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28. Juli 2015 Sam Gindin / Leo Panitch: Transformationsschritte im Neoliberalismus

Elemente eines realistischen Plan B in Griechenland

Sam Gindin [mitte] und Leo Panitch [rechts], zusammen mit dem Mitherausgeber des »Socialist Register« Greg Albo [links]

Angesichts der Unterbindung dringend benötigter Finanzmittelzuflüsse und der Drohung, faktisch aus der Europäischen Union hinausgeworfen zu werden, hat das griechische Parlament in der Nacht zum 16. Juli zugestimmt, das neue Memorandum der Troika [1] zu akzeptieren. Premierminister Alexis Tsipras hat – im Gegensatz zu Sozialdemokraten, die von sich aus die Umsetzung des Neoliberalismus als Teil ihrer »Modernisierung« beschlossen hatten – eingestanden, dass dies »ein schlechter Deal« ist, der den Griechinnen und Griechen aufgezwungen wurde.

Syrizas Abgeordnete waren entzweit, auch wenn drei Viertel von ihnen Tsipras folgten und mit ja stimmten. Draußen auf dem Syntagma-Platz versammelten sich Tausende wütender Demonstranten und zogen dann durch Athens Innenstadt, wobei ihr NEIN jetzt bedeutete, das neue Memorandum zurückzuweisen.

Auch im Zentralkomitee von Syriza hat sich eine starke Strömung dagegen ausgesprochen. Doch in allen unseren Gesprächen mit Parteimitgliedern und ganz unterschiedlichen Syriza-Anhängern haben wird den Eindruck gewonnen, dass überwiegend die Meinung besteht, dass die Regierung unterstützt werden und weiterhin im Amt bleiben sollte.

Angesichts dieser Uneinigkeit und Frustrationen: Ist es überhaupt möglich, und wenn ja wie, Syrizas Kampf gegen den Neoliberalismus neu zu beleben und fortzusetzen? Und da der Neoliberalismus – derzeit existiert keine andere Variante – der Kapitalismus unserer Zeit ist: Was kann man machen, um eine Basis für die Beendigung des Kapitalismus zu schaffen?

Diese Frage stellt sich jetzt nicht nur den Griechinnen und Griechen, auch wenn wesentliche Aspekte des derzeitigen Dilemmas spezifisch griechisch sind. Vielmehr steht die Linke insgesamt vor neuen Problemen. Zum einen vor dem Problem, über die Herausforderung, in einer feindlichen Umgebung an die Macht zu kommen, nachzudenken und damit umzugehen. Zum anderen steht die Linke vor dem Problem, die Menschen vor den schlimmsten Verwüstungen des Neoliberalismus zu schützen und zugleich eine »real existierende Transformation« in Richtung einer gerechteren, solidarischen und wirklich demokratischeren Welt in Angriff zu nehmen.

Teile der griechischen und ein nicht geringer Teil der internationalen Linken haben argumentiert, das Abkommen hätte abgelehnt und stattdessen der Grexit bevorzugt werden müssen. Dieser Auffassung zufolge wäre es dann unter einer ganzen Reihe von Szenarien das wahrscheinlichste Szenario gewesen, dass die Regierung zurückgetreten wäre, Neuwahlen ausgerufen hätte und Syriza mit einem Programm in den Wahlkampf gezogen wäre, bei dem sich die Partei in der Frage des Verbleibs in der Eurozone genau umgekehrt als bisher positioniert hätte. Und – entsprechend dieser Argumentationsweise – hätte die Partei dann, ganz egal ob sie gewonnen oder verloren hätte, nicht einmal ihre Glaubwürdigkeit verloren und hätte einfach noch eine Zeit lang weiter kämpfen können.


Raus aus dem Euro und Abkehr vom Staat?

Wir würden diese Argumentation nicht ganz von der Hand weisen. Sie spiegelt legitime emotionale Empfindungen und strategische Ausrichtungen wider. Bis vor kurzem jedoch haben drei von vier Griechen einen Grexit abgelehnt, und selbst wenn sich dies mit dem Referendum und seinen Folgen verschoben haben sollte, gibt es keinen deutlichen und tiefgreifenden Konsens, Europa zu verlassen. Tsipras und ein guter Teil der Parteiführung laufen in dieser Frage nicht einfach den Wählern hinterher, sondern sind Europa fest verbunden sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus kulturellen Gründen.

