Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

1. März 2015 Otto König / Dieter Knauß: Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie 2015

Ergebnis mit Signalwirkung

Der Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie ist beendet: Alle Tarifbezirke übernahmen den im baden-württembergischen Böblingen ausgehandelten Kompromiss. Dieser Tarifabschluss wird Signalwirkung für die laufenden Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie, aber auch auf für die Tarifbewegung des öffentlichen Dienstes der Länder haben.

Die vereinbarten regionalen Entgelt-Tarifverträge bringen den mehr als 3,7 Millionen MetallerInnen höhere Einkommen: Die Monatsentgelte werden ab dem 1. April um 3,4% erhöht. Für die Monate Januar bis März gibt es eine Einmalzahlung von 150 Euro (Auszubildende 55 Euro) – nicht üppig, aber Null-Monate wurden vermieden. Der Entgelt-Tarifvertrag endet nach 15 Monaten am 31. März 2016.

Damit sind den ArbeitnehmerInnen in der M+E-Industrie deutliche Reallohnsteigerungen sicher. Der so genannte verteilungsneutrale Spielraum – gut 1% Produktivitätssteigerung plus 2%-Zielinflationsrate der EZB – wird über die gesamte Laufzeit ausgeschöpft. Davon profitieren nicht nur die Beschäftigten, sondern ebenso der Staat und die sozialen Sicherungssysteme durch höhere Steuer- bzw. Beitragseinnahmen.

Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger klagte im Deutschlandfunk, der materielle Abschluss sei für die Branche »gerade so eben noch zu stemmen«. Das ist Propaganda, denn eine Korrektur der langfristigen Umverteilung der sektoralen und gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung zugunsten der Unternehmereinkommen findet nicht statt. Es ist die minimale bis negative Preisentwicklung, also eine extrem gefährliche ökonomische Konstellation, die entsprechende Kaufkraftsteigerungen ermöglicht. Deflation wirkt hier durchaus als süßes Gift, was erklärt, dass Warnungen (»japanische Krankheit«, also eine über Jahrzehnte währende Stagnationsperiode) in der breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden.

Richtig ist allerdings, dass die Wirtschaftsentwicklung auch in der Metall- und Elektroindustrie höchst unterschiedlich verläuft: Was für Teile der Exportindustrie leicht zu schultern ist, ist für andere spürbare Belastung. So oder so fällt das der IG Metall auf die Füße – in den prosperierenden Unternehmen durch Jahressonderzahlungen, deren materieller Gehalt auch erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen in den Schatten stellt.

Unter anderem daraus erwächst ein weiteres, ebenfalls seit längerem virulentes Problem: die Verhandlungskompetenz des Arbeitgeberlagers. In der abgelaufenen Tarifrunde war klar, dass in Baden-Württemberg der Pilotabschluss verhandelt werden sollte. Aber hinter regionaler Stärke lauert dann eine strukturelle Schwäche, wenn die Verhandlungsfähigkeit des Arbeitgeberlagers andernorts nur begrenzt gewährleistet ist. Ein seit längerem bekanntes, aber strategisch ungelöstes Problem.

In der abgelaufenen Tarifrunde lief die »Verbandsloyalität« im Arbeitgeberlager über die Argumentationsschiene, der materielle Teil der Vereinbarung sei nur zustimmungsfähig gewesen, weil man »im Gegenzug bei der Altersteilzeit und bei der Bildung die Kernanliegen der Arbeitgeber« durchgesetzt habe. Das Kalkül der Arbeitgeberverbände sei offenbar gewesen, dass »die Unternehmen mit einer höheren Lohnkostensteigerung eher klarkommen als mit Mehrbelastungen und neuer nerviger Mitbestimmungsbürokratie, wie sie die IG Metall mit den Stichworten Alters- und Bildungsteilzeit aufgerufen hatte«, schlussfolgert die FAZ am 25.2.2015.

Tatsächlich war es jedoch der gewaltige Druck der Warnstreiks und öffentlichkeitwirksamen Aktionen von über 850.000 MetallerInnen aus rund 3.800 Betrieben bundesweit, mit dem die Verweigerungshaltung der Metall-Arbeitgeber durchbrochen werden konnte. Eine Rekordbeteiligung: Es waren knapp über 100.000 mehr als in der Tarifrunde 2013. Das provokative »Magerkost«-Angebot der Arbeitgeber von 2,2% – vor dem Hintergrund voller Auftragsbücher, steigender Exporte durch den niedrigen Eurokurs und gesunkenen Energiekosten – sowie die Sorge vor Einschnitten bei der Altersteilzeit trieben die Beschäftigten aus den Betrieben auf die Straße und Plätze.

Hinter der Zahl steht ein qualitativer Erfolg: Es war die Gesamtorganisation, die diese Mobilisierung zustande gebracht hat. Allerdings sei angemerkt, ohne damit Wasser in den Wein gießen zu wollen: Mit der Konzentration auf Warnstreikaktionen sind in der IG Metall kaum noch Erfahrungen der ehren- und hauptamtlichen Funktionäre mit Erzwingungsstreiks vorhanden. Kein Wunder, dass die Bezahlung der Teilnahme an mehrmaligen Warnstreiks in der Organisation zunehmend thematisiert wird.

