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18. Februar 2016 Otto König/Richard Detje: Ein Folterlager der chilenischen Geheimpolizei DINA

Schreckensherrschaft in der »Kolonie der Würde«

Szenenfoto aus dem erwähnten Film.

»Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück«, heißt der Film des Regisseurs Florian Gallenberger,[1] der aktuell in bundesdeutschen Kinos angelaufen ist. Der Thriller beginnt während des Militärputsches von Augusto Pinochet gegen die Unidad Popular und den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. Die trügerische Idylle der »Kolonie der Würde« ist ein grauenvolles Stück deutscher Geschichte in den Vorkordilleren Chiles.

Die Geschichte der »Colonia Dignidad« begann 1961. Der Laienprediger Paul Schäfer, der in den 1950er Jahren durch das Rhein- und Münsterland zog und das Urchristentum verkündete, setzte sich, nachdem die Staatsanwaltschaft Bonn gegen ihn einen Haftbefehl »wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen« erlassen hatte, nach Chile ab. Rund 300 Anhänger aus der »Private Sociale Mission« in Siegburg und der evangelisch-freiheitlichen Gemeinde Gronau folgten ihrem »Messias«. Er versprach ihnen ein »urchristliches« Leben im »gelobten Land« und warnte die Zögernden vor »einer drohenden russischen Invasion« in der damaligen Bundesrepublik.

In den grünen Hügeln nahe des Ortes Parral, 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile, stampften die Sektenmitglieder auf einem zunächst 3.000 – später 15.000 ha – großen Gelände einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb aus dem Boden. Die »Gesellschaft für Wohltätigkeit und Erziehungsanstalt der Würde« (Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad) gab vor, sich im Windschatten der Anden der Betreuung von Armen und hilfsbedürftigen Kindern zu widmen.

Tatsächlich war sie für die teilweise bis zu 500 BewohnerInnen eine Hölle auf Erden. Hinter Maschen- und Stacheldrahtzäunen errichtete »Tio permanente«, der ewige Onkel, wie sich Schäfer selbst nannte, eine perfide Schreckensherrschaft, die auf bedingungsloser Unterwerfung gründete. Seine »Jünger« mussten ihre familiären Bindungen aufgeben. Die Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, heimliche Liebesbeziehungen bestraft, Heiraten verboten. Der Psycho-Terror machte die Menschen zu gefügigen Werkzeugen.

Die »Entkernung der Persönlichkeit« sorgte dafür, dass die Bewohner sich kein Leben außerhalb des »Mini-Führerstaates« vorstellen konnten. Unter dem Mantel der Mildtätigkeit sicherte sich der Päderast die Möglichkeit, deutsche und chilenische Jungen systematisch sexuell zu missbrauchen, Mädchen zu schlagen und zu demütigen. Wer nicht gehorchte, wurde mit Elektroschocks gequält und mit Psychopharmaka betäubt.

Die Blütezeit der Colonia Dignidad begann am 11. September 1973: General Pinochet erkannte schnell die Möglichkeiten, die die streng abgeschirmte Enklave der Deutschen für seinen menschenverachtenden Umgang mit politischen Gegnern bot. Sie wurde zu einem Konzentrationslager und Folterzentrum des berüchtigten Geheimdienstes DINA.

Bereits in den 1960er Jahren nahm die Colonia-Führung Kontakte zu rechtsextremen chilenischen Gruppierungen auf. Nach dem Wahlsieg der Unidad Popular (Einheit des Volkes) 1970 wurden die Sicherheitsmaßnahmen in der Colonia verschärft, da man Landenteignungen befürchtete. Die Kontakte zu den rechten Kräften in Militär, Wirtschaft und Politik wurden intensiviert. Das deutsche »Mustergut« entwickelte sich zu einer Basis der rechtsradikalen Terrororganisation »Patria y Libertad«, die mit Sabotageaktionen die Allende-Regierung zu destabilisieren versuchte.

Nach dem Militärputsch wurden von den DINA-Schergen regimekritische Chilenen in die Kolonie überstellt, wo die »desaparecidos« mit Schäfers Hilfe interniert, gequält und umgebracht wurden. Amnesty International (AI) geht davon aus, dass bis zum Ende der Diktatur 1990 mindestens 119 Opfer des Regimes in die Colonia verschleppt wurden. Das ermordete Mitglied der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), Álvaro Vallejos, ist einer der »Verschwundenen«. Bereits 1979 hatte der ehemalige DINA-Agent Samuel Fuenzalida im Prozess der Colonia gegen AI vor dem Landgericht Bonn ausgesagt, er habe den Gefangenen Vallejos nach seiner Festnahme von einem Haftzentrum in Santiago in die Colonia gebracht und ihn »den Deutschen« übergeben (taz, 24.5.2015).

