Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
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ISBN 978-3-96488-196-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

14. Mai 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Die Richtungsauseinandersetzungen in der AfD

Das bisherige AfD-Führungstrio Konrad Adam, Frauke Petry und Bernd Lucke

Die Richtungsauseinandersetzungen in der »Alternative für Deutschland« (AfD) spitzen sich im Bundesvorstand und in den Landtagsfraktionen zu. Diese Entwicklung ist wenig überraschend. Jüngstes Beispiel: »Der Bundesvorstand hat … mehrheitlich beschlossen, das Landesschiedsgericht in Thüringen zu ersuchen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD-Thüringen Björn Höcke einzuleiten. Darüber hinaus wird das Gericht ersucht, Björn Höcke die Ausübung eines politischen Amtes auf zwei Jahre innerhalb der AfD abzuerkennen.«

Höcke hatte behauptet, dass man nicht jedes einzelne NPD-Mitglied als extremistisch einstufen könne. Der Bundesvorstand kam mehrheitlich zu der Auffassung, dass Höcke nicht zu einer deutlichen Distanzierung gegenüber der NPD bereit sei. Diese Tendenz zur Verharmlosung des rechten Extremismus müsse entschieden zurückgewiesen werden, weil dies für die Existenz und das weitere Wachstum der AfD nicht zuträglich sei. Zuvor hatte der Bundesvorsitzende Bernd Lucke Höcke zum Parteiaustritt aufgefordert.

Gemeinsam mit dem sachsen-anhaltinischen Landesvorsitzenden Andre Poggenburg hat Höcke die »Erfurter Resolution« verfasst. Das Papier nimmt gegen den als zu zahm kritisierten Kurs von Parteichef Lucke Stellung und propagiert die AfD als »Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands«. Im Streit um die Einschätzung der NPD unterstützt Poggenburg seinen Thüringer Kollegen.

Überraschend hatte auch die sächsische AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die selbst dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird, verharmlosende Aussagen zur NPD für unvereinbar mit den Prinzipien der AFD eingeordnet: »Toleranz gegenüber oder gar Zusammenarbeit mit wie auch immer gearteten Mitgliedern extremer Parteien hat in der AfD nichts verloren. Eine Verharmlosung dieser Problematik von Seiten bestimmter Einzelpersonen ist vollkommen unzulässig.«

Der seit längerem schwärende Konflikt zwischen radikalen Kräften vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden und Wirtschaftsliberalen im Westen hat damit eine neue Qualität erreicht. Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag unterstützt trotz der scharfen Kritik  mehrheitlich ihren Vorsitzenden Höcke. Der sei gewählter Fraktionschef, und es bestehe kein Anlass, daran etwas zu ändern.

Fakt ist, dass die AfD als Sammlungsbewegung unterschiedlicher außerparlamentarischer Strömungen gestartet ist. Das Erfolgsrezept der bundesdeutschen Variante des europäischen Rechtspopulismus basiert auf der Zusammenführung dieser Strömungen.

Prägend waren zunächst die Wirtschaftsliberalen, die vor allem von Bernd Lucke und dem ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel repräsentiert werden. Im Zentrum stand und steht die Ablehnung der EU-Politik von CDU und SPD. Diese Strömung sieht durch die südeuropäischen Krisenstaaten die Stabilität der Währung bedroht, wendet sich gegen die schleichende Vergemeinschaftung der Schulden und den Ausbau der Euro-Zone zu einer »Transfer-Union«.

Krisenländer sollten aus dem Eurowährungsraum hinausgedrängt werden. Es dominiert eine Ablehnung der Bankenrettungspolitik und eine Befürwortung der Stärkung von Familienunternehmen. Unterstützt wird ein transatlantisches Freihandelsabkommen, freier Wettbewerb im Sinne einer ordoliberalen sozialen Marktwirtschaft und Währungsstabilität, also Geld- und Zinspolitik, stehen im Zentrum.

