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2. August 2014 Bernhard Müller: Die Folgen des Gaza-Kriegs

Neue Stufe der (militärischen) Barbarei

Die für drei Tage angekündigte Waffenruhe hielt nur wenige Stunden. Seitdem ist in Gaza wieder Krieg wie seit Wochen. In einer Fernsehansprache hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Landsleute darauf eingestellt, dass er länger dauern könne. Der Krieg werde erst dann enden, wenn das Tunnelsystem der Hamas zerstört und der Gazastreifen entmilitarisiert sei. »Wir werden diese Operation nicht beenden, bevor die Tunnel ausgeschaltet sind, deren einziger Zweck es ist, unsere Bürger und unsere Kinder zu töten.«

»In keinem anderen Ort des Nahen Ostens ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so viel Krieg geführt worden wie im Gazastreifen«, notierte die FAZ am 30.7. Mit unglaublicher Härte gegenüber der Zivilbevölkerung (ca. 1,8 Mio. BürgerInnen) betreibt das israelische Militär seine Operationen im Gaza-Streifen, zerstört Wohnhäuser und die Infrastruktur. Schon jetzt gibt es auf palästinensischer Seite mehr als 1.200 Tote und viele tausend Verletzte.

Die Unterstützung der militärischen Operation durch die israelische Bevölkerung ist überwältigend. 86% der Wahlbevölkerung wollen, dass die Zerstörungen fortgesetzt werden. Yuli Novak, von 2000 bis 2005 Oberleutnant der israelischen Luftwaffe, beschreibt in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 28.7. die Stimmung im Land: »Die Häuser der Hamas-Angehörigen sind so zu angeblich legitimen Zielen geworden, ungeachtet der Zahl der Menschen, die sich darin aufhalten. Anders als noch 2002 hält es niemand für nötig, dies zu rechtfertigen oder sich zu entschuldigen – es ist halt so, und wer nach der Warnung bleibt, ist selber schuld.«

Die jetzige Sprecherin von »Breaking the Silence«, einem Zusammenschluss regierungskritischer israelischer SoldatInnen, fügt hinzu: »Noch schlimmer ist, dass in Israel fast niemand gegen diese Vernichtungslogik protestiert. Ganze Familien werden innerhalb einer Sekunde ausgelöscht – und die Öffentlichkeit bleibt gleichgültig. Von Jahr zu Jahr, von einer militärischen Operation zur nächsten, wird die rote Linie weiter nach hinten verschoben. Es ist nicht mehr klar, wo die Grenze des Erlaubten liegt und wie wir Soldaten erkennen, wenn wir sie überschreiten. Wo wird sie bei der nächsten Operation liegen? Wo in zehn Jahren?«

Wie verändert die innerisraelische Stimmung gegenüber früheren Militäreinsätzen ist hat auch der israelische Journalist Gideon Levy zu spüren bekommen. SpiegelOnline berichtet, er »hat es gewagt, die Piloten der israelischen Luftwaffe zu kritisieren. Sie gelten als Elite. Levy schrieb unter dem Eindruck der Bomben auf Gaza, die hauptsächlich Zivilisten töten: ›Sie sind Helden, die die Schwächsten bekämpfen, hilflose Menschen ohne Luftwaffe und ohne Flugabwehrsystem. Manche haben nicht einmal einen Drachen, den sie steigen lassen können.‹ Seit diesem Artikel verlässt er sein Haus nur noch mit Bodyguard. Freunde warnen ihn, er solle Israel für eine Weile verlassen, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Sie fürchten, Levy könne von einem rechten Israeli ermordet werden wie 1995 der damalige Premierminister Jizchak Rabin. Levy nimmt ihre Sorge sehr ernst. ›Das Klima in Israel ist wieder genauso wie damals‹, sagt er.«

Der Direktor des Gaza-Programms der Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Robert Turner, fragt nach der Perspektive eines international jetzt vielfach geforderten sofortigen Waffenstillstands: »Falls tatsächlich ein Waffenstillstand zustande kommen sollte, wie können diese Menschen glauben, dass er mehr bringen wird als bloß einen kurzen Aufschub der Gewalt? Und was wäre diese kurze Ruhe überhaupt wert? Für Gaza bedeutet eine Rückkehr zur ›Ruhe‹ eine Rückkehr ins achte Jahr der Blockade. Blockade bedeutet für mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Gazas Arbeitslosigkeit, keinen Lohn und keine Möglichkeit, in andere Märkte zu exportieren oder in Schulen außerhalb Gazas eine Ausbildung zu suchen. Kurz: Ruhe zwar, aber auch Isolation.« (NZZ 19.7.)


