31. März 2014 Bernhard Sander: Zweite Runde der Kommunalwahlen in Frankreich
Linkes Desaster
Die Wahlbeteiligung (61,5%) blieb auch bei der zweiten Runde der Kommunalwahlen in Frankreich sehr niedrig. Die Linke mobilisierte nur unzureichend und verlor (PS und Front de Gauche addiert) gegenüber 47% im Jahr 2008 nun 9%. Sie vermochte es nicht, ihre ehemaligen WählerInnen mit dem Argument zu den Wahlurnen zu mobilisieren, man müsse nun auf jeden Fall den Durchmarsch des Front National verhindern.
Zu sehr ist bei den einfachen Leuten mittlerweile das Vorurteil verfestigt, es sei egal ob und wen man wähle. Man bliebe am Ende eh der Gelackmeierte von Leuten, die sich nur unverschämt die Taschen vollstopfen, oder aber vor lauter Sachzwanglogik alle nur dieselbe Politik machen.
Insgesamt dürften 61 Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern, die bislang einen linken Bürgermeister hatten, künftig von den Konservativen geführt werden – ein Swing, der wesentlich stärker ist als der von 2008, als die Sozialisten zur stärksten Kraft in den Kommunen wurden. Paris und Lyon dagegen konnten die Sozialisten ebenso halten wie Straßburg und Metz.
In Städten wie Avignon oder Carpentras, die der Front National (FN) erobern wollte, wurden die Rechtspopulisten geschlagen. In Perpignan im Südosten und Forbach nahe der deutschen Grenze, wo die beiden engsten Mitarbeiter der Front-Chefin Marine Le Pen kandidierten, hatten die Rechtsextremen ebenfalls das Nachsehen. Doch die Arbeit der FN-Bürgermeister wird in den kommenden Jahren mit Argus-Augen beobachtet werden und damit Einfluss auf die Präsidentschaftswahl 2017 haben.
Drei Viertel aller NichtwählerInnen im zweiten Wahlgang gaben an, ihr Verhalten habe nichts mit der aktuellen Regierung unter Staatspräsident Hollande zu tun. Jeder zweite gab an, im ersten Wahlgang aus Überzeugung gewählt zu haben. Drei Viertel wünschen sich nun einen neuen Ministerpräsidenten, aber nur einer der vorgeschlagenen möglichen PS-Kandidaten kommt auf eine Zustimmungsquote von 20%.
Parteiübergreifende 80% der Franzosen wünschen sich neue Minister aus den Reihen der Zivilgesellschaft (und jeder meint damit vermutlich seine eigene Umgebung). Inhaltlich bleiben die Franzosen so widersprüchlich wie die Regierung selbst: Über 80% (unter FN-Wählern nur 72%) sagen, Hollande solle »an seinem Ziel, bis 2017 50 Mrd. Euro öffentliche Ausgaben einsparen, festhalten« – gleichzeitig plädieren zwei Drittel (unter den Anhängern der Linken 77%) für eine »Erhöhung des Mindestlohns und der Grundsicherungsleistungen«.
Die Linke, also die Sozialdemokraten vom PS und die verschiedenen Komponenten des Front de Gauche, war oft nur noch in der beklagenswerten Position, mit einer Stimmabgabe für die UMP einen Durchbruch des Front National zu verhindern, der gleichwohl in neun von zwölf möglichen Städten gelang. Manchmal reichte der Zwist in der Linken so tief, dass man sich untereinander bekriegte. So siegte in Grenoble eine Listenverbindung von Grünen und Parti de Gauche gegen die gemeinsame Liste von PS und PCF. In St. Etienne verhinderte die Linke der Linken den Erfolg des Sozialdemokraten gegen die rechte UMP.
Die Linke hat in den städtischen Ballungsräumen, in denen allenfalls vorübergehend noch radikale Aktivisten der NPA auf der Wutwelle surften, das Heft schon lange nicht mehr in der Hand. Die Rechtspopulisten, die aus allen Bevölkerungsschichten Zulauf bekommen, erscheinen als größte Arbeiterpartei Frankreichs, weil die einfachen Leute eben immer noch die Bevölkerungsmehrheit bilden. Überdurchschnittlich viele ihrer WählerInnen (45%) sind allerdings nicht erwerbstätig.