Für diejenigen von uns, die seit langem darauf hingewiesen hatten, dass ein eventueller Austritt ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ist, vor allem aus einer sozialistischen Perspektive, besteht die Herausforderung jetzt nicht so sehr darin, dies zu verurteilen, sondern zu fragen: Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, das umzusetzen? Für welche konkreten Schritte sowohl in ideologischer Hinsicht als auch in Bezug auf die Möglichkeiten seitens der Regierung und des Staatsapparats sollte man sich jetzt einsetzen, um die Partei und deren Basis zu einem Konsens zu bewegen?

Soweit es Ratschläge für Syriza betrifft, ihre Regierungsgewalt aufs Spiel zu setzen, ist darauf hinzuweisen, dass Syriza mit dieser Frage bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen 2012 konfrontiert war und seinerzeit zu dem Schluss gekommen war, die einzig verantwortbare Entscheidung sei, die Regierungsübernahme anzustreben und alles zu tun, um den neoliberalen Angriff mit Hilfe des Staates – aus seinem Inneren heraus – zu bändigen.[2]

Syrizas Wahlerfolg in jenem Jahr beruhte auf Tsipras Erklärung, dass Syriza nicht nur wegen einer Ausweitung des Stimmenanteils Wahlkampf machen würde, sondern entschlossen war, eine Regierung mit allen jenen zu bilden, die zusammen mit Syriza für ein Ende der ökonomischen Grausamkeiten bei gleichzeitigem Verbleib in Europa eintreten würden.

Erst als Syriza auf Basis dieser Strategie die Wahlen fast gewonnen hätte, geriet die Partei in den Focus der Aufmerksamkeit der internationalen Linken. Im Sommer darauf wurde Tsipras von der Europäischen Linkspartei zum Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 gewählt. Syrizas klarer Wahlsieg in Griechenland bei dieser Wahl war der Vorbote für ihren Sieg bei der Parlamentswahl in Griechenland im Januar 2015. Damit ist sie die erste und bisher einzige europäische Linkspartei, die sich dem Neoliberalismus entgegenstellt und die Regierungsgewalt in ihrem Land erobert hat.

Die Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage, die die Syriza-Regierung sofort – ohne dass die Troika-Vertreter ihre Veto gegen die Gesetzgebung geltend machen konnten – eingeleitet hatten, einmal beiseite gelassen: Schon allein der Versuch der neuen Regierung, die Troika in Frage zu stellen, hat dazu beigetragen, die neoliberale Substanz der EU zu entlarven und die Diskussion über Alternativen in Gang zu bringen, wie schwierig auch immer sie sich darstellen mögen.

Es erscheint uns verfrüht, aus den dramatischen Ereignissen der letzten fünf angespannten Monate und deren vorläufiger Lösung in der letzten Woche – so ernüchternd sie auch ist – den Schluss zu ziehen, dass es für Syriza besser sei, den Staat den bürgerlichen Gegnern zu überlassen. Angemessener wäre es, Empörung und Protest und erst recht Resignation hinter sich zu lassen und statt dessen sich damit auseinander zu setzen, welche Veränderungen im Staat – auf legislativer und exekutiver Ebene – möglich bleiben, um die Bedürfnisse der Mehrheit der Griechinnen und Griechen, die beim Referendum mit OXI gestimmt haben, zu unterstützen, und um beizutragen zur dringend erforderlichen Weiterentwicklung ihrer schon eindrucksvoll unter Beweis gestellten Fähigkeiten solidarischer und innovativer Organisation.

Ohne diese Veränderungen ist ein produktiver Weg aus der Eurozone und vielleicht auch aus der EU hinaus, um so dem Neoliberalismus zu entkommen, vollkommen undenkbar. Was für die Vorbereitung eines Grexits wirklich erforderlich ist, das sind diese Veränderungen und nicht das Schmieden heimlicher Pläne für eine neue Währung.

Die Befürworter eines Grexits streiten nicht ab, dass er mit Kosten verbunden ist. Doch sie neigen auch dazu – manchmal etwas leichtfertig – zu unterschätzen, was für ein Chaos dies vor allem für einen Staat, der seit zwei Jahrhunderten von Klientelismus durchtränkt ist, bedeuten würde. Zugleich wird von ihnen überschätzt, was mit dem Austritt aus dem Euro für sich genommen überhaupt erreicht würde. Die Ökonomie einer neuen, abgewerteten Währung würde sicher zu einer hohen Inflation und damit zu einer weiteren dramatischen Reduzierung des Lebensstandards führen und könnte aus sich heraus auch keine neuen wettbewerbsfähigen Industrien hervorbringen.

