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Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

9. Februar 2014 Otto König / Richard Detje: Stimmungsmache gegen die Rente nach 45 Versicherungsjahren

Vom Kopf auf die Füße stellen

Die Propagandisten der Rente mit 67 – so genannte Rentenexperten, neoliberale Ökonomen[1] und Medienvertreter – laufen Arm in Arm mit Unternehmerverbänden[2] Sturm gegen den vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf eines »Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung«.

Er beinhaltet die Einführung der Mütterrente, die verbesserte Erwerbsminderungsrente und die abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Versicherungsjahren. Das Gesetz soll zum 1. Juli in Kraft treten. – Ein überaus interessanter Vorgang. Zum einen, weil aufschlussreich ist, worüber nicht diskutiert wird: insbesondere die weitere Absenkung des Rentenniveaus und die Durchlöcherung der Erwerbsbiografien. Das Thema künftig verstärkt wachsender Altersarmut steht nicht auf der großkoalitionären Agenda. Zum anderen, weil deutlich wird, wie schnell selbst kleine Verbesserungen anti-sozialen Widerstand mächtiger Interessengruppen mobilisieren.

Die publizistische Stimmungsmache, massiv von der Gesamtmetall-Propagandaagentur »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«[3] vorangetrieben, richtet sich in erster Linie gegen die abschlagsfreie Rente ab 63.[4] Gegen die Korrektur des »Münte«-Abschlags wird ein »Generationen-« und »Geschlechterkrieg« heraufbeschworen: »Der Gesetzentwurf hat eine deutliche Schieflage zulasten der jüngeren Generation: Sie muss kräftig draufzahlen, profitieren wird dagegen fast nur, wer heute schon zu den Älteren gehört.« (BDA-Präsident Ingo Kramer)

»Kapitaler Fehler«, sekundiert der BDI, wo doch die älteren Facharbeiter gerade jetzt so dringend gebraucht werden. Diese Klage widerspricht der betrieblichen Realität, denn nach wie vor werden kaum ältere Arbeitnehmer eingestellt. Die aktuellen Zahlen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 63 und 64 Jahren liegen bei nur 21 bzw. 16%. Darin sind sogar Teilzeitbeschäftigte sowie Altersteilzeitler, einschließlich derjenigen in der Passivphase enthalten.[5] Dennoch wird der drohende Abstieg des Exportweltmeisters in die zweite Liga der Wirtschaftsnationen beschworen. »Im Grunde genommen verfressen wir unsere Zukunft, weil immer mehr ins Soziale geht.« (Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall)

Hinter der Propaganda steht zweierlei: Erstens das altbackene Lohnnebenkosten-Argument gegen nach 2017 steigende Rentenbeiträge, wenn die Rücklagen in der Rentenversicherung aufgezehrt sind. Dabei darf bereits heute der Plan B mitbedacht werden, dass das Kostenargument auch dazu genutzt werden kann, den Arbeitgeberbeitrag zu deckeln, sodass – wie schon in der Vergangenheit – allein die Beschäftigten zur Finanzierung herangezogen werden. Das zweite Argument ist ordnungs- und europapolitisch fundiert: Wie sollen einschneidende soziale Kürzungsmaßnahmen in Staaten der EU, »von denen wir ja zu Recht Strukturreformen einfordern«. (Ex-Kanzler Schröder, Süddeutsche Zeitung, 29.1. 2014), weiter durchgesetzt werden, wenn in Deutschland das Tempo des wettbewerbsorientierten Umbaus der Sozialsysteme gedrosselt wird?

