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21. März 2014 Bernhard Sander: Kommunalwahlen in den Niederlanden

Sozialdemokraten ohne Perspektiven

Die Parteien der niederländischen Regierungskoalition suchten zum Schluss des Kommunalwahlkampfes ihr Heil in der Konfrontation. Glaubwürdiger wurden dadurch die neoliberale VVD und die sozialdemokratische PvdA nicht. Seit dem letzten Herbst zeichnete sich ab, dass sowohl die Rechtspopulisten der Partei für die Freiheit als auch die Linksliberalen von der D66 davon profitieren, dass die Regierung die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht in den Griff bekommt.

Premierminister Mark Rutte (VVD) ließ wenige Tage vor der Wahl wissen, dass die PVV um Geert Wilders seiner Ansicht nach immer weiter nach links rücke, in manchen Punkten habe sie sogar schon die am linken Rand angesiedelte SP überholt. Konservativ eingestellte Kreise könnten daher eigentlich nur noch seine Partei wählen.

Besonders starke Verschiebungen konstatiert Rutte auf den Gebieten der Gesundheits- und Sozialpolitik. Hier hatten die Haushaltskürzungen der Regierung die größten Löcher gerissen. Trotz seiner Attacken gegen die Wilders-Partei hatte Rutte eine Zusammenarbeit seiner Partei mit der PVV sowohl auf Landes- als auch auf Gemeinderatsebene in einem Fernsehinterview vergangenen Freitag noch als »denkbar« bezeichnet.

Wilders rückte daraufhin das fremdenfeindliche und anti-islamische Profil wieder gerade, indem er verkündete, dass Den Haag aus seiner Sicht eine Stadt mit »weniger Lasten und, wenn irgendwie möglich, etwas weniger Marokkanern« werden solle. Das Echo der anderen, vor allem der Sozialdemokraten, verstärkte die Wirkung. Er entzog sich auch dem TV-Pallaver der anderen Fraktionsvorsitzenden zu Beginn der heißen Wahlkampfphase, um deutlich zu machen, wer die Anti-Systempartei ist. Aber seine Partei hat es relativ schwer, flächendeckend Listen zu präsentieren. Dieser Nachteil des Top-down-Projekts wird allerdings bei der Europawahl keine Rolle spielen.

Diederik Samsom, PvdA-Fraktionsvorsitzender in der Zweiten Kammer, versicherte, dass die PvdA-Wählerschaft von der Wirtschaftskrise in den vergangenen fünf Jahren besonders hart betroffen gewesen sei. Aber er sieht keinen Grund, die Koalition aufzukündigen. »Wir sind schließlich gerade dabei, für mehr Stabilität zu sorgen.«

»Stabilität« ist allerdings ein starkes Wort, da die beiden regierenden Parteien von der Gunst der D66 und zweier evangelikalen Kleinstparteien abhängen, die sich mit Forderungen profilieren. Der Vorsitzende der CU, Arie Slob, hat Bedingungen an eine weitere Unterstützung der Regierung geknüpft: Asylsuchende, die sich illegal im Land aufhielten, sollten eine Geldstrafe auferlegt bekommen. Die Fremdenfeindlichkeit geht als gesellschaftliche Strömung weit über die PVV-Anhängerschaft hinaus.

Der Fraktionsvorsitzende von D66, Alexander Pechthold, fordert Steuersenkungen im Gegenzug dafür, dass seine Partei die Regierung weiter unterstützt. Dadurch würden die Kaufkraft und der Arbeitsmarkt gestärkt werden. Widerstand gegen dieses Vorhaben erwartet Pechthold vor allem von der PvdA. Seine Partei werde in diesem Punkt jedoch hart bleiben.

Der Spielraum für Steuersenkungen ist begrenzt und könnte nur durch drastische Ausgabenkürzungen gewonnen werden, da die Bankenrettungen (Dexia und andere) die Staatsverschuldung von 51,8% (2005) auf 73,9% (II. Q. 2013) hoch schnellen ließen. Die Wachstumsprognosen wurden für das laufende Jahr von 1,0 auf 0,75% BSP-Steigerung zurückgenommen, nachdem 2013 mit einem Minus von 1,25% abschloss. Die Haushaltskürzungen von sechs Mrd. Euro werden die Neuverschuldung aber kaum unter 3,9% drücken können, obwohl die EU-Finanzminister ein Ziel von 2,8% vorgegeben haben. Ende letzten Jahres verloren die Niederlande ihren AAA-Status.

