Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

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Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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ISBN 978-3-96488-196-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

7. Mai 2013 Fritz Fiehler: Über Keynesianismus, Nachfrage, Sparpolitik und Vernunft

»Nichts anderes als das schlechte Gewissen des Kapitalismus«?

Wenn in der Sozialistischen Tageszeitung »neues deutschland« über die Rolle der keynesianischen Theorie zur Lösung der Krise debattiert wird, dann kommen dafür zwei Gründe in Frage. Der eine Grund wird im wirtschaftspolitischen Eindruck bestehen, irgendwie an Grenzen gelangt zu sein. Es geht um Grenzen der Fiskalpolitik, die in der Verschuldung um ihre politisch gesetzten Maßstäbe ringt.

Und es geht um Geldpolitik, die als Europäische Zentralbank zwar über ihre selbst gesetzten Maßstäbe bereits hinausgegangen ist, sich aber mit daran geknüpften Erwartungen enttäuscht sieht. Während liberale und konservative Ökonomen sich wundern, wie es dazu kommen konnte, sehen sich keynesianische Ökonomen mit den zahlreichen Krisenerscheinungen in ihrer Überzeugung bestätigt, dass in das wirtschaftliche Geschehen nicht genügend eingegriffen worden ist. Eine Überzeugung, die sie mit Kritikern des Kapitalismus teilen.

Inwieweit diese Übereinstimmung nun als Bestätigung oder als Anpassung für Kapitalismuskritik genommen werden muss, ist der zweite Grund für die begonnene Debatte. Schließlich ist Keynes für die traditionelle Linke nach wie vor ein affektiv besetztes Thema – steht er doch, vermeintlich oder tatsächlich, nicht nur für eine durch Wohlfahrt, Unterhaltung und Konsum bestimmte Integration der Lohnarbeit, sondern auch für eine in dieser Zeit, aus welchen Gründen auch immer, eingetretene Marginalisierung der sozialistischen Linken.

Für den neoliberalen Zeitgeist ist der Keynesianismus als eine gefährliche Fiskal- und Geldpolitik ausgemacht, die nur in Verschuldung, Steuerlasten und Inflation enden kann. Und diese immer wieder an die Wand gemalten Folgen haben für die Legitimierung der Konsolidierungspolitik herzuhalten. Dabei gehe es um einen großen ideologischen Kampf um Markt und Staat, schreibt Heiner Flassbeck, in dem auch die Vernunft unter die Räder kommen würde. Daher will Flassbeck auch nicht immer wieder in die »alten längst geschlagenen theoretischen Schlachten um den Keynesianismus« (nd vom 27.4.2013) ziehen.

In dieser Situation sieht sich der ehemalige Mitstreiter Oskar Lafontaines veranlasst, an den »gesunden Menschenverstand« zu appellieren. In diesem Sinne spricht er sich für eine nüchterne Betrachtung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge aus. »Jeder vernünftige Mensch würde sagen, dass in einer Zeit, wo die privaten Haushalte bei hoher Arbeitslosigkeit verunsichert sind und zudem nicht über Einkommen verfügen, um mehr für Konsum auszugeben, staatliche Ausgabenkürzungen die Wirtschaft schwächen, wenn nicht ein Wunder geschieht.«

Flassbeck beschränkt sich auf die Frage: Welche Verminderung der staatlichen und privaten Ausgaben darf noch in Kauf genommen werden, um den einen oder anderen Kostenvorteil für das Angebot zu erlangen? Er lässt sich nicht auf eine nähere Charakterisierung der Keynesschen Schule ein. Zumal er davon überzeugt ist, dass man sich nicht immer wieder einreden lassen dürfe, »es gäbe zwei Theorien, die keynesianische und die neoklassische, die als etwa gleichberechtigt akzeptiert werden müssten…«

Bei Flassbeck bleibt einiges unausgesprochen: Das ist zunächst die Frage, warum mit einfachen Vorstellungen vom Markt ein kompliziertes Regulierungssystem gedeutet werden kann? Und das geht zu der beunruhigenden Erscheinung fort, inwiefern sich ein Kostendruck derart katastrophal für die Lohnbildung auswirken kann? Schließlich wird sich die Beschwerde über ideologischen Eifer überlegen müssen, warum sich private Haushalte für Argumente empfänglich zeigen, die ihren Interessen an sich entgegengesetzt sind?