Wenn eine Krise so tief ist wie in Griechenland und teilweise auf der Umstrukturierung der Wirtschaft wegen der gewachsenen europäischen Integration beruht, dann ist es unwahrscheinlich, dass durch einen Währungswechsel die alten Industrien wieder auf die Beine kommen oder neue Industrien sich herausbilden. Es sei daran erinnert, wie viele Staaten mit eigenen Währungen nicht in der Lage sind, den verheerenden Auswirkungen des Neoliberalismus zu widerstehen.

Es ist ganz offensichtlich, dass die Optionen, die der Syriza-Regierung noch bleiben, zusätzlich eingeengt sind durch die spezifische Struktur des neuen Memorandums, durch die die Integration Griechenlands in das neoliberale Europa mit Grausamkeiten diszipliniert wird. Das sollte auch jenen in der Partei zunehmend klar werden, die ihr Engagement für die EU damit begründen, dass der Verbleib in der Eurozone zusammengehen kann mit einer Eindämmung der für die meisten Griechen negativen Auswirkungen des Neoliberalismus.

Es ist sehr zu hoffen, dass Syriza – und allgemein die europäischen Linksparteien – die Vorstellung aufgeben, dass ein zentralisierter, transnationaler europäischer Staat ein Fortschritt wäre. Aber aus all dem folgt nicht, dass es richtig wäre, wenn Syriza jetzt als Vorreiter eines Grexit auftreten würde, ohne auf die Bewältigung der Folgen besser vorbereitet zu sein.

Warum also dann nicht doch die Regierungsgeschäfte abgeben und sich der Aufgabe entledigen, das neue Memorandum umzusetzen? Ein Rücktritt wäre jetzt höchst unverantwortlich, nachdem Syriza Regierungspartei geworden war vor allem mit dem Versprechen, die Auswirkungen des Neoliberalismus in Griechenland zumindest zu mildern zu versuchen, und nach allem, was der Syriza-Regierung jetzt aufgezwungen worden ist wegen ihrer anti-neoliberalen Ausrichtung und wegen ihrer demokratischen Verwegenheit, das Referendum durchzuführen.

Dadurch ist sie noch stärker in die Verpflichtung genommen worden, alles Mögliche zu unternehmen, um die Auswirkungen des Neoliberalismus einzudämmen. Eine andere Handlungsweise würde darauf hinauslaufen, sich dem Ziel derjenigen zu beugen, die es in den Verhandlungen darauf angelegt hatten, diese Regierung zu stürzen.


Wie könnte ein realistischer Plan B aussehen?

Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Mit dem gescheiterten Plan A (Verhandlungen mit Europa) und der Ablehnung des Euro (Plan B) ist das Dilemma, mit dem Syriza konfrontiert ist, nur unzureichend umschrieben. Um die Eurozone und gegebenenfalls auch die EU verlassen zu können, ist in der Tat eine bessere Vorbereitung erforderlich. Die Solidaritätsnetzwerke, die sich in der Gesellschaft herausgebildet haben, um mit den Krisenfolgen fertig zu werden, müssen die Grundlage und der Ausgangspunkt sein, um die sozialen Beziehungen in Griechenland zu transformieren. Das ist der eigentliche Plan B, das ist das Terrain, auf dem Syriza und die sozialen Bewegungen jetzt zu neuer Kraft finden können. Was heißt das konkret?

In den Auseinandersetzungen der letzten Jahre hat sich die berühmte Solidaritätsbewegung von unten entwickelt, indem – wie bei jeder erfolgreichen Organisationsarbeit – an den Bedürfnissen der Menschen angeknüpft worden ist. Daraus sind die etwa 400 Solidaritätsgruppen in ganz Griechenland hervorgegangen, die die Probleme der Grundversorgung in ihren Lebenszusammenhängen anpacken mit selbstorganisierten und demokratisch verwalteten Kollektiven, die die Menschen unterstützen mit Lebensmitteln, bei Wohnungsproblemen, bei Krankheit und in anderen Notsituationen.[3]

Syriza-Mitglieder waren und sind in Aufbau und Aktivitäten der Solidaritätsnetzwerke involviert, und seit 2012 führen die gewählten Syriza-Abgeordneten hierfür 20% ihrer Diäten ab. Aber seit der Regierungsübernahme durch Syriza Anfang dieses Jahres ist zu wenig getan worden, um bei staatlichen Einrichtungen die Weichen neu zu stellen und sie zur Unterstützung und Verbeiterung der bemerkenswerten Solidaritätsbewegung einzusetzen.

