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28. September 2013 Otto König / Richard Detje: Zur Situation in der Stahlindustrie

Mit Standortschließungen und Beschäftigungsabbau auf dem Weg der Besserung?

IG Metall und Betriebsrat des Duisburger Schienenwerks TSTG verschickten mit der Post zentimeterbreite Stücke Eisenbahnschienen. »Sie halten möglicherweise eines der letzten Stücke Eisenbahnschiene aus deutscher Produktion in den Händen«, hieß es im Begleitschreiben. Diese Aktion ist ein weiterer verzweifelter Versuch der 400 Beschäftigten, die Schließung des Werks zu verhindern.

Der österreichische Konzern Voestalpine hatte entschieden, das letzte deutsche Schienenwerk, das er erst 2001 von ThyssenKrupp übernommen hatte, zum Jahresende platt zu machen und sich aus dem Schienengeschäft zurückzuziehen. Den Stahl, der von TSTG verarbeitet wird, lieferte seit geraumer Zeit ArcelorMittal, der selbst zwei Hochöfen im lothringischen Florange stillgelegt hat und sechs von zwölf Verarbeitungsstraßen im belgischen Lüttich schließt.

Nach dem Verkauf der ThyssenKrupp-Edelstahlsparte an den finnischen Konkurrenten Outokumpu droht nach der Stilllegung des Stahlwerks Krefeld zum Ende des Jahres nun die Stilllegung des Stahlwerks in Bochum und damit ein weiterer massiver Arbeitsplatzabbau. Die Produktion soll nach Finnland verlagert werden. Die Stahlkonzerne ThyssenKrupp und Salzgitter verkündeten radikale Sparprogramme, die Streichung von Arbeitsplätzen und den Umbau der Unternehmen.

Angesichts dieser Ankündigungen häufen sich die negativen Schlagzeilen auf den Wirtschaftsseiten der Printmedien. Kirsten Bialdiga fühlt sich in der Süddeutschen Zeitung (12.8.2013) bereits an die in den 1980er Jahren umkämpften Stilllegungen der Stahlwerke in Hattingen und Rheinhausen erinnert[1] und die »Wirtschaftswoche« riecht erneut »Angstschweiß an der Ruhr« (19.8.2013).

Tatsächlich findet auf dem stagnierenden europäischen Stahlmarkt ein harter Konkurrenzkampf um Marktanteile und damit um die Verdrängung von Wettbewerbern statt. Hintergrund dafür ist, dass sich die Stahlindustrie in den letzten zehn Jahren strukturell gewaltig verändert und zu einer innovativen Branche entwickelt hat, die eng mit den nachgelagerten Industriezweigen – Automobil- und Bauindustrie, Maschinenbau und Elektrotechnik – verflochten ist.

Die Produktivität vollzog in den letzten 20 Jahren einen sprunghaften Anstieg: plus 218%. Wurden 1980 noch von 288 Tausend Beschäftigten 43,8 Mio. Tonnen Rohstahl produziert, wurden 2012 für die Herstellung von 42,7 Mio. Tonnen nur noch 88 Tausend Beschäftigte benötigt. Gleichzeitig ziehen sich die Stahlproduzenten zunehmend aus dem Geschäft mit Massenstählen und einfachen Qualitäten wie Baustahl zurück. Damit einher ging die Konzentration der Produktion an wenigen Standorten.

Gegenwärtig blasen den Stahlunternehmen die schwache Konjunktur und die sinkende Nachfrage aus dem EU-Ausland ins Gesicht. Die gebeutelten Staaten in Südeuropa halten sich mit Bestellungen zurück. Dies gilt auch für namhafte Autokonzerne in Frankreich, Spanien und Italien sowie für die Bauindustrie, die in weiten Teilen brach liegt. Die Bauinvestitionen – außerhalb des Wohnungsbaus – gingen 2012 auch in Deutschland zurück. So müssen vor allem Konzerne mit dem Hauptabsatzmarkt in Europa wie ArcelorMittal, Salzgitter und ThyssenKrupp Federn lassen.

