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27. Juli 2015 Joachim Bischoff / Björn Radke: Verhandlungen für ein 3. Hilfspaket

Warum immer neue Finanzhilfen benötigt werden

Die griechische Linksregierung hat beim Internationalen Währungsfonds (IWF) offiziell neue Finanzhilfen beantragt. In einem Schreiben bat der Finanzminister um einen dreijährigen Kredit. Der Fonds erklärte daraufhin, mit Athen und den europäischen Gläubigern sprechen zu wollen, um einen Zeitpunkt für die Aufnahme von Verhandlungen festzulegen. Das griechische Parlament hatte zwei Reform- und Sparpakete verabschiedet und damit den Weg für Gespräche über ein drittes Hilfspaket geebnet.

Formell läuft für Griechenland noch ein IWF-Kreditabkommen bis 2016. Allerdings hatte das Land eine Rate erst mit einiger Zeitverzögerung beglichen, nachdem es eine Brückenfinanzierung von 7,1 Mrd. Euro seitens der europäischen Gläubiger erhalten hatte. Laut Beschluss des Euro-Gipfels von Mitte Juli mussten nun auch Hilfen beim Währungsfonds beantragt werden.

Die griechische Regierung hatte in den Verhandlungen mit den EU-Institutionen Vorbehalte gegenüber einer weiteren Beteiligung des IWF geäußert. Einerseits wollte Athen den Währungsfonds nicht dabeihaben, konnte sich damit bei den europäischen Gläubigern jedoch nicht durchsetzen. Andererseits hat der IWF deutlich gemacht, dass es für ein drittes Hilfspaket Schuldenerleichterungen für Athen geben müsse, was die griechische Regierung begrüßt, die europäischen Gläubiger, allen voran Deutschland, aber ablehnen.

Für das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland drängt die Zeit: Nach Einschätzung der internationalen Gläubiger benötigt das Land in den kommenden drei Jahren zwischen 82 und 86 Mrd. Euro. Am 20. August muss Athen knapp 3,2 Mrd. Euro an die EZB zurückzahlen, im September werden weitere 1,5 Mrd. Euro an den IWF fällig. Spätestens bis Mitte August müssen deshalb die Verhandlungen abgeschlossen sein, weil die Parlamente in Griechenland und in anderen Eurostaaten einem Abkommen noch zustimmen müssen.

Die Problemkonstellation

Das Kernproblem Griechenlands ist der anhaltende Schrumpfungsprozess der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Nach einer faktischen Stagnation im Jahr 2014 (BIP-Zuwachs + 0,8%) hat sich die rezessive Entwicklung mit dem 4. Quartal 2014 fortgesetzt. Durch den langwierigen und letztlich abgebrochenen Verhandlungsprozess, die Einführung der Kapitalverkehrskontrollen und die Probleme mit der Geldversorgung durch die Bankenschließung hat sich der Prozess beschleunigt. Auch 2015 ist mit einer weiteren Schrumpfung von 2-4 % des BIP zu rechnen.

Die Erholung in Griechenland, die nach einer langen und tiefen Krise Anfang 2014 endlich eingesetzt hatte, ist schon im Schlussquartal des letzten Jahres und damit vor den Neuwahlen und der durch diese ausgelösten Unsicherheit wieder zum Erliegen gekommen. Das BIP schrumpfte in den beiden letzten Quartalen gegenüber dem Vorquartal um 0,4% bzw. 0,2%. Für Athen bewahrheiten sich damit Befürchtungen, dass wegen des Kurswechsels der neuen Regierung und des Schuldenstreits mit seinen Geldgebern die vorherige Konjunkturerholung nicht fortgesetzt werden konnte.

