Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Frank Deppe
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ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

21. Juli 2014 Redaktion Sozialismus

Humanitäre Katastrophe Gaza

Mehr als 400 Todesopfer unter den Palästinensern und 13 getötete israelische Soldaten sind die aktuelle Bilanz der militärischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen. Die Asymmetrie der Opferzahlen verrät nicht alles – Israel hat nach wenigen Tagen der militärischen Offensive in das große Ghetto insgesamt 18 Tote zu beklagen. Die vorgebliche Polizeiaktion gegen die Millionen Internierten im Gaza-Streifen trägt Züge von Auslöschungsoperationen und Kriegsverbrechen, die durch nichts zu rechtfertigen sind.

Es ist absurd und doch zutreffend, dass die aktuelle Kriegsführung das bittere Ende des Osloer Friedensprozesses markiert. Mit dieser Bezeichnung werden eine Reihe von Abkommen zwischen Palästinensern und Israel zur Lösung des Nahostkonflikts zusammengefasst. Im September 1993  akzeptierte Israel die PLO als offiziellen Vertreter der Palästinenser, die PLO verpflichtete sich im Gegenzug, das Ziel der Vernichtung Israels aus ihren »Staatsdokumenten« zu streichen.

Außerdem enthielt das Abkommen die allgemeine Vereinbarung, die Verantwortung im Gazastreifen und im Westjordanland auf die Palästinenser zu übertragen und ihnen eine autonome Regelung ihrer Angelegenheiten zu gewähren. Umstrittene Themen wie der Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage oder die Siedlungen im Westjordanland wurden in dem Abkommen nicht behandelt. Details sollten in weiteren Verhandlungen festgelegt werden.

In nachfolgenden Verhandlungen und Abkommen wurde den Palästinensern unter Auflagen eine autonome Regierungskompetenz über den Gaza-Streifen und Teile des Westjordanlands zugesprochen. Von einer vollwertigen staatlichen Selbstverwaltung für die Palästinenser konnte allerdings nie eine Rede sein. In den nachfolgenden Aufständen und Kriegsaktionen wurden die damaligen Verhandlungsgrundlagen zerstört.

Die Redaktion der Zeitschrift Sozialismus hat den Zerstörungs- und Vernichtungsprozess des palästinensischen Volkes anhand der Untersuchungsberichte der UN-Organisationen verfolgt. Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Rechtsentwicklung in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen Israels haben wir indes nicht kontinuierlich untersucht.

Der jüdische Staat basiert auf einer religiösen Ideologie. Israel beruft sich noch heute auf die völkisch-religiöse Grundlage und sieht alle Juden der Welt als seine potenziellen Bürger. Über den Zugang zu den so eingeschränkten Bürgerrechten tobt seit Jahren eine juristisch-politische Auseinandersetzung.

Umgekehrt gelten Palästinenser, die nicht vertrieben wurden, als Bürger zweiter Klasse. Jene, die in Lagern und in besetzten Gebieten überleben, werden als Rechtlose behandelt. Dieser fundamentale Konstruktionsfehler der gesellschaftlichen Ordnung – früher oft mit dem Apartheitsregime verglichen – und der unterliegende völkisch-religiöse Nationalismus der gegenwärtigen israelischen Regierung führt dazu, dass Minoritäten diskriminiert, vertrieben und vernichtet werden.

Dass es immer wieder zur militärischen Konfrontation Israels mit der Hamas und dem Islamischen Jihad im Gazastreifen kommt, hat den Grund, dass Teile der pälestinensischen Bevölkerung an dem Ziel der Zerstörung Israels festhalten. Ein Prozess des geordneten  Zusammenlebens – und damit Chancen der Veränderung und Auflösung der Konfrontation – gibt es seit Jahren nicht mehr.

Die Islamisten im Gazastreifen haben mörderische Aktionen von Bürgern erneut zum Anlass genommen, um den Beschuss Israels mit Raketen, der schon seit Jahren die Bevölkerung zunächst Südisraels und nun des ganzen Landes terrorisiert, massiv zu intensivieren. Israels Politiker und Militärs nehmen das Selbstverteidigungsrecht in Anspruch: Das heißt, dass der israelische Staat das Leben seiner Bürger und die Integrität seines Territoriums mit allen Mitteln schützen wird – die Frage der Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes entscheidet allein die israelische Rechtsregierung.

Einen Eindruck von der Ausweglosigkeit und der humanitären Katastrophe enthält der Gastkommentar von Robert Turner in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Juli 2014, den wir im Folgenden dokumentieren. Turner ist Direktor des Gaza-Programms des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten.

 

Wie geht es weiter für Gaza?

