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6. März 2018 Hinrich Kuhls: Brexit-Tektonik

»Neue ökonomische Partnerschaft« statt EU-Binnenmarkt

Theresa May. Foto: EU2017EE Estonian Presidency/flickr.com (CC BY 2.0)

Die EU-Kommission hat am 28. Februar ihren ersten Vertragsentwurf für einen geordneten Ablauf des Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union vorgelegt. Die Antwort von Premierministerin May ließ nicht lange auf sich warten.

Denn unmittelbar darauf erklärte Premierministerin May im britischen Parlament, dass der Vertrag von keiner britischen Regierung jemals unterschrieben werden könne, weil er die Konstitution des Vereinigten Königreichs zerstören würde. Ihre Vision der neuen ökonomischen Partnerschaft hat May zwei Tage später in einer Grundsatzrede dargelegt.

 

Vertragsentwurf der EU-Verhandlungskommission

Der von der EU-Verhandlungskommission vorgelegte Vertragsentwurf [1], mit dem das im Dezember fixierte Zwischenergebnis aus der ersten Verhandlungsrunde [2] in eine juristische Form gegossen worden ist, enthält zusätzlich einen Teilabschnitt, in dem die Details zur Übergangsperiode festgehalten werden. Umstritten ist vor allem deren Dauer. Während die britische Seite das Ende der Implementierungsphase an den Fortschritt der Anpassungsschritte binden will, besteht die EU-Seite darauf, dass im Rahmen der Austrittsverhandlungen – also ohne explizites Ratifizierungsverfahren – nur eine knappe Frist ab Austrittsdatum bis Ende 2020 als Übergangsphase eingeräumt werden kann.

Der umstrittenste Punkt ist die Regelung der irisch-nordirischen Beziehungen. Im Dezember hatte May trotz heftiger Intervention der rechtsnationalen Democratic Unionist Party, deren zehn Abgeordnete im Unterhaus die konservative Minderheitsregierung stützen, folgendem Text zugestimmt: »Sollte keine einvernehmliche Lösung zustande kommen, wird das Vereinigte Königreich [für Nordirland] die vollständige Angleichung an jetzige oder künftige Regeln des Binnenmarktes und der Zollunion beibehalten, die Nord-Süd-Kooperation [auf der Insel Irland], die gesamtirische Ökonomie und den Schutz des Abkommens des Belfaster Abkommens von 1998 unterstützen.«

Dieser knapp formulierte Kompromiss ist jetzt im Entwurf mit einem Begründungs- und Regelungsteil in Form einer längeren Protokollnotiz zum eigentlichen Vertragstext umgesetzt worden – entsprechend der im »Formelkompromiss« enthaltenen Intention. Dass sich die britische Premierministerin umgehend von dem im Dezember von ihr noch als Erfolg ausgegebenen Verhandlungsergebnis distanziert, weist darauf hin, dass die Option der Angleichung der Regulierung zwischen Nordirland und Irland tatsächlich zum Angelpunkt des Zusammenbruchs der Verhandlungen werden kann.

Harter Brexit

Die britische Premierministerin und mit ihr die meisten Mitglieder ihres Kabinetts verfechten seit dem Austrittsgesuch die Position eines harten Brexits: Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion, vollständige Beseitigung der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs, souveräne Kontrolle der Zuwanderung aus Europa und Übersee; keine Zahlungen für europäische Regulierungsbehörden. Das von Rechtspopulisten und Nationalkonservativen aufgezwungene strategische Ziel dieser Position lautet: Die britische Ökonomie wird zu neuer Prosperität finden und die britische Gesellschaft wird sich im nationalen Rahmen erneuern, wenn sie von den Fesseln des EU-Regulationssystems befreit sind und die britische Regierung ungehindert neue Freihandelsabkommen mit außereuropäischen Nationen abschließen kann.

Hingegen hatte sich die britische Minderheitsregierung bisher explizit geweigert, ihre Vision der neuen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zur EU in den Verhandlungsdiskurs einzubringen. Sie beließ es bei Verweisen, dass dem Vereinigten Königreich als bisherigem EU-Mitgliedsstaat bei der Neugestaltung der Beziehungen ein Sonderstatus nicht verwehrt werden könne. Am Ende würde ein maßgeschneiderter Vertrag, ein »bespoke deal«, vorliegen, in dem die spezifischen britischen Interessen in Einklang gebracht werden mit der Position der Europäischen Union, die auf den Fortbestand der Integrität des Binnenmarkts bedacht ist.