Die Gläubiger haben in dem langwierigen Verhandlungsprozess mit der griechischen Linksregierung alles getan, um Griechenland aus der Eurozone hinauszudrängen. Das berüchtigte Schäuble-Papier enthielt gegenüber einem harten Reform- und Austeritätsprozess folgende Alternative: »Im Fall, dass Schuldentragfähigkeit und eine glaubhafte Umsetzungsperspektive nicht vorab zugesichert werden können, sollten Griechenland rasche Verhandlungen über eine Auszeit von der Eurozone über mindestens die kommenden fünf Jahre mit möglicher Schuldenumstrukturierung angeboten werden, wenn nötig in einem Format des Pariser Clubs. Nur dieser Weg vorwärts würde eine ausreichende Schuldenrestrukturierung erlauben, die mit einer Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht vereinbar wäre (Art. 125 AEUV). Die Auszeit-Lösung sollte begleitet werden, indem Griechenland als EU-Mitglied und das griechische Volk über die kommenden Jahre mit Wachstumsförderung, humanitärer und technischer Hilfe unterstützt werden. Die Auszeit-Lösung würde auch begleitet von der Konsolidierung aller Pfeiler der Wirtschafts- und Währungsunion und konkreten Maßnahmen, um die Steuerung der Eurozone zu stärken.«[1]

Griechenland sollte selbst einen zeitweiligen Austritt aus dem Währungsgebiet des Euro beantragen oder darüber selbst entscheiden. Rechtlich gibt es keinen Weg, ein Land aus dem Euro hinauszudrängen. Aber faktisch hatte die EZB dafür das Instrument, indem sie den Banken keine Liquidität mehr bereitstellt. Die Griechen hätten keine Alternative gehabt, wenn die EZB das Bankensystem hätte kollabieren lassen. Keine Regierung mit ein wenig Verantwortungsgefühl jedoch würde das Bankensystem kollabieren lassen und einen großen Teil der Wirtschaft mit sich reißen. Das hätte Griechenland aus dem Euro gezwungen und den Gläubigern auch noch moralisch geholfen: »Es war doch eure Entscheidung!«

Die griechische Regierung konnte eine solche Entwicklung abwenden und einen politischen Kompromiss erreichen: Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket. Für die konkrete Vertragsausarbeitung gibt es einen engen Zeitrahmen. Zugleich müssen parallel zu der Aushandlung eines dritten Hilfspakets die rezessiven Tendenzen in der Ökonomie zurückgedrängt und unter Fortführung der Kapitalverkehrskontrollen ein hoher Grad der Normalisierung der ökonomisch-sozialen Prozesse erreicht werden.

In den Verhandlungen mit den Institutionen geht es um die Bedingungen für die Gewährung weiterer Kredite. Mit den in Aussicht gestellten Finanzhilfen von brutto 82 Mrd. Euro seitens des ESM verschärft sich allerdings Griechenlands Schuldensituation weiter. Die Austeritätspolitik der letzten Jahre hat die Bedingungen des Wirtschaftens nicht verbessert. Zugleich steht außer Frage, dass die griechischen Schulden nicht tragbar sind. Dieser gordische Knoten wird nicht leicht auflösbar sein. Griechenland Wirtschaft wird nicht auf die Beine kommen, ohne dass die Schuldentilgungen gestreckt oder mindestens zeitweilig eingefroren werden.

Die Schuldenquote ist beim aktuellen Niveau von 175% des BIP nicht tragfähig, selbst wenn hohe Zuwachsraten beim Wirtschaftswachstum sie langfristig reduzieren können. Die aktuelle Situation in Griechenland zeigt jedoch, dass hohe Wachstumserwartungen keine plausible Annahme darstellen: Die deutlichen Steuererhöhungen und weitere Beschneidung von Transfereinkommen (Renten, Arbeitseinkommen) weisen eher auf eine Verfestigung der sozio-ökonomischen Abwärtsspirale hin. Klare Anzeichen von fiskalischer Ermüdung (»fiscal fatigue«) zeigen, dass Griechenland kurzfristig wachsen muss, um Institutionen und Gesellschaft zu stabilisieren und das Vertrauen in die Ökonomie wiederherzustellen.

Aber ohne ein drittes Hilfspaket wäre der Staatskonkurs nicht aufzuhalten. Werfen wir einen Blick auf das im Detail noch auszuverhandelnde Konzept:

Auch bei dem dritten Finanzpaket fällt auf, dass die Mittel vorrangig zur Begleichung von Tilgungsrückständen eingesetzt werden. Ein weiter wichtiger Posten ist die Sanierung der griechischen Banken. Zu dem Finanzpaket tragen die Privatisierung des öffentlichen Eigentums und einer kleiner Überschuss des Primärhaushaltes ein wenig bei (zusammen 8,5 Mrd. Euro).

