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8. September 2016 Otto König / Richard Detje: Türkische Militärinvasion in Nordsyrien

Erdoğans Krieg gegen die Kurden

Die Bilder in 2014 waren verstörend und erschütternd zugleich: Während die dschihadistischen Kämpfer des »Islamischen Staats« (IS) nur wenige hundert Meter hinter der türkischen Grenze die von Kurden bewohnte Grenzstadt Kobanê massiv angriffen, standen türkische Panzer schussbereit an der Grenze. Doch sie griffen nicht ein. Das NATO-Mitglied Türkei weigerte sich, der bedrohten Bevölkerung Hilfe zu leisten. Das säkulare, demokratische und föderale Gesellschaftsprojekt Rojava[1] steht den neo-osmanischen Ambitionen des Regimes Recep Tayyip Erdoğans im Wege.

Zwei Jahre später – im August 2016 – rollen türkische Panzer unterstützt von Truppen einer Koalition »moderater« Rebellen, zu der auch die Al-Qaida nahe Gruppe Ahrar al-Sham gehört, im nordsyrischen Dscharabulus ein. Dabei setzen die türkischen Streitkräfte auf »Leopard«-Panzer, Waffensysteme »Made in Germany«. Begleitet von »Sympathien« der Bundesregierung[2] weitet die Türkei ihren Krieg gegen die Kurden auf syrisches Territorium aus und trägt damit zu einer weiteren Eskalation bei.

Den Vorwand für den Einmarsch, der gegen den erklärten Willen der syrischen Regierung erfolgte, lieferte das grausame Bombenattentat auf eine kurdische Hochzeitsfeier, bei dem mindestens 60 Menschen im türkischen Grenzort Gaziantep getötet wurden. Wie zuvor wurde auch in diesem Fall wieder die übliche Verschwörungstheorie verbreitet, neben dem IS sei auch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verantwortlich. Erdoğans, der nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli mit Dekreten regiert, erklärte umgehend, dass es zwischen der PKK, der FETÖ (Gülen-Bewegung), der YPG und der Daesh (IS) keine Unterschiede gebe: »Alle sind Terroristen.«

Die Massaker von Diyarbakir, Suruc, Ankara und nun Gaziantep weisen Gemeinsamkeiten auf: Nach dem Anschlag von Suruc im Juni 2015 rief Staatspräsident Erdoğans eine umfassende »Antiterrorkampagne« aus, die sich gegen allen »terroristischen« Gruppen und insbesondere gegen den IS richten sollte. Tatsächlich wurde der Anschlag genutzt, um Luftschläge auf die PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak zu legitimieren. Und so verhält es sich wieder nach Gaziantep. Nach der Säuberungswelle gegen die Gülen-Bewegung und deren vermeintliche AnhängerInnen wurden die Angriffe auf linke und kurdische Institutionen wiederaufgenommen.

Die Operation »Schutzschild Euphrat« (»Fırat Kalkanı«) richtet sich gegen die multi-ethnische Militärallianz »Syrian Democratic Forces« (SDF). Nach Schätzungen der Nachrichtenagentur Rudaw machen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) rund 60% der Truppen der SDF aus. Weitere wichtige Verbände sind die sunnitisch-arabische Miliz des Schammar-Stammes (Quwat as-Sanadid), die mehrheitlich arabische Armee der Revolutionäre (Dschaisch ath-Thuwwar) und der christlich geprägte assyrisch-aramäische Militärrat der Suryoye (MFS). Das Bündnis steht in Rojava an vorderster Front gegen die Menschenfeinde des IS. Die YPG wird vom AKP-Regime wie die PKK als Terrorgruppe eingestuft.

Die türkisch-syrische Grenzstadt Dscharabulus wurde 2013 vom IS erobert. Drei Jahre lang störte sich die Regierung in Ankara nicht daran, dass die Dschihadisten hunderte Quadratkilometer entlang der Grenze zur türkischen Republik kontrollierten. Im Gegenteil: Mit Duldung der Türkei schleuste der IS ausländische Kämpfer und Unterstützer über diesen Ort in das von ihm kontrollierte Gebiet, organisierte von hier aus den Nachschub bzw. verkaufte Erdöl.[3] Erst nachdem die SDF im Kampf gegen IS auf das Westufer des Euphrat vordrang, Städte wie Manbidsch von der IS-Herrschaft befreiten und ansetzten, auf das 35 Kilometer entfernt liegende Dscharabulus vorzurücken, setzte die türkische Regierung ihre Streitkräfte in Marsch, um den kurdischen Kräften zuvor zu kommen.

