Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

Margareta Steinrücke/Beate Zimpelmann (Hrsg.)
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160 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-196-0

Stephan Krüger
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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
ISBN 978-3-96488-203-5

Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

13. März 2014 Björn Radke: Ein Schlachthof in Deutschland

VION – Ein Lebensmittelkonzern der typischen Art

Ende Februar wurde in Bad Bramstedt der Schlacht- und Zerlegebetrieb des Betreibers VION FOOD von Polizei und Staatsanwaltschaft vorübergehend geschlossen. Der Betrieb schlachtet zirka 60% der Rinder aus Schleswig-Holstein, mit bis zu 500 Schlachtungen am Tag. Ermittelt wird wegen des Verdachts der unsachgemäßen Tötung von Rindern sowie Mängeln bei der Hygiene.

Erst nach Auswertung der Gutachten und nachdem die Beseitigung aller Mängel festgestellt ist, dürfe der Schlachtbetrieb wieder aufgenommen werden, erklärt das Landwirtschaftsministerium. Es habe noch Zweifel, ob der Betreiber künftig in der Lage sein wird, »angemessene Garantien für einen ordnungsgemäßen Betrieb zu geben«.

Rund 200 Schlachthofbeschäftigte, Landwirte und Speditionsmitarbeiter demonstrierten in Kiel gegen die geplante Entziehung der Betriebszulassung. Ein Vertreter der VION-Geschäftsleitung sieht den Betrieb »in einem absoluten Topzustand«, und findet die Betriebsstilllegung »vollkommen haltlos«. In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein sind die Schlachthöfe ein wichtiger Knotenpunkt in der Wertschöpfungskette von Landwirtschaft über Transport bis zum Endverbraucher. Insgesamt werden in Schleswig-Holstein 19 von der EU-zugelassene Schlachthöfe betrieben, davon einer – der VION-Schlachthof – im Kreis Segeberg.

Wenn der Betrieb geschlossen bleibt, fallen für die Spediteure längere Transportwege, mehr Zeit und damit höhere Kosten an. In der Folge sind ein Abbau von Arbeitsplätzen und eine erhöhte Arbeitsbelastung für die Beschäftigten zu befürchten. Die Schließung einer solchen Produktionsstätte wirft also die Frage nach den Konsequenzen für die Wirtschaftsstruktur und den Arbeitsmarkt auf. Landwirtschaftsminister Habeck stellte vor den Beschäftigten in Kiel klar, dass die Sicherung der Arbeitsplätze nicht vor Recht und Gesetz stehen könne. Er lege Wert auf Schlachtkapazitäten in Schleswig-Holstein, um den Rindern Transportwege zu ersparen. Im Fall des Bramstedter Schlachthofs habe das Ministerium jedoch nicht anders entscheiden können. Eine Alternative konnte er ihnen aber auch nicht anbieten.

Als »unverhältnismäßig« bezeichnet der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Claus-Harald Güster, die andauernde Stilllegung des Schlachthofes: »Hier werden verantwortungslos mehr als 300 Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt, die gesamte Belegschaft ist verunsichert. (...) Für die rund 140 Stammbeschäftigten haben Geschäftsleitung und Betriebsrat Kurzarbeit beantragt. Das unterstützt die Gewerkschaft NGG ausdrücklich. Damit ist die Zukunft des Standortes aber noch lange nicht sicher.«

VION hingegen hält die weitere Stilllegung für unangemessen. »Eine Gefährdung der Verbraucher oder Verstöße gegen das Tierschutzgesetz waren niemals gegeben. Der zuständige Veterinär bescheinigte nach einer Kontrolle von mehr als 1.100 Schlachtvorgängen noch Anfang Februar trotz bereits bekanntem baulichen Verbesserungsbedarf eine hervorragende Leistung«, betont das Unternehmen in einer Stellungnahme. Segebergs Veterinäramt bestätigt, dass bei einer Überprüfung »überwiegend bauliche Mängel festgestellt wurden, die aber seinerzeit von der Firma VION abgestellt worden waren«. Auch die Kreisverwaltung Segeberg kommt zu ähnlichen Schlüssen. Die Hygiene sei einwandfrei, in den anderen Bereichen gebe es keine »ernsthaften Bedenken«, die gegen eine Wiederaufnahme des Betriebs sprächen, so Landrätin Jutta Hartwieg.

VION beantragte inzwischen beim Kreis die Aufhebung der Produktionssperre. Nach eigenen Angaben verliert VION jeden Tag 100.000 Euro.

VION ein innovativer Arbeitgeber?