IG Metall-Vorstands- und Salzgitter-Aufsichtsratsmitglied Hans-Jürgen Urban sieht »die Ursachen für die gegenwärtigen Probleme der Salzgitter AG vor allem im Marktumfeld«. Deutschlands zweitgrößter Stahlhersteller mit Sitz in Niedersachsen will angesichts schwacher Nachfrage und Überkapazitäten mindestens 1.500 Arbeitsplätze streichen. Damit würden 6% der insgesamt gut 25.000 Arbeitsplätze wegfallen, die sich auf die fünf Geschäftsbereiche Stahl, Röhren, Handel, Dienstleistungen und den Bereich Technologie, dessen Kern KHS, ein Anlagenbauer für die Getränkeindustrie, ist, verteilen.

Unter Beschuss steht insbesondere die Tochter Peine Träger GmbH (PTG). Da im Stahlträger-Markt der Preisdruck höher ist als bei Spezial-Stählen, ist die Situation in Peine schwieriger als im benachbarten Salzgitter. In der niedersächsischen Kreisstadt produzieren derzeit 1.079 Beschäftigte Profilstahl für die Bauindustrie. Die Überkapazitäten drücken nach Konzernangaben die Preise. Allein die PTG trägt einen Anteil von 230 Mio. Euro am konzernweiten Verlust von über 300 Mio. Hier schlägt sich auch negativ die Sonderabschreibung von 185 Mio. Euro nieder, die der Konzern auf den erst Anfang 2011 in Peine installierten zweiten Elektroofen wegen dauerhafter Unterauslastung vorgenommen hat. Jetzt stehen 300 der 1.100 Arbeitsplätze zur Disposition.

Die gewerkschaftliche Interessenvertretung hat mit der Unternehmensleitung sowohl für den Standort Salzgitter als auch für Peine einen »Zukunftsvertrag« vereinbart. Zentrale Punkte sind: Standortsicherung mit Perspektiven auf Innovationen in neue Produkte und Produktionsabläufe sowie die Erschließung neuer Märkte, Vermeidung von Entlassungen und Arbeitszeitverkürzung. Der Stellenabbau soll »sozialverträglich« über Altersteilzeit bzw. den Wechsel in eine Transfergesellschaft erfolgen, mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen.

Die Flaute belastet auch ThyssenKrupp. Doch der angeschlagene Ruhr-Konzern mit mehr als 150.000 Beschäftigten steckt vor allem durch Missmanagement in einer tiefen Krise: Auf 1,2 Mrd. Euro summieren sich die Verluste in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2012/2013. Dahinter stehen Kartellverfahren, Korruptionsvorwürfe und gigantische Fehlinvestitionen beim Bau der Stahlwerke in Brasilien und USA. Die unter dem geschassten Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme favorisierte »Atlantik-Strategie« – vor den Toren Rio de Janeiros billig Stahl zu produzieren und dann im »gewerkschafts- und tariffreien« US-Bundesstaat Alabama weiter zu verarbeiten – ging nicht auf.[2] Fehlentscheidungen und technische Pannen ließen die Kosten auf mehr als 12 Mrd. Euro hochschnellen; in den Büchern stehen die beiden Werke nur noch mit 3,4 Mrd.

Dabei lief das Geschäft in den ersten neun Monaten für ThyssenKrupp ganz gut. Alle Sparten außer Steel Americas erzielten einen Vorsteuergewinn, der konzernweit bei 803 Mio. Euro lag. Der Aufzugbau sorgte für einen Rekordgewinn von 487 Mio., die europäische Stahlproduktion schaffte 101 Mio. heran. Dennoch ist es erklärte Absicht des Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger, die Kosten in der Stahlsparte bis zum Ende des Geschäftsjahres 2014/2015 unter dem Motto »Best in Class reloaded« um rund 500 Mio. zu senken. Das Sparprogramm in der Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe (TKSE) hat die Streichung von 2.000 der rund 28.000 Arbeitsplätze zum Ziel. Die IG Metall schloss zwischenzeitlich mit dem Vorstand der TKSE einen Haustarifvertrag ab, in dem die Beschäftigten auf Arbeitszeit und Geld verzichten. Im Gegenzug garantiert das Unternehmen den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2020.

