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5. Dezember 2012 Uli Cremer: Wo manche GRÜNE und SPDlerInnen irren

Frieden in Syrien mit den »Patriots«?

Am 4.12. beschlossen die Außenminister der 28 NATO-Staaten in Brüssel, dass die NATO »Patriot«-Flugabwehrraketen ins türkischen Grenzgebiet zu Syrien verlegt. Sie folgten einem Antrag der türkischen Regierung, mit dem Syrien gehindert werden soll, »türkisches Gebiet« zu verletzen. Allerdings verfügen nur Deutschland, die Niederlande und die USA über das modernste »Patriot«-System. Damit der Beschluss mit deutscher Beteiligung rasch umgesetzt wird, will das Bundeskabinett am 5.12. ein Mandat beschließen und bis 14.12. einen entsprechenden Beschluss des Bundestag herbeiführen.

Innerhalb der Oppositionsfraktionen von GRÜNE und SPD im Bundestag war bereits seit den ersten Vorboten einer möglichen direkten deutschen Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen im syrischen Bürgerkrieg eine Debatte über die Sinnhaftigkeit eines solchen Einsatzes entbrannt.[1]

In den letzten Tagen nun tauchten in den Reihen der SPD und der GRÜNEN einige neue Argumentationsmuster auf, um die Stationierung zu rechtfertigen, außerdem diverse Anregungen, wie das Mandat auszugestalten sei. Damit werden bei NATO und Bundesregierung offene Türen eingerannt. Stationierung nicht so nahe an der Grenze? Wird gemacht. Kein türkischer Oberbefehl? Aber sicher, wir machen NATO-Oberbefehl. AWACS vergessen? Stimmt, brauchen wir ja auch als Feuerleitsystem für die Patriots. Gut, schreiben wir das auch gleich mit ins Mandat. Keine Operationen über syrischem Gebiet? Natürlich nicht, nie in Erwägung gezogen.

Es wird übrigens sogar von NATO-Vertretern berichtet, die die Patriots so programmieren wollen, dass sie keine Flugzeuge abschießen könnten, sondern nur »Raketen, die türkisches Gebiet oder Eigentum bedrohen«. Offenbar haben wir bisher die Raffinesse der NATO-Militärtechnologie unterschätzt, sie kann wohl sogar juristische Eigentumstitel berücksichtigen.

Die Patriots sollen 50 km hinter der Grenze stationiert werden. Die Patriots Typ PAC-3 haben eine Reichweite von 45 km. Also Problem gelöst? Keineswegs, denn es handelt sich um mobile Systeme, die auf einem Werfer-Fahrzeug montiert sind. Diese müssen ja nicht 50 km von der Grenze entfernt geparkt bleiben, sondern die Fahrzeuge können jederzeit näher an die Grenze heranfahren. Im Irak-Krieg 2003 bewegten sich die entsprechenden US-Patriot-Batterien flexibel mit den vorrückenden Truppen. Sollte die Bundeswehr sogar zwei Patriot-Batterien stellen, müsste sie zusätzlich auf ältere PAC-2-Systeme zurückgreifen. Diese haben ohnehin eine Reichweite von 160 km (vgl. hierzu Otfried Nassauers Beitrag »Symbolpolitik und die Solidarität – Patriot-Raketen für die Türkei« auf www.bits.de)

Sobald die Patriot-Raketen in der Türkei stationiert sind, können sie also technisch für die Absicherung einer privat von der Türkei bzw. der NATO eingerichteten »Flugverbotszone« über syrischem Gebiet genutzt werden. Passiert aber nicht, weil ein restriktes Mandat das ausschließe, wird sodann den KritikerInnen entgegengehalten. Von wem ist noch gleich das Mandat? Von der NATO selbst – nun, die kann ihre eigenen Beschlüsse jeden Tag ändern. Als öffentliche Rechtfertigung benötigt man dafür natürlich eine passende »Provokation«, die bekanntlich immer schnell bei der Hand ist.

Um nicht zu weit in der Geschichte zurückzugehen, sei nur auf das Hula-Massaker von Juni 2012 verwiesen. Wie der FAZ-Korrespondent Rainer Hermann recherchiert hat, ist dieses ganz offensichtlich von Aufständischen verübt worden. Dennoch war es für die NATO-Staaten ein willkommener Anlass, um die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus abzubrechen. Es handelt sich bei den Regime-Change-Bestrebungen in Syrien nicht um eine exklusiv türkische Unternehmung, sondern diese wird von der gesamten NATO tatkräftig unterstützt. Auch Deutschland ist mit Spionagebooten und Militärausbildern mit von der Partie. Warum soll ein NATO-Oberbefehl generell konfliktmindernd wirken, wenn alle NATO-Staaten den Konflikt eskalieren wollen?