Diese Struktur ist aus den beiden vorangegangenen Programmen bekannt. Fast zwei Drittel der Ressourcen (66,1%) gehen erneut in die Refinanzierung der Schulden und der Banken. Von den 240 Mrd. Euro, die das zweite Hilfspaket 2012 umfasste, hat Griechenland nur 27 Mrd. Euro für den eigenen Staatshaushalt verwendet. Der Großteil (88%) ging allein für den Schuldendienst drauf. Das Land hat damit Altschulden bezahlt, seine bedrohten Banken gerettet und Zinsen für seine Schulden bezahlt. Das war nicht wirklich eine Hilfe für Griechenland, denn weil die zwei bisherigen Hilfspakete nur Kreditpakete waren, haben sie inklusive der Zinslast die Schulden nur erhöht, statt sie zu senken – zugleich kam kaum irgendetwas von dem Geld wirklich in dem Land an.

Die griechische Zinslast beträgt ca. 4% des BIP. 70% der Staatsverschuldung werden von EU und IWF gehalten. Ein Zinsverzicht könnte eine deutliche Entlastung sicherstellen.

Vorausgesetzt, dass es zu einer raschen Vereinbarung über die neuen Kredite kommt, dürfte die griechische Staatsschuldenquote in den kommenden zwei Jahren bis zu 200% des Bruttoinlandprodukts (BIP) erreichen. Das ist die These der aktuellen Schuldentragbarkeitsanalyse des IWF.[2]

Der Schuldenstand Griechenlands liegt heute bei fast 180% der Wirtschaftsleistung. Aber wenn man sich die Schuldenrestrukturierung der letzten Jahre anschaut, wird man sehen, dass die Zinsen, die der Staat für seine Schulden aufbringen muss, stark zurückgegangen sind. Die Laufzeit der Schulden hat sich verdoppelt. Berechnet man den Nettobarwert von Zinszahlungen und Rückzahlungen der Schulden, ergibt sich ein Schuldenstand von nur der Hälfte der 180%, d.h. dass Griechenland einen nachhaltig tragbaren Schuldenstand hat. Das aktuelle Problem des Landes heute ist deshalb nicht so sehr der Schuldenstand.

Zinszahlungen in % des BIP

 

Griechenland zahlt auf seine gesamte Staatsschuld im Durchschnitt nur einen Zins von weniger als 4%.

Die IWF-Analysen bestätigten, dass unter den derzeitigen Vorzeichen »signifikante Zugeständnisse« notwendig wären, damit Griechenland aus der Negativspirale aus Spardruck und Konjunkturschwäche herauskommt – wobei »Zugeständnisse« eine weitere Umschuldung oder letztlich Schuldenschnitt bedeuten. Mit dem neuen Hilfspaket steigt die Schuldenquote auf ca. 200%.

Selbst unter dem optimistischsten Szenario eines Wirtschaftswachstums von 4% pro Jahr habe Athen laut IWF keine Chance, den Schuldenberg bis auf »deutlich unter 110% des BIP bis 2022« – das von der Troika vorgegebene Ziel – abzubauen. Der IWF fordert daher einen Schuldenschnitt, da seine Vergaberegeln eine Schuldenquote von höchstens 120% vorsehen.

Die europäischen Gläubiger sehen die Schuldentragfähigkeit Griechenlands weniger kritisch. Aktuell gebe es eine Tragfähigkeit, weil Athen erst ab 2023 wieder Schulden begleichen müsse und die Laufzeiten 30 Jahre plus betrügen. Daher gebe es heute kein Problem, weder für den griechischen Haushalt noch die Gläubiger, die bis dahin ohnehin kein Geld zurückbekämen. Der IWF fordert zumindest eine Frist von 30 Jahren, bevor die Hellenen wieder beginnen, irgendetwas zurückzahlen. Bis dahin könnte das Wachstum, das es hoffentlich wieder gibt, die Schuldenquote auf ein erträgliches Maß drücken.


Warum immer neue Kredite?

Woher kommt der beständig erneuerte Bedarf an neuen Finanzmitteln, mit denen letztlich aber die Alt-Schulden refinanziert werden?

Die Abbildung macht die Zunahme der Bruttoverschuldung in Prozent des BIP seit 2008 deutlich (dunkle Linie). Die helle Linie zeigt die Zunahme allein durch den BIP-Rückgang (weil der Nenner in der Berechnung der Quote – Verschuldung/BIP – schrumpft). Die Verschuldung ist aber auch unabhängig davon deutlich weiter gestiegen, weil die Einnahmen zurückgehen und die Sozialkosten steigen. Entscheidend aber ist der Sparzwang, durch den die Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung befördert wird.

