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28. März 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Wachstumsfreundliche Konsolidierung?

Die wachstumsfreundliche Konsolidierung ist die Leitlinie für die neoliberale Finanzpolitik. Unter dem Diktat der neuen Schuldenregelung und den Anforderung aus dem Fiskalpakt in der Euro-Zone soll das Ausgabenwachstum auf Bundesebene dauerhaft unter dem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts gehalten werden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung orientiert ihre Politik an dem Ziel der Reduzierung der Neuverschuldung.

Logischerweise schließt solch konsequente Austeritätspolitik die Gefahr einer Beschädigung des Wirtschaftswachstums ein. Die Bundesregierung proklamiert in diesem Fall die Versöhnung des Widerspruchs: Deutschland soll trotz Konsolidierung der öffentlichen Finanzen auch weiterhin Wachstumslokomotive in Europa sein.

Die Verpflichtungen aus der neuen Schuldenregel soll auf Bundesebene schneller erfüllt werden und das Ziel eines grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichenen Haushalts mit einer strukturellen Neuverschuldung von maximal 0,35% des Bruttoinlandprodukts bereits vor dem eigentlichen Zieljahr 2016 erreicht werden. Nach den neuen Finanzplänen soll der Bund schon 2014 mit dann 0,26% unter dieser Vorgabe bleiben. Für die Schuldenregel ist nicht die tatsächliche Neuverschuldung ausschlaggebend, sondern das um Konjunktureinflüsse und Einmaleffekte bereinigte Minus. Die Werte weichen erheblich von der Neuverschuldung ab.

Der deutsche Zielwert ist strenger als nach dem neuen europäischen Fiskalpakt, der eine Strukturdefizitquote von 0,5% vorschreibt. Im laufenden Jahr wird ein Strukturdefizit von 1,0% der Wirtschaftsleistung erwartet. 2016 sollen es nur noch 0,01% sein. Dann gibt es keine weitere Kreditermächtigung aus Konjunkturgründen, es müssten laut Schuldenbremse Überschüsse erwirtschaftet werden.

Während sich vor allem die südeuropäischen Länder mit schrumpfender Wertschöpfung, hoher Arbeitslosigkeit, sinkenden Steuereinnahmen und wachsender Staatsverschuldung herumschlagen, fährt die »europäische Wachstumslokomotive« Deutschland über zwar leicht verbogene, aber immer noch tragfähige ökonomische Gleise. Zwar ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland – preis-, saison- und kalenderbereinigt – im vierten Quartal 2011 nach vorläufigen Berechnungen um 0,2% im Vergleich zum Vorquartal zurück. Bezogen auf das Gesamtjahr ergab sich aber immer noch ein Zuwachs der wirtschaftlichen Leistung um +3,0% (kalenderbereinigt: +3,1%) – mit entsprechenden Konsequenzen für die staatlichen Steuereinnahmen. So verzeichnete allein der Bund 2011 ein Steuerplus von 23 Mrd. Euro (+10%) gegenüber 2010.

Entsprechend sonnig ist noch die Gemütsverfassung von Bundesregierung und Finanzminister, der verkünden kann, dass laut Eckwertebeschluss vom 21. März 2012 zum Bundeshaushalt 2013 und zur Finanzplanung bis 2016 der Bund bereits im Jahr 2014 – also zwei Jahre eher als vom Gesetzgeber vorgesehen – bei der strukturellen Neuverschuldung den Referenzwert von 0,35% des Bruttoninlandprodukts (BIP) unterschreiten wird.


Bei ihren Projektionen geht die Bundesregierung davon aus, dass die abgeschwächte weltwirtschaftliche Dynamik, die zur spürbaren Abkühlung der Konjunktur in Deutschland im Winterhalbjahr 2011/2012 geführt hat, im Verlauf des Jahres 2012 wieder zunimmt. Das deutsche BIP werde daher 2012 um real 0,7% wachsen. 2013 ff. soll sich die konjunkturellen Aufwärtsbewegung weiter fortsetzen. Im Durchschnitt der Jahre 2013 bis 2016 wird ein durchschnittliches BIP-Wachstum von 1,6% mit entsprechenden positiven Effekten für den Arbeitsmarkt erwartet.

Für 2012 muss die Koalition die Schulden allerdings wegen der europäischen Schuldenkrise gegenüber der bisherigen Planung noch einmal in die Höhe schrauben. Schäuble geht jetzt von einer Neuverschuldung 34,8 Mrd. Euro aus – statt den ursprünglich veranschlagten 26,1 Mrd. Euro. Grund ist eine Überweisung an den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM. Im Sommer muss Schäuble 8,6 Mrd. Euro zahlen. Zudem musste der Finanzminister auch noch den Gewinn, den er von der Bundesbank bekommt, nach unten korrigieren. Statt 2,5 Mrd. Euro wird es nur 640 Mio. Euro. geben. Ursache für den massiven Gewinneinbruch war vor allem die Erhöhung der Risikovorsorge angesichts der Euro-Schuldenkrise. Mit Milliardenrückstellungen sorgte die Bundesbank für mögliche Zahlungsausfälle vor. Die Rückstellung wurde von 3,6 Mrd. Euro im Vorjahr auf 7,7 Mrd. Euro mehr als verdoppelt.

