8. Juni 2012 Richard Detje
Lehren aus dem Fall Schlecker
Weitere 13.200 Beschäftigten der Drogeriemarktkette Schlecker haben ihre Kündigungsschreiben erhalten – bei der ersten Kündigungswelle waren es bereits 11.000 gewesen. Den Juni über findet Ausverkauf statt, dann ist Schlecker Geschichte. Investoren wie Karstadt-Eigentümer Berggruen und der Hedge Fonds Cerberus waren abgesprungen – auf rund 800 Mio. Euro belaufen sich die Forderungen der Gläubiger.
Mit der Zerschlagung von Schlecker beginnt eine neue Runde in den Verteilungsauseinandersetzungen. Der Warenkreditversicherer Euler Hermes fordert ebenso wie die Bundesagentur für Arbeit einen dreistelligen Millionenbetrag aus der Insolvenzmasse, das Finanzamt 73,2 Mio. Euro – aber auch die Kinder des Firmenpatriarchen Anton Schlecker: insgesamt 176 Mio. Euro versuchen sie aus der Zerschlagung der Kette herauszuholen.
Die Rolle der Familie Schlecker ist bis zum Schluss äußerst dubios: Nur sechs Tage vor der Insolvenz war ihnen noch ein Logistik-Zentrum überschrieben worden. Rund 40 Mio. Euro sollen sie ihr Eigentum nennen können, obgleich die Familie sich für nicht zahlungsfähig erklärt hatte, als neun Mio. Euro vom Insolvenzverwalter für den vorläufigen Weiterbetrieb gefordert worden waren. Ihr Vermögen hatten sie u.a. mit der Leiharbeitsagentur Meniar (»Menschen in Arbeit«) gemacht – ein Subunternehmen der Drogeriemarkt-Kette mit 4.300 Beschäftigten, die von Schlecker entlassen worden waren und als Leiharbeitskräfte zu erheblich schlechteren Konditionen wieder an Schlecker vermittelt wurden.
Jetzt sollen die Schlecker-Frauen – 70% der Entlassenen sind Frauen – für einen möglichst ergiebigen Ausverkauf sorgen, um möglichst viele Forderungen zu befriedigen. Ihre eigenen Zukunftssorgen sind drückend. Von den 11.000 im Frühjahr Entlassenen sind laut Bundesagentur für Arbeit (BA) 5.000 in Arbeit oder Fördermaßnahmen vermittelt worden – nach Informationen von ver.di allerdings weniger als 2.500 in vollwertige Ersatzarbeitsplätze, rd. ein Fünftel; teilweise vermittelte die BA in unbezahlte Praktika. Dass die BA mit Unternehmen wie McDonald's, Amazon, Lidl und dem Dänischen Bettenlager im Gespräch ist, um Beschäftigungschancen von Verkäuferinnen auszuloten, eröffnet im Gegensatz zur Auffassung von BA-Vorstand Alt, der angesichts der »Dynamik im Einzelhandel« gute Neueinstellungschancen sieht, nur Perspektiven in kleiner Zahl. Zwar gibt es im Einzelhandel derzeit 25.000 offene Stellen, denen aber rd. 360.000 Arbeitssuchende gegenüberstehen.
Eine Lehre daraus sollte sein: Bei Massenentlassungen wie im Fall Schlecker muss das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium erweitert werden. Sollte es in der Folge des Regierungswechsels in Frankreich auch im nächsten Jahr zu einem Politikwechsel in Deutschland kommen, dann muss sich dies an einem Ausbau der Strukturpolitik auf dem Arbeitsmarkt beweisen. Bei Firmenzusammenbrüchen von der Dimension wie bei Schlecker müssen Transfergesellschaften zwingend vorgeschrieben werden. Beispielsweise muss es auch darum gehen, dass die Ankündigungsfristen verbindlich verlängert werden, um frühzeitiger auf dem Arbeitsmarkt aktiv werden zu können. In den skandinavischen Ländern ist das beispielsweise der Fall.
Als »Vermittlungshemmnis« gelten – auch in Kreisen der BA – die »guten Verdienstmöglichkeiten« bei Schlecker. Gemeint ist damit eine Bezahlung nach Tarifvertrag, die in der Endstufe in Baden-Württemberg bei 13,52 Euro brutto in der Stunde liegt (ver.di Wirtschaft aktuell). Das belegt die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns als zweiter Lehre aus der Schlecker-Insolvenz. Denn was in den betroffenen Sparten des Einzelhandels nach Massenentlassungen passiert, kann sich jeder vorstellen: verschärfte Lohnkonkurrenz bei gleichzeitig fortschreitender Prekarisierung (insbesondere bei weiter flexibilisierten Arbeitszeiten). Die Konkurrenten buhlen um den alten Schlecker-Umsatz, u.a. auch mit verschärfter Kostenkonkurrenz.
Die große Mehrheit der Schlecker-Beschäftigten sind im Alter zwischen 25 und 49 Jahren, rd. zwei Drittel verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung und arbeitete in Vollzeit-Stellen. Es geht also um qualifizierte und vollwertige Ersatzarbeitsplätze. Deshalb die dritte Lehre: Transfergesellschaften müssen ein anerkanntes Instrument zur Steuerung des Strukturwandels sein. Im Fall Schlecker wurden die Einrichtung einer Transfergesellschaft von der FDP verhindert – sodass jetzt BA-Mittel zur Berufsqualifizierung für ErzieherInnen und Altenpflegerinnen genutzt werden sollen: mit einer vollwertigen mehrjährigen Ausbildung, während der die TeilnehmerInnen ALG I bekommen (was sich nur bei vorherigen, armutvermeidenden Tariflöhnen »rechnet«).
Allerdings ist auch nicht einsichtig, warum sich Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen dagegen sperren, auf Länderebene Transfergesellschaften vorzuhalten und sich hinter der Ablehnung einer kleinen Klientelpartei auf Bundesebene verstecken.
Der Ansatz der Transfergesellschaft geht nämlich weiter – es handelt sich um eines der künftig noch wichtiger werdenden Instrumente zur vorausschauenden Planung des Strukturwandels. Und der weist immer regionale Schwerpunkte auf. 2014 möglicherweise bei Opel in Bochum, in Bereichen der automobilen Zulieferindustrie oder des Maschinenbaus (Heidelberger Druck und Manroland sollte noch in Erinnerung sein).