Ein Waffenstillstand brächte bloß eine kurze Atempause. Von Robert Turner

Während ich in meinem Büro in Gaza-Stadt sitze und Luftangriffen und Raketenbeschuss zuhöre, diskutieren Politiker darüber, wie die Gewalt zu beenden ist. Das ist löblich und von vielen erwünscht – vor allem von der Zivilbevölkerung in Gaza, die am meisten unter der momentanen Eskalation leidet. Doch wenn ich an die 17.000 »displaced Persons« denke, die in unseren Schulen Zuflucht gefunden haben, frage ich mich, was sie über all die Gespräche und Diskussionen denken mögen. Denn sie haben das alles schon einmal erlebt, für die meisten ist es gar die dritte Vertreibung seit 2009; viele sind dieses Mal in denselben Klassenraum zurückgekehrt, der ihnen schon bei der letzten Flucht als Schutzort diente. Falls tatsächlich ein Waffenstillstand zustande kommen sollte, wie können diese Menschen glauben, dass er mehr bringen wird als bloß einen kurzen Aufschub der Gewalt? Und was wäre diese kurze Ruhe überhaupt wert?


»Ruhe, aber auch Isolation«

Für Gaza bedeutet eine Rückkehr zur »Ruhe« eine Rückkehr ins achte Jahr der Blockade. Blockade bedeutet für mehr als 50% der Bevölkerung Gazas Arbeitslosigkeit, keinen Lohn und keine Möglichkeit, in andere Märkte zu exportieren oder in Schulen außerhalb Gazas eine Ausbildung zu suchen. Kurz: Ruhe zwar, aber auch Isolation.

Wollte zum Beispiel die Großmutter, mit der ich kürzlich gesprochen habe, an der Universität Birzeit in Cisjordanien studieren, könnte sie das nicht, weil die israelische Regierung über die in Cisjordanien studierenden Bewohner des Gazastreifens ein Totalverbot verhängt hat. Eine undefinierte Sicherheitsbedrohung reicht der Regierung Israels als Begründung für diese Maßnahme, die das Gros der Bevölkerung daran hindert, den Gazastreifen zu verlassen. Wollte einer der Tomatenzüchter, mit denen ich sprach, seine Tomaten auf einem Markt in Israel oder in Cisjordanien anbieten, so könnte er das nicht tun, weil er für Israel – ebenso wie die Großmütter – ein unbestimmtes Sicherheitsrisiko darstellt.

Die Älteren, die ich traf, fragen sich, ob sie nach dem Waffenstillstand noch Zugang zu einer Gesundheitsversorgung haben werden. Denn das staatliche Gesundheitssystem kollabiert. Wir vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und einige wenige NGO versuchen den Ausfall aufzufangen. Aber wird Israel bereit sein, diese Aufgabe in der Ruhephase zu übernehmen? Die Mütter, mit denen ich gesprochen habe, fragen sich, welche Schulen ihre Kinder in sechs Wochen besuchen sollen, wenn nicht eine der 245 UNRWA-Schulen sie aufzunehmen vermag. Wer wird die staatlichen Schulen reparieren, die Lehrbücher liefern, die Lehrer bezahlen? Wird von der UNRWA oder anderen NGO erwartet, diese Lücken zu füllen, falls die staatlichen Schulen nicht öffnen? Uns fehlt es an den physischen Kapazitäten, an menschlichen und finanziellen Ressourcen, um Dutzende oder Hunderte oder gar Tausende zusätzlicher Schüler zu unterrichten.


Die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet

Das UNRWA und die Uno-Familie werden sich weiterhin um die humanitären Bedürfnisse der Bevölkerung in Gaza kümmern. In den letzten Jahren haben wir unsere Bautätigkeiten ausgeweitet. So haben wir Schulen bauen können, in denen letztes Jahr über 230.000 Schüler unterrichtet wurden; zudem konnten wir Häuser für diejenigen bauen, die in früheren Konflikten ihr Zuhause verloren hatten. Wenn wir aber etwas bauen wollen, müssen wir Israel zuerst einen detaillierten, ausführlichen Projektvorschlag übermitteln. Israel prüft den Vorschlag– ein Prozess, der eigentlich nicht länger als zwei Monate dauern sollte, im Durchschnitt aber zwanzig Monate beansprucht. Während der letzten »ruhigen« Phase erhielten wir für Projekte im Wert von fast 100 Millionen Dollar keine einzige Baugenehmigung. Würde es mit der nächsten »Ruhe« besser? Wichtiger noch als all diese existenziellen Probleme: Die Bewohner Gazas fragen sich, wer sie dereinst regieren wird. Niemand hat auf diese Frage eine Antwort. Solange aber dies nicht geklärt ist, wird auch die nächste »Ruhe« nur von kurzer Dauer sein.

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