Im Beitrag von Felix Pahl und Tim Rauschan »Patriots nur unter klaren Bedingungen zur Verfügung stellen«[2] wird ein Perspektivwechsel angeregt bzw. das de Maizière-Argument »45 Jahre hat Deutschland von der Solidarität der Allianz profitiert« variiert. Es »sollte auch berücksichtigt werden, wie die Argumente abgewägt werden würden, wenn die Bedrohungssituation und damit die Anfrage umgekehrt wäre.« Das heißt, Deutschland würde Militärhilfe von der Türkei anfordern, weil es sich z.B. von Dänemark bedroht sähe. Hier wird vorausgesetzt, dass es sich bei der NATO um ein Verteidigungsbündnis handelt. In Wirklichkeit ist aber aus der NATO in den letzten 20 Jahren ein offensives Militärbündnis mit regionalen Ordnungsansprüchen geworden.

Statt das Dänemark-Beispiel noch mit einer friesischen Befreiungsfront zu bebildern, sei ein juristischer Perspektivwechsel empfohlen. Was die türkische Regierung seit 2011 real tut, erfüllt mutmaßlich bereits jetzt den Tatbestand einer Aggression gegen das Nachbarland Syrien. Denn die UN-Generalversammlung qualifizierte auch »das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder in seinem Namen« in der Resolution 3314 (XXIX) von 1974 als Aggression.

Nun kann man natürlich sagen, in der Freien Syrischen Armee kämpften lauter untadelige Freiheitskämpfer, nur die Tausende islamistischen Kämpfer störten ein wenig. Aber es soll hier ein Zitat aus der FAZ vom 30.7.2012 genügen: »Dass der Syrische Nationalrat, der größte Dachverband der Opposition, den FSA-Kämpfern Gehälter zahlt und sie bei der Versorgung mit Waffen unterstützt, ist kein großes Geheimnis...«[3] Hinzu kommt, dass das türkische Parlament Beschlüsse gefasst hat, die die Regierung zu einem militärischen Eingreifen in den syrischen Kurdengebieten ermächtigen, wie dies in den irakischen Kurdengebieten immer wieder geschieht. Kurzum: Die Patriots sind so gesehen ein militärischer Beitrag im Rahmen einer von der NATO unterstützten Aggression, bei der die Türkei in der ersten Reihe steht.

Zu der gängigen Behauptung »Russland und China blockieren bei Syrien im Sicherheitsrat« mag ein weiterer Perspektivwechsel helfen. Im Juni wurde von der Syrien-Aktionsgruppe (unter Teilnahme aller UN-Veto-Mächte) die Bildung einer Übergangsregierung aus beiden Bürgerkriegsparteien vereinbart. Die NATO-Mächte wollen stattdessen inzwischen nur noch aus einer Bürgerkriegspartei eine Übergangsregierung bilden. Sie setzen auf den militärischen Sieg der Aufständischen. Deswegen ist der Sicherheitsrat real einmal mehr durch die USA, Britannien und Frankreich blockiert. Aber das Blutvergießen in Syrien kann nur gestoppt werden, wenn der UN-Vermittler Lakhdar Brahimi endlich auch die Unterstützung der westlichen Länder erhält. Dies ist leider nicht der Fall.

Wer eine Eskalation des Syrienkrieges durch den Einsatz von Patriots vermeiden will, belässt diese besser, wo sie zur Zeit sind: in Bad Sülze (Mecklenburg-Vorpommern).

Uli Cremer war Ende der 1990er Jahre Sprecher der BAG Frieden und ist Autor des Buchs »Neue NATO: die ersten Kriege« (2009); der Beitrag erschien ursprünglich als  eine Erwiderung auf einen Blog-Beitrag von Felix Pahl und Tim Rauschan (http://gruen-links-denken.de/2012/patriots-nur-unter-klaren-bedingungen-zur-verfugung-stellen/) im gleichen Blog Gruen.Links.Denken (http://gruen-links-denken.de/2012/der-trugerische-grune-frieden-mit-den-patriots/#more-917).

[1] Inhaltlich gibt es überhaupt keinen guten Grund, die Patriots-Entscheidung mitzutragen. Die meisten Argumente dazu sind im Aufruf der GRÜNEN FRIEDENSINITIATIVE »Keine Patriots an die syrische Grenze! Stimmt im Bundestag mit NEIN!« vom 21.11.2012 enthalten, den bisher bereits 128 GRÜNE Mitglieder unterstützt haben. Vgl. www.gruene-friedensinitiative.de
[2] gruen-links-denken.de/2012/patriots-nur-unter-klaren-bedingungen-zur-verfugung-stellen/
[3] Vgl. hierzu ausführlicher auch meinen Beitrag »Der Bürgerkrieg geht weiter. Ein syrischer Nelson Mandela ist noch nicht gefunden« in der Printausgabe Sozialismus 10-2012.

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