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10. März 2015 Horst Arenz: Den Berliner Senat per Gesetz in die Zange nehmen

Volksentscheid für soziale Wohnungspolitik

Eine Gruppe von Mieter-Initiativen und WohnungsbauexpertInnen hat am 10. März 2015 auf einer Pressekonferenz den Volksentscheid für das »Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumförderung in Berlin« vorgestellt. Die Pressekonferenz war der Startschuss der Kampagne für die Sammlung von Unterschriften. Der Entscheid hat Hintergründe und Ziele.


Berliner Wohnungsnot

Die Wohnungspolitik in Berlin hat in Medien und Politik der Hauptstadt seit Längerem den Spitzenplatz erklommen. Nirgendwo sonst in Europa steigen die Mieten in den rund 1,6 Mietwohnungen schneller. Besonders Haushalte im unteren Einkommenssegment sind betroffen. Die Stichworte sind:

  • Mietanteil am Haushaltseinkommen 50% und mehr, Tendenz steigend, Mietanstieg in einzelnen Stadtteilen (wie Kreuzberg, siehe Grafik) von fast 100% in fünf Jahren

  • Kahlschlag im Sozialen Wohnungsbau, der um ca. 5.000 Wohnungen jährlich schrumpft und dessen Mieten fast durchweg höher sind als der Mietspiegel im privaten Wohnungsmarkt
  • zunehmende Verdrängung von Hartz IV-Haushalten in städtische Randgebiete
  • Nach Schätzung des Stadtsoziologen Andrej Holm fehlen in Berlin 120.000 preisgünstige Wohnungen für einkommensschwache Haushalte.[1]

  • Der Senat hat die seit 2007 absehbare Entwicklung jahrelang verschlafen. Heute setzt er als Antwort vorrangig auf Neubau und Olympia, legt privaten Investoren den roten Teppich aus und betätigt sich damit als Mietentreiber. Zur Reform des Sozialen Wohnungsbaus reicht es bislang nur zur Gründung einer Kommission. Widerstand gegen teuren Neubau hebelt er kurzerhand aus, indem wie am Mauerpark dem Bezirk das Mitwirkungsrecht entzogen wird.


Die Antwort der Initiativen

Der Volksentscheid ist die Reaktion auf ein doppeltes Problem: Auf die Krise der Parteien, konkret auf das auch in Berlin wachsende grundsätzliche Misstrauen gegen Parteien im Abgeordnetenhaus und gegen den Senat, und auf dessen Wohnungspolitik.

Ein Volksentscheid ist ein den Senat bindendes Gesetz, im Unterschied zu einem nicht bindenden Katalog von Forderungen als »Beschluss«. Ein solches Gesetz, das 2017 wirksam würde, kann erst in der nächsten Legislaturperiode novelliert bzw. zurückgenommen werden. Für Volksentscheide gelten daher strenge Kriterien, z.B. die Zustimmung von 620.000 Berliner Wahlberechtigten und von 20.000 für die Zulassung.

Ein wichtiges Kriterium bei Volksentscheiden im Unterschied zu per Parlament beschlossenen Gesetzen ist das Kopplungsverbot, das die Zusammenfassung sachfremder Fragen in einen Volksentscheid untersagt. Dies zwang die InitiatorInnen zu einer Konzentration von vier Politikbereichen auf zwei. Leidtragender war der Bereich privater Wohnungsmarkt (ca. 60% aller Mietwohnungen), dessen wichtigster Teil, die Mieten, (weil Bundesgesetz) nicht auf Landesebene entschieden wird.

Damit mussten nach langer strittiger Debatte um die Tragweite des Kopplungsverbots die per Landesgesetz regelbaren wichtigen Bereiche wie Zweckentfremdungsverbot, Wohnungsaufsicht und mieterfreundliche Bodennutzung unter den Tisch fallen. Der Volksentscheid unterliegt verfassungsseitigen Grenzen, die mit diesem Gesetz allerdings vollständig ausgeschöpft werden. Allerdings wirken die vorgesehenen Maßnahmen indirekt auch auf den freifinanzierten Wohnungsmarkt.