Die nationalkonservative und nationalliberale Strömung, repräsentiert etwa von Konrad Adam und Alexander Gauland, thematisiert vor allem die nationalstaatliche Selbstbestimmung Deutschlands – derzeit vor allem gegenüber den USA, »Brüssel« (EU) sowie Flüchtlingen und Migranten. Eine »Einwanderung in den deutschen Sozialstaat« müsse verhindert werden. Deutschland solle Souverän über seine Grenzen bleiben und bestimmen können, wer ins Land kommen darf. Dieses Thema wird meist mit dem Kriminalitäts- und Sicherheits-Thema verkoppelt.

Eine dritte Strömung stützt sich vor allem auf rechtskonservative Wertorientierungen. Das traditionelle christliche Familienbild und evangelikale Werte und Normen werden verteidigt, insbesondere gegen die Gleichstellung von Minderheiten.

Die drei Strömungen streiten um die Integration rechtsextremistischer Organisationen. Ähnlich wie bei anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa sucht die wirtschaftsliberale Strömung eine »Entdiabolisierung« durchzusetzen, es soll gesellschaftliche Akzeptanz durch Distanzierung von rechtsextremen und faschistisch geprägten Parteisplittern erreicht werden.

Eine eindeutige Klärung dieser Abgrenzung ist bislang vermieden worden. Erschwert wird die Entwicklung der Partei durch die parlamentarische Erfolgswelle, die trotz parteiinterner Dissonanzen bis zur Bremen-Wahl anhielt. Der Zuwachs an Parlamentsmandaten und der rasche Zustrom an Parteimitgliedern führen zudem dazu, dass politische Glücksritter und gescheiterte Politexistenzen den Alltag erschweren.

Was sind die Gründe für die Zunahme der innerparteilichen Auseinandersetzungen trotz der Wahlerfolge? Zum einen nimmt die Flüchtlings- und Asylfrage wegen der realen gesellschaftlichen Entwicklungstendenz ein immer größeres Gewicht ein. Zum andern geht es um die politische Vorherrschaft in Organisations- und Strukturfragen.

Die AFD will in der Zuwanderung zwei Gruppen unterscheiden. Zum gebe es Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten wie Syrien und dem Irak. »Klar ist, dass wir diese Menschen nicht zurückschicken können. Wir haben eine moralische Verpflichtung, ihnen zu helfen.« Zumindest so lange, bis in ihren Ländern wieder Verhältnisse herrschen, die ihnen die Rückkehr ermöglichen.

Anders bei der zweiten großen Einwanderergruppe – Zuwanderern, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Die AfD ist für die Einführung des kanadischen Modells: Je höher die Qualifikationen und Sprachkenntnisse des Einwanderers, desto mehr Punkte bekommt er gutgeschrieben. Alle anderen werden nicht aufgenommen und letztlich abgeschoben.

Die diesem Modell unterliegende Unterscheidung ist auch in der bundesdeutschen Bevölkerung weit verbreitet: Rund zwei Drittel haben den Eindruck, dass derzeit viele AsylbewerberInnen nach Deutschland kommen. Die Gründe für Asylbegehren sind dem Eindruck der Bevölkerung nach breit gefächert. Sowohl akute existenzielle Notlagen und Verfolgung in der Heimat werden von weiten Teilen der Bevölkerung als häufige Gründe vermutet, als auch wirtschaftliche Motive sowie vermeintlich niedrige Hürden des deutschen Asylrechts bzw. der Asylpraxis.

Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung auch existenzielle Notlagen, insbesondere Bürgerkriege, als wesentliche Motive für Asylbegehren in Deutschland vermutet, plädieren 59% für strenge Asylregeln, also nur wenigen Asyl zu gewähren. Die Politisierung der Flüchtlingsfrage sieht die rechtskonservative und nationalistische Strömung in der AfD als Chance, den Einfluss der Partei massiv auszuweiten.

