14. März 2014 Bernhard Sander
Französische Kommunalwahlen
Das Bild des »verkommenen Packs« im politischen System, das vor allem von der rechtspopulistischen Bewegung »Bleu-marine« um die Vorsitzende des Front National Marine Le Pen mit Hingabe ausgemalt wird, leuchtet zurzeit in grellen Farben.
In dem Moment, wo sich die UMP, die nicht mehr gaullistische, nicht mehr neoliberale, noch nicht rechtspopulistische Präsidentenpartei nach ihrem alten Chef Sarkozy zurücksehnt, werden Hunderte von Tonband-Mitschnitten des ehemaligen Präsidentenberaters aus dem rechtsradikalen Milieu veröffentlicht. Sie offenbaren den Master of the Universe Sarkozy als genau die halbseidene, gehässige, um Einfluss und Sinekuren schachernde Figur, als die ihn viele Franzosen in Erinnerung haben. Die Fortsetzung der Karriere als Hoffnungsträger der UMP dürfte sich damit erledigt haben. Daher kann man in den aktuellen landesweiten Umfragen nur 22% erwarten, liegt jedenfalls mit dem Regierungslager etwa gleich auf.
Aber auch die französische Justiz hat den ehemaligen Staatspräsidenten abgehört, wie viel davon legal war, ist umstritten; die Justizministerin steht im Feuer. Angefangen vom Parteispendenskandal um die senile Millardärin Bettencourt über den außergerichtlichen Vergleich um die dreistelligen Millionen Steuerschuld des Herrn Tapie bis zur Beeinflussung von Richtern laufen mehrere Verfahren gegen Sarkozy. Endlich ist nun die Abgeordneten-Immunität des Waffenproduzenten und Sarkozy-Kumpel Dassault in der Affaire um den Stimmenkauf mithilfe mafiöser Seilschaften im Migrantenmilieu von Corbeil-Essonne aufgehoben.
In diesem aufgewühlten Meer von Skandalen tauchen am Horizont keine Piraten auf und die französische Gesellschaft weiß zu gut, dass es um Rechts und Links und nicht um »vorne« geht. Aber es treten örtlich freie Bürger-Listen mit beachtlichem Potenzial an, die sich gegen eine Zuordnung Links-Rechts wehren; z.B. sammelt Pape Diouf, der ehemalige Präsident des Fußballklubs Olympique Marseille, in Marseille 5%. In einer landesweiten Umfrage votieren 28% für »eine andere Liste«. Vermutlich wird die Wahlbeteiligung rekordverdächtig niedrig ausfallen. Bei vielen jetzt veröffentlichten Meinungsumfragen in einzelnen Städten geben etwa zwei Drittel an, dass für sie die kommunalen Themen im Vordergrund stehen und nicht die Abstrafung oder der Vertrauensbeweis für den Präsidenten und seine sozialistisch-sozialdemokratische Mehrheit.
Darauf ist es zurückzuführen, dass die Nationale Front Le Pens gewisse Luftlöcher unter ihren Tragflächen spürt. Anfang März kam man landesweit auf 11% nach 17% Anfang Februar. Auf nationaler Ebene sind die Umfragewerte zurückgegangen. Denn Zugang zu digitalen Hochgeschwindigkeitsnetzen, Müllentsorgung, Öffentlicher Personentransport vor allem im ländlichen Raum, Mieten sind nicht unbedingt Themen, die sich leicht von der technokratischen Elite von Brüssel oder der kulturellen Überfremdung her durchbuchstabieren lassen. In den Kommunen, in denen die nationalen Größen der Nationalen Front antreten, erzielen sie teils beachtliche Umfragewerte von 25 und mehr Prozent. Da sie in mehr Städten die notwendigen 10% für die Teilnahme am zweiten Wahlgang erreichen werden, wird es mehr drei- oder vierpolige Stichwahlen geben. Marine Le Pen erreicht damit ihr Ziel, sich als landesweit verankerte Kraft für die Europawahl zu positionieren.
Die extreme Linke schwächelt in Umfragen mit 1% knapp über der Wahrnehmungsschwelle. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) ist noch auf 85 Listen vertreten, gegenüber fast 200 im Jahr 2008. Große Teile der Partei sind zum Bündnis Front de Gauche übergewechselt, was die Konsensfindung dort nicht erleichtert. Da seit 2012 mit der sinkenden Mitgliederzahl (mit 2.500 unterhalb der früheren Quellpartei LCR) die staatliche Parteienfinanzierung von 900.000 Euro weggefallen ist, bestehen nur noch wenige Ressourcen zur politischen Arbeit. Für die ultra-montane Lutte Ouvrière besteht die Funktion der Kommunalwahlen darin, »Flagge zu zeigen«, was ihnen mit Listen in 178 Städten gelingt (gegenüber 118 im Jahr 2008); die Zahl der Kandidaturen konnte von 5.000 auf 8.300 gesteigert werden, obwohl die Partei nur 8.000 eingeschriebene Mitglieder vermeldet.
Die Sozialdemokratie sammelt etwa 23% allein oder mit ihren diversen Listenpartnern bei Grünen, der KP oder anderen. Autonome linke Listen im Umfeld der Linksfront schaffen um die 5% derzeit.