Mehr zu kürzen traut sich die Regierung vor allem deswegen nicht, weil die Immobilienkrise anhält. Außer in Spanien und Irland sind die Hauspreise in keinem Land der Eurozone so drastisch eingebrochen (real seit 2008 um etwa 30%) und damit die Möglichkeiten zu privaten Krediten und die Perspektive eines gesicherten Lebensabends als Mitglied der Eigentümergesellschaft.

Möglicherweise hängt der Zusammenbruch bei den Privatimmobilien auch damit zusammen, dass nach der Jahrtausendwende die Gemeinden mehr Zuständigkeiten bei der Raumplanung erhielten und sich die Konkurrenz um Büro- und Gewerbeparks zwischen den Städten intensivierte. Wohneigentum konnte die explodierenden Bodenpreise nicht mehr zahlen. Für das gewerbliche Segment haben die Preise bereits wieder angezogen und in Toplagen sind »Wertsteigerungen« von 6% möglich (FAZ 28.6.13). Dies setzt allerdings voraus, dass die Volkswirtschaft einigermaßen umverteilbaren Mehrwert produziert.

Die Verunsicherung ließ 2012 völlig neue Mehrheitsverhältnisse in der Ersten Kammer entstehen, weil sich die Wähler eine Synthese aus sozialdemokratischen Gerechtigkeitswünschen und neoliberalen Spardogmen wünschten. Seit Ende letzten Jahres findet die PVV zu alter Größe zurück und die D 66 als unverbrauchte Variante nimmt die Neoliberalen auf. Das Kleinunternehmertum ärgert sich über Mehrwertsteuererhöhung und Spitzensteuerzuschlag. Die Gewerkschafter verlassen die PvdA wegen der eingefrorenen Löhne im Öffentlichen Dienst.

Die Steuererhöhungen auf Kraftstoffe und Alkohol zu Beginn des Jahres sorgen für entsprechenden Tourismus in die deutsche Grenzregion. Auch außenpolitisch hat die Regierung ein Problem: Die Beteiligung an der Besetzung Malis wird von einer Mehrheit abgelehnt. Der Rückzug aus Afghanistan war Anlass für den Bruch der letzten Koalitionsregierung durch die Sozialdemokraten.

Die letzten landesweiten Umfragen signalisieren der PvdA ein Absacken von faktischen 38 auf 15-18 Parlamentssitze. Ihrem Koalitionspartner VVD droht ein Rückgang von 41 auf 26 bis 23 Sitze. Demgegenüber errechnet man für die PVV einen Zugewinn von 15 erreichten Sitzen auf 25-28. D66 steigt von 12 auf 20-22 Sitzen in den Umfragen. Christdemokraten und Sozialisten werden leichte Zugewinne signalisiert.

Da die Kleinstparteien (Tierschutz, Rentner, Evangelikale) ebenfalls wieder in das Parlament einziehen werden, wäre eine Regierungsbildung äußerst schwierig. Nicht zuletzt deshalb wird das Wahlergebnis keine direkten nationalen Auswirkungen haben. Aus Sicht der Sozialdemokraten wäre es merkwürdig, wenn man den Lokalwahlen eine landesweite Bedeutung zumessen würde und man sich deswegen aus der Regierungskoalition zurückzöge, hieß es schon vor dem Wahltag.

Die Kommunalwahlergebnisse bestätigten diesmal die Umfrageprognosen. Die Wahlbeteiligung lag knapp unter 54% und damit etwa auf dem Niveau der letzten Wahl. In Amsterdam verlor die Sozialdemokratie über 10% gegenüber 2010 und sammelte nur noch 18% der Stimmen, was die Zahl der Stadtverordneten von 15 auf 10 sinken lässt, während sich D66 von 7 auf 15 Sitze verdoppelte. Auch die SP verdoppelte ihre Fraktion auf 6 Sitze, sie erzielte mit 11,2% fast genauso viel wie die Regierungspartei VVD mit 11,3%. Die PvdA ist damit erstmals seit der Befreiung nicht mehr stärkste Partei in der Stadt. Sie verlor auch in Groningen, Rotterdam und anderen Städten enorm (landesweit etwa 5% ihrer Ratsmandate).