Die oft beschworene Generationengerechtigkeit ist in solchen politischen Auseinandersetzungen nicht mehr als ein Kampfbegriff. Genutzt wird er immer dann, wenn anderes verdeckt werden soll. Denn in diesem gesellschaftspolitischen Konflikt geht es um mehr als um den Streit über die Ausgestaltung und Finanzierung rentenpolitischer Maßnahmen. Die Hardliner wollen eine »Aufweichung« der Agenda-Reformen, eine Korrektur der Rentenkürzungen des letzten Jahrzehnts, auf Teufel-komm-raus verhindern. Sie wollen bedingungslos an der Rente mit 67 festhalten und die Lebensarbeitszeit sogar noch darüber hinaus verlängern. Sie streben eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung an. Ziel ist ein Renteneintrittsalter mit 70 Jahren.

Das Credo der Agenda-Verfechter lautet nach wie vor: Die gesetzliche Rente ist in einer alternden und daher schrumpfenden Gesellschaft nur dann bezahlbar, wenn die Rentner den Gürtel enger schnallen. Deshalb stemmen sie sich gegen jede minimale Korrektur der unsozialen Rentenreformen, die Lebensleistungen von Menschen, die ihr Leben lang und hart gearbeitet und viel eingezahlt haben, mit Rentenabschlägen bestraft, wenn sie mit 63 aus dem Berufsleben ausscheiden. Wider besseres Wissen wurde der demografische Wandel dramatisiert, um das Rentenkürzungsprogramm durchzupeitschen. Wer vor 67 in Rente geht, wird durch einen »Zugangsfaktor« gestraft. Dieser kürzt die Rente um jährlich 3,6%, das macht bei vier Jahren über 14% aus – egal wie lange man Beiträge in die Rentenversicherung einbezahlt hat. Immer mehr Menschen droht infolge von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen und fehlendem Versicherungsschutz eine Armutsrente.

Es ist zynisch, wenn der frühere Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, der gegen heftige gewerkschaftliche Widerstände die Rente mit 67 auf den Weg gebracht hatte, heute »eine Vorteilsgebung für eine kleine Gruppe« von Facharbeitern beklagt und kritisiert, dass die Frauen fast überhaupt nicht von der Neuregelung profitieren. Fakt ist hingegen: »Es sind die Rentenreformen der letzten Jahre und nicht die geplanten Teilkorrekturen, die gegen Generationenfairness und Leistungsgerechtigkeit verstoßen. Die Rente mit 67, die Senkung des Rentenniveaus und der Zwang zu unattraktiver Privatvorsorge beschädigen den Generationenvertrag zulasten der heutigen Beitragszahler.« (Hans-Jürgen Urban im Handelsblatt vom 7.1.2014) Übrigens waren es jeweils Regierungen mit SPD-Beteiligung – Rot-Grün und die nachfolgende Große Koalition, hingegen nicht Schwarz-Gelb – die Systemveränderungen in der Rentenpolitik durchgesetzt haben.

Diverse Dämpfungsfaktoren in der Rentenformel entkoppeln die Renten von der Lohnentwicklung und entwerten langjährige Beitragsleistungen. Münteferings »Jahrhundertreform« senkt das Rentenniveau bis 2030 auf nur noch 43% ab. Bereits heute beträgt die Bruttorente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren lediglich 1.266 Euro (West) oder 1.158 Euro (Ost). »Das ist Enteignung und Entmündigung per Rentengesetz.« (Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 1.2.2014) So sprachen sich aus Sorge um ihre Alterssicherung fast 90% der Arbeitnehmer in einer IG Metall-Befragung[6] gegen die Absenkung des Rentenniveaus aus und über 90% plädierten dafür, dass die »Rente mit 67« zurückgenommen wird. Diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet oder gebrochene Erwerbsbiografien haben, erwarten eine Rente, die sie vor Armut schützt.