Die »Anstalten öffentlichen Rechts«

Davon ausgehend wurde der Gesetzentwurf auf zwei immerhin entscheidende Bereiche eingedampft: die Umwandlung der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in »Anstalten öffentlichen Rechts« (AöR) und die soziale Wohnraumförderung. Die Finanzierung erfolgt durch einen neu einzurichtenden »Wohnraumfonds«.

Motiv der Umwandlung in AöRs ist die breite Kritik an der Praxis der Berliner Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Überwindung der Schranken privatkapitalistischen Gesellschaftsrechts. Die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften waren in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich bei der Freistellung von Belegungsbindungen und der damit zusammenhängenden Verdrängung einkommensschwacher Haushalte, insbesondere im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen, aber auch bei der Renditemaximierung.

Die Kernpunkte der AöRs sind:

  • Abkopplung vom Prinzip der Renditemaximierung und der Gewinnabführung an den Landeshaushalt
  • Ausrichtung der Geschäftspolitik an die in § 28 der Landesverfassung fixierten Grundsätze der »Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen«
  • Erhöhung des Eigenkapitals des AöRs auf zusammen ca. 1 Mrd. Euro aus dem Landeshaushalt
  • Verkauf von Wohnungen nur noch an andere AöRs oder Genossenschaften (Privatisierungsstopp)
  • Abkehr von der im privaten Gesellschaftsrecht existierenden Allmacht des Vorstands, erstmalige Sicherung von Mitentscheidungsrechten der Mieterschaft, verbunden mit einem Vetorecht des Gesamt-Mieterrates, das nur durch ein Votum des Verwaltungsrates außer Kraft gesetzt werden kann.
  • Zurückdrängung des Zugriffs von Senat und Abgeordnetenhaus.

Zentral ist der qualitativ neue Typus von Entscheidungsstrukturen der Gesellschaften, die im Wesentlichen bestimmt werden vom öffentlich tagenden Verwaltungsrat, zusammengesetzt aus 16 Mitgliedern, darunter acht vom Senat, vier vom so genannten Gesamt-Mieterrat, zwei vom »Fachbeirat« aus Sozial- und Mieterverbänden und Mieterinitiativen und zwei Belegschaftsvertretern.


Eine neue Form der sozialen Wohnraumförderung

Der Wohnraumfonds ist ein nicht rechts- und damit nicht spekulationsfähiges, von den anderen Landesvermögen getrenntes stiftungsähnliches öffentlich-rechtliches Sondervermögen. Der Fonds wird als »revolvierender Fonds« unab­hängig von privaten Banken und den Steuersparmodellen für Finanzinvestoren und betuchte Privatleute geführt. Seine Einnahmen rekrutieren sich u.a. aus den jährlichen Darlehensrückflüssen von ca. 250 Mio. Euro pro Jahr und ist damit deutlich höher dimensioniert als die vom Senat hierfür vorgesehenen 64 Mio. Euro. Der Fonds ist von Unwägbarkeiten des Landes­haushalts unabhängig, ein Hineinregieren des Abgeordnetenhauses ist unmöglich.

Die Wohnungsbaugesellschaften können auf Basis ihres Eigenkapitals und mit der für sie geltenden Landesbürgschaft zinsgünstig Fremdmittel für Investitionen aufnehmen (Hebelung). Je nach Ausgestaltung können Fonds und AöRs zusammen Modellrechnungen zufolge pro Jahr bis zu 15.000 Wohnungen zu Nettokalt-Mieten von unter sechs Euro/qm gebaut werden. Der Senat traut sich dies nur für gerade mal 1.000 geförderte Wohnungen zu.

