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22. Juni 2015 Otto König/ Richard Detje: Griechenland-Bashing – die Rentenlüge

Die Stunde der Populisten

Rentner protestieren gegen drohende weitere Kürzungen ihrer Renten.

Seit Tagen wird mit zunehmend schärferen Tönen gegen die SYRZA-Regierung in Athen polemisiert. Das intellektuelle Niveau der Beiträge ist dabei unter die Gürtellinie gerutscht. Wer gedacht hatte, mit der BILD-Kampagne über die »faulen Griechen«[1] wäre der Gipfel der Demagogie erreicht, muss feststellen, dass dieser von Bertold Seewald mit seiner feuilletonistischen »Rassenkunde« noch überboten werden kann.

Die Griechen seien »eine türkisch überformte Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern« und nicht die Nachfolger von Perikles – was »das gebildete Europa« leider nicht mitbekommen habe, weshalb nun Athen im Euro sitzt, jenes Griechenland, das 1827 »schon einmal Europas Ordnung« (Die Welt, 10.6.2015) zerstört hat.

Auch aus den Reihen der GroKoisten wird der Ton aggressiver. Da ist von griechischen »Irrläufern« und »Erpressern« die Rede, die nicht akzeptieren wollen, welches »beispielloses Maß an Solidarität« durch die EU-Partnerstaaten das hellenische Volk erfahren habe. Statt »rotzfrech« aufzutreten, sollten die »Populisten« und »Spieler« endlich ihre »Hausaufgaben machen«. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, kanzelte im Tagesspiegel (13.6.2015) den griechischen Ministerpräsidenten als »freche(s) Bürschchen« ab, der sich »mal hinter die Ohren schreiben« solle, dass die von Berlin initiierten EU-Regeln einzuhalten seien.

Es sind dumpfe »Stammtischparolen«, mit denen gegenwärtig Politik gemacht wird. Wie die, »die Deutschen hätten den Griechen Unmengen an finanzieller Hilfe zukommen lassen«. Eine Lüge, die die tatsächlichen Nutznießer der vermeintlichen »Griechenlandrettung« aus der Schusslinie nimmt. Denn neun Zehntel der »Hilfsgelder«, die angeblich »den Griechen« gegeben wurden, flossen in die Stabilisierung des europäischen Bankensystems. »Die Deutschen sollten wissen, dass sie mit ihrem Geld nicht Griechenland, sondern die Banken gerettet haben«, sagte vor kurzem der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.

In der aktuellen Regierungserklärung der deutschen Bundeskanzlerin heißt es demgegenüber, man habe »Griechenland uneigennützig und im Geiste europäischer Solidarität geholfen«, doch die Griechen hätten diese »Unterstützung missbraucht«. Man könnte auch meinen, welch eine Verhöhnung auch der Vertreter des deutschen Bundestages, denen eine solche Erklärung zugemutet wird.

Der Plenarsaal des Reichstages mutet selbst wie ein großer Stammtisch an. Dass marktliberal gesinnte Politiker Austeritätspolitik und Schuldenabbau um jeden Preis fordern, ist wenig überraschend, aber, so fragt Till van Treeck im Vorwärts: »Warum sind arbeitnehmernahe Parteien in Europa kaum noch in der Lage, diesem kontraproduktiven und gefährlichen Denken etwas entgegenzusetzen? Nimmt man in der SPD eigentlich wahr, dass das ungebrochene Loblied auf die Austeritätspolitik im krassen Widerspruch zum versammelten Sachverstand international renommierter Wirtschaftswissenschaftler steht?«

Doch um Sachverstand geht es gerade nicht, wenn der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß im Interview mit dem Deutschlandfunk vor der »unheilvollen Wirkung zwischen linken und rechten Populismus« (15.6.2015) meint warnen zu müssen und der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Sprecher des Seeheimer-Kreises, Johannes Kahrs, Yanis Varoufakis als »politischen Irrläufer ersten Ranges« abkanzelt.

Der Chef hat es ihnen vorgemacht. »Wer den Griechen jetzt die Solidarität verweigert, riskiert ein Abgleiten des Landes in chaotische oder längst überwunden geglaubte autoritäre Strukturen«, antwortete der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel noch 2012 in einem Zeit-Interview. Heute meint der »Machtpolitiker ohne Prinzipien«, dass die Spieltheoretiker der griechischen Regierung gerade dabei seien, die Zukunft ihres Landes zu verzocken. Über BILD(14.6.2015) ließ er der Regierung in Athen ausrichten, die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien würden sicherlich »nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung bezahlen.«

»Mit sozialdemokratischer Politik hat das aber nichts zu tun«, stellt die großbürgerliche Frankfurter Allgemeine Zeitung süffisant fest. Und der Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) mutmaßt: »Es gab SPD-Vorsitzende, die sich für so etwas geschämt hätten«. Für einen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, der seinen Laden konstant weit jenseits struktureller Mehrheitsfähigkeit positioniert, wäre es angebracht, zu überprüfen, weshalb sich die kulturalistische Wende der Sozialdemokratie nirgendwo ausgezahlt hat.