Gaza ist ein Gefängnis

In Deutschland wurde der nüchterne Blick auf Ursachen und Folgen der militärischen Operationen der israelischen Regierung wurde und wird getrübt durch die Vermischung der Bewertung von antiisraelischen Demonstrationen mit zum Teil antisemitischen Parolen und der Politik der israelischen Regierung. Eine klare Haltung nahm dagegen das frühere Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, Rolf Verleger, im Deutschlandfunk am 22.7 ein.

Auf die Frage: »Ist es dann nicht verständlich, dass die israelische Armee sagt, wir wollen dem Einhalt gebieten?« gibt Verleger zu bedenken: »Nur ein Punkt: Sie hat sich zwar aus dem Gazastreifen zurückgezogen, aber der Gazastreifen ist ein großes Gefängnis, wie man jetzt gerade sehen kann, und der Schlüsselwärter heißt Ägypten und Israel. Als ich 15 war, war der Sechs-Tage-Krieg. Damals sagte mein Religionslehrer, bisher waren Zionismus und religiöses Judentum ein Gegensatz und haben sich erbittert bekämpft. Jetzt, wo der Zionismus die heiligen Stätten erobert hat, sehe ich die Gefahr – das sagte damals mein Religionslehrer –, dass hieraus ein klerikalfaschistisches Amalgam entsteht, und so ist es gekommen. Sie unterschätzen und verharmlosen, was in Israel für eine Ideologie herrscht, oder zumindest da ist in dieser Siedlerbewegung und die Regierung Netanjahu vor sich hertreibt, und das kann man nicht gut finden. Da muss man gegenhalten.«


Die Besatzungsmacht Israel

Der israelische Ökonom Shlomo Swirki schrieb bereits in seinem Beitrag Israel in a Nutshell im Jahr 2011: »Israel ist ein klassisches Beispiel für ein Land, dessen makroökonomischen Indikatoren gut sind, in dem aber die meisten Haushalte nicht zur Jahresendfeier eingeladen sind. Israel hat eine der höchsten Armutsquote in der OECD und eine der niedrigsten Niveaus in internationalen Bildungstests. Wie gehen diese widersprüchlichen Indikatoren zusammen.«)

Im Vergleich zu den von ihm besetzten Gebieten geht es Israel exzellent. Die israelische Wirtschaft ist durch die Weltwirtschaftskrise sogar besser gekommen als die meisten europäischen Länder. So ist das israelische Bruttoinlandsprodukt zwischen 2006 und 2012 im Durchschnitt um jährlich 4,4% gewachsen, während es im Euroraum nur um 0,3% zulegte. Auch für die folgenden Jahre wird für Israel ein stärkeres Wachstum als in Europa erwartet. Infolge dieser guten ökonomischen Entwicklung ist die Arbeitslosigkeit auf das Rekordtief von 5,8% im Oktober 2013 gesunken. Aber selbst unter diesen guten ökonomischen Rahmenbedingungen hat die soziale Polarisierung in Israel weiter zugenommen.

Die Gründe für diese Entwicklung sind ähnlich wie in anderen kapitalistischen Länder: Die Aufweichung kollektiver Regelungen von Einkommen und Arbeitsmarkt führt zur Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und zu einer sinkenden Lohnquote. Auch in Israel haben die Gewerkschaften deutlich an Einfluss verloren, wie Swirki in seinem Beitrag herausstreicht: »Die israelischen Arbeiter haben ihre kollektive Macht verloren. Die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften, die in den 1950er und 1960er Jahren bei 70% lag, ist auf 25-30% gesunken. Die Histadrut, einst eine der mächtigsten Gewerkschaften der Welt, verlor ihre Macht… Die Histadrut … repräsentiert heute nur mehr eine relativ kleine Zahl von starken Gewerkschaften, vor allem im öffentlichen Sektor. Die 70% der israelischen Arbeiter, die weniger als 75% des Durchschnittslohns, einschließlich der 40%, die weniger als die Hälfte des Durchschnittslohns verdienen, haben keine starke Stimme mehr, die ihre Interessen vertritt.«

Die krasse soziale Spaltung und die Massenproteste der letzten Jahre gegen extreme Mietsteigerungen und die wachsende Ungleichheit haben sich nicht in eine Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in Israel umgesetzt. Die Parlamentswahlen 2013 haben stattdessen eine weitere Verschiebung nach rechts gebracht, das Spektrum der linken Kräfte ist auf eine marginale Größe geschrumpft. Der wesentlicher Faktor für diese Verschiebung liegt in den zahlreichen gesellschaftlichen und politischen Trennlinien und Spaltungen in Israel (religiöse Spaltungen, Spaltungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung, Spaltung zwischen jüdischer Mehrheit und arabischer Minderheit, Bruchlinien zwischen Zionisten und Antizionisten, neu Eingewanderte [Olim] versus Rest der israelischen Bevölkerung), die genauer untersucht werden müssten.