Für diese Fragen hat Marx großen Wert auf die Unterscheidung zwischen einem einfachen Markt und einem entwickelten Marktsystem gelegt. »Bei dem einfachen Kauf und Verkauf genügt es, Warenproduzenten als solche sich gegenüber zu haben. Nachfrage und Zufuhr, bei weiterer Analyse, unterstellen die Existenz der verschiedenen Klassen und Klassenabteilungen, welche die Gesamtrevenue der Gesellschaft unter sich aufteilen und als Revenue unter sich konsumieren, die also die von der Revenue gebildete Nachfrage bilden; während sie andererseits, zum Verständnis der durch die Produzenten als solche unter sich gebildeten Nachfrage und Zufuhr, Einsicht in die Gesamtgestaltung des kapitalistischen Produktionsprozesses erheischen.«[1]

Würde man die Marktwirtschaft nach ihren scheinbar einfachen Vorgängen beurteilen, behauptet Marx, dann wäre sie nicht nur idealisiert, sondern ihre Regulierungsprobleme wären auch unterschätzt. Eine Gedankenlosigkeit, die weder etwas von der Größenordnung des in der industriellen Ausrüstung steckenden Kapitals ahnt, noch vom Übergewicht der zwischen Unternehmen vorgenommenen Geschäfte. Die zwischen Handel und Haushalten praktizierten Märkte machen den kleineren Teil aus. Je entwickelter eine politische Ökonomie ist, das ist auch Keynes nicht entgangen, desto rücksichtsloser wird sie versuchen, die zeitweilige Aufwertung ihrer Anlagen mit einer Entwertung ihrer Arbeitskräfte zu kompensieren.

Diese Zusammenhänge bleiben privaten Haushalten verborgen. Sie beziehen unterschiedliche Einkommen, vor allem diese in unterschiedlicher Größe. Dabei wollen sie mit ihren Einkünften nicht nur ihren Beruf entlohnt sehen, sondern damit vor allem ein privates Leben nach eigenen Vorstellungen verwirklichen. Und in dieser Hinsicht ist der gute Hausvater oder die schwäbische Hausfrau durchaus für Argumente empfänglich, die Flassbeck an der Vernunft der öffentlichen Meinungsbildung zweifeln lässt.

Bekanntlich hat John Maynard Keynes von Marx nichts gehalten. Das hat den in Cambridge lehrenden Professor aber nicht davon abgehalten, Marxens Formeln an verschwiegener Stelle zu würdigen. Tatsächlich sei die herkömmliche Ökonomie, heißt es bei Keynes, nicht über die Formel Ware-Geld-Ware (W-G-W) hinausgekommen. Aber das wissenschaftliche Terrain sei erst mit der Formel Geld-Ware-Geld plus (G-W-G‘) eröffnet.[2]

Im »Kapital« steht die in der politischen Ökonomie umstrittene Nachfrage zunächst für die Realisierung der Kapitalverwertung. Diese Realisierung ist aber nicht zu trennen von den »verschiedenen Klassen und Klassenabteilungen« in der Gestalt von privaten Haushalten. Und mit den Haushalten sind wirtschaftlich, politisch und moralisch entscheidende Instanzen genannt.[3] Die Nachfrage hat demnach eine institutionelle und kulturelle Geschichte. »Das große Rätsel der wirksamen Nachfrage«, schreibt Keynes, »mit dem Malthus gerungen hatte, verschwand aus der wirtschaftlichen Literatur. Man wird sie in den gesamten Werken von Marshall, Edgeworth und Prof. Pigou, die der klassischen Theorie ihre reifste Verkörperung gaben, auch nicht ein einziges Mal nur erwähnt finden. Sie konnte nur verstohlen unter der Oberfläche weiterleben, in den Unterwelten von Karl Marx, Silvio Gesell oder Major Douglas.«[4]

Dieses »große Rätsel der Nachfrage« kann Ingo Stützle lüften (ebenfalls nd vom 27.4.2013). »John Maynard Keynes erkannte, dass der Lohn nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein Teil der gesellschaftlichen Nachfrage ist, die das Produktionsvolumen und damit auch den Beschäftigungsstand tangiert. Setzen sich Löhne in Konsum um, wird das Kapital seine Waren los. Auch der Staat soll anlagesuchendes Kapital durch Kreditaufnahme (Staatsanleihen bringen Zinsen) in gesellschaftliche Nachfrage ›übersetzen‹.« Treibt sich der Beschäftigte in seiner knapper gewordenen Freizeit in Supermärkten oder in Baumärkten herum, hat er sich eine Urlaubsreise nach Mallorca vorgenommen oder bezieht er von nunmehr betriebswirtschaftlich bewusster geführten Stadtwerken Strom oder Wasser, dann nimmt er dem Kapital Waren ab, dann trägt er zum Ressourcen verschlingenden Wachstum bei, dann trägt er selbst, auch das kann Stützle ihm nicht schenken, zur Realisierung einer Kapitalverwertung bei, die ihn für den nächsten Tag wieder in die »Gerberei« zwingt.