Stahlexperten verorten das Hauptproblem der Stahlbranche in den massiven Überkapazitäten im Markt. Laut OECD bestehen in der globalen Stahlindustrie 542 Mio. Tonnen (t) Überkapazitäten. Davon entfallen knapp 200 Mio. t auf China. Eurofer-Chef Wolfgang Eder beziffert die europäischen Überkapazitäten mit 40 bis 50 Mio. t bei einer gesamten EU-Produktionskapazität von 217 Mio. t – die OECD geht sogar von 80 Mio. t aus, die abgebaut werden müssten.

Gleichwohl sieht die Wirtschaftsvereinigung Stahl für Deutschland keinen Handlungsbedarf, auch wenn sie ihre Prognose für die Roheisenerzeugung in 2013 von 43 auf 42,2 Mio. Jahrestonnen gesenkt hat. Die verminderten Ausfuhren in die EU-Krisenländer konnten durch einen höheren Anteil von Lieferungen in Länder außerhalb der EU kompensiert werden. Bei den Exporten dominierten hochwertige Produkte im Maschinenbau und im Premiumsektor der Automobilindustrie.

Die Kapazitätsauslastung der deutschen Stahlindustrie ist mit rund 85% deutlich höher als in den anderen europäischen Ländern. Allerdings klagen die Unternehmen über die Verschlechterung des Verhältnisses von (niedrigeren) Stahlpreisen zu den Produktionskosten. Aus ihrer Sicht ist nicht der Mengenabsatz, sondern die Erlössituation das Problem. So treibt den Vorstandsvorsitzenden der Saarstahl AG, Karlheinz Blessing, das aktuelle »Preis-Gemetzel« in der Branche um. Gleichzeitig laufen die Stahlunternehmen Sturm gegen Pläne, die Ausnahmetatbestände bei der EEG-Abgabe zu streichen.

Für 2014 rechnet der europäische Stahlverband Eurofer mit einer Erholung. Dabei richten die Stahlkocher ihre Hoffnungen auf die Märkte in Nordamerika, Asien und China und die Expansion in den Schwellenländern soll kräftig bleiben. Unternehmensberatern von Pricewaterhouse Coopers (pwc) zufolge soll bis »zum Jahr 2025 ... der weltweite Verbrauch von gut 1,51 Mrd. Tonnen im Jahr 2011 auf voraussichtlich 2,6 Mrd. Tonnen«[3] klettern.

Trotz dieser positiven Prognosen zeigten sich die Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute der Stahlindustrie auf der IG Metall-Branchenkonferenz Mitte September in Dortmund skeptisch. Sie forderten erneut die Ausarbeitung von stahlpolitischen Grundsätzen im Rahmen eines industriepolitischen Programms der IG Metall ein. Die EU-Strukturfonds sollen dabei behilflich sein, die Restrukturierung des Sektors zu begleiten und Innovationen sowie eine Spezialisierung im Sinne eines intelligenten Wachstums zu fördern. Der EU-Aktionsplan sieht ferner gezielte Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung in der Branche und zur Begleitung von Restrukturierungen vor mit dem Ziel, hoch qualifizierte Arbeitskräfte in Europa zu halten und ihre Qualifikationen weiter zu entwickeln.

In der Tat: Der Ausbau eines stahl- und industriepolitischen Programms ist dringend geboten. Die Rolle, die die Stahlindustrie heute in der industriellen Wertschöpfungskette spielt, besagt auch, dass sie stärker als in früheren Jahren in den industriellen Zyklus eingebunden ist. Und der weist – in Europa, aber auch angesichts abschwächender Dynamik in einigen BRIC-Staaten – nicht steil nach oben.

[1] Vgl. hierzu: »Wenn es brennt an der Ruhr – Hattingen kämpft ums Überleben«, in: Otto König: Band der Solidarität – Widerstand, alternative Konzepte, Perspektiven, VSA: Verlag Hamburg 2012.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje »Missmanagement und Milliardenverluste« – ThyssenKrupp und die Deutschland AG, in: Sozialismus 1/2013.
[3] Ingo Schill, PricewaterhouseCoopers AG«(pwc): Stahl 2025: Quo vadis? Entwicklung der Stahlmärkte, IG Metall-Branchenkonferenz Stahl in Dortmund, September 2013

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