Letztlich geht es dem Autokraten Erdoğans darum, die Errichtung eines Bundesstaats in Syrien, der im Sinn einer demokratischen Konföderation funktionieren soll, abzuwenden. Tatsächlich erklärte Salih Muslim, Ko-Vorsitzender der PYD, dass es darum gehe, »unser System der Selbstverwaltung auf das restliche Syrien auszuweiten und, eines Tages, auf alle Teile des kurdischen Gebiets.« Dies ist für Ankara der eigentliche Anlass, einen möglichst tief in das syrische Gebiet reichenden Keil zu treiben, um die territoriale Vereinigung und Konsolidierung der drei Kantone Rojavas zu unterbinden und die Ausbreitung föderaler Strukturen zu unterdrücken. Denn eine solche Entwicklung beflügle die Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden.

Deshalb lautet Erdoğans Maxime: »Unsere Operationen gegen Terrororganisationen wie den IS, die PKK und ihren syrischen Arm YPG werden so lange weitergehen, bis sie keinerlei Bedrohung mehr für unsere Staatsbürger darstellen.« Das ist die Begründung für die Fortsetzung des nun seit 30 Jahren in den kurdischen Gebieten der Türkei stattfindenden schmutzigen Krieges des türkischen Staates gegen die eigene kurdische Bevölkerung.

Schließlich konnten Willkürjustiz, Feindstrafrecht, Hinrichtungen, Terror, Folter, Zwangsumsiedlungen und Zerstörungen von Ortschaften den kurdischen Widerstand bis auf den heutigen Tag nicht brechen. Dieses Vorgehen gegen die Kurden führte sogar dazu, dass »unterschiedliche linke und sozialistische Parteien gemeinsam mit den legalen Teilen der kurdischen Bewegung ein Linksbündnis aufbauten, das die soziale Frage in den Vordergrund stellte und sich mit den unterschiedlichen Widerstandsherden solidarisierte, die sich überall im Land formiert hatten«.[4]

Faktisch will sich die Türkei mit ihrer aggressiven Militäraktion eine »Schutzzone« schaffen, die von Dscharabulus im Osten bis Azaz im Gouvernement Aleppo reichen soll, um das Entstehen eines zusammenhängenden »Westkurdistan« zu verhindern. Es liegt auf der Hand, dass das Vorgehen gegen das emanzipatorische Projekt Rojava das vorrangige Ziel ist: Eine basis-demokratische Selbstverwaltung in kurdischen und arabischen Siedlungsräumen entlang der syrisch-türkischen Grenze wird im »1000-Zimmer-Palast« in Ankara als Bedrohung empfunden.

Für die weitere Entwicklung wird entscheidend sein, wie sich die USA im Konflikt zwischen der Türkei und Rojava positionieren. Zum einen sind im Kampf gegen den IS die Verbände der SDF die zuverlässigsten Verbündeten der USA, zum anderen ist die Türkei ein wichtiger NATO-Partner. Zumal Russland die kurdischen Kräfte in Nordsyrien weiter unterstützen wird. Die SDF/YPG müsste es als Verrat empfinden, wenn die USA die türkische Forderung unterstützen sollten, dass sie sich aus der gerade zurückeroberten Stadt Manbidsch auf das Ostufer des Euphrat zurückziehen sollen.

Sollten die syrischen YPG-Milizen deshalb aus der Anti-IS-Koalition aussteigen, wird es so bald keine Rückeroberung der IS-Hochburg Rakka geben. Für Syrien wäre dies keine gute Entwicklung. Der syrischen Bevölkerung könnte nach fünf schrecklichen Kriegsjahren eine Fortsetzung des Schreckens bevorstehen.[5]

[1] Siehe auch Anja Flach u.a.: Revolution in Rojava. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage, VSA: Verlag, Hamburg 2016.
[2] Die Bundesregierung habe »Sympathien, wenn sich die Türkei am militärischen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat« beteilige, so ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Erfolge im Kampf gegen die IS-Miliz. www.bundesregierung.de, 26.8.2016.
[3] Die Türkei gilt laut einer internen Einschätzung der Bundesregierung, die durch die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke bekannt wurde, als wichtige Unterstützerin des IS-Terrors in der Region. Telepolis, 17.8.2016.
[4] Vgl. Murat Çakır: Die neuen Stützen des AKP-Regimes, RLS Standpunkte 23/2016.
[5] Der seit 2011 tobende Bürgerkrieg in Syrien hat nach Schätzungen der UNO rund 400.000 Menschen das Leben gekostet und vier Millionen zur Flucht ins Ausland getrieben. Rund 8,7 Millionen Kinder, Frauen und Männer sind innerhalb von Syrien auf der Flucht.

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