Hajo Funke
AfD-Masterpläne
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

18. Januar 2013 Bernhard Sander: Einige ökonomische und politische Hintergründe

Umwälzungen in Mali und Nordafrika?

Mali ist doppelt so groß wie Afghanistan hat aber nur ein halb so großes Bruttoinlandsprodukt (ca. 10 Mrd. $). Und doch interveniert Frankreich, gedeckt durch eine UN-Resolution, in diesem Land mit großem militärischem Aufwand. Geht es um eine europäische Variante des »Krieg gegen den Terror« oder geht es um Rohstoffe?

Französische Konzerne haben die Schürfrechte in Mali, doch ein Drittel des Exports gehen nach China (vor allem Baumwolle vom Nigerufer). In Mali gibt es das drittgrößte Goldvorkommen Afrikas, das aus dem Wüstensand gewaschen werden muss. Die französische Atomindustrie hat in Niger und Mali ihre Uranbergwerke. Stimmt also das Bild vom imperialistischen Frankreich, das seine Rohstoffinteressen militärisch absichert?

Die augenblickliche Betrachtung geht allenfalls bis zum Regierungsantritt des französischen Staatspräsidenten zurück; François Hollande hatte bereits sehr früh eine Militärintervention gefordert, weil der Norden des Landes nicht mehr unter der Kontrolle der befreundeten Regierung Malis stand. Doch bereits diese Wahrnehmung greift zu kurz.

Die derzeitige Regierung des afrikanischen Landes ist nur eine Übergangsregierung, die gebildet wurde, nachdem eine Putschisten-Junta aus Militärs die Macht an sich gerissen hatte. Diese Offiziere waren unzufrieden, weil bereits damals im nördlichen Landesteil bewaffnete Banden nicht entschieden genug bekämpft wurden und weil versprochene Solderhöhungen für diese Tätigkeiten ausgeblieben waren. Man einigte sich nicht zuletzt aufgrund des Widerstands in der Bevölkerung mit den vorausgegangenen Machthabern, ohne aber die Probleme des Nordens wirklich lösen zu können.

Offenbar sind die Institutionen einschließlich der Armee so fragil, dass die französische Regierung mit eigenen Kräften intervenierte, um einen Durchstoß der bewaffneten Kräfte und damit eine »freie« Zone in ganz Mali zu verhindern. Die EU hatte eigentlich im vergangenen Jahr beschlossen, dass die regionale Wirtschaftsorganisation ECOWAS in Mali für »Ordnung« sorgen sollte.

Die Schmugglerbanden etc., die heute als »Islamisten« bekämpft werden sollen, rekrutierten sich zum Teil aus Resten der unterlegenen GIA-Kräften (Groupe Islamique Armée), die nach dem algerischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre in den Süden abgedrängt worden waren. Sie störten zum Beispiel schon im Jahr 2000 den Ablauf der Rallye Paris-Dakkar, bis diese dann schließlich 2008 ganz aus der Region abzog, weil die Veranstalter nicht mehr bereit war, für die Durchfahrtsrechte zu bezahlen. 2003 mussten europäische Länder, darunter Deutschland, eine Gruppe von 32 Touristen für sechs Millionen Euro freikaufen. Vereinzelt kam es auch zu Scharmützeln in Mauretanien (westlich von Mali) oder im Niger (östlich), wo 2010 acht Angestellte des französischen Atomkonzerns Areva entführt wurden. (Humanité vom 14.1.2013)

Die ursprüngliche Touareg-»Befreiungsbewegung des Azawad« wurde von den Banden verdrängt, wobei sich der religiös stärker motivierte Teil mit den Islamisten verbündete. Die Befreiungsbewegung begründete ihr Unabhängigkeitsstreben immer mit der falschen Verteilung der Erlöse aus dem Geschäft mit den Bodenschätzen in »ihrem« Norden, in dem nur etwa 10% der malischen Bevölkerung leben. Zulauf erhielten diese Gruppierungen zuletzt vor allem aus Libyen (Söldner, Gastarbeiter usw.), die vor dem Bürgerkriegsterror in den Sahel ausgewichen sind. »Doch stark genug, um im April 2012 ihren eigenen Staat auszurufen, wurden die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA und die mit ihnen zunächst noch verbündeten islamistischen Gruppen erst dank der vielen Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg sowie dank mehrerer tausend aus Libyen geflohener Kämpfer, die zuvor Gaddafi unterstützt hatten.« (Andreas Zumach in der taz vom 17.1.13)

