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23. März 2014 Otto König / Richard Detje: Arbeitgeberstrategien gegen betriebliche Mitbestimmung

»Union-Busting« gegen autonome Interessenvertretung

»In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt«, so die klare Ansage in § 1 Betriebsverfassungsgesetz. Auf dieser Grundlage werden seit Anfang März bis Ende Mai in rund 30.000 Betrieben betriebliche Mitbestimmungsgremien gewählt.[1]

2012 verfügten in Westdeutschland nur 9% der infrage kommenden Betriebe über einen Betriebsrat. Die »Kernzone im System der industriellen Beziehungen« sind Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten. Hier gibt es in den alten Bundesländern in 90% der Betriebe Betriebsräte; im Osten liegt die Quote nahezu gleichauf bei 89% (IAB-Betriebspaneel 2009), wobei jedoch die Zahl der Betriebe in dieser Größenklasse absolut und anteilig deutlich geringer ist.

Dagegen verfügt nur jeder 17. Kleinbetrieb mit bis zu 50 Beschäftigten über ein solches Gremium. Dies auch aus dem Grund, weil weder die betroffenen Beschäftigten noch die zuständigen Gewerkschaften aktiv werden. »Betriebsratsfreie Zonen« sind häufig im Handwerk, im Einzelhandel, in der Gastronomie, in Call-Centern und bei den sozialen Diensten anzutreffen.

Trotz Organizing-Erfolgen werden die weißen Flecken auf der Landkarte der Mitbestimmung größer: Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wurden 2012 nur noch 43% der Beschäftigten in der westdeutschen Privatwirtschaft von einem Betriebsrat vertreten, 36% im Osten.


»Herr im Haus«-Standpunkt kontra Betriebsverfassung

Bei Initiativen zur Gründung von Betriebsräten kommt es immer wieder zu Konflikten mit Geschäftsführungen. Eine Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) unter 184 hauptamtlichen GewerkschafterInnen der IG Metall, IG BCE, NGG und ver.di ergab in 2012, dass 59% der Befragten Vorgänge kannten, in denen Unternehmer die Gründung einer Arbeitnehmervertretung verhindern wollten. In drei Viertel der insgesamt 241 genannten Fälle schüchterte der Arbeitgeber die möglichen Kandidaten ein.

Zum Waffenarsenal des Managements gegen die Wahl eines Betriebsrats gehören Maßnahmen wie »die Verhinderung des Wahlvorstandes« (43 Fälle), »Kündigung von Kandidaten für den Betriebsrat« (24) und »Kündigung von Wahlvorstandsmitgliedern« (18). Nach Angaben der befragten Gewerkschaftssekretäre haben die Arbeitgeber in 35% der Betriebe drei oder mehr dieser Maßnahmen angewandt.[2]

Aus den Befragungsergebnissen schlussfolgern die WSI-Forscher Behrens und Dribbusch: Es gibt keine flächendeckende Offensive gegen die betriebliche Mitbestimmung, doch die Verhinderungsstrategien der Arbeitgeber sind »deutlich mehr als eine Fußnote« in den industriellen Beziehungen. Eine mitbestimmungsfeindliche Atmosphäre herrscht vor allem in Familienunternehmen mit patriarchalischer Unternehmensführung mit weniger als 200 Beschäftigten.

Es lassen sich drei »traditionell-autoritäre« Grundhaltungen identifizieren, weshalb Geschäftsführer insbesondere in inhabergeführten Betrieben Betriebsräte als störende Institutionen oder gar als Bedrohung wahrnehmen. Erstens wird unterstellt, dass Manager selbst viel besser als Betriebsräte in der Lage sind, auftretende betriebliche Probleme zu lösen. Diese Sichtweise hält eine eigenständige Interessenvertretung der Beschäftigten für schlichtweg überflüssig. Zweitens wird durch die Gründung eines Betriebsrats eine Gefährdung des Betriebsfriedens erwartet, da die Mitglieder eines solchen Gremiums insbesondere mit Unterstützung der Gewerkschaft letztlich »betriebsfremde« oder ideologisch motivierte Ziele verfolgen würden. Die dritte Managementeinstellung trägt wie eine Monstranz vor sich her, dass Betriebsräte zu teuer seien: durch Freistellung von der Arbeit, Seminare, Fachliteratur etc. und durch die notwendig werdenden betrieblichen Verhandlungsprozesse.

Führend bei den Attacken auf Arbeitnehmerrechte ist der Einzelhandel – angesichts der kleinen Betriebsgrößen ein geeignetes Terrain. Wenn es nicht gelingt – wie mit einigen großen Lebensmittelketten [Rewe, Edeka oder Netto] –, Tarifverträge abzuschließen, die gemeinsame Betriebsräte für mehrere Filialen ermöglichen, bleiben große mitbestimmungsfreie Zonen. Das gilt insbesondere bei mitbestimmungsfeindlichen Unternehmen wie Lidl, Media Markt oder Drogerie Müller, wie Bernhard Franke, ver.di-Landesfachbereichsleiter Handel Baden-Württemberg, betont.

Aber auch im Hotel- und Gaststättengewerbe ist es eher die Regel, dass die erstmalige Betriebsratswahl behindert wird. »Da wird ein bunter Strauß gespielt, das erleben wir derzeit bei der Burger King GmbH mit dem neuen Eigentümer Herrn Yildiz, der sich, so unsere Einschätzung, der gewählten Betriebsräte entledigen will und den Personen Unterschlagung oder unzulässige Krankschreibungen unterstellt«, so die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger (Mitbestimmung 3/2014).