VION Food erzielt mit etwa 13.000 Beschäftigten einen Umsatz von 6,5 Mrd. Euro. Der Betreiber stellt sich auf seinem luftigen, modernen Internetauftritt »vionfood.de« als ein innovatives Unternehmen vor, das auf die »Realisierung einer nachhaltigen Wertschöpfung« setzt. »Die VION Food Group setzt auf eine kontinuierliche Verbesserung der Zusammenarbeit in der Agrar- und Nahrungsmittelkette. Damit liefert VION einen optimalen Beitrag zu einer besseren Umwelt für Mensch und Tier.« In der Firmenphilosophie ist festgelegt:

  • »Wir sind gute Partner bei der nachhaltigen Entwicklung unserer agrarischen Wertschöpfungskette.
  • Wir tragen zum Wohl der Gemeinden bei, in denen wir tätig sind.
  • Wir leisten einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion des ökologischen Footprint unserer Wertschöpfungskette.
  • Wie bieten eine große Auswahl an sicheren, gesunden und nahrhaften Lebensmitteln und Ingredienzien, die zu einer gesunden Lebensweise passen.
  • Wir sind darauf bedacht, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.«

Der Alltag in der Fleischindustrie

Vom vierfarbigen Glanz in der virtuellen Welt zurück in die reale Welt des Handels, der Produktion und des Profits. Da sieht es dann doch nicht mehr so schön und lecker aus. VION gehört mit anderen Unternehmen wie Tönnies, Danish Crown, Westfleisch und PHW (Wiesenhof) zum Arbeitgeberverband, der sich erst im Januar 2014 mit der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten auf einen Tarifvertrag geeinigt hat, in dessen Zentrum ein Mindestlohntarifvertrag mit einer Laufzeit bis 31. Dezember 2017 steht, der folgende Stufenlösung über die Höhe des branchenweiten Mindestlohnes enthält:

1. Stufe 01.07.2014 – 7,75 Euro/Stunde
2. Stufe 01.12.2014 – 8,00 Euro/Stunde
3. Stufe 01.10.2015 – 8,60 Euro/Stunde
4. Stufe 01.12.2016 – 8,75 Euro/Stunde

Für die NGG ist »das der Anfang vom Ende des Lohndumping in der deutschen Fleischwirtschaft«. Ein wesentlicher Baustein des Lohndumping sind die »Werkverträge«. Laut einer Umfrage der NGG bei fast 400 Betriebsräten sind inzwischen rund 13% der Beschäftigten in der Ernährungswirtschaft Leih- oder Werkvertragsarbeitnehmer. Die NGG stellt fest, dass unter den rund 30.000 Beschäftigten in der deutschen Schlachtindustrie rund ein Drittel per Werkvertrag arbeitet. Im Schnitt verdienen die in Werkverträgen beschäftigten ArbeitnehmerInnen noch einmal fast einen Euro in der Stunde weniger als LeiharbeitnehmerInnen. Seit der Missbrauch von Leiharbeit begrenzt werden konnte, sei der Missbrauch von Werkverträgen stark gestiegen.

Auf Schlachthöfen war die Dimension der Werkverträge mit einem Anteil an der Belegschaft von bis zu 90% bekannt. Inzwischen sind Werkverträge in der gesamten Ernährungswirtschaft auf dem Vormarsch, vor allem in der Getränkeindustrie, der Milchwirtschaft sowie der Brot- und Backwarenindustrie, so die NGG. Im Vergleich zur Stammbelegschaft verdienen WerkvertragsarbeitnehmerInnen in der Ernährungsindustrie im Schnitt sechs Euro weniger die Stunde. Schon im März 2013 wies der NDR auf die Situation der Beschäftigten bei VION in Bad Bramstedt hin. Auf dem dortigen VION-Schlachthof würden seit 2011 bis zu 200 rumänische Arbeiter per Werkvertrag eingesetzt.

»Etwas mehr als zwölf Euro Stundenlohn bekommt ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter am Schlachtband bei VION. Die Werkverträge, die VION mit einem Subunternehmer – der rumänischen Firma ›Ninbog‹ – geschlossen hat, sehen laut Berechnungen, die NDR Info vorliegen, offiziell gerade halb so viel vor: einen Stundenlohn von 6,50 Euro. Nach Aussagen der NGG sei das Hauptproblem, ›dass Werkvertragsarbeitnehmer auch Arbeitnehmer verdrängen in qualifizierten Bereichen. Man denkt immer an Randbereiche - Aufräumen, Zuarbeiten, Transport. Nein, auch in ganz zentralen Bereichen von Wurstfabriken oder Schlachthöfen, zum Beispiel am Schlachtband oder an der Füllerei, werden Werkvertrags-Arbeitnehmer eingesetzt.‹«

