26. Juli 2014 Bernhard Sander: Filmkritik
Selten so gelacht
Man muss nicht der Modewissenschaft der Neuro-irgendwas anhängen, um zu verstehen, dass es sich entspannt am besten lernt und lachend die Vernunft suspendiert ist. Filmkomödien eignen sich in besonderer Weise dazu, breiten Massen die jeweils herrschende Moral durchzubuchstabieren und zu ordnen.
So kannten wir schon bisher zwei französische Kassenschlager aus der Ära Sarkozys, die die »Koalition der Leistungswilligen« preisen und damit jeweils den Nerv eines Millionenpublikums trafen.
Die »Ziemlich besten Freunde« (2011, 19 Millionen Kino-Besucher_innen) preisen die Polemik gegen das »Assistanat« (in etwa die Sozialschmarotzer), weil der hilfsbedürftige Milliardär dem farbigen Arbeitslosen glaubhaft macht, dass es nicht schön sei, wenn man auf die Hilfe anderer angewiesen ist; da sei jede noch so schlecht bezahlte Lohnarbeit (wie zum Beispiel in den Humandienstleistungen) vorzuziehen. Als Gratiszugabe für diesen Ratschlag adaptiert der Reiche den etwas libertären, auf unmittelbaren Genuss orientierten Lebensstil des Prekariats, das ja nie weiß, wann man noch einmal so eine Gelegenheit bekommt.
»Paulette« (2013, eine Million Besucher_innen) ist eine Ressentiment geladene Gastronomen-Witwe mit Kleinstrente, die Lebensmittel aus dem Müll klaubt und gepfändet wird. Sie wird über die komödienüblichen Verwicklungen zur Chefin eines Drogen-Vertriebs in der Vorstadt, die mit ihrem Bridge-Kränzchen und allerhand Migranten-Jungs der Sarkozy-Parole »Mehr arbeiten um mehr zu verdienen« noch einmal zu Glaubwürdigkeit verhilft. Gerade weil sie ihr Geschäft am Ende nach Amsterdam verlegen.
Beide Filme erwecken den Eindruck, als seien sie in derselben abgewohnten Cité mit denselben verlumpten Statisten gedreht, die das soziale Elend des Landes so schön authentisch wirken lassen. Die reale soziale Not Frankreichs bleibt nur Deko.
Nun also »Monsieur Claude und seine Töchter« (2014, in Frankreich bereits elf Mio. Besucher_innen) als neuestes Produkt dieser Filmindustrie mit Christian Clavier in der Hauptrolle. Nur Wenige werden sich erinnern, dass der Sarkozy-Kumpel aus dem Restaurant Fouquet´s sich nach London abgesetzt hatte, um sich dem Steuerzugriff zu entziehen – ähnlich dem anderen Saukumpan Gérad Depardieu. Passend zum Wahlsieg von Marine Le Pen und ihrer nationalen Heilsfront bei den Europawahlen bestätigt der Film die Stereotypen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, in dem er den clash of cultures ein bisschen verkalauert.
Die Töchter sind nämlich mit migrantischen Franzosen verheiratet. Die französischen Vorurteile werden dadurch in politischer Korrektheit relativiert, dass ja auch der »Chinese«, der »Jude« und der »Magrebiner = Moslem« vorurteilsbeladen sind. Der Auserwählte der Jüngsten ist Schauspieler und schwarz.
Aber das ist ja der ehemals linke und anti-klerikale Komiker Dieudonné auch fast, der mit antisemitischen Witzen in den letzten zehn Jahren Frankreich in Atem hält und die Nähe zu Holocaust-Leugnern sucht. Während die maghrebinische Vorstadt- und Rap-Jugend zu Abertausenden in die Shows kommt, wenden sich die sozialdemokratisch-grünen Verfechter der Politischen Korrektheit angewidert ab und bemühen die Justiz.
Geradezu perfide quer zur Logik des Films steht, dass sich am Ende alle in den Armen liegen. Was insofern kein Wunder ist, als alle Schwiegersöhne wie die Sippe, in die sie einheiraten, derselben sozialen Schicht der Wohlanständigkeit angehören, mit großbürgerlichem Anwesen in der Provinz. Wahrscheinlich wäre man sich auch in Ablehnung der »marriage pour tous« einig – der Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben bei der Eheschließung und Kinderadoption, gegen die Hunderttausende im letzten Sommer teils gewalttätig auf der Straße protestierten.
Im Film singt man gemeinsam die Marseillaise, die französische Nationalhymne, in der es unter anderem heißt: »Formt eure Truppen! Marschieren wir! Unreines Blut tränke unsere Äcker!« Die Verachtung vermeintlich parasitärer Schichten liegt schon im Gründungsdokument der französischen Republik und aller bürgerlichen Gesellschaften. Der Artikel 1 der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1789 lautet nämlich: »Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein (Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune).«
Gegenüber den Privilegien der Stände bleibt diese Ansicht revolutionär, wie Thomas Piketty begründet hat.