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15. September 2012 Klaus Bullan: Bildung auf einen Blick 2012

Voreilige Erfolgsmeldungen

Die neueste Untersuchung des Bildungswesens in den OECD-Ländern hat zu den üblichen Reaktionen geführt. Die Bundesregierung, die Kultusministerkonferenz, die konservativen Lehrerverbände beklagen einhellig die Nestbeschmutzung des deutschen Bildungswesens, das vor allem aufgrund seines beruflichen Bildungssystems nicht vergleichbar sei mit den Bildungssystemen der anderen Länder.

Wieder mal werde nicht ausreichend anerkannt und berücksichtigt, dass die Zahl der Hochschulabsolventen in Deutschland geringer sei als in den übrigen Ländern, weil wir ein vorbildliches duales Berufsbildungssystem hätten. »Vergessen« wird bei dieser Argumentation regelmäßig, dass fast die Hälfte der jungen Menschen in Deutschland, die weder studieren noch in allgemeinbildende Schulen gehen, in berufsvorbereitenden Maßnahmen oder vollzeitschulischen Ersatzangeboten »geparkt« werden.

Längst ist die duale Berufsausbildung in die Krise gekommen: Sie bleibt fast gänzlich verschlossen für Jugendlichen ohne und in vielen Berufen auch mit Hauptschulabschluss, für Jugendliche mit Migrationshintergrund gilt das in besonderem Maß.

Betrachtet man allein die Bildungsbeteiligung an den Hochschulen bei den Studierenden, deren Eltern einen hohen Bildungsabschluss haben, so ist auffällig, dass Deutschland hier einen guten Mittelplatz einnimmt. Der Rückstand geht also allein auf die geringen Studierendenzahlen bei denen zurück, deren Eltern keine hohen Bildungsabschlüsse haben.

Die soziale Abschottung der Hochschulen gegenüber Kindern aus Elternhäusern, die keinen akademischen Abschluss haben und die soziale Selektion des gegliederten Schulwesens in Deutschland, das weniger Kinder aus sozial benachteiligten Familien zum Abitur gelangen lässt, sind die Ursachen dafür, dass viele junge Menschen auf berufliche Bildungsgänge ausweichen, statt ein Hochschulstudium aufzunehmen. Deshalb liegen die Zahl der StudienanfängerInnen und die Zahl der HochschulabsolventInnen in Deutschland nach wie vor so deutlich unter den OECD-Durchschnitten.

Trotz steigender Zahl der HochschulabsolventInnen von in 1995 14% auf 30% in 2010 hat Deutschland im internationalen Vergleich weiter Terrain verloren, denn in den übrigen Ländern ist der Hochschulbereich noch schneller ausgebaut worden: Sowohl im OECD- als auch im EU-Durchschnitt machen inzwischen 40% eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss.

Dass Deutschland zurückbleibt, zeigt sich auch am Vergleich der Altersgruppen mit Hochschulabschluss. Es gehört neben Israel und den USA zu den einzigen Ländern, bei denen es in der Generation der Jungen nicht mehr Hochschulabschlüsse gibt als in der der 55-64 Jährigen. Bei den Älteren lag Deutschland bei den Hochschulabsolventen im oberen Mittelfeld, fast alle OECD-Staaten haben Deutschland inzwischen überholt.

Die OECD-Studie spricht beim Vergleich der Bildungsabschlüssen zwischen den Generationen von Aufwärts- oder Abwärtsmobilität – je nachdem, ob die Kinder einen höheren oder geringeren Bildungsabschluss erwerben als die Eltern. Generell gilt, dass die Bildungsabschlüsse der Kinder stark denen der Eltern folgen, jedoch ist in den meisten Ländern zu beobachten, dass mehr Kinder höhere Bildungsabschlüsse erreichen als ihre Eltern. Nur in Deutschland, Estland und Island ist das Gegenteil der Fall: Hier gibt es eine echte Abwärtsmobilität. 22% der Kinder in Deutschland erreichen geringere Bildungsabschlüsse als ihre Eltern und nur 20% höhere.

Sowohl in der Altersgruppe der 35-44 Jährigen als auch in der der 45-54 Jährigen ist in Deutschland der Anteil der HochschulabsolventInnen höher als bei den Jüngeren. Frau Schavan verweist in diesem Zusammenhang gern auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa, in Deutschland ist sie mit Abstand am geringsten. Dies sei auf die berufsqualifizierende Qualität der beruflichen Bildung zurückzuführen und deshalb sei eine hohe Quote von HochschulabsolventInnen kein Beleg für eine hohe Qualität von Bildung. Spanische oder italienische HochschulabsolventInnen sind in hohem Maß arbeitslos, während deutsche Lehrlinge adäquater (und oft auch besser) ausgebildet seien und größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Auch wenn der Übergang ins Beschäftigungssystem durch die duale Ausbildung in bestimmten Bereichen besser funktioniert, dürfen die Probleme nicht übersehen werden. Die OECD kommt zum Ergebnis, dass die Krisenanfälligkeit bei Beschäftigten mit mittleren Qualifikationen höher ist als bei den Beschäftigten mit Hochschulbildung. Das spiegelt sich in höherer Arbeitslosigkeit und in größerem Einkommensrückgang in Krisenzeiten wider. Auch im deutschen Ausbildungssystem ist der Prozentsatz derjenigen, die unterqualifiziert oder ausbildungsfremd beschäftigt werden, erschreckend hoch.