Die Wohnraumförderung betrifft zwei Bereiche:

Zum Einen die Mietsubvention durch Mietabsenkung auf den Durchschnitt sämtlicher geförderten Wohnungen für alle Haushalte mit einem Jahres-Netto-Einkommen zwischen 12.000, der Einkommensgrenze für Ein-Personen-Haushalte nach Wohnraumförderungsgesetz des Bundes, und 16.800 Euro pro Jahr. Für Haushalte unterhalb der Bundesgrenze gilt eine Miete von 10% unter dem Durchschnitt. Für Haushalte in den 28.000 Wohnungen ohne Anschlussförderung, für die anstelle des üblichen Mietspiegels Kostenmieten teilweise bis zu 20 Euro/qm erhoben werden, gelten die gleichen Regelungen. Hartz IV-Haushalte sollen grundsätzlich nur die von den Job-Centern gezahlten Kosten der Unterkunft zahlen.

Mit der Verknüpfung von Wohnraumfonds und AöRs für Modernisierungen, Wohnungsneubau und Ankauf von Beständen (Rekommunalisierung) soll zum Anderen mit Blick auf die unrühmliche Vergangenheit und entgegen der herrschenden Skepsis zu den Zukunftschancen des Sozialen Wohnungsbaus eine völlig neue Form der sozialen Wohnraumförderung etabliert werden. Die vom Senat zu gewährende Förderung erfolgt einkommensabhängig nach vier Stufen (80, 100, 140 und über 140% der Einkommensgrenze). Die verbreitete Freistellung von Belegungsbindungen wird untersagt.

Die Botschaft lautet: Neubau, Rekommunalisierung und Modernisierung (Barrierefreiheit, Warmmietenneutralität) zu bezahlbaren Mieten ist machbar. Wohnungsneubau ist angesichts einer vorrangig migrationsbedingten Netto-Zuwanderung von 40.000 pro Jahr notwendig. Neubau soll aber nicht den Hauptteil der Förderung ausmachen, der Schwerpunkt liegt im Bestand.

Geschätzt wird, dass der Volksentscheid seine Wirkung auf ca. 400.000 Wohnungen ausübt. Bei allen unvermeidlichen Grenzen ist dieser Volksentscheid, der Ergebnis einer über zwei Jahre hartnäckigen Arbeit von Mieterinitiativen und ExpertInnen ist, wenn er durchkommt, ein Einstieg in eine grundlegend veränderte Wohnungspolitik in Berlin. Nach der erfolgreichen Volksabstimmung zum Tempelhofer Feld und zur Offenlegung der Verträge zur Wasserversorgung könnte er zugleich einen Durchbruch in der Etablierung neuer Politikformen jenseits der traditionellen, stark verselbständigten parlamentarischen Kultur sein.

Er würde so zu einem Beitrag zur Überwindung der Krise der Demokratie, die immer mehr zu einer Demokratie der Besserverdienenden wird, und könnte so überregionale Bedeutung erhalten. Die Mobilisierungskampagne kann schließlich auch das Engagement der Menschen zu wohnungspolitischen Fragen befördern.

Ausschlaggebend ist nun, ob mit einer professionell geführten Kampagne breite Teile der Bevölkerung angesprochen werden können. Die Senatsverwaltung hat in einer Vorprüfung der Zulässigkeit positive Signale ausgesendet. Die Kampagne, die mit anderen, von dem Gesetz nicht erfassbaren Forderungen wie Verbot von Zwangsräumungen, Inanspruchnahme von Grünflächen nur mit Zustimmung der Bevölkerung, Abschöpfung von Planungsgewinnen bei Investoren etc. unterfüttert werden soll, startet Ende März. Die Abstimmung soll zeitgleich mit den Wahlen im Herbst 2016 stattfinden.

[1] Andrej Holm, Wohnungsnotbericht Berlin, in: Nichts läuft hier richtig – Informationen zum Sozialen Wohnungsbau in Berlin, Berlin 2014

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