Während die Neoklassik nur die Kostenseite im Kopf habe, soll uns gesagt werden, wüsste der Keynesianismus auch noch um die Nachfrage. Was die eine neoliberale Schule anrichtet, muss die sozialreformerische wieder ausbessern. »Der Keynesianismus ist nichts anderes«, spitzt Stützle zu, »als das schlechte Gewissen des Kapitalismus, das Über-Ich der Bourgeoisie, das beständig mit der destruktiven Natur des Kapitals und der Profitlogik kollidiert.« Davon kann sich der Redakteur von »Analyse & Kritik« nur abwenden. »Kapitalismuskritik sieht anders aus.«

Die Alternative lautet: »Statt aber die Lohnabhängigen mit hohen Löhnen und einer anderen Wirtschaftspolitik zu versöhnen, die immer Lohnabhängigkeit und Profitlogik festschreibt, sollte eine breite Debatte darüber begonnen werden, wie jenseits von Staat und Profitlogik, Kapital und Lohnarbeit gesellschaftliche Reproduktion aussehen könnte.« Allein: Wozu bedarf es dann noch einer Kapitalismuskritik?

Für »eine breite Debatte« darüber, wie »gesellschaftliche Reproduktion aussehen könnte«, bedarf es einer Kritik der Buchhalter und Hausväter. Schließlich würde immer noch Folgerungen misstraut, schreibt Keynes, »die außerhalb eines Systems reiner Geldrechnung mit seiner ewigen Sorge um die Bezahlung einleuchtend wären.« Und Keynes spottet: »Wir müssen arm bleiben, weil wir es nicht ›bezahlen‹ können, reich zu sein. Wir müssen in Hütten leben, nicht weil wir keine Paläste bauen können, sondern weil wir sie uns nicht ›leisten‹ können. Der gleiche Geist selbstsüchtiger finanzieller Kalkulation beherrscht jeden Lebensbezirk. Wir zerstören die Schönheit der Natur, weil ihre herrenlose Pracht keinen ökonomischen Wert hat. Wir sind fähig, die Sonne und die Sterne auszuschließen, weil sie keine Dividende aufbringen. London gehört zu den reichsten Städten, die die Zivilisation gekannt hat, aber es kann sich den höchsten Komfort, den seine Bürger verwirklichen könnten, nicht ›leisten‹, weil er nicht ›rentiert‹.«[5]

Die Auseinandersetzung mit dem »großen Rätsel der Nachfrage« hat Keynes nicht nur ein Gespür für Regulierungskonflikte entwickeln lassen, es hat ihn zudem nicht nur zu geschichtlich weitreichenden Reformvorschlägen bewogen, sondern es hat ihn vor allem auch zu kulturpolitischen Überlegungen angeregt. Würde sich eine Kapitalismuskritik die unterschiedlichen Seiten der gewöhnlich erscheinenden Nachfrage zu Nutze machen können, müsste in diesem Punkte nicht mehr aneinander vorbeigeredet werden.

[1] Karl Marx, Das Kapital, Band 3, MEW 25, S. 205
[2] Vgl. John Maynard Keynes, The distinction between a co-operative economy and entreprenuer economy, in: The Collected Writings of Hohn Maynard Keynes, Volume XXIX, Cambridge 1979, page 81
[3] »Ein kapitalistischer Staat, der offen seine Zwangsmittel einsetzt, um einer Klasse auf Kosten anderer Klassen zu helfen, Kapital zu akkumulieren, verliert seine Legitimation und untergräbt damit die Grundlage seiner Loyalität und seiner Unterstützung. Aber ein Staat, der die Notwendigkeit ignoriert, den Prozess der Kapitalakkumulation zu unterstützen, riskiert es, die Quelle seiner eigenen Macht, den volkswirtschaftlichen Surplus an Produktionskapazitäten und die aus diesem Surplus (und anderen Formen des Kapitals) gezogenen Steuern zum Versiegen zu bringen.« James O’Connor, Die Finanzkrise des Staates. Frankfurt a.M. 1974, S. 16.
[4] John Maynard Keynes, Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1936, S. 28
[5] John Maynard Keynes, Nationale Genügsamkeit, in: Harald Mattfeld: Keynes, Kommentierte Werkauswahl, Hamburg 1985, S. 158ff.

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