Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

29. Juni 2016 Otto König/ Richard Detje: Diplomatie statt »Säbelrasseln und Kriegsgeheul«

Die »nachdenkliche Macht«

NATO-Manöver an der polnisch-russischen Grenze, Verlängerung der EU-Sanktionen und ein fast vergessener Jahrestag: Problematischer könnten sich die schwierigen Beziehungen zwischen Russland, seinen westlichen Nachbarstaaten und der NATO derzeit nicht präsentieren. Spät, aber nicht zu spät mahnt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nun das Primat der Politik gegenüber dem Militär an.

»Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen«. Schließlich vergeht kaum eine Woche, in der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht eine wachsende Bedrohung aus dem Osten und »russische Aggression« beschwört. Steinmeier: »Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.«

In diesem Jahr ist es 75 Jahre her, dass – am 22. Juni 1941 – die faschistische Wehrmacht die Sowjetunion überfiel und das westliche Russland, die Ukraine, Weißrussland sowie das Baltikum in eine barbarische Hölle verwandelte. Das Unternehmen »Barbarossa« war ein Vernichtungskrieg mit dem Ziel, den Kommunismus auszulöschen, die sowjetischen Völker zu versklaven und die Juden zu vernichten. Ein Vernichtungskrieg, in dem 25 Millionen sowjetische Zivilisten starben, 70.000 Kleinstädte und Dörfer, 98.000 genossenschaftliche Kolchosen und zehntausende Fabriken zerstört wurden. Die UdSSR verlor 15% ihrer Bevölkerung und 30% ihres Volksvermögens.

Es ist ein Akt der »Entsorgung« der Geschichte, wenn das westliche Militärbündnis wenige Tage vor dem 75. Jahrestag direkt an der polnischen Staatsgrenze zu Russland mit 31.000 Soldaten aus 24 Staaten, darunter auch die Nicht-NATO-Staaten Ukraine und Georgien sowie Schweden und Finnland, ein Manöver abhält, in dem das Übungsszenario »Vorbereitung auf einen russischen Angriff« beschrieben lautet.

Selbstverständlich verweisen alle politische Verantwortlichen auf den »defensiven Charakter« des Manövers. Stoltenberg: »Was wir tun, ist maßvoll, verantwortungsbewusst und transparent. Es dient nicht dazu, eine Eskalation zu provozieren.« (SZ, 20.6.2016) Doch die große Würgeschlange »Anakonda«, so die Bezeichnung des Truppenaufmarschs, ist nicht gerade für defensives Verhalten bekannt.

Mit der schrittweisen Osterweiterung der EU und dem Programm »Partnerschaft für den Frieden« wurden die Länder des ehemaligen Warschauer Paktes an die EU und die NATO herangeführt und die Sicherheitsinteressen Russlands, auch entgegen westlicher Zusagen, wiederholt ignoriert. 1999 erfolgte die Aufnahme von Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik, 2004 von Bulgarien, Rumänien, Slowenien, der Slowakei sowie Estland, Lettland und Litauen. Moskau hatte gerade die Aufnahme der baltischen Staaten stets als »rote Linie« bezeichnet, die keinesfalls überschritten werden dürfe.[1]

Die Konflikte in den westlich-russischen Beziehungen eskalierten in der Ukraine-Krise im Verlauf der Auseinandersetzungen um das Assoziierungsabkommens mit der EU auf der einen Seite und der Annektion der Krim sowie der russischen Unterstützung separatistischer Kräfte im Donbass auf der anderen Seite. Daraufhin verabschiedete die NATO den »Readiness Action Plan« (RAP) zum »Schutz« der osteuropäischen und baltischen Länder und baute die militärische Präsenz an der russischen Grenze  aus. Im Vorfeld wurde das Raketenabwehrschild der NATO installiert, mit der offiziellen Begründung, iranische Atomraketen abzuwehren; dessen erster Stützpunkt wurde vor kurzem im rumänischen Deveselu einsatzbereit eröffnet.

Die jüngsten Manöver fanden an der 100 km langen polnisch-litauischen Grenze zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und Weißrussland statt. In diesem Kontext steht auch der auf den Gipfel am 8./9. Juli in Warschau anstehende Beschluss der NATO-Verteidigungsminister, ab Januar 2017 vier Panzerbataillone von je 1.000 Mann nach Polen, Estland, Litauen und Lettland zu verlegen.

