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12. Juli 2012 Joachim Bischoff: Spanien hat nichts aus der griechischen Tragödie gelernt

»Raus aus dem Schlamassel«?

Der konservative Regierungschef in Spanien Mariano Rajoy greift auf die abgedroschene Politikformel zurück: zu dem von ihm trotz anhaltender und massiver werdender Proteste verkündeten Kürzungsprogramm gebe es »keine Alternative«. Steuererhöhungen und Kürzungen sollen in den nächsten zweieinhalb Jahren dem Staat 65 Milliarden Euro einbringen und damit die gegenwärtige Praxis beenden, dass der öffentliche Sektor Dutzende von Milliarden Euro mehr ausgibt als einnimmt. »Wir müssen raus aus dem Schlamassel und zwar so schnell wie möglich.«

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Spanien vor wenigen Wochen zu einer erneuten Rosskur gedrängt. Die Bankenrettung durch den Rettungsschirm der Euro-Zone müsse von »Reformen in anderen Bereichen« begleitet werden, damit das Land das Vertrauen der Märkte zurückgewinne und auf den Weg zu mehr Wachstum zurückkehre. In dem Papier einer IWF-Expertenmission wurde unter anderem die sofortige Anhebung der Mehrwertsteuer gefordert. Zudem sollten die Löhne stärker gesenkt werden, um den Arbeitsmarkt zu beleben. Es sei wichtig, dass diese Reformen »klar und zusammenhängend« kommuniziert würden, so der IWF.

Die Regierung Rajoy hatte dies zunächst abgelehnt. Warum? Es wäre die dritte massive Sparoperation innerhalb eines Jahres. Spanien sollte bereits 2011 das Haushaltsdefizit auf 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) absenken. Die Neuverschuldung erreichte stattdessen 8,9%. Denn die gesamtwirtschaftliche Leistung schrumpfte um 0,3% und zugleich erforderten die Krisenlasten höhere Ausgaben.

Für das laufende Jahr 2012 strebte die Regierung in Übereinstimmung mit der EU-Kommission daher eine Senkung des Defizits auf 5,3% an, ursprünglich war sogar eine Obergrenze von 4,4% vorgesehen. Allen Beteiligten war klar, dass dies angesichts der wirtschaftlichen Lage völlig unrealistisch ist. In den ersten Monaten verabschiedete die konservative Regierung einen Haushalt, der Kürzungen von 27 Mrd. Euro vorsieht und schob kurz danach ein weiteres Sparpaket von 10 Mrd. Euro nach. Mit dieser kombinierten Rosskur sollte die Zielvorgabe der EU eingehalten werden: Senkung der Neuverschuldung von 8,5% des BIP auf 5,3% in diesem Jahr, davon sollten maximal 3,5% auf den Zentralstaat und 1,8% auf die Regionen und andere staatliche Einrichtungen entfallen.

Wie das Finanzministerium durch einen Blick in die aktuellen Haushaltsbücher feststellen konnte, betrug die Neuverschuldung der spanischen Regierung in den ersten fünf Monaten 2012 fast soviel, wie eigentlich für das gesamte Jahr vorgesehen. Danach belief sich das Haushaltsdefizit des Zentralstaates von Januar bis Mai auf 36,4 Milliarden Euro. Dies entspricht 3,41% des BIP. Die EU hatte ein Einsehen und spendierte der Regierung mehr Zeit: Spanien sollte nach neuen Vereinbarungen seine Neuverschuldung spätestens 2014 auf 3% gedrückt haben.

Jetzt also deshalb entgegen allen Einsichten eine neue Rosskur. Im Kampf gegen die dramatische Haushaltslage hat Ministerpräsident Rajoy dem schuldengeplagten Euro-Land ein umfassendes Austeritätsprogramm verordnet. Einen Tag nachdem die EU die Defizitziele für die Regierung in Madrid lockerte, präsentierte Rajoy im Parlament Steuererhöhungen und Kürzungen, die in den nächsten zweieinhalb Jahren dem Staat 65 Milliarden Euro einbringen sollen.

Ein zentraler Punkt ist die Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Punkte auf 21%, die bereits für Anfang August vorgesehen ist. »Diese Maßnahmen sind nicht angenehm, aber sie sind notwendig.« Das Kürzungsprogramm, mit dem Rajoy unter dem Druck der Finanzmärkte zahlreiche Wahlkampfversprechen bricht, zeigt, dass Spanien de facto bereits unter strikter EU-Aufsicht steht. Anders als Griechenland, Portugal und Irland ist die Regierung in Madrid bislang nicht vollständig unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft, hat aber Hilfen für den Bankensektor beantragt.

Rajoy will außerdem die Arbeitslosenhilfe und Beamtengehälter kürzen sowie neue Energiesteuern einführen. Gleichzeitig kündigte der Ministerpräsident die Privatisierung von Bahnlinien, Häfen und Flughäfen an und erklärte, die Steuerbegünstigungen für Grundstückbesitzer rückgängig zu machen, die er erst im Dezember eingeführt hatte.

