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ISBN 978-3-96488-210-3

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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

20. November 2017 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Die Liberalen verlassen den Kurs auf Jamaika

Foto: FDP-Bundesgeschäftsstelle - Roland Kowalke (CC BY 4.0)

Die Sondierungen über ein Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen sind gescheitert. Da die SPD bei ihrem Nein zu einer erneuten großen Koalition bleibt, ist die »Berliner Republik« mindestens zeitweilig im Zustand der Nicht-Regierungsfähigkeit angelangt. Acht Wochen nach der Bundestagswahl ist unklar, wie es weitergeht.

Angela Merkel stürzt damit in die schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit. Schließlich war Jamaika ihr Projekt, das nun nicht zustande kommen wird. Wie geht es also mit der Union und dem System Merkel weiter?

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner verkündete den Ausstieg und Abbruch des politischen Kurses in Richtung Jamaika. Begründung: »Nach Wochen liegt heute Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor.« Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden. Die Unterschiede zwischen CDU, CSU und FDP seien überbrückbar gewesen. Im Laufe des Sonntags seien bei den Sondierungen sogar Rückschritte gemacht worden, weil erzielte Kompromisslinien infrage gestellt worden seien. »Wir werfen niemandem vor, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch«. Und: »Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.«

Es kam nicht überraschend. Die in den Bundestagswahlen 2013 gescheiterte FDP hat in ihrem Wiederaufstieg immer erklärt: Die Partei sei offen für vieles, aber sie wolle als eigenständige Kraft gewählt werden. Eines schloss die neue Führung unter Parteichef Linder aus: dass sie ihre Grundsätze verrate. Das bedeutet: Sie will nicht um jeden Preis regieren.

Jetzt also die klare Ansage: keine Beteiligung an einer falschen Regierung. Was heißt das? Die FDP will eine Modernisierung der Berliner Republik. Die von ihr präferierten Instrumente: Steuersenkungen für Unternehmen und Enterpreneurs sowie Deregulierung mit dem Ziel der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals. Ja, die FPD ist auch aufgeschlossen für einen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur – Digitalisierung und endlich Bildung auf Weltniveau. Sie will einen Rechtsstaat, der Sicherheit ohne Überwachung garantiert, eine wettbewerbsorientierte Energiepolitik, mehr Freiheiten in der sozialen Absicherung und bei der Gestaltung von Arbeit, Rente und Familie, eine Europapolitik gegen Niedrigzinspolitik, Vergemeinschaftung und Investitionsstau sowie eine aktivere Außenpolitik. Auch die erneuerte FDP wollte von der Priorität der Steuerpolitik nicht abrücken. Die Liberalen wollten Steuerentlastungen inklusive dem Soli sehen zwischen mindestens 30 Milliarden und möglichst 45 Mrd. Euro.

Diese politische Substanz steht quer zu den Positionen von Union und Grünen. Vordergründig ging es bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen um den politischen Stolperstein Begrenzung der Zuwanderung und Nachzug der Angehörigen. In der Substanz aber geht es den Unionsparteien vor allem um eine Sozialpolitik, mit der die Wut der »abgehängten Bevölkerungsschichten« aufgefangen werden kann. Familien sollen direkt entlastet werden mit einer Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags sowie einem »Baukindergeld«, das Wohneigentum fördern soll. Die Mütterente steht im Gegensatz zur Mindestrente. Statt die volle Kostenfreiheit der Bildung zu fordern, wollen die Unionsparteien einen Rechtsanspruch auf Betreuung von Primarschulkindern. Humanität in der Zuwanderung ja, aber sie soll für die Kommunen und Landkreise beherrschbar, sprich finanziell tragbar bleiben.

Hinter dem Dissens in der Flüchtlingspolitik standen bis zuletzt mehrere strittige Punkte in der Energie- Klima- und Finanzpolitik. Das Projekt einer breiten Koalition aller Parteien des bürgerlichen Lagers ist daran gescheitert, dass man in der gegenwärtigen Konstellation nicht beides realisieren kann: eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Modernisierung der Wirtschaft in Verknüpfung mit einem ausreichenden sozialpolitischen Angebot für die Schichten, die schon in den letzten Jahren nicht am Zuwachs des gesellschaftlichen Wohlstandes beteiligt waren.

Das Scheitern von Jamaika ist also nicht wirklich überraschend. Gleichwohl kommt das Scheitern dieser politischen Option einem Erdbeben gleich. Deutschland sind die Handlungsvarianten zur Bildung einer Mehrheitsregierung ausgegangen. Das hat es noch nie gegeben.

Was folgt nach diesem politischen Desaster? Eine Regierung mit einer stabilen Mehrheit gibt es nur mit einer Fortführung der großen Koalition, also mit der SPD. Der Druck auf die Sozialdemokraten, der Stabilität zuliebe staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, wird nach dem Scheitern von Jamaika zunehmen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass dadurch Strömungen in der SPD sichtbar werden, die ein solches Risiko eingehen würden. Die Ambivalenz wurde zuletzt bei dem Parteichef Schulz deutlich, der die Jamaika-Koalitionäre zu Eile mahnte. Und dann auf Zeit setzen?

Schulz hatte am Freitag in Richtung der Jamaika-Sondierer appelliert: »Deutschland kann nicht warten, Europa kann nicht warten.« Dies ist politisch ein Argument, nach einigen Klärungen sich doch noch einmal auf eine große Koalition einzulassen. Nicht nur in Frankreich wartet man auf eine handlungsfähige Regierung, die in der fortschwärenden Europa- und Eurokrise neue Impulse setzen könnte. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die SPD sich nochmals auf eine Koalition mit Angela Merkel einlässt. Die deutsche Sozialdemokratie hat durchaus die Herausforderung vor Augen, dass sie bei taktischen Manövern dasselbe Schicksal erleiden könnte wie der Großteil der Parteien der europäischen Sozialdemokratie, die in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind.

Die Union könnte mit einer Minderheitenregierung weiterregieren, so wie es momentan auch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy tut. Die wechselnden Mehrheiten brächten aber sicherlich eine massive Einschränkung des Spielraums in der Europa- und Außenpolitik.
Nach dem Scheitern von Jamaika sprechen deshalb gewichtige Argumente für Neuwahlen. Auf dem Weg dorthin gibt es jedoch einige Hürden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann das Parlament erst auflösen, nachdem die Wahl einer Kanzlerin bzw. eines Kanzlers gescheitert ist.

Politisch wäre dieser Weg das Ende des Systems Merkel, das die Unionsparteien insgesamt zu einer Neuaufstellung zwingt. Sie befinden sich schon jetzt in einem kritischen Zustand. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der CSU um Personal und politisch-programmatische Ausrichtung gehen auch nach dem Ende des Kurses in Richtung auf Jamaika in die nächste Runde und belasten das Erscheinungsbild des christdemokratischen Lagers. Einen Zuwachs an Wählerstimmen lässt das nicht erwarten, wie momentan auch insgesamt aus Neuwahlen keine massive Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Richtung eines regierungsfähigen politischen Bündnisses zu erwarten ist. Profiteur dieser Konstellation könnte die AfD sein.

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