So berichteten uns zum Beispiel zwei Organisatoren des Koordinations-Netzwerks »Solidarität für alle« von folgender frustrierender Erfahrung: Auf eine entsprechende Anfrage hin stellte das Landwirtschaftsministerium keine Informationen zu den Anbauorten bestimmter Agrarprodukte zur Verfügung. Diese Informationen wären aber erforderlich gewesen, um eine größere Zahl von Landwirten ansprechen und den Direktvertrieb ohne Zwischenhandel an die Not leidenden Endverbraucher stärken zu können.

Beim Netzwerk »Solidarität für alle« sind insgesamt nur zwölf Leute beschäftigt – ihre Zahl sollte mit staatlicher Hilfe vervielfacht werden. Militärlastwagen, die nutzlos herumstehen, könnten eingesetzt werden, um die Verteilung von Nahrungsmitteln durch die Solidaritätsgruppen gewährleisten zu können. Damit könnten die Einschnitte bei den ärmsten Rentnern und die mit dem neuen Memorandum erzwungene Mehrwertsteuererhöhung bei Lebensmitteln teilweise kompensiert werden.

Verschiedene staatliche Stellen könnten bei der Ermittlung von Brachland zum Einsatz kommen – davon ist in ländlichen Regionen und wegen der Krise auch in städtischen Gebieten reichlich vorhanden. Das Brachland könnte lokalen Genossenschaften zur Verfügung gestellt werden, die dort landwirtschaftliche Produkte erzeugen und damit zugleich Arbeitsplätze sowie dezentralisierte landwirtschaftliche Strukturen schaffen.

Das Bildungsministerium sollte aktiviert werden sich dafür einzusetzen, dass Schulen zugleich auch als Gemeindezentren genutzt werden können. Die Zentren könnten den sozialen Bewegungen, die sich um die Verteilung von Nahrungsmitteln und Gesundheitsdienste kümmern, Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und auch die hierfür notwendige technische Ausbildung organisieren.

Viele Studierende, mit denen wir gesprochen haben, sind zwar sehr enthusiastisch, sich an Gemeinschaftsprojekten vor Ort zu beteiligen, müssen aber auch schnell eingestehen, dass sie zwar kompetent bei der Verteilung von Flugblättern und der Organisation von Demonstrationen, ihre Fähigkeiten für eine längerfristige Tätigkeit in solidarischen Gemeinschaftsprojekten aber recht begrenzt sind. Das Bildungsministerium könnte hier mit speziellen Programmen helfen, um Studierende zu qualifizieren, dort auf Zeit mitzuarbeiten, zum Beispiel in der Erwachsenenbildung und bei den Gemeinschaftsprojekten.

In ähnlicher Weise sollten Privatisierungen, die dem griechischen Staat aufgezwungen werden, mit Auflagen für die neuen Eigentümer flankiert werden, die sie dazu verpflichten, Industrieparks einzurichten, in denen neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Privatisierte Unternehmen könnten verpflichtet werden, Ausrüstungsgüter und Vorprodukte aus dem Inland zu beziehen. Zugleich könnten staatliche Einrichtungen, Schulen und Krankenhäuser ihren Bedarf an Mobiliar sowie Hilfs- und Betriebsmaterialien bei den neu entstandenen Produktionseinheiten decken.

Viele Gebäude stehen leer oder werden kaum genutzt (wie die Olympischen Sportstätten). Genossenschaften und Kleinunternehmen sollten darin unterstützt werden, hier ihre Betriebsstätten zu errichten, unterstützt von jungen Architekten und Ingenieuren. Hierfür könnte als Vorbild die Works Projects Administration in den USA während der Zeit des New Deal dienen, aber insbesondere auch für die breite Palette von künstlerischen und kulturellen Aktivitäten, denen so viele arbeitslose Jugendliche heute schon ohne Einkommen nachgehen.

Wir wollen das nicht überbewerten. Diese Ansätze allein werden nicht die »Lösung« sein können. Und sicherlich werden Einwände laut, dass sie die Intentionen und Forderungen nach Strukturreformen, wie sie im neuen Memorandum enthalten sind, nicht berücksichtigten.

Aber unter strategischen Gesichtspunkten sind sie ein konstruktiver Ansatz, um den Staat mit lokalen Strukturen und Körperschaften auf neuartige Weise miteinander zu verknüpfen, wodurch die schwarzen und grauen Märkte beseitigt würden, die sonst die Ökonomie eines Landes erdrücken würden, das die Eurozone verlässt.