In Utrecht ist mit 13 Sitzen D66 die stärkste Fraktion (26%), gefolgt von den beiden Koalitionären mit je fünf Sitzen, Grün-Links (die in ihrer Hochburg nur noch auf 17% kommen) und der SP mit 4 Stadtverordneten. Grün-Links konnte sich ebenso wie die Christdemokraten nach den Verlusten bei der Parlamentswahl aber landesweit zufrieden zeigen, da der Einbruch bei den nationalen Wahlen 2012 sich nicht fortsetzte und ein Verbleib in der ökologischen Nische gesichert wurde.

In Den Haag wurde die rechtspopulistische PVV zweitstärkste Kraft (14,1%) hinter D 66 (15,4%) und verfehlte damit ihr eigentliches Wahlziel. In anderen Großstädten trat sie nicht an, da diese Partei faktisch außer ihrem Chef Wilders keine Mitglieder, also keine lokalen Strukturen hat. Um dennoch Schwung zu erzeugen präzisierte Wilders auf der Wahlparty seinen Anti-Islam-Kurs als er seinen Anhänger die rhetorische Frage zurief: »Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?« und die Masse zurück skandierte »Weniger! Weniger!« Das quittierte Wilders mit einem »Wird erledigt«. Die Bewertung dieser Äußerungen als nazistische Hetze folgten unmittelbar. Die andere Hochburg, wo die PVV sogar mit 9 Sitzen wieder stärkste Kraft wurde, ist Almere.

In Rotterdam bestätigte die Partei »Lebenswertes Amsterdam« ihre 14 Sitze vom letzten Mal und liegt nun klar vorn, die PvdA sackte von 14 auf 8 Mandate zurück. Die SP konnte sich von 2 auf 5 Sitze steigern. Angesichts der zergliederten Parteienlandschaft wird eine »Koalitionsbildung« unter den 45 Stadtverordneten ein schwieriges Unterfangen; dies gilt auch für eine Vielzahl anderer Städte.

Auch wenn die PvdA in Friesland einige große Gemeinden gewinnen konnte, bleibt es dabei, dass die Sozialdemokratie in den Niederlanden eine historische Niederlage kassierte. Sie bietet den Mittelschichten, die sie in die Eigentümergesellschaft geschleust hat, keine Schutz- und Gestaltungsperspektive für Ersparnisse und Altersversorgung. »Befördert durch eine äußerst schwache Kampagne der PvdA, konnte sich D 66 als glaubwürdige Regierungsalternative präsentieren«, meint NRC-Handelsblad.

Die konstruktive Haltung, die Regierung beim Haushalt und einzelnen Projekten (Bildung) zu unterstützen, habe sich bewährt. Entsprechend sei es wenig sinnvoll jetzt zu den Verlierern in die Koalition zu wechseln oder die Unterstützung sofort einzustellen. Es läge an der mangelnden »Streitbarkeit«, ließ sich der sozialdemokratische Parteivorsitzenden Samsom vernehmen, man wolle Vertrauen zurückgewinnen. Der amtierende Ministerpräsident Rutte von der VVD, die deutlich weniger als ihr Koalitionspartner verlor, ist sich über die Gründe klarer als sein Koalitionspartner: »Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind nun auf uns zurückgefallen.«

Die Sozialistische Partei verdoppelte landesweit ihre Stadtratsmandate, obwohl sie nur in etwa einem Drittel aller Gemeinden Listen aufstellte. Selbst in Gemeinden mit starken evangelikalen CU/SGP-Fraktionen wie Zwolle oder Kampen konnte die SP ihre Sitze im Stadtrat verdoppeln, wenn sie antrat. Sie kann sich in ihrer Graswurzelarbeit als Kümmerer vor Ort bestätigt fühlen. Der Grundsatz, nur zu kandidieren, wenn 50 aktive Mitglieder Parteiarbeit machen, hat sich bewährt. Zulegen konnten auch die unabhängigen lokalen Listen, die es fast in jeder der über 370 Gemeinden gibt. Sie sind oft sogar bestimmender Faktor.

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