Zumal als Europäer sollte er eine Antwort darauf parat haben, weshalb er eine Politik empfiehlt, mit der sich die Schwesterpartei Pasok in eine Existenzkrise manövriert hat. Pascal Beucker kommentiert in der taz: »Wenn Sozialdemokraten nicht mehr als glaubwürdige progressive Alternative wahrgenommen werden, machen sie sich überflüssig. Die Krise der SPD ist nicht nur eine ihres Vorsitzenden, sondern auch derjenigen, die sich nicht gegen ihn auflehnen.« (17.6.2015)

Zum großen Griechenland-Bashing wurde der hellenische Luxus-Rentner hervorgezerrt. Die Botschaft lautet: Während die deutschen Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften gegen die Rente mit 67 kämpfen, verabschieden sich die Griechen ab Mitte 50 in den üppig ausgestatteten dritten Lebensabschnitt. Die Zahl 56 machte schnell die Runde durch die Medien – zuerst stand sie in der FAZ, dann folgte BILD und schließlich nannte sie der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach in der ARD-Talkshow von Günter Jauch als Beleg für das vermeintliche Schmarotzertum der Griechen.

Tatsache ist: Die griechischen Kollegen gehen nicht früher in den Ruhestand als ihre deutschen und von »Luxusrenten« kann erst recht keine Rede sein. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter aller Griechen lag laut OECD im Jahr 2012 unter Männern bei 61,9 Jahren und unter Frauen bei 60,3 Jahren. In Deutschland gehen die Beschäftigten laut OECD im Schnitt mit etwa 61,8 Jahren in Rente. Dabei sind auch alle einbezogen, die aus gesundheitlichen oder anderen Gründen früher Rente in Anspruch nehmen müssen (Zeit online, 18.6.2015).

Die durchschnittliche Monatsrente in Griechenland beträgt 664,69 Euro bei den Hauptrenten und 168,40 Euro bei den Zusatzrenten. 44,8% der griechischen Rentner (1.189.396 von insgesamt 2.654.784) beziehen sogar eine Rente unterhalb der Armutsgrenze, die in Griechenland bei 665 Euro liegt. In Deutschland beträgt im Durchschnitt die Rentenhöhe 766 Euro monatlich.

Das gezielt verbreitete Märchen vom griechischen »Luxusrentner« trug mit dazu bei, dass es in den vergangenen Wochen zu einem Wechsel der Meinung in der bundesdeutschen Bevölkerung gekommen ist: So befürworten laut Umfrage der Demoskopen der Mannheimer Forschungsgruppe im Auftrag des ZDF-Politbarometers 52% der Befragten den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Das bedeutet einen Anstieg von elf Prozentpunkten im Vergleich zum Ergebnis vor drei Wochen. Grund genug für Ministerpräsident Tsipras, in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel (17.6.2015) einen Mythos richtigzustellen: »Wer behauptet, deutsche Steuerzahler kämen für die Löhne, Renten und Pensionen der Griechen auf, lügt.«

Die Regierungspartei SYRIZA weist zu Recht darauf hin, dass die von der Troika (EU, EZB und IWF) aufgezwungene Kürzungspolitik für einen Großteil der Misere der Rentenkassen verantwortlich ist. Jedes beitragsfinanzierte Rentensystem kommt bei steigender Arbeitslosigkeit, »verordneten« Lohnkürzungen und dem daraus resultierenden Rückgang der Sozialversicherungseinnahmen in Schieflage. So hatten die von der Troika erzwungenen Maßnahmen zwischen 2010 und 2014 Ausfälle für die Rentenkassen in Höhe von 13 Milliarden Euro zur Folge. Zusätzlich verloren im März 2012 die zur Haltung ihrer Guthaben in Staatsanleihen verpflichteten Kassen beim Schuldenschnitt 25 Milliarden Euro Rücklagen.

Im gleichen Zeitraum wurden die Renten und Sozialausgaben um bis zu 50% gekürzt, was weitere Eingriffe in diesem sensiblen Bereich unmöglich macht. Das ist der Grund, warum die griechische Regierung mit Unterstützung der Bevölkerung[2] gegen weitere Einsparungen im griechischen Rentensystem Widerstand leistet. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union spielen mit dem Feuer, denn ihre Forderungen nach weiteren Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen treffen die ärmsten Griechen und würden die »humanitären Krise« weiter dramatisch verschärfen.

Der DGB reagierte auf die »Verdammung« der griechischen Regierung durch Sigmar Gabriel auf seiner Facebook-Seite mit dem Hinweis: »Europas Sparpolitik ist für die Verarmung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten verantwortlich«. Es reicht mit dieser menschenverachtenden Sparpolitik. Die Zukunft Europas und des Euros hängt davon ab, »ob die politischen Führer der Eurozone ein Minimum an wirtschaftlichem Verständnis mit einem visionären Sinn für und mit der Sorge für europäische Solidarität verbinden können«, mahnt Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph. E. Stiglitz (Projekt Syndicate, 5.6.2015).

[1] Otto König/Richard Detje: »Pleite-Griechen« -Der Kampagnenjournalismus der BILD-Zeitung und die Notwendigkeit, solidarische Gegenwehr zu organisieren, in: Sozialismus 4-2015.
[2] SYRIZA ist unbestritten die dominierende politische Kraft in Griechenland: In jüngsten Wahlumfragen liegt sie mit etwa 35% weit vorn. Die Nea Demokratia und Pasok, die das Land 40 Jahre regiert haben, kommen auf kaum 20% (ND), die Pasok liegt bei 3%. Drittstärkste Partei ist Potami mit rund 6%. (FR, 18.6.2015).

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