Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
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126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Peter Wahl
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Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
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100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

22. Juni 2016 Otto König / Richard Detje: Pedro Pablo Kuczynski neuer Präsident Perus

Wahl des kleineren Übels

Mit knapper Mehrheit wählten die Peruaner Pedro Pablo Kuczynski zu ihrem neuen Präsidenten und erteilten Keiko Fujimori, Tochter des früheren Despoten Alberto Fujimori, zum zweiten Mal eine Abfuhr. Mit 50,12% gewann der wirtschaftsliberale Kandidat des Mitte-Rechts-Bündnisses »Peruanos Por el Kambio« (Peruaner für den Wandel) denkbar knapp die Stichwahl.

Seine rechts-populistische Konkurrentin von der »Fuerza Popular« (»Kraft des Volkes«) kam auf 49,88% der insgesamt 23 Millionen Wahlberechtigten. Es ist das engste Wahlergebnis in der Geschichte Perus.

Der 77-jährige ehemalige Banker mit deutsch-französischen Wurzeln,[1] der nicht als Politiker, sondern als Wirtschaftswissenschaftler bezeichnet werden möchte, ist damit neuer Staatschef und Nachfolger von Ollanta Humalas, der nach fünfjähriger Amtszeit nicht wieder antreten konnte. Für den peruanischen Soziologen Héctor Béjar ist der ehemalige Wall-Street-Manager ökonomisch neoliberal ausgerichtet und orientiert sich außenpolitisch an den USA.

Erst recht nach der Stichwahl, aber auch schon nach dem ersten Wahlgang ließen die Devisenhändler die Sektkorken knallen. Nachdem die linke Kandidatin Veronika Mendoza der »Frente Amplio«, einem Bündnis von kleinen Linksparteien, Gewerkschaftsgruppen, indigenen Gemeinschaften, Kleinbauernvereinigungen, feministischen Gruppen und Jugendorganisationen, ausgeschieden war, schnellte der Aktienindex um neun Prozent nach oben. Insbesondere die Aktien der Bergbaubranche wie die von Minsur und Volcan Cia Minera schossen regelrecht in die Höhe.

Hatte doch Mendoza als einzige Kandidatin eine Neuverhandlung der Verträge und Konzessionen bei Bergbau, Öl und Gas gefordert. Auch der IWF korrigierte die Wachstumsaussichten für das Land nach oben: für das laufende Jahr von 3,3 auf 3,7% und für 2017 von 3,6 auf 4,1% (ARD.de, 10.6.2016).

Letztlich hat die tiefe Abneigung einer knappen Mehrheit der Peruaner gegen den Namen Fujimori den Wirtschaftsliberalen Kuczynski zur Macht verholfen. Die WählerInnen sahen in ihm das kleinere politische Übel. Es war die »Anti-Fujimorismo«-Bewegung – »No a Keiko« (Nein zu Keiko) – die einen Wahlsieg der Tochter des ehemaligen Diktatoren verhindert hat. Auch Veronika Mendoza rief ihre Anhänger vor der Stichwahl zur Stimmabgabe für Kuczynski auf, da »die größte Gefahr für unsere Demokratie in einer möglichen Rückkehr zum Fujimorismo liegt«.

Damit wurden zwar keine Weichen für eine soziale Entwicklung gestellt, jedoch Zeichen gesetzt gegen antidemokratische Praktiken und die skrupellose Verfolgung politischer Gegner durch Todesschwadronen sowie gegen Menschenrechtsverletzungen wie die Zwangssterilisierung von indigenen Frauen.

Das Verschwinden lassen von neun Studenten und einem Professor der Universität La Cantuta durch eine Spezialeinheit der Streitkräfte am 18. Juli 1992 war eines der Verbrechen, für die der Ex-Präsident Alberto Fujimori zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war. Juristisch bisher nicht aufgearbeitet sind die Zwangsterilisationen. Die meisten Opfer waren Indigene der Volksgruppe der Quechua. Amnesty International schätzt, dass zwischen 1995 und 2000 im Rahmen eines Regierungsprogramms, das den irreführenden Namen »Reproduktive Gesundheit und Familienplanung« trug, etwa 350.000 Frauen und rund 250.000 Männer durch gezielte Eingriffe von Ärzten des staatlichen peruanischen Gesundheitswesens unfruchtbar gemacht wurden (FAZ 3.6.2016).

Die Kandidatin Keiko Fujimori hatte zwar versucht, sich im Wahlkampf von dieser Tradition abzugrenzen, doch ihr neoliberales Programm ähnelte zu stark den Versprechen ihres Vaters, der dem Land in der Zeit 1990 bis 2000, unter dem Beifall des Internationalem Währungsfonds und der Weltbank, den neoliberalen »Fuji-Schock« verordnet hatte. Unter anderem wurden Entlassungen von Arbeitern vereinfacht, die Arbeitszeiten verlängert und die Verhandlungsrechte der Gewerkschaften eingeschränkt, was die vorherrschende soziale Ungleichheit nachhaltig vertiefte.

Dennoch ist der Fujimorismo weit davon entfernt, aus Peru zu verschwinden – im Gegenteil: Besonders in ländlichen Gegenden und ärmeren Bevölkerungsschichten verfügt die »Fuerza Popular« nach wie vor über einen starken Rückhalt. Da diese rechte Bewegung die absolute Mehrheit im Parlament innehat, »werden wir eine Konfrontation zwischen dem Liberalismus der Mitte von Kuczynski und einem mafiösen Neoliberalismus wie den des Fujimori-Clans beobachten können«, schätzt Hector Béjar ein (Amerika 21, 11.6.2016).