Im Resultat der Parlamentswahlen im Januar 2013 entstand eine Mitte-Rechtskoalition, in der Premierminister Benjamin Netanjahu trotz Wahlverlusten die Führung behaupten konnte. Der rechtskonservative Likud-Block ist zur stärksten politische Kraft in Israel geworden. Die Regierung besteht neben dem Likud aus der ultrarechten Partei »Unser Haus Israel«, der Siedlerpartei »Jüdisches Heim« sowie der Zukunfts- und der Hatnua-Partei. Weder in der Wirtschafts- und Sozialpolitik noch in der Politik gegenüber Palästinensern waren von dieser Regierung positive Impulse zu erwarten.


Friedenswege

Unerlässlich für einen Frieden in Nahost und die Lösung der Probleme Palästinas sind nach Überzeugung aller internationalen Institutionen die Beendigung der israelischen Siedlungs- und die Aufgabe der Verriegelungspolitik, die den Palästinensern jede ökonomisch-soziale Perspektive nimmt. Der Schlüssel für eine gute Zukunft Palästinas wie Israels liegt eindeutig bei der israelischen Regierung.

Im Gefolge des Osloer Abkommens von 1993 verständigten sich die PLO und die israelische Regierung in einem Interimsabkommen 1995 auf eine Aufteilung der Westbank in drei Zonen:

  • A-Gebiete (18% des Gesamtgebiets, über 50% der Gesamtbevölkerung) unter palästinensischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung
  • B-Gebiete (20% des Gebiet, über 40% der Bevölkerung) unter palästinensischer Zivilverwaltung und gemeinsamer israelisch-palästinensischer Sicherheitsverwaltung
  • C-Gebiete (62% des Gebiets, ca. 6% der Bevölkerung) unter fast voller israelischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung.

Das in dem Interimsabkommen gegebene Versprechen, mindestens Teile des C-Gebietes nach und nach unter palästinensische Hoheit zu stellen, wurde von der israelischen Regierung nie eingehalten. Stattdessen wird eine Verbesserung der ökonomischen Situation Palästinas weiterhin behindert durch die insbesondere im palästinensischen C-Gebiet existierenden Einschränkungen des Personen- und Güterverkehrs, die Abriegelung der Gebiete nach außen, die Behinderung von Ex- und Import, Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur sowie Inbesitznahme von palästinensischem Land für den (Aus)Bau israelischer Siedlungen.

Nach UN-Angaben lag die Zahl der Hindernisse und Kontrollpunkte innerhalb des Westjordanlandes im Juli 2012 bei 540 (59 ständig und 26 zeitweise mit Personal ausgestattete Kontrollpunkte und 455 Hindernisse ohne Personal wie Erdwälle, Aufschüttungen, Absperrungen, Straßenblockaden und Gräben). Außerdem gab es 343 »Flying Checkpoints«. Die Zahl der Siedler wuchs von 11.600 im Jahr 1993 auf insgesamt 328.423 im Jahr 2011, entsprechend auch die durch die Siedlungen in besetzten Flächen (3,25% der Westbank). Die Fläche, die von den Siedlern kontrolliert wird, geht allerdings noch weit darüber hinaus. Sie umfasst nach Angaben der israelischen Regierung inzwischen ganze 68% des C-Gebietes.

In einem Bericht der Weltbank vom Oktober 2013 wird geschätzt, dass wenn palästinensische Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe die Genehmigung bekämen, sich im C-Gebiet zu entwickeln, die Einnahmen der Palästinensischen Behörde um 800 Mio. US Dollar steigen würden und das palästinensische Bruttoinlandsprodukt um 35%. Damit könnte das Haushaltsdefizit um die Hälfte gesenkt und die Arbeitslosigkeit und Armut reduziert werden.

Entscheidend hierbei wäre die Aufhebung der vielen israelischen Einschränkungen. Die Landesleiterin der Weltbank für das Westjordanland und den Gazastreifen, Mariam Sherman, ist überzeugt, dass der Zugang der Palästinenser zum C-Gebiet ein großer Schritt zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme in Palästina wäre. »Die Alternative ist trostlos.«

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