Ein Schlüsselproblem besteht darin, dass die Gläubiger Griechenlands auf immer umfassenderen Sparprogrammen bestanden haben. Dieser Ansatz behindert die wirtschaftliche Erholung, lähmt das Wachstum und verschärft den Schulden-Deflations-Zyklus. Die bisherigen griechischen Regierungen haben unter dem Druck der Verhältnisse eine Therapie akzeptiert, die sich in den letzten fünf Jahren als schlimmer erwiesen hat als die Krankheit selbst.

Griechenland steht in der Frage der Schuldentragfähigkeit keineswegs allein in einer schwierigen Konstellation. Die nachfolgende Tabelle belegt, dass auch andere Länder wie Irland, Portugal und Spanien keineswegs auf der sicheren Seite der Entwicklung stehen.

Staatliche Zinsausgaben der EU-Länder (in € je Einwohner)

Alle europäischen Krisenländer, aber auch die mit hohen Staatsschulden kämpfenden Länder Belgien und Italien, sind in Programme zum Schuldenabbau und die dafür notwendigen Anpassungen im Staatshaushalt sowie an Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eingebunden. Sie sollen über einen Prozess der »inneren Abwertung« Sozialstandards und Lohneinkommen reduzieren, damit Leistungsbilanzdefizite rückgängig gemacht werden.

Es sollen im Finanzhaushalt (hohe) Primärüberschüsse erzielt werden, d.h. die Haushaltsdefizite werden durch Kürzungen der Ausgaben und Erhöhung von Steuern drastisch zurückgefahren, und dies soll zugleich einen wirtschaftlichen Strukturwandel einleiten, so dass die Länder wieder auf den internationalen Märkten wettbewerbsfähig werden. Für diese »innere Abwertung« – im Gegensatz zu einer externen Abwertung über den Wechselkurs – sollen Lohnsenkungen und Produktivitätssteigerungen erzwungen werden.

Solche »Rosskuren« führen aber in erster Linie zum massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit und drastischer Verminderung des Lebensstandards der Mehrheit der Bevölkerung, was sich in einen Abwärtstrend der Realökonomie umsetzt. Aggressive Sparprogramme in einer Rezession können in einen Teufelskreis münden: Sinkende Wirtschaftsleistung, schrumpfende Steuereinnahmen und niedrigere Staatsausgaben verstärken sich gegenseitig.

Konsequenz: In allen Krisenländern steigen die Staatsschuldenquoten weiter an. Grund dafür ist, dass zur Stabilisierung der Quote (unterschiedlich hohe) Primärüberschüsse nötig sind, und dass das BIP schrumpft. Ein europäisches Wachstums- und Investitionsprogramm ist über einen völlig unterdimensionierten Ansatz nicht hinausgekommen. Der politisch erzeugte realwirtschaftliche Abwärtskurs wird auf die anderen europäischen Nachbarländer und die Globalökonomie übertragen. Das Scheitern des »Austeritätsregime« in der Euro-Zone ist offenkundig.


Neue Gelder für Investitionen

Entscheidend für den Abbau der Staatsschuldenquote und die Rückkehr zu einem stabilen Entwicklungspfad sind die Investitionen. Griechenland kann wachsen. Für einen tragfähigen Schuldenstand wäre eine nominale Wachstumsrate – das heißt einschließlich der Inflation – von 2% wichtig. Das ist nach einer langen Abwärtstendenz nicht besonders schwer zu erreichen. Aber man muss dem Land die Möglichkeit geben zu wachsen. Aktuell sind die Preise in Griechenland immer noch am Fallen. Man muss das Land aus der Deflation bringen.

Einziger Ansatzpunkt in Griechenland: das europäische Investitionsprogramm mit gut 35 Mrd. Euro zur Förderung des griechischen Wirtschaftswachstums. Dabei handelt es sich um jene Posten im EU-Haushalt, die für die Zeit von 2014 bis 2020 ohnehin für Griechenland zur regionalen Entwicklung, KMU, Landwirtschaft und anderes budgetiert waren. Tatsächlich betragen die zusätzlich locker gemachten oder vorgezogenen Geldspritzen für die Griechen deutlich unter fünf Mrd. Euro.