Außerdem hilft dieser Ansatz, den Grundstein für eine neue Stufe bei der Überwindung der innergriechischen Barrieren zu legen, die durch die ungleiche Verteilung von Reichtum und Privateigentum entstanden sind. Die neu zu gestaltende Zusammenarbeit von Zentralstaat und lokalen Körperschaften konkretisiert die Notwendigkeit der Investitionsplanung und die Wichtigkeit öffentlichen Eigentums, damit das gesellschaftliche Mehrprodukt auch in die lokalen, regionalen und sektoralen Institutionen gelangen kann.


Staats- und Parteiführung neuen Typs

Die Syriza-Regierung kann derzeit immer noch auf Zuspruch bauen, auch wenn das durch das neue Memorandum beschädigt worden ist. Um die weitere Erosion der Unterstützung seitens der Bevölkerung zu verhindern, sind konkrete Gegenschritte notwendig, um die von der Troika auferlegte Gesetzgebung zu kontern. Jedem negativen Gesetz sollte sie in kreativer Weise ein positives Gesetz entgegenstellen, mit dem das anhaltende Engagement für den Kampf gegen den Neoliberalismus bekräftigt wird.

Syrizas Minister dürfen nie davon abweichen, aus den negativen Zumutungen etwas Positives herauszuholen. Es wird von ihnen in der Tat erwartet, dass sie als sozialistische Erzieher tätig werden. Sie müssen dazu beitragen, dass die Menschen verstehen, welche Hindernisse es sind, die eine Verbesserung ihrer Lebenssituation verhindern. Sie dürfen die langfristigen Erwartungen nicht klein reden, sondern müssen sie eher höher schrauben, indem sie auch weiterhin den Neoliberalismus angreifen und die sozialistische Vision von Solidarität und Demokratie hochhalten. Das sollte Inspiration und Anleitung zugleich sein, um die staatlichen Strukturen zu transformieren und den alten Klientelismus zu beseitigen.

All das kann nur erreicht werden, wenn Syriza als Partei die politische Agenda und die Befähigung entwickelt, Staat und Gesellschaft in Griechenland in diese Richtung zu führen. Wir haben viele Menschen in der Partei, in den sozialen Bewegungen und im Staatsapparat getroffen, die besorgt sind, dass Syriza gerade in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf hat. Von allen Gründen, Syriza gegenüber kritisch zu sein, ist das der gravierendste.

Sam Gindin und Leo Panitch sind Hochschullehrer an der York University in Toronto, Kanada. Letzte gemeinsame Buchveröffentlichung: The Making of Global Capitalism: The Political Economy of American Empire (Verso). Beide hielten sich kürzlich in Athen auf. Sam Gindin ist Mitglied des Redaktionskollektivs von Canadian Dimension. Leo Panitch ist Mitherausgeber des Jahrbuchs der internationalen Linken Socialist Register. Vgl. auch seine früheren Korrespondenzen aus Athen vom 12. Juli 2015 und vom 15. Juli 2015 auf diesen Seiten. Diese weitere Korrespondenz erschien unter dem Titel The Real Plan B: The New Greek Marathon zuerst am 17. Juli 2015 als E-Bulletin No. 1145 auf der Website von socialist project. Aus dem Englischen übersetzt von Hinrich Kuhls. Leo Panitch hat seine Sicht der Ereignisse in Griechenland am 20. Juli auch in einem dreiteiligen Video-Interview mit The Real News Network erläutert: Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
[1] Euro Summit statement, 12 July 2015. Vgl. hierzu Joachim Bischoff und Björn Radke: Was bringt der Deal von Brüssel? vom 13. Juli 2015 auf dieser Website. [Anm. d. Ü.]
[2] Zur Diskussion über Strategie und Politik von Syriza im Wahljahr 2012 vgl. Michalis Spourdalakis: Left Strategy in the Greek Cauldron - Explaining Syriza’s Success. In: Socialist Register 2013, S. 98–119; sowie The Rise of Syriza. An Interview with Aristides Baltas, conducted by Leo Panitch. In: Socialist Register 2013, S. 120–136. [Anm. d. Ü.]
[3] Vgl. hierzu u. a. die Broschüre Solidarität mit Griechenland des Netzwerks solidarity4all von Juni 2015 . [Anm. d. Ü.]

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