VION – hinter Tönnies Schweinefleischproduzent Nummer zwei in Deutschland – hat seit Längerem wirtschaftliche Probleme. Deswegen wird derzeit im niedersächsischen Lingen der dortige Schlachtbetrieb geschlossen, wovon rund 270 Beschäftigte betroffen sind. In den vergangenen zehn Jahren habe Lingen dem Konzern einen Verlust von zehn Millionen Euro eingebracht. Die wirtschaftlichen Prognosen für die Zukunft seien so schlecht, dass sich ein Weiterbetrieb nicht lohne, so die Begründung der Geschäftsleitung. Erst im August hatte der Konzern deswegen angekündigt, sich in Deutschland auf die Fleisch- und Zerlegesparte konzentrieren zu wollen. Die weiterführende Lebensmittelproduktion soll komplett verkauft werden. Davon betroffen auch der VION-Standort in Badbergen im Landkreis Osnabrück. Auch das Netz seiner Schlachthöfe dünnt VION seit geraumer Zeit aus. Anders als Konkurrent Tönnies verfügt VION noch über zahlreiche kleinere Betriebe, die nun auf dem Prüfstand stehen. Ebenfalls im August war in diesem Zusammenhang die Schließung des Standorts Minden angekündigt worden.

Im Fleischhandel herrscht ein enormer Konkurrenzdruck und die im deutschen Fleischhandel gängige Praxis von Lohndumping durch Leiharbeit und Werkverträge führt nicht nur zu einer Entrechtung der Beschäftigten, sondern auch dazu, dass deutsche Fleischprodukte bis zu 20% billiger auf den europäischen Markt geworfen werden. Osteuropäische Firmen mieten im Auftrag deutscher Fleischer ganze Tierverarbeitungshallen und schlachten dort – ausgestattet mit einem Werkvertrag – Tausende Schweine in einer gewissen Zeit zu den weit billigeren Konditionen ihres jeweiligen Heimatlandes.

In der Tat ist es für die Beschäftigten eine existenzbedrohende Situation, da die Branche überwiegend mittelständig strukturiert ist. Die fleisch- und fleischwarenproduzierende Industrie geht von einem weiter wachsenden Konsolidierungsdruck. Laut NGG wird es bei vielen mittelständischen Unternehmen in den kommenden Jahren um die Existenz gehen – und nur eine überschaubare Zahl wird übrig bleiben.

Ein Blick in die Zahlen des europäischen Statistikamtes Eurostat zeigt aber auch, dass die hiesigen Schlachthöfe den europäischen Markt aufrollen. Führte Deutschland zur Jahrtausendwende noch deutlich mehr Fleisch aus den EU-Staaten ein als aus, so hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt.

  • 2012 standen Importen von 2,17 Tonnen EU-Exporte von 2,57 Tonnen gegenüber. Seit 1997 stieg die erzeugte Schlachtmenge um satte 61% auf acht Millionen Tonnen im vergangenen Jahr an.
  • Dieses Wachstum sei nur möglich, weil osteuropäische Leiharbeiter hierzulande als Quasi-Dauerarbeitskräfte eingesetzt würden, klagten die Franzosen. Auch aus Dänemark und den Niederlanden gibt es kritische Stimmen. Inzwischen hat sich die belgische Regierung bei der EU-Kommission über Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung in Deutschland beschwert. Die Billigkonkurrenz aus Deutschland soll inzwischen auch den belgischen Fleischverarbeitern zu schaffen machen und einen »Schlachttourismus« befördern.
  • Gestärkt werden die deutschen Schlachthöfe aber auch durch Subventionen. So gab etwa die frühere Landesregierung in Niedersachsen bekannt, die PHW-Unternehmensgruppe (Wiesenhof) seit 2007 mit 4,2 Millionen Euro Landesmitteln gefördert zu haben.
  • EU-Fleischsubventionen fließen ebenfalls kräftig an die Schlachthöfe. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium profitierte Westfleisch in Münster etwa 2012 mit mehr als 638.000 Euro. Die Vion Trading GmbH in Düsseldorf durfte sich über mehr als 366.000 Euro freuen.

 

Die Vermutung einer billigend in Kauf genommene Tierquälerei in den Fleischbetrieben ist das eine, aber die nicht mehr zu akzeptierende Praxis der Werkverträge und des Lohndumping ist das andere. Wenn den Beschäftigten ein gerechter Lohn verweigert wird und grundsätzliche Arbeitnehmerrechte missachtet werden, dann wird das Tier eben auch nur noch Objekt und Produkt eines Verwertungsprozesses. Da kommt es dann nicht mehr so drauf an.

Die gewünschte Transparenz im Falle VION sollte auch die Arbeitsbedingungen und Vertragsgrundlagen in den Fokus nehmen. Wie war das noch: »Wir sind darauf bedacht, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.« VION sollte unbedingt beim Wort genommen werden.

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