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19. März 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: Die Lage für Griechenland spitzt sich zu

Super-Gau in der Euro-Zone?

Tafel in Athen

Der Konflikt zwischen der griechischen Regierung und den EU-Eliten spitzt sich in bisher nicht gekannter Schärfe zu. Vor dem EU-Gipfel hat vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble noch einmal zugelegt: Die griechische Regierung habe das Vertrauen ihrer europäischen Partner komplett zerstört. Bis November sei Athen auf einem Weg aus der Krise gewesen. Das sei vorbei. Alexis Tsipras’ Konzept werde »so nicht funktionieren«.

Wurde vor zwei Jahren ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Verbund von der Mehrheit der wirtschaftlich-politischen Eliten für eine enormes wirtschaftlich-finanzielles Risiko (Domino-Effekt für andere Krisenländer) und damit als Super-Gau für die Legitimität Europas eingeschätzt, scheint man nun einen ungeplanten, plötzlichen Austritt Athens aus der gemeinsamen Währung Europas nicht mehr ausschließen. »Grexit by accident«, Euro-Ausstieg als Betriebsunfall, wird dieses Szenario inzwischen genannt. Schäuble hält einen ungeplanten, unfallartigen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für möglich.

In einem Spitzengespräch mit EU-Ratschef Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EZB-Chef Mario Draghi, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande soll eine politische Lösung versucht werden. Ministerpräsident Alexis Tsipras drängt für die griechische Regierung auf eine Zwischenfinanzierung. Am 20. März muss die griechische Regierung in zwei Raten weitere 842 Mio. Euro an den IWF zurückzahlen.

Außerdem muss das Land 1,6 Mrd. Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, um eine auslaufende Staatsanleihe zu ersetzen. Außerdem braucht der Staat Ende des Monats mehr als zwei Mrd. Euro, um Gehälter und Renten im öffentlichen Dienst zu zahlen. Griechenland steckt angesichts dieser fälligen Kredit-Rückzahlungen und Zinsverpflichtungen in akuten Zahlungsnöten und finanziert sich derzeit im Wesentlichen über ganz kurzfristige Kredite.

Tatsächlich hat Griechenland im Jahr 2014 ein bescheidenes Wirtschaftswachstum nach mehreren Jahren der Schrumpfung von 0,8% erwirtschaftet. Das letzte Quartal (Oktober-Dezember 2014) brachte erneut rote Zahlen von 0,4%. Die damalige Regierung Samaras verweigerte weitere Sozial- und Personalkürzungen und erhielt keine weiteren Finanztranchen aus den laufenden Programmen, die zudem bis Februar 2015 verlängert wurden.

Griechenlands Regierung hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel ein Liquiditätsproblem eingeräumt. »Wir laufen Gefahr, ohne Geld zu bleiben«, sagte Vizeregierungschef Giannis Dragasakis im griechischen Fernsehen. Die bedrohliche Finanzlage des Euro-Landes wird eine Kernfrage auf dem EU-Gipfel in Brüssel. In Berlin machte Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings in ihrer Regierungserklärung klar, dass sie nicht mit einem raschen Durchbruch im Schuldendrama rechnet. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Bankenkreisen zufolge den Kreditrahmen für die griechischen Banken etwas weiter geöffnet, um Schlimmeres abzuwenden.

Griechenland braucht dringend frisches Geld, weil Zinszahlungen und Schuldentilgung – trotz geringer Zinshöhe und langen Laufzeiten der Kredite – den öffentlichen Haushalt stark belasten. Im Jahr 2014 erzielte das Land einen so genannten Primärüberschuss – also ein Haushaltsplus ohne Zinszahlungen – in Höhe von 0,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP).

Das ursprüngliche Ziel des griechischen Konsolidierungsprogramms – von der Troika erzwungen – sah einen Überschuss von 1,5% vor. Die endgültigen Zahlen sollten im April vorliegen.

Was heißt dies – die Vorläufigkeit der Zahlen in Rechnung gestellt? Drei Punkte sind wesentlich:

Das Wirtschaftswachstum in Griechenland sollte nach Jahre langem Schrumpfungsprozess für 2014 einen Zuwachs von über 1% erreichen. Infolge eines erneuten Schrumpfungsprozesses im letzten Quartal 2014 fällt das Wirtschaftswachstum deutlich bescheidener aus. Weil das Wachstum schlechter ist, liegt auch der Primärsaldo nicht bei 1,5%. Es gibt zudem einen größeren Fehlbetrag, weil die Steuereinnahmen zurückgefallen sind, er liege in Höhe von gut zwei Mrd. Euro. Das hohe Defizit soll daher stammen, dass im November und Dezember viele Steuern nicht eingetrieben worden seien.

Die Kapitalflucht hält weiter an. Der Abfluss von Einlagen bei griechischen Banken wird auf ca. 20 Mrd. Euro für die ersten beiden Monate geschätzt.