Die Mehrdeutigkeit der Brexit-Politik der britischen Regierung vertiefte die Unsicherheit in allen Sektoren der britischen Ökonomie. Die britische Wirtschaft wickelt knapp 50% ihres Außenhandels mit der EU ab, der Außenhandel mit Britannien beläuft sich für die EU-Mitgliedsstaaten im Durchschnitt auf 10%, mit der spezifischen Ausnahme von Irland (17%). Bisher hatte die britische Regierung immer geleugnet, dass das Verlassen der EU negative Folgen haben wird.

Ziel: Freihandelsabkommen plus Zoll-Arrangement

Brexit-Befürworter verbinden die Rückgewinnung der vollen Souveränität über Geld, Recht, Grenzen und Handel mit der Vision eines neuen »Globalen Britanniens«. Es geht darum, das Vereinigte Königreich – bisher weltweit fünftgrößte Volkswirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt – neben den USA, China, der EU, Japan, Russland und aufstrebenden Ökonomien wie Indien neu als eine eigenständig agierende Wirtschaftsnation zu platzieren. Der Spannungsbogen, in dem May die »neue ökonomische Partnerschaft« zwischen dem UK und der EU skizzierte, war dann auch davon gekennzeichnet, dass sie Großbritannien als »Champion des Freihandels« etablieren will, zugleich aber auch mit dem weltweiten »besorgniserregenden Anstieg des Protektionismus« konfrontiert ist. [3]

Der einseitige Austritt der fünftgrößten Volkswirtschaft aus einem über Jahrzehnte im Rahmen einer politischen Union entwickelten zollfreien gemeinsamen Binnenmarkt, der harte Brexit, ist eine harte Form des Protektionismus. Das Zahlungsbilanzdefizit, das über Jahrzehnte hohe Handelsdefizit und eine verarbeitende Industrie, deren Anteil an der nationalen Wertschöpfung bei neun Prozent liegt, bieten aber keine gute Startposition für die Ausweitung globaler Handelsbeziehungen außerhalb der EU.

Die Illusion, den Kuchen gleichzeitig zu essen und in der Hand zu behalten oder das Globale Britannien auf dem Weltmarkt in Konkurrenz zum ehemaligen Partner mit dessen Unterstützung entwickeln zu können, hält sich bei den Brexit-Befürwortern hartnäckig. Sie speist sich noch selbst aus der Vorstellung, dass sie trotz des selbst herbeigeführten Bruchs die im Rahmen transnationaler Souveränität entstandene Kooperation weiter in Anspruch nehmen können. Sie setzen also darauf, dass sie trotz nationalistischer Abschottung und trotz aller selbst errichteten roten Linien die Ressourcen der weiter entwickelten Assoziation ausbeuten können.

Die »neue ökonomischen Partnerschaft« besteht im Wesentlichen aus dem Vorschlag eines Freihandelsabkommens plus eines Zoll-Arrangements. May rekurrierte in ihrer Grundsatzrede auf ein Positionspapier aus Juli 2017 zur zukünftigen Abwicklung der Zollformalitäten. [4] Von EU-Seite wurde es seinerzeit als nicht realistisch eingestuft, der Verband der britischen Industrie bezeichnete es als ambitiös.

In der Folge wurden parallel zum Austrittsgesetz ein Handels- und ein Zollgesetz im Parlament eingebracht, auf dessen Basis überhaupt die Abwicklung und Besteuerung des Außenhandels nach dem Brexit bewerkstelligt werden können. Die Steuer- und Zollbehörde geht davon aus, dass die informationstechnische Grundlage zur Abwicklung des Außenhandels nicht bis zum Austrittsdatum fertig gestellt werden kann.

Die Kernpunkte des Positionspapiers, das May in ihrer Rede aufgriff, sind zwei Szenarien für die Zeit nach einer Übergangsphase. Im Rahmen des Freihandelsabkommens soll eine eigenständige neue Zollpartnerschaft errichtet werden. Erklärtes Ziel ist es, trotz zukünftig notwendiger Zollformalitäten einen möglichst reibungslosen Warenverkehr zu ermöglichen, ein »highly streamlined customs arrangement«. Sie setzt dabei auf technische Lösungen und die Ausweitung bestehender Verfahren, wie sie bereits etwa zwischen der EU, Norwegen und der Schweiz angewendet werden.