Für den Journalisten Gero Gemballa war die Colonia Dignidad ein institutionalisiertes Geflecht aus deutschen, chilenischen und internationalen Wirtschafts- und Geheimdienstinteressen, Waffenschieberei und aktiver Komplizenschaft bei der Liquidierung von politischen Gegnern des Pinochet-Regimes.[2] Fakt ist: Schäfer und seine Anhänger konnten auch in Deutschland auf politische Unterstützung bauen, vor allem im konservativen Spektrum, das den Putsch gegen den sozialistischen Präsidenten Allende nicht nur klammheimlich begrüßte.

Gerade die CSU-nahe Hans-Seidel Stiftung teilte mit dem Pinochet-Regime Einschätzungen, was den kommunistischen Erzfeind betraf, aber auch die Vorliebe für die neoliberalen Wirtschaftsthesen von Friedrich August Hayek, der auf einen starken Staat setzte, der mit großer Härte gegen Kräfte wie Gewerkschaften oder sozialistische Parteien, die das freie Spiel der Marktkräfte beeinträchtigen, vorgeht.

Die CSU zeigte sich darüber hinaus beeindruckt von der Verbundenheit mit dem bayerischen Brauchtum in den fernen Anden. Euphorisch schrieb der ehemalige Münchner CSU-Stadtrat Wolfgang Vogelsang nach einem Besuch der Colonia: »Man ist konservativ, denkt an Bayern, zeigt die Fahne mit Löwen und Raute. Hoffnung für Deutschland«. Schließlich machte auch der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß der Sekte 1977 seine Aufwartung. Ein signiertes Porträt des CSU-Chefs hing bis Mitte 1990 in einem der zentralen Gebäude auf dem Gelände.

Unstrittig ist heute, dass Schäfers Gemeinschaft von der deutschen Botschaft in Santiago de Chile breite Unterstützung erhielt. Erst nachdem das Folterlager 1976 in einem Bericht der »Menschenrechtskommission der UNO« genannt wurde, wies das Auswärtige Amt in Bonn seinen Botschafter Erich Strätling an, die Aussagen von Zeugen vor Ort zu überprüfen. Strätling, der »einen Staatsempfang« mit der vom Sektenorchester gespielten deutschen Nationalhymne« bekam, fand nichts Verdächtiges und sprach Schäfer und seine Leute von Foltervorwürfen frei.

Ein Jahr später, am 21. März 1977, stellte Amnesty International die Broschüre »Colonia Dignidad – ein Folterlager der DINA« in Frankfurt a.M. vor, die detaillierte Informationen zu Folterungen in der Sektenkolonie enthielt. Doch auch nach einem erneuten Besuch teilte Strätling dem Auswärtigen Amt mit: »Ich habe keine unterirdischen Folteranlagen gefunden«, die Vorwürfe seien »Gerüchte und unbewiesene Behauptungen«.[3] Gute, fleißige Deutsche, die sich gegen verleumderische Gerüchte von Exil-Chilenen wehren mussten – das war bis 1985 die Sicht der Deutschen Botschaft auf die Kolonie.

Erst zehn Jahre später sah sich die Bundesregierung aufgrund drängender Fragen von Menschenrechtsorganisationen sowie von Angehörigen, die sich in der »Not- und Interessengemeinschaft für die Geschädigten der Colonia Dignidad« organisierten, genötigt, zu reagieren. In der Folge wurde »die Komplizenschaft der deutschen Botschaft mit Schäfers Terrorregime beendet« und der »Einsatz für widerrechtlich festgehaltene deutsche Staats-bürger in der Kolonie verstärkt« (Lateinamerika Nachrichten, April 2005).

Im Februar 1991 legte die chilenische Nationale Kommission »Wahrheit und Versöhnung« ihren Abschlussbericht zur Aufarbeitung der Diktatur vor. In ihm sind die »Verbindungen zwischen der DINA und der Colonia Dignidad« belegt. Der Geheimdienst habe die Landgüter der Colonia wie El Lavadero sowie Parzellen des früheren Landguts San Manuel in Parral genutzt. Daraufhin erkannte die erste demokratische Regierung nach dem Ende der Militärdiktatur der Sekte die Privilegien als Steuer- und zoll-befreite Wohlfahrtseinrichtung ab.

Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad und der Putschisten kam in den Folgejahren wie in fast allen lateinamerikanischen Ländern nur langsam voran.[4] Der 1996 untergetauchte Paul Schäfer wurde nach achtjähriger Flucht in Argentinien verhaftet und an Chile ausgeliefert. Mitte Mai 2006 wurde er im Bezirk Letras de Parral wegen sexuellen Missbrauchs von 25 Kindern zu 20 Jahren Haft verurteilt, in der er 2010 im Alter von 88 Jahren verstarb. Schließlich verurteilte der Oberste Gerichtshof in Santiago Ende Januar 2013 nach langen Verhandlungen und Revisionen 21 Angeklagte aus der früheren Colonia rechtskräftig.

Zu den Verurteilten gehört der ehemalige Arzt und Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp. Der in Abwesenheit wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Gefängnis Verurteilte setzte sich im Sommer 2011 nach Deutschland ab und lebt bis heute unbehelligt im nordrhein-westfälischen Krefeld. Da die Bunderepublik keine Staatsbürger in Länder außerhalb der EU ausliefert, bat der Oberste Gerichthof von Chile die deutsche Justiz darum, Hopp seine Strafe in Deutschland verbüßen zu lassen. Die Krefelder Staatsanwaltschaft prüft seit einiger Zeit ein Vollstreckungsgesuch. Die Trägheit der Justizbehörden in diesem Fall erinnert an die »zähe« Verfolgung von alten Nazis, von denen etliche nach Südamerika geflohen und manche auch in der Colonia aufgetaucht waren.

Vor drei Monaten demonstrierten rund 40 Chilenen vor der »Villa Baviera«, wie die ehemalige Sektensiedlung heute heißt, in der noch immer etwa 150 ehemalige Sektenmitglieder leben. Sie betreiben auf dem Gelände des Grauens einen Tourismuspark (http://www.villabaviera.cl). Die Bewohner der Villa Baviera empfangen ihre Gäste in Lederhosen und Dirndl und servieren bei volkstümlicher Musik deftige Kost: Schweinshaxe, Senfbraten, Nackensteaks, Bratwürste. Während die Angehörigen am Zaun des Geländes große Schwarz-Weiß-Fotografien der »desaparecidos« befestigten und lautstark für ein sofortiges Ende des Folklore-Tourismus über den Folterbunkern protestierten, startete drinnen das jährliche »Oktoberfest«.

Bis heute tun sich die Ehemaligen der »Colonia Dignidad« mit der Aufarbeitung der Geschichte des Ortes als Haft- und Folterstätte schwer. Auf Plakaten an der Außenwand des Hotels der Villa, auf denen die Geschichte der Siedler skizziert wird, werden die »Paul Schäfer-Terrorjahre« von 1961 bis 1997 lapidar als »años difíciles« charakterisiert.

Für die Angehörigen der Opfer stellt sich weiterhin die Frage, wann der chilenische Staat die Anweisung des Richters Jorge Zepeda umsetzt. Er hat im vergangenen Jahr verfügt, am Eingangstor der Villa Baviera eine staatliche Gedenkstätte zu errichten, in der die Beteiligung der Colonia Dignidad an Folter und Ermordung von chilenischen Oppositionellen während der faschistischen Pinochet-Diktatur dokumentiert werden soll.

[1] »Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück«. Drama mit Emma Watson, Daniel Brühl und Michael Nyqvist; Regie: Florian Gallenberger, D/LUX/FR 2015, 110 min; Kinostart: 18.2.2016 (http://www.coloniadignidad.de/).
[2] Vgl. Gero Gemballa: Colonia Dignidad. Ein Reporter auf den Spuren eines deutschen Skandals. Frankfurt/New York 1998.
[3] Dieter Meier: Äußerste Zurückhaltung – die Colonia Dignidad und die deutsche Diplomatie 1961-1978, Nürnberger Menschenrechtszentrum, 30.7.2008.
[4] Otto König/Richard Detje: Die Zeit der Angst ist vorbei. Die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktaturen in Lateinamerika, in: Sozialismus 6/2015.

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