2013 und 2014 hatte Athen erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuss erreicht. Einschließlich der Zinsen, die auf die aufgenommenen Schulden zu zahlen sind, klafft aber weiter ein enormes Loch im Etat. »Griechenland hat seit August 2014 keine Tranche von den so genannten Institutionen aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF), erhalten. Wir aber zahlen normal unsere Verpflichtungen«, erläuterte Dragasakis. Er zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass es zu keinem Staatsbankrott kommen werde.

Allerdings könnte durch ein Entgegenkommen der Gläubiger-Staaten eine deutliche Erleichterung erreicht werden – sei es durch Auszahlung der noch offenen Tranchen in Höhe von 7,2 Mrd. Euro, sei es durch zeitweilige Stundung von Zinsen und Tilgungsraten für die nächsten Monate, sei es durch eine kurzfristige Finanzhilfe seitens der europäischen Zentralbank.

Immer wieder pochen die Vertreter der europäischen Eliten darauf, dass die griechische Regierung zu den Verpflichtungen ihrer Vorgänger zu stehen habe, da sonst kein Geld fließen könne. Der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel die griechische Regierung abermals aufgefordert, »jetzt endlich in die Hufe zu kommen«. Kurzfristig benötige Griechenland zwei bis drei Mrd. Euro, um seine Verpflichtungen zu bedienen. Alexis Tsipras fühle sich aber nicht verantwortlich für die Vereinbarungen seiner Vorgänger. »Wenn wir so verfahren, dass eine neu gewählte Regierung sich nicht an die Verpflichtungen des Landes gebunden fühlt, dann können wir den Laden zumachen.«

Trotz der angespannten Lage hat die SYRIZA-Regierung dem griechischen Parlament, wie im Wahlkampf angekündigt einen Katalog zur Bekämpfung der humanitären Krise in Höhe von 200 Mio. Euro für das laufende Jahr vorgelegt. Das Gesetz wurde auch mit Stimmen der Opposition (konservative Nea Dimokratia und sozialistische Pasok) verabschiedet. Es geht um Hilfen für die Armen mit Lebensmittelgutscheinen und einer kostenfreien Stromversorgung. Zudem sollen Leute, die dem Staat Steuer- und Abgabenzahlungen schuldig sind, Zahlungsaufschub von bis zu zehn Jahren erhalten.

Einem Bericht des griechischen Parlaments zufolge leben 2,5 Millionen Menschen unterhalb der relativen Armutsgrenze auf Basis des Einkommens eines Durchschnittshaushalts. Im Jahr 2013 lag diese bei 432 Euro im Monat für eine Einzelperson und 908 Euro für eine vierköpfige Familie. Außerdem sind 300.000 Haushalte von der Elektrizitäts-Versorgung abgeschnitten, die Versorgung mit Lebensmitteln für diese Menschen geschieht über »Tafeln« und die medizinischer Versorgung ist zusammengebrochen.

Die Troika-Nachfolger-»Institutionen« hatten im Auftrag der Finanzminister der Eurogruppe seit Tagen die griechische Budget- und Reformlage und die Kosten von neuen Sozialgesetzen der Regierung geprüft. Unbeeindruckt von den unwürdigen Lebensverhältnissen monierten sie das Gesetzespaket als einseitige Maßnahme mit Kostenauswirkungen, mit dem der Sanierungsprozess ausgehebelt und den im Februar getroffenen Vereinbarungen widersprochen werde.

Griechenland habe sich verpflichtet, »keine bereits umgesetzten Maßnahmen rückgängig zu machen und einseitig keine Maßnahmen umzusetzen, die die Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung oder die Finanzstabilität gefährden. Die Bewertung obliegt den Institutionen.« Diese Intervention wertet die griechische Regierung zu Recht als unzulässige »Anmaßung«.

Dieser direkte Eingriff in das Regierungshandeln einer demokratisch gewählten Regierung ist angesichts der kleinen Summe von 200 Mio. Euro nicht nur kleinlich, inhuman und willkürlich (es sei daran erinnert, dass die EU kürzlich 1,8 Mrd. Euro für die Ukraine bewilligt hat und Deutschland der Ukraine einen zusätzlichen Kreditrahmen von 500 Mio. Euro zur wirtschaftlichen Stabilisierung einräumte), sondern zeigt das Ausmaß autoritärer, antidemokratischer Strukturen, die sich im Zuge des Krisenmodus herausgebildet haben.

Alexis Tsipras entgegnet zu Recht, es sei eher die Eurogruppe als seine Regierung, die einseitig handle und das stoppen müsse. Die durch die Sparpolitik ausgelöste humanitäre Krise müsse gelindert werden. »Wer ist derjenige, der die Frechheit besitzt, ein Papier zu schicken, in dem es heißt, tausende Menschen in Griechenland müssen frieren«, rief Alexis Tsipras im Athener Parlament den Abgeordneten zu.

Mit seinen Angriffen auf den »kleinen« EU-Beamten Costello, dessen Brief von der Regierung zuvor geleakt wurde, greift Tsipras einen Grundkonflikt auf, den er bereits bei seiner Amtsübernahme begonnen hatte. Er will verhindern, dass die Geldgeber ihm Vorschriften machen, in die Kompetenz seiner Regierung via »Troika« oder »Institutionen« eingreifen. »Gewählte Politiker« lassen sich von »Technokraten« gar nichts sagen. »Wir werden alles halten, was wir der Bevölkerung versprochen haben«, rief Tsipras den Abgeordneten zu.

