3. September 2014 Bernhard Sander
Die Sommer-Universitäten belehren das französische Volk
Marine Le Pen spricht vom »deutschen Joch«, das Frankreich knechte, und die Tageszeitung Libération schäkert mit dem »deutschen Casting« in der EU-Kommission. Für die französische Linke stand am letzten Wochenende allerdings eher die Kursänderung des PS im Vordergrund.
Auch wenn der ehemalige Kommunist Robert Hue der umgebildeten Regierung Valls-2 als Staatssekretär für die Veteranen angehört, ändert das nichts an der wirtschaftsliberalen Neuausrichtung. Nach dem Applaus auf der Sommeruniversität des Unternehmerverbandes (Valls: »Ich liebe das Unternehmen!«) wurde der neue und alte Regierungschef auf der Sommeruniversität des PS in La Rochelle zwar beim linken Flügel ausgepfiffen, aber für den Satz »Ich liebe die Sozialisten!« im Plenum bejubelt.
Sein Minister für Wirtschaft und Technologie hatte soeben verkündet, den Abschied von der 35 Stunden-Woche »für jedes Unternehmen, das dies wünscht« zu ermöglichen. Man müsse »der Falle entkommen, wo die Anhäufung von Rechten, die man den Arbeitern gegeben habe, sich in ebenso viele Behinderungen für jene verwandelt haben, die nicht arbeiten«.
Die PS-Deputierten in der Nationalversammlung und mit ihnen die Partei sind tief gespalten. Die Vertrauensfrage wird von den Erfolgsaussichten einer Wiederwahl geprägt sein. Die Loyalität zur eigenen Regierung wird allerdings nicht ohne Konsequenzen für die Präsidentschaftswahl 2017 bleiben. Schon bei der Volksabstimmung 2005 über die EU-Verfassungsverträge hatte sich die Mehrheit der Mandatsträger und Funktionäre anders positioniert als die Mehrheit derjenigen, die beim letzten Mal PS gewählt hatten.
Für keinen Bestandteil des Front de Gauche, insbesondere die Kommunisten, besteht nun noch Grund zur besonderen Rücksicht auf bisherige Wahlbündnisse mit dem PS, ohne sich komplett unglaubwürdig zu machen. Erst der zweite Wahlgang und die Unterstützung der Linken hatten Hollande in das Amt des Staatspräsidenten gebracht. »Das Bündnis von 2012 ist zerrissen«, lautete die Ansage des PCF-Chefs vor der sozialdemokratischen Linken in La Rochelle. Und auch die Nummer eins der Grünen sah keinen Grund, noch länger Einigkeit einzuklagen, wenn man eine neoliberale Wende eingeleitet habe.
Auch wenn die Empörung über den Kurswechsel von Hollande/Valls neue Energien auf der Linken freisetzt und Differenzen in den Hintergrund treten, bleibt doch die Frage, wie man sich inhaltlich und organisatorisch nun aufstellt. »Kann die Linksfront der Animateur einer notwendigen Sammlung aller linken Kräfte werden und unmittelbar den Dialog mit allen beginnen, die die neue Situation nicht akzeptieren können?«, fragte KP-Chef Pierre Laurent auf der Sommeruniversität.
Die Bestandteile der Linksfront werden immer unübersichtlicher: Die Mehrheitsströmung von Gauche Unitare hat sich der bewegungsorientierten »Ensemble!« angeschlossen, der auch die letzte Minderheitsströmung aus der NPA und Ökopaxe aus der PSU-Tradition angehören.
In der Linkspartei dominiert die alte linkssozialistische Strömung, aber der Trotzkist Éric Coquerel gilt als das neue Gesicht der Partei. Es geht vor allem um die Beteiligung jener, die keine bekennenden Anhänger der diversen politischen Formationen sind. Jean-Luc Mélenchon hatte auf der Sommeruniversität der Grünen nochmals gefordert, sich unmittelbar an »das Volk« zu wenden.
Marine Le Pen fordert auf ihrer Sommeruniversität die sofortige Auflösung des Parlaments: »Der König ist nackt.« Frankreich stecke in einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Krise, in der die Regierung in ihrem Inneren kritisiert werde. Sie muss jetzt in der Konkurrenz den linksradikalen Duktus übertreffen: Mit der Berufung eines Bankers zum Minister habe Hollande »seine Politik definitiv im brutalsten, dümmsten und ungerechtesten Ultraliberalismus verankert«.
Die »Erste Partei Frankreichs« (FN) sieht sich von einer tiefen und klaren Unzufriedenheit darüber getragen, dass das Land seine Souveränität an Berlin und Brüssel verloren habe. Das sei ein »explosiver Cocktail«. »Wir sind bereit, unsere Verantwortung zu übernehmen, die das Volk uns anvertraut.« Vorschläge aus der UMP, man wolle in der ehemaligen Präsidentenpartei mit Hollande in eine neue Kohabitation gehen, lehnt Le Pen ab. Das wäre nur dieselbe Politik.
Sie sei allerdings dazu bereit, auch wenn dies ein zähes Ringen werde. »Er wird eröffnen und Erinnerungsreden reden, das kann er sehr gut; und ich werde die Politik lenken … er wird sich unterordnen oder er wird abtreten«, interpretiert Le Pen die Kompetenzverteilung der Verfassung.
Es wäre ihr eine große Freude, Herrn Macron, Frau Taubira (die schwarze Justizministerin der Homosexuellen-Gleichberechtigung) und Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem gleich am ersten Tag abtreten zu sehen.
»Die erste Not-Maßnahme des FN werde die Lockerung des Schraubstocks sein, in den die Europäische Union die französische Wirtschaft gezwängt habe, und ihr Spielräume zurückzugeben. In Sachen Sicherheit gibt es ebenfalls viel zu tun. Die Laschheit von Madam Taubira ist das Wachstumshormon für die explodierende Unsicherheit in den Städten und auf dem Land.« Wie Valls hat sie die Forderungen des Unternehmerlagers also gehört; nur werden sie anders verpackt.