In der Auseinandersetzung um die Organisation der Partei geht es aktuell um das Ansinnen Luckes, alleiniger Parteiführer zu werden. Im Hintergrund lauert auch hier ein programmatischer Konflikt um das Verhältnis zur extremen Rechten und zur «PEGIDA»-Bewegung, vor denen etwa Hans-Olaf Henkel warnt. Mit den Themen Asylpolitik und Einwanderung, die dagegen etwa der brandenburgische Vorsitzende Alexander Gauland vorantreibt, hat die AfD vor allem in Ostdeutschland stark gepunktet.

Das Mitglied der Führungsmannschaft Konrad Adam sprach klar aus, was längst als Gerücht zirkuliert: Die sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry, die zusammen mit Adam und Lucke bis zum Parteitag Mitte Juni noch die Partei führt, strebt offenbar die alleinige Führung der AfD an. Lucke, der wichtigste unter den AfD-Gründern, ist wegen seines eher wirtschaftsliberalen Kurses seit den Landtagswahlen im Osten immer stärker unter Druck geraten. Die östliche AfD interessiert nicht der Euro, sondern mehr innere Sicherheit und weniger Zuwanderung.

»Das Duell wird zwischen Herrn Lucke und Frau Petry wahrscheinlich ausgetragen«, orakelte Adam. Er sprach sich dafür aus, das bisherige Führungsmodell mit drei Sprechern beizubehalten, weil er für »Gewaltenteilung« sei. Auf dem letzten Bundesparteitag in Bremen hatte die AfD eine Satzung beschlossen, die nur einen Vorsitzenden mit einem Generalsekretär vorsieht. Offiziell hat bisher nur Lucke seine Kandidatur für die Solospitze angemeldet.

Adam, der sich selbst als »kulturkonservativ« bezeichnet, wollte der Warnung Luckes vor einem Rechtsruck der AfD nicht widersprechen. Dass es Vorbereitungen dafür gebe, sei »unübersehbar«, sagte er mit Blick auf seinen eigenen Landesverband Hessen, wo es nach Adams Abwahl aktuell keinen Vorstand gibt. Adam hatte Aufsehen erregt, weil er in der »Bild« von »Indizien« geunkt hatte, wonach Lucke sich dazu entschieden habe, die AfD zu verlassen. Neuerdings lautet seine Botschaft: Die AfD sei ohne Lucke wohl nicht überlebensfähig.

Die heftigen Streitigkeiten zwischen den Flügeln sind für das führende Parteimitglied Joachim Starbatty nicht mehr als typische Probleme einer neugegründeten Partei zu verharmlosen: »Das ist schon existenziell.« Sollte es tatsächlich zu einer Spaltung kommen, wäre das das Ende der Partei. Gemeinsam mit Bernd Lucke will Starbatty nun gegen die Rechten in der AfD kämpfen. »Wir müssen die schweigende Parteimehrheit gewinnen«, sagt er.

Die rechtsradikalen Mitglieder und Funktionäre wollen sie sich einzeln vornehmen und dann entweder »disziplinieren« oder »aus der Partei werfen«. Leute wie Frauke Petry oder Alexander Gauland seien damit nicht gemeint. Die beiden gelten zwar als Vertreter der nationalkonservativen Richtung, seien aber im Prinzip Menschen, mit denen man »vernünftig« reden könne – im Gegensatz zum Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Der sei »ein aufgeblasener Studienrat« und müsse gehen. Falls es den Rechtsradikalen gelingen sollte, die Partei unter ihre Kontrolle zu bringen, würde Starbatty austreten. »Das würde ich nicht mehr mit meinem Namen decken wollen.«

Bernd Lucke will im Flügelstreit in der AfD eine Entscheidung erzwingen. Die Grundvorstellungen der radikalen und bürgerlichen Kräfte seien unvereinbar, schreibt er in einer Mail an alle Mitglieder. Antikapitalistische, deutschnationale, antiislamische und einwanderungsfeindliche Kräfte hätten dem Ansehen der AfD zuletzt stark geschadet. Ein seriöses Image sei aber nicht nur wichtig für Parteimitglieder, die mitten im Beruf stünden und in ihrem Freundeskreis nicht schief angesehen werden wollten. Die Entwicklung sei auch ein Grund dafür, dass sich einige potenzielle AfD-WählerInnen in Hamburg und Bremen wieder der FDP zugewandt hätten.