Vize-Ministerpräsident Dragasakis forderte im griechischen Fernsehen: »Um unseren Verpflichtungen nachzukommen, brauchen wir die gute Kooperation der europäischen Institutionen.« Um die ist es derzeit nicht gut bestellt. Die Vereinbarung zwischen der SYRIZA-geführten Regierung und der Eurogruppe von Ende Februar werden »verzerrt interpretiert«, alte Forderungen wieder aufgestellt und sich massiv in griechische Verhältnisse eingemischt: »Sie sollen uns unsere Gesetze verabschieden lassen und sie anschließend prüfen. Sie lassen uns nicht regieren.«

Das Gesetzespaket zur Bekämpfung der humanitären Krise war von Finanzminister Yannis Varoufakis vor drei Wochen in der Eurogruppe angekündigt worden. Da es aber bis jetzt aus Sicht der Eurominister keine belastbaren Zahlen zur Haushaltslage in Athen gibt, von einer bald bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit die Rede ist, läuft der Streit darüber, welche Maßnahmen getroffen werden dürfen oder nicht, bevor das zweite Hilfsprogramm abgeschlossen ist. Daran hängt die Auszahlung von offenen Krediten im Volumen von 7,2 Mrd. Euro.

In Deutschland wird aus diesem Versuch, eine humanitäre Krise von Armut und Verelendung anzugehen, die Schlagzeile: »Neue Sozialleistungen trotz Total-Pleite: Griechen-Regierung plant Aufstand eine Kampfansage und eine Staats-Revolte! Gegen die Euro-Zone!« (Bild-Zeitung)

Entscheidungen sollen – so Angela Merkel – weder bei einem Spitzentreffen am Rande des EU-Gipfels in Brüssel noch beim Besuch des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras in Berlin fallen. Nur wenn das Land seine Zusagen einlöse, könnten die Partner helfen. Die Kanzlerin bekundete zwar die Bereitschaft zu Hilfen, forderte aber im Gegenzug Eigenanstrengungen. Und sie unterstrich: »Kein Treffen in kleinem Kreis kann oder wird die Einigung auf Vorschlag der Institutionen IWF, EZB und EU-Kommission in der Eurogruppe ersetzen.« Dies sieht nicht nach einer einvernehmlichen Lösung aus, solange der Hegemon Europas zu keinem Kurswechsel bereit ist.

Eine kleine finanzielle Entlastung gestand die EZB zu. Sie erweiterte den Spielraum für die griechische Notenbank für Notfallkredite an die heimischen Geldhäuser um 400 Mio. Euro. Die griechischen Banken sind der wesentliche Käufer für kurz laufende Staatspapiere, mit denen sich das Land derzeit vorrangig finanziert. Nach einem Zeitungsbericht versucht die Regierung in Athen zudem, die staatlichen Versorger dazu zu bewegen, ihr Geld zu leihen.

Die deutsche Sozialdemokratie hat sich entschieden, den hegemonialen Kurs mit zu tragen, selbst um den Preis der Selbstzerstörung. Die SPD hatte noch im Wahlkampf 2013 propagiert: »Wenn wir in eine neue deutsche Bundesregierung eintreten, werden wir für mehr Zusammenarbeit, mehr Kooperation und mehr Demokratie in Europa, und für weniger technokratische Machtausübung sorgen. Übrigens: Wir werden alles dafür tun, dass endlich aus diesem Binnenmarkt Europa ein soziales Europa wird.« Dass sich mehr als 43 Mio. Menschen in Europa kein Essen mehr leisten können, müsse die sozialdemokratische Parteienfamilie ernst nehmen. »Diese wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen darf eine mitfühlende europäische Sozialdemokratie nicht kalt lassen, und wir dürfen ihr nicht weiter tatenlos zusehen.«

Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich in den Chor derer eingereiht, die mit drastischen Ermahnungen gegen die SYRIZA-geführte Regierung in Athen hervortreten. »Ehrlich gesagt: es reicht jetzt. So kann das nicht weitergehen. Und so geht man nicht miteinander um!« Der Sozialdemokrat verwies darauf, dass die deutschen Steuerzahler »in der Vergangenheit Milliarden von Euro an Risiken geschultert« hätten, um Griechenland zu helfen. Es sei »nicht zuviel verlangt«, in der Diskussion um die umstrittenen Kreditprogramme Respekt und einen »anständigen Umgangston zu erwarten«.

Die Zeichen der nächsten Tage und Wochen stehen auf weitere Verwerfungen. Dass dabei ein Super-Gau in der Euro-Zone mit weitestreichenden Konsequenzen entstehen kann, wird billigend in Kauf genommen. Und wer wem Respekt zu zollen hat und wie ein anständiger Umgangston über Lebensmittelkarten und Versorgung mit Elektrizität gegen Kälte und Armut von immer mehr Menschen aussehen müsste, auch darüber wird zu reden sein.

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