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Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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Den Krieg verlernen
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18. Dezember 2012 Ulrich Bochum: »Rationale Unternehmensführung« bei ThyssenKrupp

Fehlkalkulation und Corporate Governance

Neben der Hiobsbotschaft, dass das Opel-Werk in Bochum ab 2016 keine weiteren Fahrzeuge mehr bauen soll, machte mit ThyssenKrupp ein weiteres, für das Ruhrgebiet prägendes Unternehmen mit schlechten Unternehmensergebnissen auf sich aufmerksam. Die in der Wirtschaftspresse veröffentlichte Nachricht, dass der Stahl- und Technologie-Konzern (152.000 Beschäftigte, davon 58.000 in Deutschland) im Geschäftsjahr 2011/2012 bei einem Umsatz von 47 Mrd. Euro einen Jahresverlust von 5 Mrd. Euro erzielt hat, wirft einige Fragen über den Zustand dieses wichtigen und einflussreichen deutschen Unternehmens auf.

ThyssenKrupp ist bereits seit längerem negativ in den Schlagzeilen: Preisabsprachen und Kartellbildung bei Aufzügen und Schienenmaterial haben ihm Millionen-Strafen eingebracht. Jetzt kommen gigantische Fehlinvestitionen im Zuge der Internationalisierung der Stahlproduktion hinzu. Ein Stahlwerk planen und bauen – das sollte ThyssenKrupp eigentlich können, schließlich macht man das nicht zum ersten Mal, auch wenn man in den letzten Jahren mehr Kapazitäten ab- als aufgebaut hat.

Der Unternehmensvorstand hatte gehofft, mit der Errichtung eines neuen Stahlwerks in Brasilien (70km von Rio de Janeiro entfernt) Stahl-Vormaterial (so genannte Brammen = gegossene Stahlblöcke) zu erheblich günstigeren Kosten herstellen zu können und dieses Vormaterial dann per Schiff in die amerikanischen und europäischen Märkte zu liefern, um es dort weiter zu verarbeiten, z.B. zu walzen. Jede brasilianische Bramme sollte pro Tonne Stahl um 55 Dollar günstiger als in Deutschland produziert werden: preiswertere Energie, weniger Umweltauflagen, geringere Löhne sollten dies möglich machen.

So das betriebswirtschaftliche Kalkül. Inzwischen ist klar, dass die erträumten Kostenvorteile sich in handfeste Nachteile verwandelt haben: Die Kosten pro Tonne Stahl liegen um 170 Dollar über denen aus deutscher Produktion. Die Ursachen liegen in den außer Kontrolle geratenen Kosten beim Bau des Stahlwerks, das im wahrsten Sinne des Wortes in den Sumpf gesetzt wurde. Das vorgesehene Gelände eignete sich nicht für den Bau, der Untergrund musste mit Pfählen stabilisiert werden.

Ein Stahlwerk braucht Hochöfen, eine Kokerei und ein Kraftwerk. Aus Kostengründen wurde die Kokerei durch eine chinesische Firma erstellt und wieder abgerissen – sie funktionierte einfach nicht. Der notwendige Neubau wurde dann mit der Tochterfirma Uhde realisiert.

Das brasilianische Abenteuer kostete soviel Geld – die Rede ist von 12 Mrd. Euro –, dass ThyssenKrupp in den vergangenen Geschäftsjahren Tochter-Gesellschaften verkaufen musste, um die Erlöse zum Abbau der Schulden zu nutzen. Nun konzentrieren sich die Anstrengungen darauf, das brasilianische Stahlwerk als auch die in den USA ausgebauten Stahlkapazitäten, die mit insgesamt 7 Mrd. Euro in den Büchern stehen, zu verkaufen. Auf das Geschäft mit Stahlwerken in Übersee wurden im Geschäftsjahr 2011/2012 Wertberichtigungen in Höhe von 3,6 Mrd. Euro fällig.

Der halbe Vorstand wurde inzwischen gefeuert. Aber auch der Aufsichtsrat des montan-mitbestimmten Unternehmens kommt angesichts dieser Entwicklungen nicht gut weg. Kontrolliert er den Vorstand und was tun die Arbeitnehmervertreter und die IG Metall? Auch Peer Steinbrück ist bis zum Ende 2012 Mitglied des Aufsichtsrats. Selten kann man von einer größeren Anhäufung von Managementfehlern in einem Unternehmen berichten und trotzdem hat es keiner bemerkt?