Ist die AfD vor allem eine Vereinigung von neoliberalen Eurokritikern oder handelt es sich im Kern um eine rechtspopulistische Gruppierung, die gegen Ausländer und Flüchtlinge zu Felde zieht? Legt man die Entwicklungstendenzen in den europäischen Nachbarländern[1] zugrunde, muss gefolgert werden, dass die Chancen eines fremdenfeindlichen und nationalistischen Rechtspopulismus besser ausfallen.

Allerdings machen die Entwicklungen in Frankreich oder in Großbritannien auch deutlich: Chancen werden nicht erhöht durch Öffnung, sondern eher durch Abgrenzung von der extremen Rechten. So oder so: Die aktuelle Mixtur aus niedriger Wahlbeteiligung, eklatierenden Finanzproblemen, wachsender sozialer Spaltung und massiver Flüchtlingsbewegung bewegt sich mehr und mehr in Richtung der Erosion der gesellschaftlichen Fundamente der Demokratie.

Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern war das parteipolitische Auftreten von Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus in Deutschland in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich. Erst mit den Europawahlen 2014 und den letzten Landtagswahlen gibt es mit der AfD den Anlauf zur Etablierung einer rechtspopulistischen Partei. Das Wählerpotenzial für eine solche politische Kraft ist allerdings seit längerem vorhanden.

Um dauerhaft Erfolg zu haben, müssen sich populistische Parteien neben der Artikulation von aktuellen Proteststimmungen auch auf politische Zielsetzungen stützen. Der wichtigste Bezugspunkt aller rechtspopulistischen Parteien ist die Resignation über und die teilweise Abgrenzungen vom System der politischen Willensbildung. Die wichtigste Unterscheidung für Populisten ist die von korrupten und unfähigen Eliten und den wachsenden Problemen der gutwilligen Mehrheit der Bevölkerung.

Das Misstrauen vieler WählerInnen gegenüber der Selbstbedienungsmentalität der politischen Klasse führt zu deutlichen Rückgängen bei der Wahlbeteiligung und schlägt sich auch in einem Engagement für rechtspopulistische Protestparteien nieder. Die Abwendung vom korrupten Auftreten und der Selbstbezogenheit vieler politischer Akteure verbindet sich mit der Enttäuschung über ideologische Zielsetzungen und Gerechtigkeitsversprechen erst des Staates, dann des Marktes. Soziale Unsicherheit verbindet sich mit Stereotypen und Vorurteilen.

AnhängerInnen und WählerInnen der AfD neigen zu autoritären Einstellungen, die gegen Minderheiten Stimmung machen. Die Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit und des Scheiterns bisheriger Konzepte gegen Ungerechtigkeit führt bei ihnen nicht zur Suche nach linken Alternativen, sondern zur Forderung, den Wohlfahrtsstaat gegen Ausnutzung zu verteidigen und zum Kampf gegen »Sozialdumping«.

Einwanderung ja, aber nur ohne Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen und Rechten, ist die gemäßigte Form. »Eine Einwanderung in deutsche Sozialsysteme lehnt die AfD strikt ab. Sozialleistungen für Zuwanderer sind ohne jede Einflussnahme der EU ausschließlich nach deutscher Gesetzgebung zu gewähren.« Diese radikalisierte Haltung, die sich schon in der CSU-Parole von einer Maut für Ausländer anbahnte, bietet Stoff für eine rechtspopulistische Programmatik, die – wie auch immer die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der noch keineswegs konsolidierten AfD ausgehen werden – uns auch zukünftig politisch herausfordern wird.

[1] Siehe hierzu die Flugschrift europas rechte, das konzept des »modernisierten« rechtspopulismus, Hamburg 2015

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