Union-Busting ist ein Straftatbestand

Selbstverständlich ist den Geschäftsführern und Personalleitern bekannt, dass die Behinderung der Wahl eines Betriebsrats und seiner Arbeit gemäß § 119 BetrVG ein Straftatbestand ist, der mit Geldstrafen oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr geahndet werden kann. »Dennoch häufen sich in den letzten Jahren zunehmend Berichte, dass genau dies geschieht« (Behrens/Dribbusch). Die Drehbücher für die zermürbenden Auseinandersetzungen schreiben zum Teil von Arbeitgebern herangezogene Anwälte oder Unternehmensberatungen, die sich auf die Dienstleistung »Union Busting« spezialisiert haben.[3]

Hierzu zählen vorrangig die Kanzleien Helmut Naujoks, Hamburg, und Dirk Schreiner + Partner aus Attendorn. Letztere geben auf ihrer Webseite an, dass sie inzwischen rund 350 Veranstaltungen im Jahr bestreiten und seit 2001 mehrere Tausend Führungskräfte der deutschen Wirtschaft zu diesem Thema geschult hätten.

In die Reihe dieser Spezies gehört Burkhard Boemke, Mitinhaber der Kanzlei Boemke und zugleich Lehrstuhlinhaber an der Universität Leipzig, der bei den »Arbeitgebertagen« am 10./11. September 2013 vor Personalchefs zu den Themen referierte wie »So bekommen Sie den Betriebsrat, den Sie sich wünschen«, »Abbruch der Betriebsratswahl: So stoppen Sie die Wahl per einstweiliger Verfügung« und »Wenn Ihnen der gewählte Betriebsrat nicht passt: Wahlanfechtung als Rettungsanker« oder »Kündigung der Unkündbaren: So trennen Sie sich selbst von Betriebsratsmitgliedern & Co.« (Elmar Wigand, Mitbestimmung 3/2014).

Im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern wird die deutsche Variante des »Union Busting« nicht in erster Linie zur Zerschlagung der Gewerkschaften angewandt, aber mit dem Ziel, zu verhindern, dass Gewerkschaften in unorganisierten Betrieben Fuß fassen. Das ist ein wesentliches Motiv zur Verhinderung von Betriebsratswahlen. Denn gewerkschaftlich organisierte Betriebsratsmitglieder helfen, die gewerkschaftliche Mitgliederbasis zu schaffen. Erst im zweiten Schritt können dann beispielsweise wie im Organisationsbereich der IG Metall Vertrauensleute zur Stabilisierung des gewerkschaftlichen Fundaments in den Betrieben gewählt werden, um die Voraussetzungen für die Durchsetzung tarifpolitischer Forderungen zu befördern.


Weiterentwicklung der Mitbestimmung

Im Zuge seiner Kampagne, die betriebsrats- und gewerkschaftsfreien Zonen zu minimieren, will der DGB den gewerkschaftlichen Forderungen zur Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung Nachdruck verleihen. Angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt ist eine Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes überfällig. Dazu gehört u.a.:

  • der bessere Schutz von ArbeitnehmerInnen, die einen Betriebsrat gründen wollen,
  • ein echtes Zustimmungsverweigerungsrecht amtierender Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeitern und Werkvertragsbeschäftigten,
  • die verpflichtende Einrichtung von Konzernbetriebsratsgremien in transnationalen Konzernen, auch dann, wenn die Konzernspitze im Ausland ansässig ist, weil ansonsten Unternehmenseigner die Mitbestimmung umgehen können.

Darüber hinaus fordert der DGB zur Verfolgung der Straftaten bei Behinderung der Gründung und der Arbeit der Betriebsräte spezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften. »Der Gesetzgeber gibt uns die Möglichkeit, rechtlich gegen Behinderungen von Betriebsratswahlen vorzugehen, aber in der Praxis passiert dann kaum etwas« (Michaela Rosenberger). Denn es gibt so gut wie keine Verfahren, auch weil die Staatsanwaltschaften »mangels öffentlichem Interesse« oder weil es für sie unbekanntes Terrain ist, die Verfahren oft einstellen.

Für die Mitbestimmungsoffensive der Gewerkschaften sind die Betriebsratswahlen nur der Auftakt. Auf dem DGB-Bundeskongress im Mai soll eine mehrjährige Kampagne für mehr Mitbestimmung und Teilhabe beschlossen werden. Die IG Metall plant für den Herbst eine Mitbestimmungskonferenz. Das Ziel der Gewerkschaften geht dabei über die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus: Wirtschaft und Verwaltung müssen demokratischer werden. Wer gut arbeitet, muss auch mitentscheiden können.

[1] Die vom DGB genannten Zahlen leiden darunter, dass aufgrund fehlender Berichterstattungspflicht die Betriebsratsgremien in kleinen und nicht tarifgebundenen Betrieben schwer zu erfassen sind.
[2] Martin Behrens/Heiner Dribbusch: Arbeitgebermaßnahmen gegen Betriebsräte: Angriffe auf die betriebliche Mitbestimmung, WSI-Mitteilungen 2/2014.
[3] Vgl. Otto König: Kampf mit harten Bandagen – »Union Busting« bei der Fast-Food-Kette Burger King, in: Sozialismus 9/2013.

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