Allerdings gab es auch positive Änderungen, die die Belastungen teilweise ausgeglichen haben. So kann Schäuble erneut mit steigenden Steuereinnahmen rechnen. Zudem konnte er die veranschlagten Zinsausgaben um 2,3 Mrd. Euro reduzieren. Deutsche Staatsanleihen gelten in der Euro-Krise als sichere Anlage. Die Investoren verlangen deshalb momentan nur sehr geringe Zinsen.

2013 sollen dann die Ausgaben des Bundes rund 300,7 Mrd. Euro betragen und damit das Soll des Jahres 2012 – 312,7 Mrd. Euro, einschließlich Nachtragshaushalt – deutlich unterschreiten. 2014 werden sich die Ausgaben auf 303,5 Mrd. Euro belaufen, 2015 sind es 307,9 Mrd. Euro und 2016 309,3 Mrd. Euro.

Da die Einnahmen im gleichen Zeitraum schneller steigen werden als die Ausgaben, sinkt die Neuverschuldung Schritt für Schritt. 2013 plant die Regierung mit einem Defizit von 19,6 Mrd. Euro, das sind etwa 15 Mrd. Euro weniger als in diesem Jahr. Im Jahr 2014 soll die Vorgabe des Grundgesetzes eingehalten werden, nach der die Neuverschuldung weniger als 10 Mrd. Euro betragen darf, wenn man Konjunktureffekte und Sondereinflüsse herausrechnet. Unter Einschluss dieser Faktoren ist die Neuverschuldung auch nach der neuen Finanzplanung dann noch etwa um die Hälfte höher. 2016 sollen es dann nur noch 1,1 Mrd. Euro sein. Damit wäre der Haushalt nahezu ausgeglichen.

Möglich wird die Konsolidierung vor allem durch die gute Konjunktur und die hohe Beschäftigung, die für Überschüsse in den Sozialkassen gesorgt hat.


Als die schwarz-gelbe Bundesregierung im Sommer 2010 vor dem Hintergrund einer allmählich anziehenden Konjunktur unter Verweis auf die von einer Allparteienkoalition außer der LINKEN beschlossenen »Schuldenbremse« ( die jetzt mit dem »Fiskalpakt« und der Maßgabe, das strukturelle [um Konjunktur- und einmalige Einflüsse bereinigte] Staatsdefizit auf 0,5% des BIP begrenzen, »europäisiert« wurde. Weitere Maßgabe: Wer Staatsschulden von mehr als 60% des BIP hat, muss den darüber hinausgehenden Teil jährlich um durchschnittlich einen Zwanzigstel reduzieren.) den Hebel von Staatsinterventionismus auf eine rigorose Austeritätspolitik umgelegt hat, waren die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven keineswegs rosig und die Wirkungen dieser Sparpolitik noch heftig umstritten. In den damaligen Planungen ging Schwarz-Gelb von einer kumulierten Neuverschuldung im Zeitraum 2011 bis 2015 von 177,4 Mrd. Euro aus. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein »Zukunftspaket« geschnürt, das in einer Mischung aus bescheidenen Mehreinnahmen und rigorosen Ausgabenkürzungen die Neuverschuldung im Zeitraum 2011 bis 2014 um 82 Mrd. Euro senken sollte. Das Hauptsparschwein war die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Auf sie allein entfielen 30 Mrd. Euro der geplanten Ausgabenkürzungen.

Zur Sanierung des Bundeshaushalts konzentriert sich der Finanzminister auch jetzt vor allem auf die Sozialkassen. Die Kürzungen summieren sich in diesem Bereich 2013 auf fünf Mrd. Euro und in den Folgejahren auf jeweils zwei Mrd. Euro. So wird der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds 2013 einmalig um zwei Mrd. Euro gesenkt. Die Überweisung an die Rentenkasse sinkt 2013 um eine Mrd. Euro, bis 2016 um insgesamt 4,75 Mrd. Euro. Bei der Bundesagentur für Arbeit werden 2013 insgesamt zwei Mrd. Euro und dann jährlich eine Mrd. zur Sanierung des Etats abgezogen. Die Sozialkassen könnten dies Dank üppiger Überschüsse – so die These – verkraften. Für Schäuble hat das den Vorteil, dass er die Neuverschuldung im Wahljahr 2013 von rund 35 Mrd. Euro in diesem Jahr auf 19,6 Mrd. Euro senken kann. Damit wollen sich Union und FDP den WählerInnen als Koalition der »Sanierer« stellen.

Logischerweise halten die Akteure des bürgerlichen Lagers auch einige Vorteile für ihr Klientel bereit. Für 2013 sind Steuersenkungen geplant, aber noch nicht beschlossen.  Ebenso das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in einem Kindergarten geben wollen. 2013 sind für das Betreuungsgeld 400 Mio. Euro geplant. Ab 2014 sollen es jährlich 1,2 Mrd. Euro sein. Das Geld muss aber noch erwirtschaftet werden – durch zusätzliche Einsparungen oder Einnahmen. Möglicherweise müssen alle Ministerien Abstriche hinnehmen. In der Etatplanung ist ab 2014 nur eine globale Minderausgabe vorgesehen.

