Lage seither verschlechtert hat, fällt der Betrag etwas höher aus.

Die EU-Kommission will zudem Maßnahmen vorschlagen, um Griechenland die Nutzung von 35 Mrd. Euro zu erleichtern, die ihm bis 2020 aus den EU-Strukturfonds zustehen. Es geht hierbei um die Bedingungen der Ko-Finanzierung. Mit diesen Mitteln sollen Investitionsprojekte angeschoben werden.


Makroökonomische Zielsetzungen

Der Primärüberschuss (Überschuss im Staatshaushalt vor Einrechnung der Zinszahlungen) soll bis 2018 auf 3,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) erhöht werden, um allmählich eine weitere Verschuldung zu vermeiden. Der Pfad dorthin wird mit 1%, 2% und 3% des BIP in den Jahren 2015 bis 2017 angegeben, aber in Klammern gesetzt. In einer Fußnote heißt es dazu, dass er »im Lichte der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen« mit den Institutionen diskutiert werden würde. Dies spielt auf die Verschlechterung der Wirtschaftslage seit der Schließung der Banken an. Die Linksregierung plädiert also für eine Flexibilität bei den Zielen für die Sanierung des Staatshaushalts.

Für das laufende Jahr hatte die Linksregierung eine Stagnation beim Wirtschaftswachstum (+ 0,5%) angenommen, nachdem schon die letzten Quartale eine weitere Schrumpfung zeigten. Nach den anhaltenden Schwierigkeiten, zuletzt die Turbulenzen in der gesellschaftlichen Reproduktion (Bankschließungen und unzureichende Geldversorgung), müssen die Wachstumserwartungen weiter zurückgenommen werden. Wahrscheinlich ist jetzt ein Schrumpfungsprozess von ca. 1,5%.

Immerhin besteht eine reelle Chance, dass Griechenland mit diesem Sanierungsprogramm aus der Abwärtsspirale herausfindet. Entscheidend ist, ob die Investitionen (finanziert aus dem EU-Struktur- und Investitionsfonds) zügig zumindest teilweise freigegeben werden können. Im Grundsatz ist die gesellschaftliche Ökonomie so ausgetrocknet, dass mit Investitionen eine Belebung der Wirtschafts- und Einkommens Kreisläufe angestoßen werden kann. Eine sich abzeichnende Hürde ist dann: Welche Sektoren der griechischen Ökonomie können mit Investitionen einen langfristigen Wachstumspfad eröffnen.


Politische Willensbildung

Das Parlament in Athen soll noch vor dem EU-Gipfel über diese Sofortmaßnahmen abstimmen. Zuvor findet eine Beratung der Parlamentsfraktion von Syriza statt. Ein Teil der Mitglieder des linken Flügels will mit Nein stimmen und fordern Neuwahlen. Sie verweisen auf das Referendum und werfen Tsipras vor, aus einem Nein gegen die strengen Reformen ein Ja machen zu wollen.

Weiteren Widerstand gibt es vom kleineren Koalitionspartner Anel.[1] Der Ministerpräsident hat sich allerdings die Hilfe von Oppositionsparteien gesichert, die beim Referendum mit Ja gestimmt haben. Alexis Tsipras erklärte: »Wir haben alle gemeinsam für ein sozial gerechteres Abkommen gekämpft. Jetzt müssen wir geschlossen weitermachen.« Die Abgeordneten des Linksbündnisses werden ohne Fraktionszwang nach ihrem Gewissen über ein mögliches neues Kreditprogramm abstimmen.

Sollten sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone am Sonntag für kurzfristige Finanzhilfen und Verhandlungen über ein längerfristiges drittes Rettungspaket entscheiden, wären weitere Abstimmungen in Parlamenten der Mitgliedsländer nötig. Änderungen an dem Papier sind dann allerdings nicht mehr möglich.

Frankreichs Präsident François Hollande hat die griechischen Vorschläge als »ernsthaft« und »glaubwürdig« gelobt. »Die Griechen haben soeben ihre Entschlossenheit gezeigt, in der Eurozone zu bleiben«, sagte der Sozialdemokrat in Paris. Es sei aber noch nichts beschlossen. »Es muss alles getan werden, um eine Vereinbarung zu erzielen, eine gute Vereinbarung«, sagte Hollande. Diese müsse die »europäischen Regeln« genauso respektieren wie »die Griechen«.

Moderatere Töne kommen auch aus der SPD. Das Papier sei »ein wichtiger Fortschritt, weil sich sowohl die Regierung als auch die wichtigsten Oppositionsparteien darauf verständigt haben«, sagte der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer. Griechenland müsse unter den europäischen Rettungsschirm kommen. »Das heißt, es braucht neue finanzielle Maßnahmen, die dann über einen sehr, sehr langen Zeitraum zurückzuzahlen sind.« Schäfer ging davon aus, dass eine Mehrheit für ein drittes Programm für Griechenland im Bundestag zustande kommen werde. Allerdings werde es einfacher sein, die Zustimmung der SPD-Abgeordneten als die der Union zu bekommen.

Vor allem aufseiten der bundesdeutschen Konservativen und der baltischen Staaten sowie Finnland sind starke Widerstände gegen ein drittes Hilfspaket für Griechenland zu erwarten. Die stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionschefs, Ralph Brinkhaus und Hans-Peter Friedrich, zweifeln nach der Vorlage der griechischen Reformvorschläge an der Glaubwürdigkeit der Athener Regierung. Die Pläne beinhalteten anscheinend genau das, was die Griechen beim Referendum am vergangenen Sonntag abgelehnt hätten. Die Athener Regierung habe zuletzt in einer Kampagne alles abgelehnt. »Insofern stellt sich wirklich die Frage auch nach der Glaubwürdigkeit.« In der CDU/CSU-Fraktion hatten die Befürworter eines erzwungenen Grexits in den letzten Wochen deutlich an Terrain gewonnen.

Die lettische Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma, die für ihre harte Linie gegenüber Griechenland bekannt ist, plädiert gleichfalls für einen Grexit. Sie glaubt nicht, dass die lettischen Abgeordneten für ein weiteres Hilfspaket stimmen. »Für mich wird es sehr schwer werden, das Parlament davon zu überzeugen. Und für das Parlament wird es schwer werden zuzustimmen.« Auch im finnischen Parlament stehen die Zeichen auf Ablehnung.

Sollte es keine Einigung zwischen Griechenland und den Gläubigern geben, werden EU-Kreisen zufolge die 28 Staats- und Regierungschefs der gesamten Union darüber beraten, wie sie die Folgen eines Zusammenbruchs in Griechenland bewältigen können. Dazu gehörten humanitäre Hilfen und möglicherweise auch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen.

Alles in allem birgt das Reformangebot der griechischen Linksregierung eine Chance für einen Politikwechsel, für die Wiederherstellung des sozialen Friedens und für eine Erneuerung der nationalen Eigenständigkeit.

Allerdings wird dies auch in Griechenland nicht ohne Konflikte abgehen. Die Kommunisten (KKE) und linke Gewerkschaften haben zu Protesten aufgerufen. Sollte der Grexit in letzter Minute abgewendet werden können, wird die sozialistische Linke reichlich Anlass zu einer selbstkritischen Aufarbeitung haben.

[1] Anexartiti Ellines (Abkürzung: ANEL: Unabhängige Griechen) ist eine rechtspopulistische griechische politische Partei.

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