Wird die Rosskur zur Punktlandung bei der Quote des Staatsdefizits führen? Die meisten Experten sind skeptisch. In diesem Jahr erwartet Spanien einen Rückgang seiner Wirtschaftsleistung um knapp 2%, und steckt damit zum zweiten Mal seit 2009 in einer Rezession. »Das erste Quartal dürfte genauso ausgefallen sein wie das letzte Quartal des vergangenen Jahres«, sagt Wirtschaftsminister Luis de Guindos. Zugleich nimmt die Arbeitslosigkeit rasant zu. Das Land hat mit 22,9% bereits die höchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union (EU). Bis zum Jahresende rechnet die Regierung mit einer Quote von 24,3% und einem Anstieg der Erwerbslosen auf fast 6 Millionen Menschen.

Durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer steigt zudem die Gefahr, dass der Konsum weiter Schaden nimmt, weil die Waren teurer werden. Die Einkommenssteuer soll in der viertgrößten Volkswirtschaft dagegen sinken. Damit verschiebt sich die Steuerlast von der Arbeit stärker auf den Konsum.

Mit dem drastischen Sparkurs und der verordneten Rosskur droht Spaniens Wirtschaft eine Verstärkung des Rückschlags. Das Land ist dicht daran, in eine ähnliche Abwärtsspirale wie Griechenland zu geraten. »Spanien spart seiner sich abzeichnenden Verfehlung der Defizitziele für 2012 hinterher.« Deshalb reagieren viele Ökonomen sehr skeptisch auf das präsentierte Sparpaket.

Auch das Bankensystem ist in einem bedrohlichen Zustand, das Volumen der faulen Kredite beängstigend. Im Januar 2012 fielen knapp 8% aller ausstehenden Kredite in die Kategorie mit einem hohen Ausfallrisiko. Mindestens 62 Milliarden Euro sollten die Kreditinstitute für die Erhöhung ihres Eigenkapitals erhalten, um mit den Abschreibungen auf die Immobilienrisiken klar zu kommen. Viele Wirtschaftsexperten glauben, dass die drohenden Verluste weit höher liegen und dass der Staat weitere Milliarden in die Sanierung der Sparkassen stecken muss.

Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Wirtschaftskraft der Euro-Zone insgesamt in diesem Jahr um 0,3% schrumpfen wird. Im November war die EU-Kommission noch von einem Wachstum des BIP von 0,5% ausgegangen. Die Inflationsrate wird in diesem Jahr bei 2,1% liegen und damit 0,4% über der Herbst-Prognose. In der gesamten Europäischen Union (EU) stagniert die Wirtschaftskraft, anstatt um 0,6% zu wachsen, wie noch im Herbst angenommen.

Während Deutschland weiterhin vergleichsweise gut durch die Krise kommt – die Kommission rechnet für dieses Jahr mit einem Plus von 0,6% – entwickelt sich die Ökonomie der Sorgenkinder Griechenland und Portugal besonders schlecht, wo das BIP um 4,4% beziehungsweise 3,3% schrumpft. Das ebenfalls als Wackelkandidaten geltende Italien muss sich laut Prognose auf einen Rückgang der Wirtschaftskraft in Höhe von 1,3% einstellen.

Die eingeleitete Rosskur in Spanien erhöht für die südlichen Perepheriestaaten der Euro-Zone die Gefahr einer vertieften Rezession. Es wäre klüger gewesen, den Ländern in ihrem Kampf gegen die rezessiven Tendenzen nicht nur längere Sanierungsfristen einzuräumen, sondern den Kampf um eine wirtschaftliche Erneuerung durch ein wirksames Investitions- und Wachstumsprogramm zu befördern. Aber die wirtschaftspolitischen Fehler im Fall Griechenland haben keineswegs zu einer kritischen Überprüfung des gesamten Politikansatzes geführt.

Und ein anderes Defizit der griechischen Entwicklung wird erneut nicht angegangen: wirksame Maßnahmen gegen die beträchtliche Kapitalflucht. Denn auch in Spanien verunsichert die Krise die Vermögenden sowie die internationalen Investoren, weshalb immer mehr Kapital ins Ausland geschafft wird. Im März haben die Kapitalabflüsse aus Spanien einen Rekordstand erreicht, unter dem Strich wurden 66,2 Mrd. Euro abgezogen, im April waren es laut Daten der EZB insgesamt 31,5 Mrd. Euro. Damit hat die Kapitalflucht in den ersten vier Monaten des Jahres die Rekordhöhe 121,9 Mrd. Euro erreicht, die Einlagen fielen auf rund 1,6 Bio. Euro, den niedrigsten Wert seit November 2008.

Es ist absurd, über eine Rekapitalisierung der maroden Banken zu verhandeln und zugleich der wachsenden Kapitalflucht passiv zuzusehen. Mit einem Politikwechsel müsste die wirtschaftliche Talfahrt gestoppt werden. Zugleich ließe sich mit einem Schuldenmoratorium für die notleidenden Immobilienobjekte der verhängnisvolle Kreislauf von immer höheren Bank- und öffentlichen Schulden unterbrechen und durch eine Blockade der Kapitalflucht in Verbindung mit einer sozial gerechteren Besteuerung müssten Ressourcen für ein Investitionsprogramm geschaffen werden.

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