Als zu Beginn der 1980er Jahre die Stahlkrise das Ruhrgebiet und das Saarland erschütterte und tausende von Arbeitsplätzen auf der Kippe standen, gab es dort noch drei Stahl-Konzerne: Hoesch, Krupp und Thyssen. Daneben produzierten und verarbeiteten noch Klöckner, Salzgitter und Arbed Saarstahl jede Menge Stahlprodukte. Der Stahl-Markt in der damaligen EG wurde in der Krise durch Quoten-Zuteilungen geregelt, an die die Unternehmen sich halten mussten, ansonsten waren Strafzahlungen fällig. Bereits damals war klar: Die Krise würde erhebliche Konzentrationsprozesse auslösen und eine Art Stahl AG hervorbringen.

Die ThyssenKrupp AG kommt einem derartigen Gebilde sehr nahe. Mit 25,33% ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung der größte Anteilseigner, 65% der Anteile befinden sich im Streubesitz und der Rest verteilt sich auf internationale Investoren.

ThyssenKrupp ist in seiner jetzigen Form aus einer Reihe feindlicher Übernahmen entstanden. 1992 kam es zu einer solchen des Dortmunder Hoesch-Konzerns durch die Friedrich Krupp AG (Hoesch-Krupp). Eine feindliche Übernahme versuchte Hoesch-Krupp 1997 dann auch mit dem wesentlich größeren Thyssen-Konzern. Es kam jedoch zu massiven Protesten der Belegschaften, sodass es zunächst nur zur Zusammenlegung der beiden Stahlbereiche kam (ThyssenKrupp Stahl AG). Diese Fusion kostete mehrere tausend Arbeitsplätze. 1999 fusionierte Krupp mit Thyssen. Der Spiritus Rector dieser für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich aggressiven Übernahmestrategie war Krupp-Chef Gerhard Cromme, im Hintergrund agierte der Chef der Krupp-Stiftung Berthold Beitz.

Die aggressiv-vereinnahmende Firmenstrategie muss irgendwie auch die internen Umgangsformen bestimmt haben, sonst würden Beobachter nicht von der Notwendigkeit einer neuen Führungskultur sprechen. Cromme hatte im Auftrag der Bundesregierung vor einigen Jahren den deutschen Corporate Governance Kodex erarbeitet und steht als Aufsichtsrats-Chef nun einem Unternehmen vor, das sich in keiner Weise an die Vorgaben hält.

ThyssenKrupp gilt heute als diversifizierter Industriekonzern, das Stahlgeschäft trägt noch mit 20% zum Gesamtumsatz bei. Daneben sind die Geschäftsbereiche Aufzüge/Fahrtreppen, Anlagenbau, Komponenten für die Fahrzeugindustrie, Handel mit Roh- und Wertstoffen und Marineschiffbau (Fregatten und U-Boote) getreten. Auch im Bereich Industrielle Produktionsdienstleistungen war ThyssenKrupp stark vertreten. Der Konzern hat sich aber im Rahmen einer Restrukturierung von fast allen seinen industriell ausgerichteten Dienstleistungsbereichen getrennt. ThyssenKrupp IndustrieService und ThyssenXervon wurden an die WISAG-Gruppe und an die Remondis-Gruppe verkauft.[1]

Insgesamt ist die Diversifizierung dieses Ruhr-Konzerns gelungen. Es ist daher auch völlig unangebracht, dem Ruhrgebiet und seinen Bewohnern vorzuhalten, sie seien nicht zur Veränderung fähig und hielten an alten Strukturen fest.[2] Das ist weder empirisch richtig, noch ist es eine adäquate Einschätzung der wirtschaftsgeschichtlichen Prozesse, die dort abgelaufen sind. Richtig ist aber, dass mit der beabsichtigen Schließung des Opel-Werks in Bochum eine der wichtigsten Initiativen zur Reduzierung der regionalen Abhängigkeit von Kohle und Stahl beendet wird.

[1] Vgl. dazu R. Meißner/U. Bochum (2011): Industrie-und Produktions-Services. Studie zu einer Branche »under cover«, Berlin (IG Metall Branchenstudie)
[2] Vgl. dazu den Artikel »Ärmer als der Osten« von Peter Berger in der FR und in der Berliner Zeitung 11.12.2012.

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