75 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht warb Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Brüsseler NATO-Hauptquartier dafür, diese Verbände unter ein deutsches Kommando zu stellen – so findet Geschichtsaufarbeitung heute statt. Die »begrenzte Militärpräsenz« soll »keinen Konflikt provozieren, sondern Konflikte verhindern«, so die offizielle Sprachregelung. Friedensforscher nennen die psychologische Kriegsführung den »Krieg vor dem Krieg«. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, hat dies gemeint, als er vor einem »Krieg« warte.

Steinmeier ist zuzustimmen, wenn er sagt, dass es »fatal (wäre), jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen«. Deswegen »müssen wir mit unseren Partnern auch wieder verstärkt über den Nutzen von Abrüstung und Rüstungskontrolle für die Sicherheit in Europa sprechen«. Die harschen Reaktionen von Seiten der Vertreter der polnischen und baltischen Regierungen, aber auch hiesige Kommentare, die den Außenminister im  »Sog des Putinismus« wähnen, unterstreichen die Besorgnis.

In »Foreign Affairs«[2] hat Steinmeier in einem Grundsatzartikel die Rolle Deutschlands als einer »nachdenklichen Macht« umrissen, die den alten Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Stärke und politischer Schwäche überwunden habe. Eine Macht, die zum einen deshalb eine Aufwertung erfahren hat, weil die USA nach dem Scheitern im Irak geschwächt sind: »Die Illusion einer unipolaren Welt ist geplatzt«.

Zum anderen, weil die EU im Krisenmodus verharrt, nachdem nach der Erweiterung eine integrationspolitische Vertiefung nicht mehr durchsetzbar war (nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden mit kräftiger Unterstützung der politischen Linken in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten). Die Folgen einer Welt ohne ausgleichende Führung sei die Destabilisierung ganzer Regionen und weltweite Flüchtlingsströme. Soweit der außenpolitische Blick.

Die Aufwertung der machtpolitischen Rolle Deutschlands hat für den deutschen Außenminister vor allem zwei Gründe: Zum einen die »Reform«agenda 2010. »Deren Reformen legten die Grundlage für die Wiedergewinnung wirtschaftlicher Stärke« - und mit einem Seitenhieb auf die Politik der Gewerkschaften: »Die deutschen Arbeiter haben klugerweise das Modell exportgetriebenen Wachstums unterstützt.« Zum anderen eben jene »nachdenkliche« Politik, die auf »Säbelrasseln« und »Kriegsgeheul« verzichtet.

Den Begriff des »sanften Hegemons« vermeidet Steinmeier. Er weiß um die Kritik gerade der Rolle Deutschlands in der Durchsetzung eines Regimes harter Austerität in Europa, für das Menschen nicht nur in Griechenland mit der baren Münze ihrer sozialen Existenz zahlen müssen. Und er weiß um die Anfeindungen jener starken nationalistischen Kräfte, die sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gegen eine Führungsrolle Deutschlands verwahrt haben. Da verbieten sich verbale Hegemonieansprüche.

Doch die neue Vokabel der »nachdenklichen Macht« kann die Problemlagen nicht umschiffen. Das Postulat des Dialogs ist unabdingbar, aber keine nachhaltige Politik. Austerität nach Innen und Außen schafft eben keine neue Ordnung, die soziale Integration herbeiführt. Das sozialdemokratische Erbe, wonach Entspannungspolitik und »mehr Demokratie wagen« untrennbar zusammen gehören, ist bei Steinmeier nicht aufgehoben. Doch genau um diesen Zweierschritt geht es heute. Wenn Europa nicht weiter auseinanderbrechen soll, braucht es positive Botschaften über Wohlstand, soziale Integration, vertiefte Demokratie und friedenspolitische Identität.

[1] Vgl. Jürgen Wagner: NATO - Auf Konfrontationskurs mit Russland und dem Rest der Welt, IMI-Analyse 2016/26.
[2] Frank-Walter Steinmeier: Germany’s new Global Role. In Foreign Affairs, June 2016

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