Der Front de Gauche konnte beim ersten Wahlgang in Gemeinden mit über 1.000 EinwohnerInnen 605 Listen präsentieren, die unabhängig von den Sozialdemokraten unter diesem Namen oder unter PCF (Kommunisten) und FG (Linkspartei) antraten. Bei ihnen überwogen Leute, die sich schon seit längerer Zeit für dieses Votum entschieden hatten; Wechselwähler zog die Linke der Linken also nicht mehr an. Aber 88% trennen ihr Wahlverhalten von einer etwaigen Beurteilung des Staatspräsidenten (durchschnittlich 77%). 68% geben als Ziel an, einen linken (47%), sozialdemokratischen oder grünen Bürgermeister durchsetzen zu wollen.
Inhaltlich ist ihr Votum stärker als im gesamten Wählerdurchschnitt von drei Themen bestimmt: dem Erhalt und die Qualität der öffentlichen Dienste (42%/24%), der Stadtentwicklung und der Lebensumstände (41%/41%) sowie den sozialen Dienstleistungen (36%/18%). Danach folgen Wohnen und Bürgerbeteiligung, ebenfalls höher geschätzt als im Durchschnitt.
Sicherheit, Sauberkeit und örtliche (Grund-)Steuern treten dagegen in ihrer Bedeutung für die Anhänger der Linken zurück, sind aber für die anderen politischen Richtungen umso wichtiger. Die Linke der Linken unterscheidet sich von den anderen politischen Richtungen vor allem aber auch in der positiven Beurteilung der in Frankreich heftig umkämpften »Ehe für alle« und in der Frage der Glaubwürdigkeit und Erneuerung des politischen Personals. Man schätzt Listenpersonal aus den Kreisen der Bewegungen und Initiativen, Frauen, Neulinge und junge sowie farbige Gesichter mehr als die WählerInnen im Durchschnitt.
Mit diesen Vorlieben ist die Linke der Linken selbst noch Ausdruck der Krise der politischen Repräsentanz, da solche Kandidierenden oft nicht das genügende kulturelle Kapital mitbringen, um den spin doctors der Etablierten entgegentreten zu können. Die Ämterhäufung (nationale Mandate plus Bürgermeisteramt oder Departements- und Regionalräte), die ein Charakteristikum der französischen Honoratiorendemokratie seit Beginn der Fünften Republik ist, konnte bisher von keiner Regierung wirklich per Gesetz aufgebrochen werden, wie es nicht nur die WählerInnen der Linken wünschen.
Die Forderung des Front de Gauche in wechselnden Konstellationen, ein Politikwechsel auf Regierungsebene sei Voraussetzung für Bündnisse mit den Sozialdemokraten, konnte nicht wirklich überzeugen, bleibt aber die verbindende Klammer zwischen PCF und den linksradikalen Strömungen. »Die Rechtswende Hollandes, sein bevorzugtes Bündnis mit dem Unternehmerverband und seine Unterwerfung unter die europäische Sparpolitik haben ein Desaster hervorgebracht«, kommentierte Mélenchon, der selbst aus dem PS stammt. »Jahrzehnte der lokalen Verankerung seien in wenigen Wochen zerstört worden«, beschreibt er die Situation. Die Rechte sei wieder auf das Niveau von 2008 geklettert (nach dem Wahlsieg Sarkozys) und der Front National haben die Spitzenwerte von Mitte der 1990er Jahre erreicht. Er forderte eine ökologische Wirtschaftsbelebung und den Beginn europäischen Ungehorsams.
Von einem »Warnsignal für einen Politikwechsel« sprach auch der PCF-Vorsitzende Pierre Laurent. Nach Auffassung von Mélenchon kommt den Grünen, die noch an der Regierung beteiligt sind, nach dem Ergebnis von Grenoble eine besondere Bedeutung bei seinem strategischen Projekt des kommenden Jahres – der »Neukonstruktion der Linken« – zu. Ob die Grünen sich allerdings als Rettungsring für die Linke oder als Listenführer durchsetzen, bleibt abzuwarten.