Bei diesen kriminellen Akten, die sich in der Folge zu Aufständen mit einer eigenen Ideologie (z.B. Scharia vs. ortsüblichem Sufismus) verdichteten, drehte es sich im Kern um die gewaltsame Beteiligung am gesellschaftlichen Ertrag. Die Beteiligten konstituierten sich in diesen Kämpfen oftmals anhand kultureller Distinktionsmerkmale als Ethnien und Religionsgruppen (Touareg, Islamischer Fundamentalismus usw.).

Dieser Aufstand hat also in die Geschichte zurückliegende Wurzeln. In Mali konstituierte sich eine Präsidialdemokratie nach französischem Vorbild. Dennoch ordnet sich die Geschichte des Landes in den Entwicklungsverlauf anderer arabischer Länder ein.

Die Grenzen afrikanischer Staaten sind weitgehend Resultat der Kolonialmächte. In den Zeiten der Befreiung vom unmittelbaren Kolonialismus Frankreichs und Großbritannien folgte die Grenzziehung internationalen Kräfteverhältnissen, ökonomischen und strategischen Interessen, »wissenschaftlichen« Einschätzungen geografischer und ethnischer Gegebenheiten etc., wie sie zwischen den Kolonialmächten vorherrschte. Unterschiedliche Ethnien, Sprachfamilien usw. wurden dadurch zusammengebunden.

Die Reichtumsentwicklung war nur bedingt in kapitalistischer Form organisiert, sofern es sich nicht überhaupt um Selbsterhaltungswirtschaft oder Handelsaktivitäten handelte. Eine oder mehrere nicht beliebig vermehrbare Naturquellen boten die Gelegenheit am Welthandel teilzunehmen. Es handelte sich um

  • Bodenschätze, die die entwickelten Volkswirtschaften importieren mussten,
  • eine besondere geostrategische Lage, die man insbesondere in Zeiten der Systemkonkurrenz mal dem einen oder mal dem anderen Block als Standortvorteile anbieten konnte
  • oder touristische Reize (historische Monumente, Naturparks usw.), die Besserverdienende aus den so genannten Industrieländern anlockten.

Die erwirtschafteten Devisen und Einnahmen wurden nicht in erster Linie auf Produktionsfaktoren als Revenuequellen aufgeteilt (Arbeit, Boden, Kapital), sondern nach außerökonomischen Kriterien, die solche nicht beliebig vermehrbaren Naturvorkommen bieten. Wer sie monopolisieren kann, bestimmt die Verteilungsverhältnisse.

Postkoloniale Staaten waren entweder aus anti-imperialistischen Kämpfen hervorgegangen oder »in die Unabhängigkeit entlassen« worden. Sie wurden verwaltet von den traditionellen Feudalherren oder hatten neue Eliten an die Macht gebracht, die mit synthetischen Ideologien (»Sozialismus«, Panarabismus ) versuchten, einen neuen Entwicklungsabschnitt zu gestalten.

Nach der Befreiung setzen sich mit dieser Ideologie in vielen Ländern des Arabischen Raums Offiziere an die Spitze der Modernisierungsbewegung, die entweder aus den Befreiungsarmeen stammten, oder aus den nationalen Verbänden und durch Ausbildung mit dem zivilisatorischen Fortschritt Europas in Kontakt kamen. Sie stellten neben dem Handwerk die einzige Form von Mittelklassen in diesen Ländern dar. Sie waren in der Lage, die arme Landbevölkerung über die Konfrontation mit den traditionellen Eliten in ein neues Bündnis zu führen, das sich in den verschiedenen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß für die Blockfreiheit und die Anlehnung an Adaptionen des Realsozialismus öffnete.

Der Modernisierungsschub, meist finanziert durch Bodenschätze, (vornehmlich, wenn auch nicht in Mali, Öl als dem Schmierstoff des Fordismus), entwickelte im besten Fall ein Bildungswesen und die Gesundheitsversorgung. Gescheitert sind jedoch die meisten Ansätze zur Landreform. Es entstand zudem ein aufgeblähter Militärapparat, der für sich reklamierte, die Erträge aus den Bodenschätzen anzueignen.