Der neben der Zollpartnerschaft wichtigste Punkt in Mays Rede war der Hinweis, dass als neues Element eines Freihandelsabkommens die Regulierung von Finanzdienstleistungen mit aufgenommen soll. Es soll verhindert werden, dass sich das britische Finanzsystem nach dem Austritt noch nach EU-Regeln richten muss. Es könne daher nicht angehen, dass die EU über die »passporting«-Regeln für Banken Kontrolle über wichtige Teile des britischen Finanzsystems behalte. Der EU-Pass erlaubt es Banken und Finanzdienstleistern mit Zulassung in einem Land der Union, auch in den anderen Mitgliedsländern Geschäfte zu machen und Dienstleistungen zu verkaufen. Auch wenn fast alle großen Finanzinstitute, die ihren europäischen Hauptsitz in der Londoner City haben, schon in anderen EU-Ländern schnell ausbaufähige Dependancen eingerichtet haben, wird die Post-Brexit-Regulierung der Finanzdienstleistungen einer der umstrittensten Punkte der Verhandlungen bleiben.

Wie weiter?

Der Entwurf zur Post-Brexit-Partnerschaft, den die EU-Verhandlungskommission in dieser Woche vorlegt und in dem Verhandlungsführer Barnier zufolge die aktuellen Anregungen der britischen Premierministerin mit berücksichtigt sein sollen, wird Ende März der Europäische Rat diskutieren und dazu seine Verhandlungsrichtlinie beschließen. Auf derselben Sitzung soll auch das vorläufige Verhandlungsergebnis zu Dauer und Ausgestaltung der Übergangsphase gebilligt werden.

Innenpolitisch ist es der Premierministerin mit dieser Rede gelungen, ein weiteres Mal die beiden Lager in der konservativen Partei in Schach zu halten. Die große Gruppe der Brexit-Befürworter unter den konservativen Abgeordneten betont, dass mit diesem Verhandlungsansatz die Perspektive des »Globalen Britanniens« gestärkt werde. Die knapp zwanzig Tory-Abgeordneten, die für einen Verbleib in der EU oder zumindest in der Zollunion eintreten, sehen auch nach der Präzisierung der Politik des harten Brexits immer noch die Möglichkeit, das Ruder in Richtung Verbleib in der bestehenden Zollunion zu wenden.

Die Führung der oppositionellen Labour Party hat sich jetzt darauf verständigt, im weiteren Prozess der parlamentarischen Brexit-Gesetzgebung ebenfalls den Verbleib in der bestehenden Zollunion durchzusetzen. [5] Die erste Kraftprobe hierzu soll bei der nächsten Lesung des Zollgesetzes stattfinden. Labour Party und Zollunionsanhänger anderer Parlamentsfraktionen beabsichtigen – voraussichtlich Anfang Mai –, durch einen Änderungsantrag festzurren zu können, dass das Vereinigte Königreich nicht aus der bestehenden EU-Zollunion austreten darf. Der Ausgang der Abstimmung ist ungewiss, daher auch, ob das von vielen Seiten erwartete erneute Beben im politischen System Britanniens an dieser Stelle ins Rollen kommt.


[1] European Commission, Task Force for the Preparation and Conduct of the Negotiations with the United Kingdom under Article 50 TEU (TF50): European Commission Draft Withdrawal Agreement on the withdrawal of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland from the European Union and the European Atomic Energy Community, 28.2.2018. Online: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/draft_withdrawal_agreement.pdf
[2] Hinrich Kuhls: Konservative Austeritätspolitik und die Brexit-Kosten. Zur Kabinettsumbildung in Großbritannien, Sozialismus Aktuell, 10.1.2018. Online: http://www.sozialismus.de/nc/vorherige_hefte_archiv/kommentare_analysen/detail/artikel/konservative-austeritaetspolitik-und-die-brexit-kosten/
[3] Theresa May: Speech on our future economic partnership with the European Union, London, 2.3.2018. Online: https://www.gov.uk/government/speeches/pm-speech-on-our-future-economic-partnership-with-the-european-union
[4] HM Government (2017): Future customs arrangements – a future partnership paper. 15.8.2017. Online: https://www.gov.uk/government/publications/future-customs-arrangements-a-future-partnership-paper
[5] Jeremy Corbyn: Speech on Britain after Brexit, Coventry, 26.2.2018. Online: https://labour.org.uk/press/jeremy-corbyn-full-speech-britain-brexit/

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