Dies mag auf den ersten Blick als völlig unzureichend erscheinen, aber wir reden über ca. fünf Mrd. Euro in einem Drei-Jahresprogramm. Sicherlich wäre eine weitgehende Neugewichtung von Sparmaßnahmen und Wachstumsimpulsen wünschenswert, aber unter den gegebenen Bedingungen bleibt allein dieser Ansatz. Und es ist denn Versuch wert.

Der IWF pocht darauf, dass nicht erst nach dem Nachweis eines erfolgreichen Übergangs zu einem Wachstumskurs über die längere Perspektiven der Umschuldung gesprochen oder verhandelt werden muss. Der Fonds hält die aktuelle Schuldenlast für nicht tragbar. Die dramatische Verschlechterung der Situation wegen der erneuten rezessiven Entwicklung seit dem 4. Quartal 2014 und im den ersten Halbjahr 2015 sowie der Schließung des griechischen Bankensystems mache einen Schuldenerlass nötig, der weit über das hinausgehe, was bisher in Betracht gezogen worden sei.

Sollten die europäischen Institutionen weiterhin nur Schuldenerleichterungen durch Streckung der Tilgungsraten gewähren wollen, müssten diese »sehr dramatisch« ausfallen. Der Tilgungsaufschub für den ganzen griechischen Schuldenstock gegenüber Europa inklusive der neuen Kredite müsste demnach etwa 30 Jahre betragen. Andere Optionen bestünden in jährlichen Transfers an den griechischen Haushalt oder einem massiven Schuldenschnitt.

In der Erklärung des Euro-Gipfels wird ein Schuldenschnitt explizit ausgeschlossen. Es werden zwar schwere Bedenken hinsichtlich der Tragbarkeit von Griechenlands Schulden angesprochen, aber letztlich lediglich die Bereitschaft erklärt, wenn nötig zusätzliche Maßnahmen (wie eben längere Rückzahlungsfristen) zu prüfen. Diese würden darauf abzielen, den »griechischen Mittelbedarf tragbar zu machen«.

Beim ersten Hilfspaket für Griechenland von 2010, als auch schon Zweifel an der Schuldentragbarkeit bestanden, umging man diese Regel unter Verweis auf das Ansteckungsrisiko, das von einem finanziellen Kollaps des Landes ausgegangen wäre. Ein zweites Mal wird man die Regeln nicht biegen können. Falls sich Europa in punkto Schuldenerleichterungen für Griechenland nicht stärker bewegt, bedeutet dies, dass die neuste Hilfsaktion für Griechenland ohne den IWF stattfinden könnte – auch, wenn dessen Beteiligung in der Gipfelerklärung ausdrücklich vorgesehen ist.

Die restrukturierten Schulden sind tragbar, wenn die griechische Wirtschaft wachsen kann. Aber die Wirtschaft kann nicht wachsen, ohne dass Liquidität zur Verfügung gestellt wird – sonst kollabiert die Wirtschaft. Wird keine Liquidität bereitgestellt, sind auch die restrukturierten Schulden nicht tragbar. Erhalten die Banken und der Markt für griechische Staatsanleihen wieder Liquidität, könnte Griechenland wachsen.

Ein Schuldenschnitt ist wichtig, aber in der aktuellen kurzfristigen Drei-Jahres-Perspektive ist ein Haircut nicht zwingend notwendig, den die Eurostaaten ja auch nicht haben wollen. Es ist daher vernünftig, wenn sich die griechische Regierung auf die Regelung der Wachstumsbedingungen im Land konzentriert: Die europäischen Investitionsmittel müssen sofort und unbürokratisch freigegeben und zu Wachstumsimpulsen eingesetzt werden. Es muss genug Liquidität für Banken und Staat bereitgestellt werden, um aus der jetzigen Situation heraus zu kommen.

[1] Siehe hierzu auch unseren Beitrag Schäuble und die Strategie des »Grexit« auf dieser Website.
[2] IMF Country Report No. 15/186 vom 14. Juli 2015. »Debt would peak at close to 200 percent of GDP in the next two years. This contrasts with earlier projections that the peak in debt—at 177 percent of GDP in 2014—is already behind us.«

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