Selbst wenn Hollande nun das beliebte Ablenkungsmanöver der Kabinettsumbildung einleitet, bleiben die Probleme auch für die Linke der Linken: Die öffentliche Neuverschuldung betrug im vergangenen Jahr nach der aktuellen Nachberechnung nicht 4,1%, sondern 4,3%, und lag damit noch deutlicher über den Vorgaben der EU-Kommission.
Für den PS-Vorsitzenden Harlem Désir drückt das Wahlergebnis die Erwartung der Franzosen aus, »mit mehr Effizienz, größerer Geschwindigkeit und mehr Kohärenz die Reformen voranzutreiben. Die Franzosen fordern Resultate bei der Beschäftigung und der sozialen Gerechtigkeit.«
Der Front National hatte im ersten Wahlgang in den Gemeinden mit über 1.000 EinwohnerInnen, in denen sie Listen aufgestellt hatte, landesdurchschnittlich 14,6% erzielt. 53% seiner WählerInnen wohnen zur Miete, 28% in einer Sozialwohnung und ein Fünftel lebt in einem Haushalt mit einem Einkommen von weniger als 1.200 Euro pro Monat. Dies ist das »klassische« linke Wählermilieu. Ein Drittel lebt im Mittelmeerraum, fast alle in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern. Hier lagen früher die Hochburgen des »bäuerlichen« PCF. Paradebeispiel: In Saint Gilles, wo die Kooperative noch in den 1970er Jahren eine »Cuvée Gagarine« kelterte, konnte jetzt mit Mühe der Bürgermeisterkandidat des FN gestoppt werden.
Während ein Drittel der Franzosen sich erst in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlgang entschieden haben, war es beim FN nur ein Fünftel. Die Partei entwickelt eine stabile Stammwählerschaft. Aber ein Drittel (31%) zögerte, überhaupt zur Wahl zu gehen. Das sind mehr als im Durchschnitt und weniger als bei den Linken (39%); letzlich überwog dann das Motiv »Schnauze voll« der Protestwahl. »Das Links-Rechts-Spielchen anzuhalten, die Opposition zu den UMPS-Skandalen auszudrücken, gegen Lügen und nicht gehaltene Versprechen, die Überzeugung, dass ein politischer Wechsel in meiner Stadt möglich sei, gegen den krassen Anstieg der lokalen Steuern, und der FN als einzige Möglichkeit den etablierten Mehrheitsparteien kundzutun, dass es höchste Zeit ist, das wirkliche Leben der Bevölkerung zu berücksichtigen« – das sind Äußerungen aus den qualitativen Interviews eines Meinungsforschungsunternehmens.
Quantitativ geben 18% an, vom FN sei man noch am wenigsten entfernt, 29% sprechen selbst von einer Protestwahl, 12% von einer »Oppositionswahl« (beim Front de Gauche sind das 8% bzw. 5%). Zwei Drittel der FN-WählerInnen wollten damit auch ein Zeichen gegen die Politik Hollandes setzen, was nur für 20% der Gesamtwählerschaft galt. Entsprechend waren für FN-WählerInnen in der zugespitzten Vertrauenskrise der repräsentativen Demokratie nicht die Persönlichkeit oder deren besonderen Eigenschaften ausschlaggebend, sondern das politische Etikett. Das Geschlecht oder ein Hintergrund aus Vereinen und Initiativen sind in geringerem Maße Wahlkriterien.
Thematisch setzen FN-WählerInnen die Schwerpunkte anders als der Durchschnitt: Sie plädieren für »mehr Sicherheit auf unseren verrufenen Straßen« (80% gegenüber 33%), für eine Steuersenkung bei der Grundsteuer und anderen lokalen Steuern (55% zu 41%) und für die Begrenzung der städtischen Ausgaben (43% zu 39%). Doch das bewegendste Motiv ist nicht die Schwulenehe, sondern der Umgang mit den zuwandernden Roma.
Dementsprechend kommt Marine Le Pen in ihrer Reaktion auf den zweiten Wahlgang auf die Essentials zurück: »Die Franzosen wissen, dass Konservative und Sozialisten für illegale Zuwanderung sind und für die Rettung des Euros, der die Unternehmen tötet, und das werden sie bei der Europawahl zeigen.«