Der IG Metall gelang es zwar, zu allen drei aufgestellten Tarifforderungen Lösungen zu vereinbaren, doch während sie beim Entgelt einen Erfolg erzielen konnte, musste sie bei den qualitativen Forderungen Abstriche akzeptieren. Es gelang ihr bei den »weichen« Themen der Alters- und Bildungsteilzeit, die Gegenforderungen der Arbeitgeber abzuwehren, doch die eigenen Forderungen vor allem bei der Weiterbildung konnten nur teilweise durchgesetzt werden. Gleichwohl: Die Auseinandersetzung um die Altersteilzeit war das zentrale Mobilisierungsthema in der Tarifrunde, während sich die geforderten Ansprüche auf Weiter-bildung als zentrales Sympatiethema in der Öffentlichkeit erwiesen.

Gesamtmetall und die regionalen Metall-Arbeitgeberverbände hatten sich vor dem Hintergrund der »größten sozialpolitischen Ungerechtigkeit« – so charakterisieren sie das Rentenpaket der GroKo und den aus ihrer Sicht damit verschärften Fachkräftemangel – in der Tarifbewegung darauf eingeschossen, vor allem denjenigen Beschäftigten Ansprüche auf Altersteilzeit zu verwehren, die »noch können, aber nicht mehr wollen«. Ihr Ziel war es, die bisherige Altersteilzeitquote von 4 auf 2% der Belegschaft eines Betriebes abzusenken.

Der IG Metall gelang es, diesen Angriff abzuwehren. Die Regelungen zur Altersteilzeit, die zum 31.3.2015 auslaufen und aufgrund der neuen Rentengesetzgebung neu ausgehandelt werden mussten, bleiben weitgehend unverändert. Mit dem »Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente« können ab dem 1. April auch künftig 4% der Beschäftigten in verblockte und unverblockte Altersteilzeit gehen.

Der flexible Übergang in die Rente steht auch zukünftig allen offen. Prioritär zu behandeln sind dabei »besonders belastete« Beschäftigte: Wer von Schichtarbeit oder einer ungesunden Arbeitsumgebung betroffen ist, hat vorrangig Anspruch auf eine Altersteilzeit von bis zu fünf Jahren ab dem 58. Lebensjahr. Damit gelang es, einen Anschluss an die »Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren« herzustellen. Dies gilt für bis zu 3% (bisher 2,5%) der Beschäftigten.

Nicht »besonders Belastete« haben ab dem 61. Lebensjahr Anspruch auf eine bis zu vierjährige Altersteilzeit. Ein Erfolg ist auf jeden Fall, dass die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen bessergestellt werden und sich so den Ausstieg aus dem Arbeitsleben eher finanziell leisten können.

Beim Thema geförderte Bildungsteilzeit musste die IG Metall die deutlichsten Abstriche schlucken. Wenn überhaupt ist »ein erster wichtiger Schritt gelungen« (Roman Zitzelsberger, IG Metall-Bezirksleiter Baden-Württemberg). Ein individuell durchsetzbarer Anspruch der Beschäftigten auf persönliche Weiterbildung konnte nicht tarifiert werden. Für An- und Ungelernte sieht der Tarifvertrag vor, auf Basis eines festgestellten Bedarfs Programme für berufsqualifizierende Abschlüsse anzubieten.

Darüber hinaus wurde ein Modell vereinbart, um Beschäftigten während der Bildungsphase ein stetiges Einkommen zu ermöglichen. Das Modell muss jedoch jede/r Beschäftigte selbst finanzieren über Einzahlungen von Teilen seiner Sonderzahlungen oder aus betrieblichen Arbeitszeit- oder Langzeit-Konten (in Nordrhein-Westfalen maximal 152 Stunden/Jahr) in ein »Bildungskonto«. Zusätzlich wurden Mechanismen vereinbart, wie per freiwilliger Betriebsvereinbarung nicht ausgeschöpfte Mittel aus dem betrieblichen Altersteilzeit-Topf zur Finanzierung der Qualifizierung genutzt werden können.

Die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats im Bereich der persönlichen beruflichen Weiterbildung wurden gestärkt. So soll der Betriebsrat den Qualifizierungsbedarf in der Belegschaft ermitteln und mit dem Arbeitgeber einen Fortbildungsplan aufstellen. In streitigen Fällen, d.h. bei Ableh-nung einer vom Beschäftigten beantragten Maßnahme, kann der Betriebsrat die tarifliche Einigungsstelle anrufen.

Die tarifliche Regelung einer geförderten Bildungsteilzeit wurde von den Arbeitgeberverbänden bis zuletzt abgelehnt. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen konnte an bestehende, aber unterschiedliche tarifliche Regelungen angesetzt werden. Die schon bestehenden baden-württembergischen Qualifizierungsregelungen waren bundesweit nicht übertragbar. Deshalb wurde vereinbart, den Tarifvertrag Bildung aus Nordrhein-Westfalen auf die übrigen IG Metall-Bezirke im Bundesgebiet zu übertragen.

Wieweit diese Regelungen mit »Leben« gefüllt werden, hängt maßgeblich vom Engagement der Betriebsräte ab. Sie müssen den »Tarifvertrag Bildung« zu ihrem betrieblichen Handlungsinstrument machen. Er darf nicht das Schicksal seiner »Vorgänger« erleiden, die nach dem Abschluss ein trauriges Dasein in Aktenschränken fristeten und kaum zur Anwendung kamen.

Damit dies nicht eintritt, sollte die IG Metall spätestens im Herbst eine begleitende, längerfristig angelegte »Weiterbildungs«-Kampagne anschieben. Aktuellen Bedarfen Rechnung tragende wie vorausschauende Bildungsplanung ist gewerkschaftliche und betriebliche Aufgabe – unter Berücksichtigung der spezifischen Bedarfe der verschiedenen Beschäftigtengruppen.

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