3. Dezember 2016 Bernhard Sander: François Hollande verzichtet auf Kandidatur
Von der Krise zermalmt
Mit dem Verzicht des Staatspräsidenten Hollande, erneut zu kandidieren, wird offensichtlich, dass auch die Sozialdemokratisierung des Parti Socialiste keine Antwort auf die seit 2008 schwelende Finanz- und Wirtschaftskrise gefunden hat.
Sein Vorgänger Sarkozy, der eine Allianz der Leistungsorientierten geschmiedet hatte, hinterließ ein Land der tiefen sozialen Spaltung, wachsender Verarmung und unter hohem Druck der EU-Kommission, die auf die Einhaltung der Konvergenzkriterien (Begrenzung der Neuverschuldung, Senkung der Staatsschuld) drängte.
François Hollande war mit einer klaren Frontstellung in den letzten Wahlkampf gezogen: »Ich werde euch sagen, wer mein wahrer Gegner ist. Er hat keinen Namen, kein Gesicht, keine Partei, er wird nie kandidieren und deshalb nie gewählt werden, und doch regiert er: Dieser Gegner, das ist die Finanzwelt. Vor unseren Augen, innerhalb von 20 Jahren, hat sie die Kontrolle über die Wirtschaft, die Gesellschaft und sogar über unser Leben an sich gerissen.«
Damit hatte er nicht nur die Wechselstimmung, sondern auch das tiefe Leiden der kleinen Leute (classes populaires) angesprochen. Hollande ging die explodierende Staatsschuld und die zerbröselnde industrielle Basis offensiv an, als er das bankrotte Staatschiff 2012 übernahm. Doch nach dem mehrfachen Wechsel an der Spitze des Wirtschaftsministeriums, ging der PS mit einem allzu drastischen Sparkurs, angebotsorientierter Wirtschaftspolitik mit Steuererhöhungen und Investitionshilfen in die andere Richtung – und blieb weitgehend wirkungslos.
Von der gezielten Förderung von Wachstumsbranchen des Gallois-Reports blieb nur eine Steuererleichterung (40 Mrd. Euro). Der zuerst auf 75% angehobene Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer führte zur Kündigung der Staatsbürgerschaft der Prominenz und zur Steuerflucht bis in die Ränge der PS-Leitungsebene und schlug in eine Steuersenkungswelle um.
Im Laufe dieser Umorientierung wechselte Hollande vier Mal die Regierungen, mehr als ein Dutzend Minister verließen das Kabinett. Seine wirtschafts- und sozialpolitische Kehrtwende machte den Staatschef zur Zielscheibe einer Gruppe beinharter Frondeure in der Fraktion, die jedoch letztlich durch Notstandsverordnungen ausgeschaltet wurden.
Seit Anfang des Jahres ist wenigstens die Arbeitslosigkeit leicht gesunken. Sie liegt aber immer noch über dem Wert vom Mai 2012, als Hollande die Regierung übernahm. Die Reform des Arbeitsrechts wird sich erst in den kommenden Jahren auswirken, schafft aber erstmals seit Jahren relevante Möglichkeiten für mehr Flexibilität bei der Festlegung der Arbeitszeit in den Unternehmen und wird derzeit unterschätzt. Den linken Gewerkschaften und dem linken Flügel der Sozialisten blieb nur Kampf gegen die Reform, ein Kampf von ähnlicher Tragik wie der Bergarbeiter-Streik gegen Thatchers Grubenschließungen in den 1980er Jahren.
Den Schlusspunkt des Umbaus setzte Hollande mit seinem Buch »Ein Präsident sollte das nicht sagen...«, das dem PS vorhält, er, Hollande, halte die Sozialisten für überflüssig. »Die Liquidierung ist notwendig, ein Hara-Kiri.«
Das gesamte Führungspersonal der Partei hält er angesichts der Gewalt der europäischen Probleme für schwach, farblos, egozentrisch, ohne Statur und Charisma usw. Anhand des Kampfes Griechenlands um den Verbleib im Euro-Verbund versuchte Holland zu verdeutlichen, welchen Druck die Staatsschuldenkrise bedeutet: »Ich habe ihm (Tsipras) gesagt: Hilf mir, Dir zu helfen. 14 Länder wollen Dich rauswerfen (aus der Eurozone), nur drei wollen Dich drin behalten: Frankreich, Italien und Zypern. … Putin hat mich nach dem griechischen Referendum angerufen: Ich habe eine Information für Dich, Griechenland hat uns angerufen und gebeten, ob wir Drachmen für sie drucken können, sie hätten keine Druckerei mehr. Ich sage es Dir, damit Du siehst, dass das nicht unsere Absicht ist.«
Die Erben des Sozialdemokraten sind sein ehemaliger Wirtschaftsminister Macron, den wir bereits portraitiert haben, und eventuell der derzeitige Premier Manuel Valls, immerhin noch Mitglied der Partei. Das Land führt einen schicksalhaften Wahlkampf im Klima eines seit über einem Jahr andauernden Notstands.
Der Verzicht »bedeutet keine Amnestie für diejenigen, die daran beteiligt waren«, urteilt Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon über das gesamte Kandidaten-Tableau des PS. Sicher wird dieser Schritt weder die Wut der Gewerkschafter kühlen noch die Mutlosigkeit und Apathie der Ausgegrenzten überwinden. Auch wenn der frühere Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg mit einem »Anti-Eliten-Diskurs« Manuell Valls das Feld bei den Vorwahlen streitig macht, ist keine neue Dynamik des PS zu erkennen, denn programmatische Substanz ist beim Verfechter der »Ent-Globalisierung« und Freund von Yannis Varoufakis nicht zu erkennen.
Nach der Wahl von François Fillon als Vertreter der harten bürgerlichen Rechten, schien es einen Moment so, als wäre François Hollande der Repräsentant der Mitte. Nun wird mit Valls und Macron eher die Rechte gestärkt, da der PS keine glaubhaften und mehrheitsfähigen Linken mehr ins Rennen wird schicken können. Fillon ist wohl definitiv für die Linke nicht wählbar. Wem das den Weg öffnet, werden wir im Frühjahr sehen.