Der Tatbestand, dass Deutschland besser durch die Weltwirtschaftskrise 2099 ff. gekommen ist, kann ganz sicher nicht auf das Bildungssystem mit dem geringen Anteil von Hochschulabsolventen und der dualen Ausbildung zurückgeführt werden. Im Gegenteil ist eins der zentralen Probleme des dualen Systems gerade die Abhängigkeit der Zahl der Ausbildungsplätze vom konjunkturellen Wirtschaftsverlauf.

»12,0% der 15- bis 29-Jährigen befinden sich weder in Beschäftigung noch in Bildung oder Ausbildung (Not in Education, Employment or Training – NEET), womit die Situation in Deutschland besser ist als im OECD-Durchschnitt (15,8%). Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen die NEET-Quote während der weltweiten Rezession gesunken oder weitgehend unverändert geblieben ist, und es ist das einzige Land, in dem die Erwerbslosenquoten für alle Bildungsniveaus gesunken sind.« (alle Zitate aus: Bildung auf einen Blick 2012: OECD-Indikatoren 2012 DEUTSCHLAND)

Auch dem deutschen Bildungssystem gelingt es also nicht, Fortschritte bei der Integration der Bildungsbenachteiligten zu machen. Nach wie vor ist fast jeder achte Jugendliche unter 29 weder in Arbeit, Ausbildung oder im Bildungssystem und dieser Anteil ist nicht geringer geworden.

»Wenn sich die Arbeitsmarktlage verschlechtert, spüren es junge Menschen am Übergang vom (Aus-)Bildungssystem zum Erwerbsleben meist am ehesten. Unter diesen Umständen ist es für sie oftmals extrem schwierig, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, da die Arbeitgeber die wenigen vorhandenen Arbeitsplätze eher mit erfahreneren Arbeitnehmern besetzen. Manchen Ländern gelingt es besser als anderen, junge Erwachsene (15- bis 19-Jährige) mit relativ niedrigem Bildungsstand in Beschäftigung zu bringen.«

Dazu gehört Deutschland nicht – trotz dualer Ausbildung. »In Ländern mit dualen Ausbildungsgängen im Rahmen des Sekundarbereichs II und des postsekundaren, nicht tertiären Bereichs gelang der Übergang vom Bildungssystem in das Beschäftigungssystem früher meist reibungsloser. Im Durchschnitt hat sich der relative Vorteil der Länder mit dualen Ausbildungsgängen während der Krise verringert.«

Bildungsausgaben

Nach wie vor sind die Bildungsausgaben im Verhältnis zum BIP in Deutschland unterdurchschnittlich und nur wenige Staaten geben relativ weniger für Bildung aus. »Trotz der in den letzten Jahren verzeichneten Zunahme liegt der Anteil am Volksvermögen, der in die Bildung investiert wird, in Deutschland immer noch deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Unter Berücksichtigung der Ausgaben aus öffentlichen und privaten Quellen wendet Deutschland 5,3% seines BIP für die Bildung auf (alle Bildungsbereiche zusammengenommen). Dies stellt einen Anstieg im Vergleich zu den 5,0% des Jahres 2005 dar (Tabelle B2.1), ist aber immer noch weniger als der OECD-Durchschnitt von 6,2%.« Gemessen an den Spitzenländern wie Island, Korea oder Dänemark mit 8% Bildungsausgaben am BIP hat Deutschland einen riesigen Nachholbedarf.

Die leichten Steigerungen des Anteils der Gesamtausgaben für Bildung am BIP ist auf die Steigerung der privaten Ausgaben – vor allem im Elementarbereich (Kindertagesstätten) zurückzuführen. Dass im Primarbereich die Ausgaben im Verhältnis zum BIP heute für Deutschland leicht über dem OECD-Durchschnitt liegen, womit dieser Bereich hier ein Alleinstellungsmerkmal hat, denn in allen anderen Bildungsbereichen hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher, ist vor allem auf den hohen Anteil der Elternbeiträge zurückzuführen. Die öffentlichen Ausgaben für die Elementarbetreuung sind nach wie vor unterdurchschnittlich. (Vgl. Tab B2.3, S. 295)

Das gilt in noch stärkerem Maße für die öffentlichen Ausgaben für die übrigen Bildungsbereiche. Entgegen den erklärten Zielen der Bundesregierung gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den Ländern, die von 2000 bis 2009 den Ausgabenanteil für Bildung an den öffentlichen Gesamtausgaben nicht gesteigert haben.


Fazit

Die OECD-Studie Bildung auf einen Blick 2012 belegt erneut die Schwachstellen des deutschen Bildungswesens: Aufstieg durch Bildung ist eine Illusion, die soziale Abschottung von Schule und Hochschule verändert sich nicht. Die mangelhafte finanzielle Ausstattung des Bildungswesens mit öffentlichen Mitteln, die dadurch steigende Bedeutung der Bildungsfinanzierung durch private Haushalte und Unternehmen verschärft diese Schieflage weiter. Der Streit mit dem Überbringer der Nachricht, in diesem Fall der OECD, hat die Aufgabe, von der Verantwortung für die nach wie vor nicht angegangenen Missstände an Deutschlands Schulen und Hochschulen abzulenken. Ein Umsteuern scheint nicht in Sicht.

Klaus Bullan ist GEW-Vorsitzender in Hamburg und Mitherausgeber von Sozialismus.

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