Der Wahlausgang ist allerdings kein weiterer Beleg eines derzeit zu beobachtenden Rechtstrends in Lateinamerika – sei es bei Wahlen in Argentinien oder dem »kalten Putsch« in Brasilien. Veronika Mendoza weist in einem Interview mit npla darauf hin, dass die Linke in der Geschichte Perus nie eine starke Kraft war. Die in den 1980er Jahren entstandenen Guerilla-Bewegungen »Leuchtender Pfad« und »Túpac Amaru« würden bis heute dazu benutzt, linke Bewegungen im Land als gewalttätig zu stigmatisieren.

Die Verfolgung und Kriminalisierung der Spitzen der linken und sozialen Bewegungen sowie der Gewerkschaften während Diktatur des Fujimorismo hat die Linke geschwächt und es hat viel Kraft gekostet, »unsere Identität wiederzuerlangen und uns neu zu organisieren, nachdem wir die Demokratie wieder aufgebaut hatten«, so Mendoza. Jetzt sei ein ausgewogenes Angebot an politischen Visionen und Ideologien notwendig, um nicht von der neoliberalen Hegemonie überrollt zu werden (5.6.2016).

Die kommende Regierung unter Kuczynski muss die im Wahlkampf versprochenen Veränderungen realisieren, um das Land bei einigen großen Problemen voranzubringen: Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung, Gerechtigkeit, Kampf gegen Korruption und Kriminalität. Gut ein Fünftel der Peruaner ist arm, zehn Millionen Menschen sind zum Beispiel nicht an das Trinkwassernetz angebunden.

Es bedarf einer klaren Reglementierung des Rohstoffabbaus, denn die Orientierung auf den Bergbausektor und den Export bereitet dem Land erhebliche soziale Probleme. 80% der Exporteinnahmen stammen aus der Ausfuhr von Kupfer, Gold und Silber. Die gesunkenen Weltmarktpreise für Metalle haben das Wachstum stark abgeschwächt.

Wenn Kuczynski seine Versprechen erfüllen will, muss er versuchen, andere Wirtschaftszweige und weiterverarbeitende Industrien zu fördern, um Arbeitsplätze zu schaffen und dem Staat zu neuen Einnahmen zu verhelfen. Damit könnte mehr Geld für Sozial- und Bildungsprogramme generiert werden. Wieviel der neue Präsident von diesen politischen Vorstellungen durchsetzen kann, hängt letztlich aber auch davon ab, zu welchen Kompromissen die »Fuerza Popular« (FP) im Parlament bereit ist.

Denn mit 73 von 130 Mandaten besitzt Keiko Fujimoris FP als stärkste Fraktion eine klare Mehrheit. Kuczynskis »Peruanos por el Cambio« verfügt nur über 18 Mandate und liegt damit noch hinter der linken Fraktion »Frente Amplio«, die 20 Abgeordnete stellt. Es könnte durchaus sein, dass Peru die nächsten Jahre politisch blockiert ist oder wie unter der Präsidentschaft Humalas vom Druck der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften rund um die zahlreichen Minenkonflikte des Andenstaates geprägt sein wird.

Ein erster Konflikt steht dem neugewählten Präsidenten mit dem US-Hedgefonds Gramercy ins Haus. Dieser fordert von Peru die Rückzahlung von Staatsanleihen in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar aus einer Agrarreform während der Militärdiktatur (1968–1980). Damals war Großgrundbesitz mit einer Gesamtfläche von rund zehn Millionen Hektar enteignet und in Eigentum von Genossenschaften umgewandelt worden. Knapp 90% der Entschädigungssumme für die Enteigneten wurden in langfristigen Staatsobligationen getätigt.

In den folgenden Wirtschaftskrisen verloren die Anleihen massiv an Wert. Um den wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern, unterzeichneten die folgenden peruanischen Regierungen zahlreiche bilaterale Freihandelsabkommen, so auch das »United States-Peru Trade Promotion Agreement« mit den USA.

Im Zuge dieses 2009 in Kraft getretenen Pakts kaufte der »Geierfonds« (so nannte die frühere argentinische Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner die Hegde-Fonds) Gramercy die Staatsanleihen billig auf – in der Hoffnung auf eine volle Rückzahlung durch den peruanischen Staat. Der lehnt dies aktuell ab: Es werde versucht, die Rechte Perus auf Kosten der Bevölkerung zu beschneiden, um lediglich »Privatinteresse« durchzusetzen, heißt es laut der amtlichen Nachrichtenagentur Andina aus dem Wirtschaftsministerium. Das Beispiel Argentinien zeigt jedoch: Es braucht nur einen Schiedsspruch eines US-Gerichts und einen neoliberalen Präsidenten, und schon fließt das Geld in die Taschen der Spekulanten.

[1] Pedro Pablo Kuczynski wurde 1938 in Lima als Sohn des jüdischen Arztes Max Kuczynski, der vor den Nazis von Berlin nach Peru fliehen musste, und der Schweizerin Madeleine Godard geborenen Pedro Pablo geboren. In London studierte er Flöte und Klavier und in Oxford Wirtschaftswissenschaften und Philosophie. Danach widmete er sich an der US-Universität von Princeton als Postgraduierter ganz der Ökonomie. Zu seinen europäischen Verwandten gehören: Jean-Luc Godard, französisch-schweizerischer Filmemacher, und der verstorbene DDR-Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski (TAZ, 8.6.2016).

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