Aus der politischen Kontrolle der Einnahmen aus Öl und anderen Rohstoffen und dem gelenkten Aufbau profitabler Industrien und Dienstleistungen wurde mit der Zeit eine symbiotische Verbindung mit den Eigentümern bzw. ein Pfründewesen zur Bereicherung und Versorgung von Klientelgruppen.

Die mit den nationalen Befreiungen eingegangene Verpflichtung zu sozialem Fortschritt mündete in einen 40-jährigen sozialen Stillstand. Eine parlamentarische Institutionenlandschaft und demokratische Kultur bildete sich nicht heraus. So herrschte z.B. in Ägypten seit 1981 der Ausnahmezustand. In den Sahel-Staaten stellen sich Regierungswechsel als eine Reihe von Militär-Putschen dar.

An den Klientelsystemen änderten letztlich auch die strukturellen Reformen im Gefolge die neoliberale Finanzpolitik nicht viel. Zwar wurden Banken und Staatsunternehmen z.B. in Ägypten formell privatisiert, sie gingen jedoch vor allem an den Machthabern nahestehende Kreise des Militärs. Die sozialen Kosten des Subventionsabbaus und von Steuererhöhungen trugen die Armen. Rund 20% der ägyptischen Bevölkerung leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze. In Mali leben 70% von weniger als 1 $ pro Tag.

Letztlich entwickelte sich keine ökonomische Dynamik, die in der Lage gewesen wäre, der demografischen Dynamik gerecht zu werden. Es fehlen preiswerte Wohnungen in den dicht besiedelten Gebieten. »Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Nordafrika schon lange ein Problem und hat zu den politischen Unruhen beigetragen, die zum Umsturz in Tunesien und Ägypten geführt haben«, resümiert die OECD. In Ägypten steht einem Arbeitskräfteangebot von 600.000 Menschen eine Nachfrage der Arbeitgeber von 250.000 gegenüber. Drei Millionen Akademiker gelten als arbeitslos. »Die Arbeitsmärkte waren nicht flexibel genug, um das steigende Angebot an jungen Arbeitern zu absorbieren.« Entsprechend miserabel waren die Arbeitsbedingungen und Löhne für jene, die Arbeit haben.

Dass das Königtum in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR) und Marokko die Arabellion bisher relativ unbeschadet überstanden hat, liegt in der Kontinuität begründet, mit der die Potentaten einerseits in den Traditionen eingebettet agieren und andererseits soziale Spannungen eher abgemildert werden konnten. Der »Beherrscher der Gläubigen«, Marokkos derzeitiger König Mohammed VI., erhöhte die Entgelte der Staatsbeschäftigten und die Mindestlöhne in der Privatwirtschaft, sowie die Subventionen von Lebensmitteln und Brennstoffen. Darüberhinaus leitete er mit einer Verfassungsreform Schritte zu einer konstitutionellen Monarchie ein. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen steht dem reichsten Mann des Landes nun eine islamische Parlamentsmehrheit gegenüber, deren Vorsitzenden Mohammed VI. zum Ministerpräsidenten ernennen muss. »Die ölproduzierenden Staaten … erkaufen sich mit einer nochmaligen Aufblähung des Staatsapparates Zeit… Saudi-Arabien und Algerien haben in diesem Jahr … jeweils ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes ausgegeben um die Loyalität der Bürger für ihr Regime zu erkaufen«, monierte die FAZ am 28.10.2011.

Die Methoden der Landwirtschaft sind unterentwickelt geblieben, da man sich auf die Verteilung der Monopolerträge konzentriert hat. Sie können weder mit der sich ausbreitenden Versteppung noch mit der wachsenden Bevölkerung Schritt halten. Die Verteilungsmodalitäten für die Rentengewinne aus den monopolisierbaren Naturkräften führen im Laufe der Zeit zu Disproportionen zwischen arm und reich, die innere Unruhen auslösen können. Eine Erscheinungsform solcher Unruhen ist der arabische Frühling, aber auch die Soldateska in Mali oder der Bürgerkrieg in Syrien. Mit den Militärinterventionen versucht »der Westen« »Ordnung« in Regionen zu bringen, die wie im gesamten Sahel destabilisiert sind. Sie hinterlassen eine Reihe endgültig ruinierter Regionen (Somalia).

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