Für Infrastrukturausgaben sind jährlich mehr als 10 Mrd. Euro vorgesehen. Mehr Geld fließt in Bildung und Forschung. Für Entwicklungspolitik sind mehr als 800 Mio. zusätzlich geplant. Unterstellt sind auch wieder steigende Zinskosten.

Während die Einsparungen bei Hartz IV EmpfängerInnen und Bundesagentur für Arbeit auch rigoros umgesetzt worden sind bzw. noch werden, sind die eingeplanten Einnahmeerhöhungen, die der ganzen Sparoperation noch einen Hauch von sozialer Symmetrie verleihen sollten, Makulatur geblieben. Der Ausgleich der Energiewirtschaft ist wegen der »Energiewende« perdu und die Finanzmarkttransaktionssteuer, die zwei Mrd. Euro bringen sollte, wird es wohl auch 2013 nicht geben. Stattdessen findet ein zusätzlicher Griff in die Sozialkassen statt. Begründung: Wenn die Sozialversicherungen wegen der guten Lage die Steuerzuschüsse nicht benötigten, sei es geboten, diese zu reduzieren. Die von der Bundesregierung zur Entlastung des Bundeshaushalts 2013 geplanten Einsparungen bringen kaum strukturelle Verbesserungen, da sie zum Teil lediglich Verschiebungen zwischen den staatlichen Ebenen darstellen. Die Bundesregierung hat die angestrebte Konsolidierung nicht realisiert .Der Rückgang der Haushaltsdefizite ist vor allem der guten Konjunktur zu danken.

Selbstverständlich feiert die Bundesregierung ihre Haushaltspolitik als »guten Erfolg einer auf Konsolidierung und Wachstum ausgerichteten Politik«, mit der Deutschland seiner Vorbildfunktion für solide öffentliche Finanzen in Europa gerecht werde. Locker kann der Bundesfinanzminister dabei der aus dem eigenen Lager (FDP) und mindestens Teilen der SPD geäußerten Kritik begegnen, nicht noch rigoroser zu sparen. Bundesbankpräsident Weidmann hat kritisiert, es sei »nicht gerade ambitioniert, dass das strukturelle Defizit des Bundes in diesem Jahr ansteigen soll, und dass der Bund seinen Haushalt erst 2016 ausgleichen möchte«.

Finanzminister Schäuble verweigert lässig einen härteren Sanierungskurs und verweist auf internationale Kritik. So hätten anderen EU-Länder und auch der Internationalen Währungsfonds (IWF) von Deutschland gefordert, die Staatausgaben nicht zu stark zu kürzen, um die Wirtschaft in anderen Ländern nicht zu schwächen. Durch die umsichtige Politik bleibe man »Wachstumslokomotive in Europa«, sagte Schäuble.

Allerdings ist diese rigoros an der (vorzeitigen Einhaltung der) Schuldenbremse ausgerichtete Politik weder »wachstumsorientiert« noch »umsichtig«. Sie profitiert ausschließlich von der positiven Konjunkturentwicklung. Der Eigenbeitrag ist volkswirtschaftlich negativ, weil die rigorosen Ausgabenkürzungen bei Arbeitsmarkt- und Sozialleistungen das wirtschaftliche Wachstum dämpfen und die soziale Spaltung in der Berliner Republik vertiefen. Nicht mal in Ansätzen erkennbar sind Anstrengungen zur Auflösung des Investitionsstaus in der öffentlichen Infrastruktur, da die Investitionsausgaben zurückgefahren und Ausgabenniveaus etwa für Straße und Schienen eingefroren worden sind. Auch bei der berühmten »Energiewende« sind kaum Impulse für einen energiepolitische Umbau erkennbar. So wurden dem Sondervermögen »Energie- und Klimafonds«, nachdem die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer von jährlich eine Mrd. Euro wegen der »Energiewende« ausgeblieben sind, lediglich die in anderen Teilen des Etat veranschlagten Einnahmen aus CO2-Erlösen zugeschlagen.

Sollte die Konjunkturentwicklung infolge des harten Konsolidierungskurses in Europa doch schleppend ausfallen und wegen der  Europäische Schuldenkrise ihre Wirkungen auf Konjunktur und Bundeshaushalt weiter verstärken, wird die vorgelegte Konsolidierungsperspektive scheitern . Dann wird auch deutlicher sichtbar werden, dass die einseitige Ausrichtung der Konsolidierungspolitik an Ausgabenkürzungen perspektivlos ist. Vernünftige öffentliche Dienstleistungen, eine gut ausgebaute, moderne Infrastruktur, eine zukunftsorientierte wirtschaftliche Strukturpolitik und ausgeglichene öffentliche Finanzen sind nur zu haben, wenn Unternehmen und Vermögensbesitzer an seiner Finanzierung angemessen beteiligt werden.

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