Mit den im Rentenpaket beschlossenen Maßnahmen wird eine verlässliche und ausreichende Absicherung im Alter, ein flexibler Ausstieg aus dem Erwerbsleben und eine nachhaltige und gerechte Finanzierung nicht erreicht. Es ist richtig, die Rentenansprüche für Eltern und Erwerbsgeminderte zu verbessern und den langjährig Versicherten mit 63 einen abschlagsfreien Rentenzugang zu ermöglichen. Nicht akzeptabel ist aber, dass diese Regelung zeitlich befristet ist. Dadurch können die Jüngeren nicht selbst in Anspruch nehmen, was sie heute finanzieren. Kritisch ist auch, dass die Mütterrente aus Beitragsmitteln finanziert werden soll. Damit können vorhandene finanzielle Spielräume in der Rentenkasse nicht für den Aufbau einer Demografie-Reserve genutzt werden.

Doch bei aller notwendigen Detailkritik am aktuellen Rentenpaket der CDU/CSU und SPD-Koalition, muss jetzt vorrangig den neoliberalen Verzichtspredigern die Stirn geboten werden. Gewerkschaften, Sozialverbände und Sozialinitiativen müssen gemeinsam ein sozialpolitisches Rollback abwehren. »In der Rentenpolitik gibt es keinen Generationenkonflikt. Jung kämpft nicht gegen Alt. Die jungen Beschäftigten, die heute einzahlen sind die Alten von morgen, die von der heute gekürzten Rente leben müssen. Eine armutsfeste und lebensstandardsichernde gesetzliche Rente ist keine Utopie.«[7]

Für die DGB-Gewerkschaften ergibt sich daraus eine Doppelstrategie: Einerseits gilt es politischen Druck zu entwickeln für die Realisierung der positiven Ansätze, die im Koalitionsvertrag formuliert sind; andererseits muss darüber hinaus für eine grundlegende Reform der Arbeits- und Sozialverfassung gestritten werden, die Prekarität und Armut für Beschäftigte und Arbeitslose vermeidet und zugleich Perspektiven und Sicherheit schafft.

[1] Den Vogel schießen »Forscher« der Universität Linz und des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung ab, die errechnet haben wollen, dass durch die Rentenpolitik der Großen Koalition die Schattenwirtschaft um 1,8 Mrd. Euro anwachsen wird (FAZ, 5.2.2014, S. 9). Nun ja: Im Schatten lässt es sich vermutlich gut rechnen.
[2] Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag versteift sich in seiner aktuellen Unternehmensbefragung zu der Mutmaßung, dass die Aufhellung des Konjunkturklimas durch die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren und den Mindestlohn von 8,50 Euro wieder spürbar »verlangsamt« werde durch eine entsprechende Investitionszurückhaltung der Unternehmen. Ein Verband der Hasenfüßigen?
[3] Die INSM schaltete am Tag des Kabinettbeschlusses ganzseitige Anzeigen in verschiedenen Zeitungen und Internetportalen, in denen sie fragte: »Wer ist eigentlich für die Rentenpläne der Regierung?« Antwort: »Niemand, der lesen kann.«
[4] Die »Mütterrente« steht nicht so im öffentlichen Focus, da die Gerechtigkeits-Kluft zwischen den Frauen, die nach 1992 ein Kind geboren haben, und den Älteren so offensichtlich ist, dass man letzteren das »28 Euro-Trostpflaster« gönnt. Streitig ist allerdings die Finanzierung – ob aus der Rentenkasse bezahlt oder aus Steuermitteln. Da es sich bei der Mütterrente um eine Honorierung einer gesamtgesellschaftlichen Leistung handelt, wäre es konsequent, diese Leistung aus dem Steueraufkommen zu bezahlen.
[5] IG Metall-Pressemitteilung, 29.1.2014.
[6] An der zwischen Mitte Februar und Ende April 2013 durchgeführt Befragung beteiligten sich 514.134 Beschäftigte in 8.400 Betrieben aus dem Organisationsbereich der IG Metall, davon waren 80% Männer und 20% Frauen. Rund 165.000 (31%) waren nicht Mitglied der IG Metall.
[7] Hans-Jürgen Urban/Christoph Ehlscheid: Konflikt um Weichenstellungen, in: Sozialismus Heft 2-2014.

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